Barz, André/ Paule, Gabriela 2013: Der Zuschauer. Analysen einer Konstruktion im theaterpädagogischen Kontext. Münster: LIT Verlag, 336 Seiten – Rezension
Barz/ Paule schauen auf das Phänomen Theater aus einer explizit politischen Perspektive, wenn sie zunächst konstatieren, dass sich Theater weg von einer moralischen Anstalt zu einer „Schule der Wahrnehmung“ verändert habe. Damit einher gegangen sei die Transformation des Zuschauers vom Objekt einer Botschaft hin zu einem „Subjekt der Aneignung“ auf dem Hintergrund der Schaffung eines Bewusstseins, „sich selbst als ein an gesellschaftlichen, einschließlich explizit politischen Prozessen partizipierendes Individuum zu begreifen.“ (7) Damit einher gehe außerdem immer deutlicher eine politische Emanzipation mit einer ästhetischen.
Insofern bedürfe es einer „Vergewisserung“ darüber „welche Zuschauer es gibt und wie Zuschauen ‚funktioniert’, möchte man gelingend zwischen Theater und (sehenden wie spielenden) Zuschauern vermitteln.“ (16) Theaterpädagogisches Arbeiten benötige demnach dieses Wissen und müsse davon ausgehen, dass Zuschauen heutzutage einerseits stark medial geprägt, andererseits aber auch in der Regel verknüpft sei mit unterschiedlichen Sinneseindrücken. Intention des vorgelegte Band sei, „solches Wissen – als Voraussetzung und Bedingung theaterpädagogischen Handelns – zu versammeln.“ (16)
Inhalt
André Barz/ Gabriela Paule
Zuschauer und Zuschauen in theaterpädagogischem Kontext 7
Matthias Uhl
Der ‚biologische’ Zuschauer – Zur anthropologischen Grundkonfiguration des Menschen als Zuschauer 27
Marcel Barion
Der ‚ertappte’ Zuschauer – Zum Voyeur in der bildenden Kunst 47
Kai Naumann
Der ‚gefesselte’ Zuschauer – Leidvolles Sehen in Dario Argentos „Opera“ 69
Stephan Sauskojus
Der ‚kranke’ Zuschauer – Das Problem der Computerspielsucht in der BRD 89
Florian Vaßen
Der koproduzierende Zuschauer – Kollektive Kreativität und Theater Praxis 125
Imanuel Schipper
Der ‚authentisierende’ Zuschauer – Wie ein Begriff die Seiten wechselt 149
Ann-Kathrin Reimers
Der neugierige Zuschauer – Penelope Wehrlis Theater der kalkulierten Unübersichtlichkeit 165
Anne Keller
Der ‚ausgerichtete’ Zuschauer – Zu den Propagandaaufgaben der HJ-Laienspielscharen 183
Anne Steiner
Der ‚fremde’ Zuschauer – Überlegungen zur Theaterrezeption Jugendlicher 217
Ralph Olsen
Der ‚empirische’ Zuschauer – Bestandsaufnahme und theaterdidaktischer Ausblick 235
Philippine Reuther/ Anne Steiner
Der ‚vermittelnde’ Zuschauer – Ergebnisse aus der Untersuchung zur Zusammenarbeit von Theater und Schule 281
Maria Theresa Winkels
Der ‚umworbene’ Zuschauer – Empirische Studie zu den Chancen einer neuen Publikumsorientierung 297
Verzeichnis der Autoren 331
André Barz/ Gabriela Paule
Zuschauer und Zuschauen in theaterpädagogischem Kontext 7
Barz/ Paule beschäftigen sich zunächst in drei Abschnitten mit den Zuschauern und dem Zuschauen durch „Sondierung des Terrains“ (7-10), den „Implikationen eines Phänomens“ (10-16) und aus theaterpädagogischer Perspektive (16-17), bevor sie eine inhaltliche Übersicht über die Beträge des Bandes geben.
