Wasserfall, Kurt 2013: Bühne frei für alle. Methoden für Improvisation und Theater in Schule und Freizeit. Mühlheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr. 152 Seiten – Rezension
Wasserfalls Buch ist angekündigt als „reichhaltiger Fundus mit Übungen, einfachen Spielen und Improvisationen zum Theaterspiel: Schnell und unkompliziert umsetzbar, Ideal zur Integration und Inklusion von Jugendlichen. Geeignet zum Einsatz im regulären Unterricht, aber auch für die Theater-Ag. Für die Klassen 1-13.“ (Umschlagseite 4)
In einem knappen Vorwort werden Herkunft und Funktion des Improvisierens sachlich korrekt beschrieben. Mehr muss man zunächst auch nicht wissen. Aber die Behauptung dass Improvisationstheater angeblich im „leistungsfreien Raum“ geschieht, ist abwegig. Wer selbst improvisiert und wer Improvisierenden aufmerksam zuschaut, sieht förmlich, welche enormen Leistungen hier erbracht werden, aus buchstäblich nichts einen Hut zu machen, eine Situation anzudeuten oder gar eine Szene mit Halte-, Dreh- und Wendepunkt zu spielen.
Diese Behauptung schmälert die Bedeutung der Improvisation. Dass sie manchmal so leichtfüßig daherkommt, mag den naiven Betrachter blenden, der die erbrachte Leistung darin nicht zu erkennen vermag.
Wasserfall unterteilt sein Buch in sieben Kapitel:
1. Vorbereitung
2. Improvisation für den Anfang
3. Figuren und damit spielen
4. Geräusche, Klänge, Sprechen
5. Improvisationen von leicht bis anspruchsvoll
6. Besondere Improvisationen
7. Die Spielfläche ist eine Bühne
und beschreibt Theater-Übungen, die bereits seit Jahrzehnten in unzähligen Variationen publiziert und fester Bestandteil von Arbeitsportfolios vieler Theater-Lehrkräfte und -Pädagogen, Theaterlehrer- und Schauspieler-Ausbilder sind. Man mag Wasserfall seine Behauptung nicht abnehmen, dass die meisten Übungen und Vorschläge von ihm entwickelt wurden (5).
Theaterarbeit beginnt richtigerweise mit Aufwärmen und Vertrauen aufbauen.
Schon in der ersten Übung „Die Begrüßung“ weist Wasserfall darauf hin, das Geschehen zu gliedern: „Stehen, ansehen, begrüßen.“ (9). Das Strukturieren ist die Voraussetzung für das spätere Rhythmisieren: eine wesentliche Technik beim Theaterspielen. Das gefällt.
Die weiteren Übungen im Kapitel „Vorbereitung“ verlangen allerdings von den Teilnehmern bereits ein bestimmtes Maß an Vertrauen und Einfühlungsvermögen und sind demnach nur für entsprechende Teilnehmer sinnvoll.
In der Startphase ist es angeraten, eher lustvolle Bewegungsspiele anzubieten, in der immer die ganze Gruppe aktiv ist und sich noch keiner exponieren muss (Keine Zuschauer in dieser Phase, auch nicht aus der eigenen Gruppe durch Gruppenteilung!).
Spiegelübungen (12) mit bewegungseingeschränkten Menschen sind heikel, weil sie dem gehandicapten genau sein Handicap aufzeigen. Solche Übungen sollten erst gemacht werden, wenn eine solide Vertrauensbasis unter den Teilnehmern aufgebaut wurde und man sich untereinander in seinen Möglichkeiten gut kennt, sonst werden sie leicht zu Vorführungen von Unfähigkeiten.
Wasserfall ist offensichtlich kein Freund des Leistungsbegriff, denn bei der Beschreibung zu den Warm-Up-Übungen – Wo ist jetzt eigentlich der Unterschied zu den Übungen des vorgeschalteten Kapitels „Vorbereitung“? – formuliert er als Lernziel, dass es nicht um Leistung ginge: „Es wird ein leistungsfreier Raum geschaffen, …“ (5). Jeder solle die Übungen so weit mitmachen, wie es ihm möglich sei.
Zu fragen wäre hier: Wie soll so eine Aufgabe zu bewältigen möglich sein, ohne Leistung zu erbringen? Die allgemeine Denunziation des Leistungsbegriffs ist nicht zielführend – man kennt sie aus der Ecke der sogenannten Kuschelpädagogik – sondern kontraproduktiv, weil die Teilnehmer für ihre erbrachten Leistungen (z.B. ihr individuelles Bewegungspotenzial auszuschöpfen) selbstverständlich auch entsprechendes Feedback und Lob erhalten sollten. Zu klären ist immer: Leistung wofür? Und vergessen wir nicht: Kinder sind zumeist motiviert und leistungswillig.
In den folgenden Kapiteln werden weitere Übungen beschrieben und zwischen drei „grundlegenden Bewegungsarten“(22) unterschieden: Zeitlupe, Statue, Roboter. Diese sind allerdings keine grundlegenden Bewegungsarten. Hier geraten Wasserfall die Fachtermini für theatrale Gestaltungs-Möglichkeiten durcheinander.
Klare und präzise Beschreibung von Bewegungsmöglichkeiten wie sie in Lehrbüchern seit langem ausreichend entfaltet sind mit den Kategorien Beugung, Drehung, Verschiebung (Inklination, Rotation, Translation) wären hilfreicher beim Verstehen, was nun die Kinder machen sollen.
Hilfreich wäre es auch, wenn Wasserfall sich an die in Fachkreisen gebräuchlichen Begriffe gehalten hätte wie „freie“ und „gebundene“ Improvisation und auch den Begriff „Status“ eingeführt hätte, der eine wesentliche Rollen bei der theatralen Improvisation spielt.
Improvisation als Methode und Improvisation als theatrale Form geraten in den letzten Kapiteln häufiger durcheinander und das, was Improvisations-Theater als das Format „Theatersport“ (Keith Johnstone) ausmacht, wird leider nicht angesprochen.
Für einen fachlich fundierten Theaterunterricht ist das vorliegende Buch weniger geeignet; ebenso für Kinder im Alter der ersten Grundschul-Klassen. Es fehlen auch die Hinweise, für welche Altersstufen die jeweiligen Übungen sinnvoll sind.
Eine besondere Eignung für inklusiven Unterricht ist nicht erkennbar, wenn man grundsätzlich von theatertraler Arbeit absieht. Diese ist sicherlich geeignet, Menschen mit Handicap in Gruppen zu integrieren bzw. Menschen ohne Handicap ein Lernfeld zu bereiten.
Von der Spezifik inklusiven Unterrichts mit Theaterarbeit erfährt der Leser leider nichts.
Fazit
Einen Spielenachmittag mit Kindern, bei dem das Gemeinschaftserlebnis und das gemeinsame Spielen im Vordergrund stehen, weniger theatrales Handwerkszeug unter fachkundiger Anleitung zu lernen, mag das Buch einem Kinderbetreuer durchaus Inspirationsquelle und Fundus sein.
Die Übungen sind klar und präzise beschrieben und werden damit einer wirkungsvollen Anleitung gerecht, sodass auch ungeübte Personen sie einfach vermitteln bzw. die Übungsanleitungen vorlesen können.