Urheberrecht – Upload-Filter – Geschrei um nichts?
Wer verletzt das Urheberrecht? – Piraten!
Ich verstehe Aufruhr und Hysterie um das Urheberrecht nicht. Ok, es ist etwas komplex und nicht in zwei Sätzen genau zu analysieren. Menschen (User) nutzen freiwillig das Angebot eines Dienstleisters, z.B. YouTube, ihre Inhalte über das Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, z.B. zahlreiche Künstler. Sie könnten es auch kostengünstig publizieren für weniger als 1€ im Monat auf einer eigenen Website mit Impressum. Sie könnten per Google-Suche und mit entsprechender Software regelmäßig selbst prüfen, ob ihr Material missbräuchlich verwendet wird. Aber nicht wenige Künstler stellen ihre Daten und ihr Angebot lieber einem Großkonzern zur Verfügung, weil sie selbst noch nicht bekannt genug sind. Sie wissen, dass dieses „kostenlose“ Angebot von z.B. Google letztlich nicht kostenlos ist. Es kostet sie zwar kein Geld, aber sie bezahlen mit ihren Daten und ihren vermeintlich oder tatsächlich kreativen Leistungen. Mit diesen, dem Dienstleister freiwillig zur Verfügung gestellten persönlichen Daten und ihren Kreativleistungen, verdient dieser sein Geld. Andererseits gibt es Künstler, die erlauben ihrem Publikum bzw. verbieten nicht, ihre Live-Auftritte zu filmen.
Jetzt stellt man fest, dass es Menschen gibt, die sich irgendwie Leistungen anderer Menschen „aneignen“ und diese für ihre persönlichen Zwecke benutzen. Urheberrecht ist aber unantastbar, und das Urheberrecht gibt es ja schon ziemlich lange.
Google hat deswegen schon lange Upload-Filter bei YouTube eingebaut, die solche Urheberrechtsverletzungen verhindern sollen. Klappte mal mehr mal weniger, wegen der Schwierigkeit, Algorithmen zu schreiben, die immer alles entsprechend erkennen. Aber Google versucht es immerhin, und mit den Uploadfiltern, die z.B. auch Kinderpornografie-Material blockieren, hat das ja überwiegend geklappt. Keiner schreit „Zensur!“ außer Rechtsbrecher. Das müsste allerdings von staatlicher Seite alles noch genauer kontrolliert und geprüft werden. Hier ist Transparenz einzufordern, und es stellt sich die Frage, wer hoheitliche Aufgaben exekutieren darf. Hier ist die staatliche Fürsorgepflicht einzuklagen, die die Einhaltung der Gesetze durchsetzt.
Eigene Erfahrung
Mir ist das selbst schon passiert, als ich in einem wissenschaftlichen Beitrag eine fremde Filmpassage in mein Video als Zitat mit ordentlicher Quellenangabe eingefügt hatte. YouTube hat meinen Beitrag deshalb nicht akzeptiert und mich entsprechend informiert. Nachdem ich die entsprechende Filmsequenz aus meinem Video herausgeschnitten hatte, hat Google mein Video anstandslos hochgeladen.
Nun könnte ich mich ärgern, weil ich vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, mich für berechtigt halte, in entsprechendem Umfang (wieviel das sein darf, das ist geregelt) urheberrechtlich geschütztes Material mit Quellenangabe zu zitieren. Das zu entscheiden, war der programmierte Algorithmus wohl nicht „feinfühlig“ genug (vgl. auch List 2019: Theater 4.1 Digitale Authentizität).
Die Schreihälse
Nun beklagen lauthals viele, wie gemein doch Google ist, dass die sich anmaßen, Urheberrechtsverletzungen nicht zuzulassen bzw. dass Google per Gesetz gezwungen werden soll durchzusetzen, dass seine Kunden das Urheberrecht respektieren und entsprechende Verletzungen unterbinden soll. Google als staatliche Exekutive? Wer aber verletzt primär das Urheberrecht? Das sind doch diejenigen User, die sich fremdes urheberrechtlich geschütztes Material aneignen und es hochladen oder?