Bei der Terrainsondierung verwundert es allerdings, mit welchen Kategorien sich die Autoren dem ins Auge gefassten Phänomen zuwenden. Einem kurzen Verweis auf den „performative turn“ und die Entwicklung des sogenannten postdramatischen Theaters wird diesem gegenübergestellt, „dass im ’normalen‘ Theateralltag offenbar nach wie vor eher Inszenierungen ‚klassischer‘ Stücke dominieren, und stellt man in Rechnung, dass dies Inszenierungen in überwiegendem Maße eher nicht einer Praxis im oben geschilderten Sinne [also postdramatisch-performativ] folgen dürften, wird die Mehrzahl der realen und potenziellen Zuschauer also in der Regel mit ’normalem‘ Theater konfrontiert.“ (8-9) Als Beleg wird die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins für die Spielzeit 2010/2011 angeführt, die in Deutschland unter den 20 Schauspielwerken mit den höchsten Inszenierungszahlen sogenannte Klassiker wie „Faust“, „Besuch der alten Dame“, „Hamlet“ usw. verzeichnet.
Dazu stellen sich nun verschiedene Fragen: Wo ist der Beleg, dass diese Klassiker in „normaler“ (meint wohl werktreuer und psychorealistischer) Weise aufgeführt wurden und nicht auch postdramatisch-performative Gestaltungselemente enthalten? Ich habe bereits zahlreiche nicht „normale“ Inszenierungen gesehen. Welche wissenschaftliche Qualität hat die Kategorie „normaler Theateralltag“? Welche Bedeutung hat in dieser „Argumentation“ dabei der Verweis auf eine Shell-Studie aus 2010 zum Freizeitverhalten von Jugendlichen, in der überhaupt nicht nach Theaterbesuchen gefragt wurde, folglich diese auch gar nicht erfasst sind? Welcher Erkenntniswert kann überhaupt generiert werden, wenn in Kategorien von „avanciertem“ und „normalem“ Theater gedacht wird?
Aus dieser „Zustandsbeschreibung“ leiten die Autoren nun ab, wenn man ihr, der Zustandsbeschreibung, „theaterpädagogisch begegnen“ wolle, dass es „hilfreich“ sei, „sich zunächst […] einige den Zuschauer und das Zuschauen betreffende Aspekte ins Bewusstsein zu rufen.“ (10)
Matthias Uhl
Der ‚biologische’ Zuschauer – Zur anthropologischen Grundkonfiguration des Menschen als Zuschauer 27
Uhl begründet in fünf Kapiteln, warum das Zuschauen eine Voraussetzung einer menschlichen Kultur ist (Kapitel 5).
Dazu untersucht er, auf welcher Anthropologie seine Überlegungen basieren (Kapitel 2), in welcher Weise beim Menschen kognitive Mechanismen das Zuschauen aus Gehirnregionen steuern, die sich der puren Reflexion nicht erschließen lassen und nur über Experimente sichtbar gemacht werden können (Kapitel 3), welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen Menschen und anderen Säugetieren gibt und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind (Kapitel 4). Eine von Uhl vermittelte Erkenntnis durch Experimente lautet, dass sich die biologisch angelegte – unserem willkürlichen Einfluss entzogene – Reizverarbeitung als gewichtiger erwiesen habe als die durch die jeweiligen individuellen Erfahrungen bedingten Unterschiede in Rezeption und Bewertung, also der Sozialisation eines Menschen (37).
