List, Volker/ Pfeiffer, Malte 2009: Kursbuch Darstellendes Spiel. Stuttgart: Klett. 240 Seiten > Rezension von Ole Hruschka. In: Kompass für das Schultheater. In: IXYPSILONZETT 01.2010. Magazin für Kinder- und Jugendtheater. Berlin: Theater der Zeit Verlag. S. 37-38 – Rezension
Laut Verlagsankündigung richtet sich das „Kursbuch Darstellendes Spiel“ als „Schülerbuch“ an Jahrgänge von der 11. bis zur 13. Klasse. Überwiegend wird es aber wahrscheinlich als Lehrerhandbuch genutzt werden. Und das kommt zur rechten Zeit. Denn während die ersten Absolventengenerationen des Studiengangs Darstellendes Spiel ihr Referendariat beenden, wächst weiter der Bedarf an gut ausgebildeten Theaterlehrern, die das neue Fach – übrigens zunehmend auch jenseits der gymnasialen Oberstufe – kompetent unterrichten.
Die Publikation ist ein gewichtiger Meilenstein in dieser Entwicklung. Erstmals wird hier der Versuch unternommen, den Richtlinien der einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur Darstellendes Spiel (EPA 2006) im Einzelnen gerecht zu werden.
Weil es dem Autoren-Tandem Volker List (geb. 1951) und Malte Pfeifer (geb. 1982) gelingt, spezifische Erfahrungen und Kompetenzen ihrer Generationen zusammenzutragen, bietet das Lehrwerk abwechslungsreiche Anregungen für einen zeitgemäßen Theaterunterricht im schulischen und außerschulischen Bereich.
Es überzeugt zunächst durch eine systematische Gliederung: Die beiden Grundkurse „Körper, Raum und Improvisation“ bzw. „Figuren und Ensemble“ vermitteln Basiskompetenzen, angefangen bei der Improvisation, über Stimmbeherrschung bis hin zur Figurenentwicklung bei der szenischen Realisierung einer Textvorlage; die darauf folgenden Aufbaukurse „Dramaturgie und Inszenierung“ und „Theater-Labor – Moderne Theaterformen“ sind freier gestaltet und eröffnen die Möglichkeit einer ensembleorientierten Theaterarbeit, die ein selbst bestimmtes Thema oder eine ausgewählte aktuelle Theaterform zum Ausgangspunkt nimmt.
Selbstbestimmter Projektunterricht Dieses mehrstufige Aufbauprogramm vermittelt ein reiches Spektrum an theatralen Verfahren, die bisher in der theaterpädagogischen Fachliteratur selten so schlüssig und stringent didaktisch aufbereitet wurden. Kaum eine der innovativen Formen, die im avancierten Gegenwartstheater in den letzten Jahren zu erleben waren, die hier fehlt; kaum eine der jüngst diskutierten theaterwissenschaftlichen Kategorien, die nicht als „Lernfelder“ vorgeschlagen werden (z.B. Raumkonzepte und Atmosphäre, Theaterchor, Biografische Elemente, Dramaturgische Verfahren, Medieneinsatz, Bedeutung des Publikums).
Bemerkenswert ist auch, dass die transparente Anlage des Schulbuchs als Sammlung von Modulen bzw. Doppelstunden-Entwürfen – durch die sorgfältig durchgehaltene Verzahnung von Theorie und Praxis – eine neue Sicht auf die Funktion des Spielleiters eröffnet.
Den Schülern werden in hohem Maße Eigentätigkeit und Selbstverantwortung abverlangt, so dass sich Spielleitung hier im gelungenen Fall darauf beschränken kann, den Lern- und Produktionsprozess zu initiieren und unterstützend zu begleiten.
Kritisch bleibt anzumerken: Die Orientierung des Kompendiums an den EPA 2006 stellt in pragmatischer Hinsicht zwar eine Stärke des Lehrwerks dar, die konkrete Umsetzung spiegelt allerdings auch Schatten – seiten unseres Bildungssystems. Eine gelungene Theaterproduktion scheint hier allein eine Frage der zielgerichteten Strukturierung von Lernprozessen zu sein, eine Frage des richtigen methodischen „Rezepts“, das dann kurzerhand zur anvisierten „Kompetenz“ führt.
Ästhetisches Erfahren und Sich-bilden sieht in der Praxis oft aber anders aus, verläuft gerade in der sozialen Kunstform des Theaters nicht immer auf geraden Wegen, ist ohne die Bewältigung von Widerständen und Krisen nicht zu haben. Diese Dimension kreativer Prozesse bleibt unberücksichtigt.
Skepsis verdient auch, dass sich das Buch „ausdrücklich nicht am gängigen Kanon von Theatergrößen der Geschichte und Gegenwart“ orientieren mag (Einleitung). Dies befördert Vorurteile gegenüber einem professionellen Theaterbetrieb, mit dem Theaterlehrer doch in einen lebendigen Austausch treten sollten und der sich derzeit offenkundig stark verändert: Allerorten erproben Stadt- und Staatstheater in oft vorbildlicher Weise innovative Verfahren und Ausdrucksmittel bei der Theaterarbeit mit Jugendlichen. Und wo bleibt das Drama?
Diskussionswürdig ist, dass das „Kursbuch“ einerseits die Orientierung an den EPA behauptet, einige der werthaltigen Richtlinien jedoch unterbelichtet bleiben. Folgte man dem Autoren-Konzept, bliebe es ein eher seltener Zufall, wenn Theater-Schüler „bedeutende Theaterautoren und -autorinnen und ihre Werke aus unterschiedlichen Epochen“ kennen lernen, insbesondere solche, „welche die Entwicklung des Theaters der Gegenwart geprägt haben“ (EPA, S. 11).
Volker List und Malte Pfeiffer favorisieren stattdessen das Erproben von Ästhetiken jenseits von Textorientierung und dramatischer Konvention. Folgerichtig sind – im Kontext einer veränderten Kultur- und Medienlandschaft – Performativität und zeitgenössische Hybridformen von Theater und Aktionskunst von zentraler Bedeutung.
Was dabei unter den ansonsten reich gedeckten Tisch fällt, ist jedoch zum einen die Vermittlung eines „Herkunfts – bewusstseins“ (Botho Strauß), zum anderen die Frage, wie man Schülern des 21. Jahrhunderts motivierenden Zugang verschafft zu Theaterprojekten mit großen literarischen Vorlagen der Tradition und der Gegenwart.