Funcke, Amelie/ Havermann-Feye, Maria 2015, 1. Auflage: 2004: Training mit Theater. Wie Sie Theaterelemente in Trainings und Unternehmensveranstaltungen erfolgreich einsetzen. Bonn: managerSeminare Verlag. 360 Seiten – Rezension
„Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?
Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?
Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“ (Brecht)
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete und gedruckte Version der bereits 2004 erschienenen Erstausgabe als E-Book.
Es gibt Berührungsängste zwischen Theater und Wirtschaft, nicht erst seit der Theatermacher Brecht seine Analyse wie oben aphoristisch verdichtete und das Thema in der Dreigroschen-Oper theatral und im Dreigroschen-Roman episch entfaltete. Brecht leugnete die Existenz geistigen Eigentums aus künstlerischer Perspektive. Er ging aber selbst aus wirtschaftlichen Gründen gerichtlich gegen den vermeintlichen Diebstahl seines geistigen Eigentums vor, habe aber selbst geklaut wie ein Rabe, sagen Kritiker.
Wir schauen, wie sich die beiden Autorinnen Funcke und Havermann-Feye in diesem Dissens bewegen, deren Extreme lauten: Theaterleute dürfen nicht die Kunst verraten und die ihnen Anvertrauten für den neoliberalen Markt mit Methoden des Theaters zurichten auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Haltung: Theater kann als künstlerische Form ein Pendent setzen gegen Ausbeutung und Unmenschlichkeit auch in Unternehmen und Impulse geben für sinnvolle zufriedenstellende Arbeits- und Kommunikationsformen und Ziele. [1]
Der Anspruch der Autorinnen ist erstaunlich hoch, Theater sei ein „Arbeitsmittel, mit dem Unternehmens- und Trainingsziele erreicht werden“ (10) können.
Wir schauen, ob das messbar ist, denn ein Ziel definiert sich durch seine intersubjektive Überprüfbarkeit, indem es mess- und vergleichbar ist.
Ob diese Leistungslatte von Unternehmenstheater (UT) übersprungen werden kann ist mehr als fraglich, bestenfalls kann UT als Begleitmaßnahme Unternehmensprozesse bei der Erreichung bestimmter unternehmerischer Ziele unterstützen. Und ob das messbar ist, ist noch fraglicher. Funke/ Havermann-Feye relativieren diesen Anspruch dementsprechend selbst, wenn sie Unternehmenstheater wir folgt definieren:
„Beim heutigen Unternehmenstheater in Form von Trainings, Events oder Kick offs geht es – ähnlich wie beim klassischen Theater – vor allem um Unterhaltung, Informationsvermittlung und Denkanstöße, die speziell auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten sind. Die Mitwirkenden sind meist Profis (also Schauspieler, Regisseure oder Theaterpädagogen, oft ergänzt durch Betriebswirtschaftler), die die geschäftlichen und menschlichen Herausforderungen im Unternehmen im Blick haben. Aufgrund ihres Theater-Know-hows setzen Sie diese gekonnt in Szene. Dabei stehen Sie nicht nur als Schauspieler auf der Bühne, sondern leiten als Trainer im Hintergrund an und liefern Ideen für die Umsetzung von Konzepten in Zusammenarbeit mit den Betriebsinsidern.“ (127)
Die Autorinnen entfalten in sieben Akten ihre Erfahrungen und Empfehlungen:
- Akt Vorhang auf
- Akt Künstlerische Freiheit: Wie Sie Theater ins Training bringen
- Akt Der Spielplan: Wie Sie Theater ins Unternehmen bringen
- Akt Hinter den Kulissen: Wie Sie den Mäzen von sich überzeugen
- Akt Bühne frei: Wie Sie Menschen fürs Spiel begeistern
- Akt Szenenapplaus: Wie Sie gutes Theater schaffen und auswerten
- Akt Wie Sie das Spiel kreativ ausstatten
Als Rechtfertigung für den Einsatz von Theater für Unternehmens- und Trainingsziele wird bis auf Horaz’ Ansprüche an eine gute Rede zurückgegriffen: erfreuen, bewegen, belehren. In allgemeiner Form werden Bezüge zu Erkenntnissen der Hirnforschung und der Lerntheorie hergestellt, die Konsequenzen haben müssten für den Veranstaltungs- und Seminaraufbau, die Prozessgestaltung, die Wahl der Methoden und Vorgehensweisen und die Dramaturgie und die Inszenierung (12).