Menschen seien „geborene Spezialisten im Beobachten anderer Menschen.“ Sie beherrschten „die Kunst, von dem, was man sieht, auf das, was man nicht sehen kann, zu schließen.“ (43) Sie seien von Natur zur Empathie fähig, einer wesentlichen Voraussetzung von Kulturfähigkeit. Eine zweite grundlegende Voraussetzung für Kulturfähigkeit ist die nur Menschen eigene Kompetenz durch Zuschauen andere Menschen imitieren zu können und „das Wissen, wie man gelingend mit der Welt umgeht, durch Zuschauen erwerben.“ (45)
Welchen Einfluss diese Erkenntnisse auf Konzeptionen theaterpädagogischer Arbeit ausüben, müsste wohl noch im Detail geklärt werden. Erste Ansätze dazu finden sich vermutlich dort, wo die Frage beantwortet werden sollte: Wie üben die Schüler und Teilnehmer einer Theatergruppe das qualifizierte und kompetente Zuschauen, indem sie alle von Uhl aufgezählte Einflussgrößen berücksichtigen, und wo kommt das so erlernte differenzierte Zuschauen letztlich zum Tragen. Erste Antworten könnten lauten: Zuschauen wird geübt in häufigen Feedback- und Reflexionsgesprächen nach häufigem Zuschauen bei kleinen Präsentationen und letztlich in einer Aufführung und der entsprechenden Werkschauanalyse und Theaterkritik.
Marcel Barion
Der ‚ertappte’ Zuschauer – Zum Voyeur in der bildenden Kunst 47
Barion zeichnet in seinem Aufsatz nach, wie sich die Darstellung einer bestimmten und typischen voyeuristischen Situation entwickelt hat, welcher in drei ausgesuchten Ikonografien jeweils zentral ist.
Kai Naumann
Der ‚gefesselte’ Zuschauer – Leidvolles Sehen in Dario Argentos „Opera“ 69
Naumann setzt sich mit der Frage auseinander, ob ein Zuschauen erzwungen werden kann und entfaltet die Problematik an exponierte Beispielen aus der Filmgeschichte.
Stephan Sauskojus
Der ‚kranke’ Zuschauer – Das Problem der Computerspielsucht in der BRD 89
Sauskojus beschreibt auf der Basis des Nutzungsverhaltens des Internets die vielfältigen Formen von suchtartigem Verhalten.
Florian Vaßen
Der koproduzierende Zuschauer – Kollektive Kreativität und Theater Praxis 125
Vaßen beschreibt die herausragende Rolle des Zuschauers bei der Konstitution eines ästhetischen Erlebnisses bei avantgardistischen Produktionen der Postmoderne. Dies generiere aber „die Gefahr von Beliebigkeit und Vagheit“, der nur dadurch zu begegnen ist, „wenn die jeweilige künstlerische und theaterpädagogische Praxis exakt situiert und in ihrer Arbeitsweise, Form und Funktion konkretisiert wird.“ (141)
Imanuel Schipper
Der ‚authentisierende’ Zuschauer – Wie ein Begriff die Seiten wechselt 149
Die Kultur des Zuschauens habe sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert, so Schipper, und die Funktion des Theaters, Alternativen für das Leben zu entwerfen, sei in den Hintergrund gerückt. Künstler hielten sich mit ihren produktiven und kreativen Fähigkeiten zurück und lieferten nur noch Montagen, Spiele, Fragmente, je nach Inszenierungsstil eines Regisseurs/ eines Ensembles. Künstler schauten lieber ihren eigenen Experimenten als Zuschauer zu. Es gebe ja keine Story mehr zu inszenieren. Man diskutiere lieber mit den anderen Zuschauern vor auf und hinter der Bühne die Funktionsweisen der Bühne. Das damit einhergehend zunehmend Biografische auf der Bühne würde das Authentische aber nicht garantieren.
Schipper fragt nach der Bedeutung des Authentischen im Theater, dessen Kunst ja gerade darin bestehe, etwas Ausgedachtes vorzuspielen, sich zu verkleiden und erfundene Geschichten zu erzählen und Zuschauer dafür bezahlten, belogen zu werden. Auch „eine Darstellung von der authentischsten Biografie, gespielt von der Person selber, [bleibt] immer einer Darstellung“. (160) Sie wird dementsprechend nie authentisch sein.