Vermutlich sind unter den Schreihälsen auch alle, die schon immer gefordert haben, dass man das Urheberrecht abschaffen soll (also solche Leute, die selbst nichts Kreatives schaffen, selbst nur schmarotzen wollen und Kreativschaffende gerne als arme Schweine sehen wollen).
Ich möchte auch nicht, dass ein Privat-Konzern hoheitliche Aufgaben übernimmt und z.B. die Meinungsfreiheit einschränken darf – wie ich auch nicht möchte, dass in der Welt Großmächte private Armeen kämpfen lassen, z.B. BlackWater, dass Institutionen mit öffentlichem Auftrag und im öffentlichen Interesse wie Stadtwerke, Wasserwerke, Eisenbahnen, Post, Schulen, Polizei, Krankenhäuser(!) usw. von Privatfirmen gekauft und mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden.
Andererseits möchte ich auch unzensiert selbst entscheiden, was ich von meinen Arbeiten freiwillig öffentlich unentgeltlich zur Verfügung stellen will. Es steht tatsächlich jedem frei, der Ambitionen hat, sein eigenes Material öffentlich zu machen, mit Google einen entsprechenden Nutzungs-Vertrag, wie man das als Publizierender mit einem ordentlichen Zeitschriften- oder Buch-Verlag macht, abzuschließen. Dann wäre solch ein Vertragspartner wie ein Verlag in der Pflicht, das Recht des Urhebers und seine eigenen Nutzungsrechte zu wahren und zu schützen. Wäre gespannt ob Google darauf überhaupt regierte, und wenn ja wie.
Die Möglichkeiten
Wenn man mal versucht ganz anders zu denken, nämlich vom jetzigen Urheberrecht her. Jeder, der einen Hinweis, einen Teaser von etwas Eigenem ins Netz stellt, ist dessen Urheber und hat ein Recht auf Nutzungsentgelt. Wer diese Kreativleistung komplett nutzen will, ein Lied ganz hören einen ganz Text lesen, wird automatisch mit dem Urheber verknüpft und kann über dessen Account die Leistung gegen Bezahlung abrufen. So machen es ja z.B. schon große Zeitung-Verlage und Filmvertriebe. Ganz einfach: Leistung gegen Bezahlung. Wer dagegen keine Teaser ins Netz stellt, sondern gleich seine komplette Leistung und diese für jeden vollumfänglich zugänglich macht, weiß, dass das eine Art Geschenk für die Allgemeinheit ist, womit jeder machen kann, was er will. (Deshalb stellen Bild-Agenturen nur Fotos mit minimalster Auflösung ins Netz). Es sei denn, es wird schon beim Anklicken durch einen User dem Urheber automatisch mitgeteilt, wer sein Produkt (missbräuchlich) nutzt.
Jeder Nutzer, der über seine IP-Adresse als Person durch eine Anmeldung bei einer Plattform zu identifizieren sein muss, erhält automatisch eine Mitteilung über sein Tun und Informationen über die Folgen, die Kosten, eine Abmahnung usw., sobald er sich fremdes urheberrechtlich geschütztes Material aneignet und weiterverwendet. Sowas sollte doch technisch möglich sein, z.B. durch digitale Signaturen oder? Die Post wird ja auch nicht verantwortlich gemacht, wenn sie illegale Substanzen transportiert und verteilt (Waffen, Rauschgift, usw.). Auch ein Litfaßsäulen-Betreiber ist vermutlich nicht haftbar zu machen für die Plakatinhalte.
