Immer mehr Künstler fühlen sich berufen, Auskunft zu geben, wie Kinder mit Theater-Kunst konfrontiert werden sollten. Nur durch Überforderung, so liest man immer öfter in den einschlägigen Publikationen, würden sie überhaupt etwas lernen.
Soweit das Dogma dieser „Experten fürs Lernen“.
Eine neue Sau wird durchs Theater-Dorf getrieben, vermutlich um Aufmerksamkeit zu erheischen. Es wird ja immer schwieriger noch etwas Neues zu finden, das schon hundertmal Getoppte weiter zu toppen, und noch eins krasser oben drauf zu setzen. Das ist ja in der Geschichte der Kunst immer der Zweig der sich als Avantgarde bezeichnenden Künstler, der am schnellsten abstirbt. Schneller, höher, weiter funktioniert da nicht. Es braucht qualitativ Neues.
Wollte man das Dogma der geforderten Überforderung ernst nehmen, dann müsste man fragen, wie eine solche Behauptung zustande kommt. Haben sich die Behaupter verlaufen im Irrgarten der Sprachverwirrung gehypter Künstler, die in allem und jedem Alltäglichen „Experten“ sehen? Ist es einfach nur eine missverstandene und formal weiter deklinierte Steigerungsform in Theater“experten“kreisen, wo nach dem Positiv und dem Komparativ und dem Superlativ einfach weiter gesteigert wird: Anforderung, Herausforderung, Überforderung … Was kommt als Nächstes? Hyperforderung?
Wenn man in der Schule und im Leben aufgepasst hat, dann kann man irgendwann feststellen, dass eine Unterforderung zu schnellen Lösungen führt und genau so schnell langweilig wird.
Fühlt man sich überfordert oder beschaut man Lebewesen, die überfordert werden – von denen man etwas fordert, was sie nicht bewältigen können – dann stellt man unterschiedliche Wirkungen fest: Manche, die Hartnäckigen, versuchen die Aufgabe immer und immer wieder zu lösen (Sisyphos) und werden ob ihrer „Lernunfähigkeit“, also ihres mangelnden Veränderungswillens, langfristig krank. Das nennt man heute burn-out.
Andere fühlen „ihr“ Scheitern schneller und steigen frustriert aus. Kaum einer der Gescheiterten kommt wieder. Sie sind enttäuscht, entmutigt und niedergeschlagen. Es braucht viel Energie, Zuwendung und Zeit, diese Menschen wieder so weit aufzubauen, dass sie sich motivieren können, es doch noch einmal zu versuchen. Aber wehe, wenn sie dann nochmal und nochmal scheitern. En passant: Warum ist das wohl so, dass es in der Konsum- oder Wirtschaftswelt etwa zehnmal so viel kostet, einen Neukunden zu gewinnen bzw. einen verloren gegangenen Kunden zurück zu gewinnen als einen Kunden für ein Produkt oder ein Unternehmen dauerhaft zu begeistern (customer relationship management), also Vertrauen zurück zu gewinnen?
Kluge Lernimpulse überfordern nicht, sie fordern heraus, und zwar zur Auseinandersetzung und zum Zusammensetzen. Das ist jetzt nicht zu verwechseln mit der anderen Sau, die letzte Woche durchs Theater-Dorf getrieben wurde, der sogenannten Dekonstruktion, also der Destruktion (des Dramentextes) ohne erfolgte vorherige Konstruktion im Lernprozess.
Die Erfahrung lehrt: Eine Herausforderung erscheint dem Herausgeforderten dann attraktiv, wenn er nach der Chanceneinschätzung und der Gefahrenabwägung zu dem Ergebnis kommt, dass er eine berechtige Hoffnung haben kann, die Herausforderung zu meistern, die Aufgabe zu lösen. Hat er das nicht, dann ist zu vermuten, dass er diese Challenge als Überforderung empfindet und die vermeintliche Lernchance nicht nutzt. Er ist berechtigterweise nicht motiviert.
Die Neurobiologie (vgl. Roth) bestätigt Allerwelts- und Expertenwissen, dass die Motivation eine entscheidende Größe ist, sollen Lernprozesse gelingen.
Die vornehmste Aufgabe von Theater-Lehrkräften, -pädagogen und Künstlern sollte doch sein, motivierende Begegnungen und Aufgaben für Kinder und Jugendliche zu kreieren, sodass sie Lust haben, sich in ästhetische Prozesse verwickeln zu lassen oder?
Ferdl, ein als „Angewandter Theaterwissenschaftler“ verkleidetes Gespenst geht um …
und versuchte im Interview etwas Bedeutsames zu sagen. Ich verstand aber immer nur:
Die selbstreferenziellen Denkbewegungen und performativen Umdeutungen des Sinnlichen
sind schleichend zu einer naiven kontinuierlichen sich selbst perpetuierenden Selbstbefriedigung
entwickelt worden.
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