Laut Schipper handelt sich bei der Forderung nach Authentizität auf der Bühne um mehrere Paradoxa, denn eine geplante, geprobte Handlung, Haltung und Bewegung könne nicht authentisch sein, den Authentizität lasse sich nicht reproduzieren. Sei man sich einer momentanen authentischen Wirkung bewusst, dann sei man nicht mehr authentisch, denn eine Authentizität schließe Selbstbeobachtung und Selbstwahrnehmung aus. Man könne nicht auf Kommando authentisch sein, so wie es viele Regisseure von ihren Darstellern verlangten.
Authentizität sei eine Kategorie des Zuschauens, sie stelle sich allein beim Zuschauer durch dessen Wahrnehmung ein, er produziere sie. „Sein Zuschauen ist die Aktion, die das Bühnengeschehen authentisch macht.“ (161) Authentizität sei demnach weniger ein Attribut einer Inszenierung als ein Rezeptionsmodus, der aber auch abhängig vom Bühnengeschehen sei. Authentizität sei demnach ein „genuin performativer Begriff.“ (161)
Ann-Kathrin Reimers
Der neugierige Zuschauer – Penelope Wehrlis Theater der kalkulierten Unübersichtlichkeit 165
Reimers untersucht an Wehrlis Aufführung das dahinterliegende Konzept von Wahrnehmung der Performerin, was für eine Position der Zuschauer darin einnimmt und wie diese beiden Komponenten durch die räumliche Anordnung ihrer Inszenierung beeinflusst werden (168).
Wehrli, so Reimers, sehe sich als „’explorative Forscherin’“ (168), setze einen neugierigen Zuschauer voraus, den sie mit unübersichtlichen Räumen konfrontiere, die er nicht überblicken könne, damit er sich im „’Imaginationsraum des Fragmentarischen’“ selbst eine „Deutung des Wahrgenommen“ kreiert.
Wehrlis sog. Raumpartituren erforderten „einen aktiven und autonomen Zuschauer […], dessen Imaginationsfähigkeit entscheiden für die Rezeption des Inszenierung ist.“ (170) –
Das klingt nach einem elitären und normierten Anspruch.
Es stellen sich fragen: Hat Wehrli nichts zu erzählen wie viele Postdramatiker? Ersetzt das scheinbar phantasievolle kreative Spielen mit den Mitteln, Techniken und Methoden des Theaters den Inhalt? Stehlen sich die Künstler (aufgrund von inhaltlicher Phantasie- und Visionslosigkeit) aus der Verantwortung, Seismographen der Gesellschaft zu sein, und überlassen einem hochkompetenten, engagierten neugierigen, gebildeten, hochimaginationsfähigen Zuschauer die Verantwortung für den Sinn ihres Tuns? Oder ist es ein neues l’art pour l’art; die Welt ist uns doch zu kompliziert als dass wir Künstler noch etwas Bedeutsames dazu zu sagen hätten, darum beschäftigen wir uns lieber mit uns selbst und gehen spielen; überlassen anderen die Deutung dessen, was wir tun. Sollen die Philosophen doch die Welt erklären. Wie früher. Kunstvermittlung für Kinder und Jugendliche als Theaterpädagogin wird da zu einer echten Herausforderung.
Anne Keller
Der ‚ausgerichtete’ Zuschauer – Zu den Propagandaaufgaben der HJ-Laienspielscharen 183
Keller untersucht die Propagandaaufgaben der HJ-Laienspielscharen und ihre zielorientieren Auftritte für ein bestimmtes Publikum.
Anne Steiner
Der ‚fremde’ Zuschauer – Überlegungen zur Theaterrezeption Jugendlicher 217
Steiner beschreibt die Gründe, warum in Deutschland Kinder und Jugendliche so wenig Gelegenheit haben, ins Theater zu gehen, und sich kaum mit dem theatralen Zeichensystem vertraut machen können. Sie sind fremd in deutschen Theatern.