Verwertungsgesellschaften stärken
Es gibt die VG Bild-Kunst und die VG Wort für die entsprechenden Fotografen und Texter in Analogie zur GEMA für die Musiker. Diese treiben jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag ein und verteilen diesen an die Kreativ-Schaffenden. Das ist nicht viel, aber immerhin. Ich werte das als kleine Entschädigung dafür, dass z.B. meine Bücher oder Teile daraus (natürlich auch unrechtmäßig von Piraten) kopiert werden. Deswegen müssen ja auch z.B. Kopiergerätehersteller pro verkauften Kopierer einen kleinen Beitrag an die Verwertungsgesellschaften (VG) bezahlen. Man könnte sich auch gewerkschaftlich und verbandsmäßig stärker engagieren und hier solidarische Plattformen schaffen, auf denen Urheberrechtsverletzungen technisch erst gar nicht möglich sind bzw. sofort strafrechtlich verfolgt werden.
Also. Es gibt Möglichkeiten zum Weiterdenken, statt heulsusenmäßig zu plärren: „DIE wollen uns das Internet wegnehmen“! Quatsch! Schützt das Urheberrecht ordentlich, auch im Internet! Wer unerlaubt irgendwo, irgendwas kopiert, was nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen ist, soll auch dafür irgendwie bezahlen! Wer eine Technik bereitstellen kann, über Tausende von Kilometern hinweg mit Drohnen einzelne Menschen töten zu können und das auch tut, und Staaten die das so wollen oder tolerieren, sollte … Ich schweife ab.
Ach ja, Brecht wetterte ja auch gegen das Urheberrecht. Es gäbe kein geistiges Eigentum und: Kunst gehöre allen Menschen. Er führte aber zahlreiche Prozesse gegen Menschen, die angeblich SEIN geistiges Eigentum benutzten. Was soll man davon halten?
Weiterführendes
- Brost, Marc u.a. 2019: Sie kämpft für Freiheit. Nächste Woche stimmt das EU-Parlament über die Reform des Urheberrechts ab. Sie könnte das Internet massiv verändern. In: Die Zeit Nr. 13 vom 21.03.2019, Seite 6-7 > https://www.zeit.de/thema/eu-urheberrecht
- Hornschuh, Matthias 2019: Was ist das für eine Freiheit, die nur einigen gehört? Die Debatte über Urheberrechtsreform der EU wird verzerrt. Es geht nicht um „Uploadfilter“. Es geht um Lizenzen, die Plattformbetreiber für die Nutzung von Werken Dritter abschließen sollen. Es geht um faire Bedingungen für Urheber in ganz Europa, auch für YouTuber. In: FAZ Nr. 72 vom 26.03.2019, Seite 13
- Lanier, Jaron 2019: Liebesgrüße aus dem Silicon Valley. Der Widerstand gegen die EU-Urheberrechtsreform wird immer größer. Das nutzt nur den Internet-Giganten. Ein fiktiver Dankesbrief der Profiteure an die naiven Aktivisten. In Die Zeit Nr. 13 vom 21.03.2019, Seite 41 > https://www.zeit.de/2019/13/eu-urheberrechtsreform-internetkonzerne-youtube-google-profiteure
- List 2019: Theater 4.1 Digitale Authentizität
- https://www.zeit.de/digital/internet/2019-03/eu-urheberrechtsreform-artikel-13-eu-parlament-youtube
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/frage-des-tages-muss-der-plagiator-brecht-vom-urheberrecht.2156.de.html?dram:article_id=312000
- http://www.taz.de/!5273246/
- https://nachtkritik.de/index.php?Itemid=84&catid=101:debatte&id=10584:streit-ums-urheberrecht-beobachtungen-vom-prozess-des-suhrkamp-verlags-gegen-das-residenztheater-wegen-frank-castorfs-qbaalq-inszenierung&option=com_content&view=article
- https://www.zeit.de/digital/internet/2016-08/urheberrecht-abmahnung-geschaeft-chaos-computer-club-hilfe
- https://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/Brecht/dgoper.htm
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