Theaterpädagogen, die sich dennoch das Ziel auf die Fahnen geschrieben hätten, Kinder und Jugendliche ans Theater(spielen) heran- und ins Theater hineinzuführen, sollten beachten, dass Kinder mehr auf die allgemein menschlichen Dinge schauten, eine spezifische mediensozialisierte Sehweise hätten und anders urteilten als Erwachsene. (222)
Auf eine weitere Besonderheit weist Steiner hin, dass Jugendliche heute „höchst unterschiedlich kulturell und sprachlich sozialisiert“ (224) seien, man nicht mehr aufgrund des Umfangs der Zuwanderung von einem „allgemeingültigen Orientierungssystem mit einem Bestand an gemeinsamen Werten- und Wertvorstellungen“ (225) ausgehen könne. Diese Heterogenität heutiger Jugendlicher werde von Erwachsenen im Theater nicht ausreichend berücksichtigt.
Steiner weist darauf hin, dass sich durch die Zuwanderung der letzten Jahrzehnte in Deutschland die Anteile an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund deutlich erhöht hat (223). Dies stelle „Theaterpädagogik und Theaterdidaktik vor die Aufgabe, sich mit allen Facetten der Fremdheit jugendlicher Theaterrezipienten zu beschäftigen und wirkungsvolle Konzepte zum Umgang mit individuellen Wahrnehmungsweisen und -schwierigkeiten im Theater zu entwickeln.“ (229) Darum gelte es, ein kritisches Bewusstsein um die eigene Wahrnehmung im Theater und deren Deutung und Interpretation zu entwickeln und dass die eigene Wahrnehmung nicht universell und allgemeingültig sei, sondern subjektiv und selektiv.
Theaterpädagogische Konzepte verlangten heute mehr denn je Erfahrungswissen über „die Art und Weise, wie Jugendliche Theater rezipieren.“ (229), um theaterpädagogische und theaterdidaktische Begleitung zu optimieren. Dafür reiche es nicht, ihre Geschichte und ihre Themen auf die Bühne zu bringen.
Ralph Olsen
Der ‚empirische’ Zuschauer – Bestandsaufnahme und theaterdidaktischer Ausblick 235
Olsen geht der Frage in seinem Beitrag nach, welche empirischen Erhebungen es zur Theaterrezeption in Deutschland gibt und wie diese Befunde zu theaterdidaktischen Erwägungen in Beziehung gesetzt werden könnten.
Es gehe dabei nicht um Wirkungsforschung im Bereich der Theaterrezeption, die es nicht geben könne, da eine lineare Kausalitätskette praktisch nicht nachweisbar ist (235-236).
Olsen kritisiert die Vernachlässigung von Aufführungsbesuchen mit Kindern und Jugendlichen von Pädagogen und Bildungsplanern (264). Das Problem verschärfe sich trotz boomender Kinder- und Jugendtheateraufführungen durch die Diagnose zurückgehender Theaterbesuche und ihrer Folgenlosigkeit, denn ehemalige Besucher von Kinder- und Jugendtheateraufführungen seien später kaum noch theaterbegeistert (264). – Gibt es nun doch eine „Kausalitätskette“?
Olsen führt das auf die „beinahe ausschließliche Betonung des Produktiven etwa im so genannten Darstellenden Spiel […] in (Hoch-)Schulen“ zurück, „obwohl in pädagogisch-didaktischer Literatur das Theatersehen dem Theaterspielen gleichrangig an die Seite gestellt wird (vgl. zum Beispiel Schneider 2009).“ (264)
Olsen sieht den Grund für die Vernachlässigung des Themas ‚Theaterrezeption’, einer tradierte Domäne des Deutschunterrichts, bei theaterpädagogischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Schulen und in außerschulischen Lernorten in einer Fokusverschiebung hin zu mehr praktischer Arbeit und verweist auf Jahnke (2009).
Olsen übersieht, dass das Unterrichtsfach Darstellendes Spiel/ Theater explizit die Theaterpraxis in den Vordergrund stellt, auch und gerade weil diese im Deutschunterricht traditionell und aktuell vernachlässigt wurde und wird. Darstellendes Spiel/ Theater als Unterrichtsfach ist nicht angetreten als Beifach und Anhängsel zu Deutschunterricht, die dort offensichtlich nicht geleistete Arbeit von Theaterrezeption als Nachhilfeeinrichtung zu übernehmen.
Das von Olsen „so genannte“ Darstellendes Spiel/ Theater ist reguläres Unterrichtsfach in zahlreichen Ländern. Es hat bewusst auch Opposition bezogen gegen einen den Zuschauer in seiner Passivität haltenden Unterricht von Dramen-Analyse, Werk-Analyse, Aufführungs-Analyse, Dramen-Interpretation, Werk-Interpretation, Aufführungs-Interpretation und beschränktes Sehen-Reden-Schreiben, das ein emanzipatorisches Handeln ausschießt. Man könnte Olsen mit Rancière entgegenhalten, dass man den Zuschauer, den Schüler, in den magischen Kreis der theatralen Handlung einführen müsse, „wo die Anwesenden etwas lernen, anstatt von Bildern verführt zu werden, wo sie zu aktiven Teilnehmenden werden, anstatt passive Voyeurs zu sein.“ (Rancière (2015): 14)
Philippine Reuther/ Anne Steiner
Der ‚vermittelnde’ Zuschauer – Ergebnisse aus der Untersuchung zur Zusammenarbeit von Theater und Schule 281
Ruther/ Steiner beschreiben eine Befragung von vier bayerischen Theaterpädagoginnen und vier Deutschlehrerinnen zum Thema Zusammenarbeit von Schule und Theater. Ihre Auswertung verweist auf gegenseitige Vorbehalte, Vorurteile und Nichtwissen über die Arbeitsfelder des jeweils anderen. Ihr Fazit: Mehr miteinander sprechen. In diesem Zusammenhang ist eine Rezeption von Pfeiffers Beitrag hilfreich (vgl. auch „Strategischer Reißverschluss – Zusammenarbeit von Theater-Künstlern, -Pädagogen und Lehrkräften – Vortrag“).
Maria Theresa Winkels
Der ‚umworbene’ Zuschauer – Empirische Studie zu den Chancen einer neuen Publikumsorientierung 297
Winkels wendet sich bei ihrer Beschreibung von Möglichkeiten und Maßnahmen zur Zuschauergewinnung und deren Erhalt als Dauerkunden gegen ein massives und aggressives Werben und gegen eine Liberalisierung des Kulturmarktes und die Schaffung markwirtschaftlicher Wettbewerbsbedingungen. Eine praktizierte Publikumsorientierung und gezielte Kulturvermittlung „bedeutet nicht, den zu beziffernden Erfolg der Nachfrage im Auge zu haben, sondern den Zuschauer in den Mittelpunkt des Daseinsberechtigung eines Jugendtheaters zu stellen.“ (328) Es müsse immer die selbstbestimmte Wahl eines jeden Jugendlichen bleiben, ein Theaterangebot anzunehmen oder sich dagegen zu entscheiden. (327)
Weiterführendes
- Pfeiffer, Malte 2015: Beziehungen statt Affären! Für eine kontinuierliche Zusammenarbeit von Künstlern an Schulen. In: Hentschel. U. u.a. (Hg): Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 66. April 2015. Uckerland: Schibri: 34-35
- Rancière, Jacques 2015: Der emanzipierte Zuschauer. Herausgegeben von Peter Engelmann. Aus dem Französischen von Richard Steurer. Wien: Passagen Verlag > Rezension