Theater als Impuls und Methode in Unternehmen funktioniere aber nur bei konsequenter Verknüpfung mit Inhalten und Zielen und bei der „Einbindung in ein Gesamtkonzept“. (14)
Training im Seminarraum einer theatralen Dramaturgie folgen zu lassen (21) ist ein naheliegender und zielführender Gedanke, denn Lernen folgt grundsätzlich einem Prozess, wie er in wirkungsvollen Theater-Dramaturgien wiederzufinden ist. Das kann ich aus meinen Erfahrungen mit Schulunterricht und Veränderungs- bzw. Begleitprozessen in Unternehmen bestätigen.
Die Übersetzung von Prozessabläufen im Theater auf Seminar-Dramaturgien folgt der Logik und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Lernforschung.
In der Presseinformation des Verlages heißt es zu der Publikation:
„Professionelle (Selbst-)Inszenierung, gutes Timing, Dramatik im Aufbau – Trainer können viel von den Profis aus der Theaterwelt lernen und für sich umnutzen, denn das Spiel auf der Bühne wirkt gerade deshalb so motivierend, weil es den ganzen Menschen mit all seinen Sinnen fordert und anregt. In „Training mit Theater“ dreht es sich einerseits immer wieder um Einsatzmöglichkeiten von Theaterelementen im Training, auf der anderen Seite um das Unternehmenstheater als Inszenierungskonzept. Es bietet den Themen, Botschaften, Emotionen und Konflikten eines Unternehmens eine Bühne durch den Einsatz spezieller Theatermethoden, bei denen Mitarbeiter, aber auch Schauspieler oder beide Gruppen zusammen auftreten können.
Zur Theaterarbeit im Sinne dieses Buches zählen ausgehend von Körper-, Wahrnehmungs-, Sprech- und Imaginationsübungen die darstellenden Übungen und Spiele, szenische Arbeit und verschiedenste Theaterformen. Gerade in Verhaltenstrainings passen Übungen aus dem Schauspieltraining. Sie sensibilisieren Teilnehmer für die Wirkung ihrer Körpersprache, schärfen den Blick für ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung, helfen ihnen, Mut und die Fähigkeit zur Flexibilität im Umgang mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten zu entwickeln, eine Auftrittsdramaturgie für Präsentationen zu erarbeiten und ganz allgemein Auftrittssicherheit in verschiedensten beruflichen Situationen zu gewinnen.“
Fleißig listen die Autorinnen in hilfreicher Weise in Akt 2 eine große Anzahl verschiedener Theaterformen auf, und es ist zu fragen, warum sie nicht durchgängig den gebräuchlichen Fachbegriffen folgen, sondern neben die korrekten Begriffe „Improvisationstheater“, „Forumtheater“, „Figurentheater“ usw. ein sogenanntes „Seminartheater“ stellen. Zu allen Formen werden direkt Hinweise auf entsprechende Dienstleister der Branche gegeben und immer wieder wird ermahnt, wer etwas Derartiges „einsetzen und anleiten will, muss sein Handwerk verstehen.“ (71) und sehr aufmerksam, „in der Auftragsklärung genau (…) erfassen, worum es dem Auftraggeber geht.“ (80) Die Übersicht erspart dem potenziellen Anwender nicht, entsprechende Kompetenzen zu erwerben, bevor er sie als Spielleiter mit einer Gruppe von Amateuren praktizieren kann. Sie dient wohl eher einem interessierten Personal- und/ oder Organisationsentwickler eines Unternehmens dazu, sich einen Überblick zu verschaffen, was und welche Anbieter es auf dem Markt gibt.
En passant:
Als Begleiter zahlreicher Veränderungsprozesse in Unternehmen und Organisationen habe ich mit Kollegen zusammen eine Arbeitsform entwickelt, die diese Prozesse unterstützen kann. Congress in motion® versucht das gesamte System mit Funktionsweisen, Prozessabläufen, Verhaltens-Kulturen usw. zu durchleuchten und daraus ein Konzept für ein Design des Lernprozesses zu kreieren, in dessen Fokus die Arbeit in der Großgruppe steht: Alle in einen Raum, mit genügend Zeit, alle Themen auf den Tisch und maximaler Austausch über alle Hierarchie-Ebenen hinweg mit vielfältigsten Methoden und vielfach auch mit theatralen Impulsen und szenischen Interventionen in Gang gesetzt.
Aus diesem Gesamtpotenzial von Erfahrungen, Interessen und Zielen entwickeln wir mit dem Kunden zunächst eine Veränderung- und Entwicklungsagenda mit konkreten Maßnahmen wie Trainings, Coachings, Audits und Evaluationen. Unsere Erfahrungen, und vor allem welche Dramaturgie des Prozesses und der einzelnen Veranstaltungen (vom Coaching bis hin zur Großgruppe) dabei hilfreich sind, haben wir zwischen zwei Buchdeckeln zusammengefasst. (vgl. Dittrich-Brauner/ Dittmann/ List/ Windisch 2013). Insofern ist es interessant zu sehen, wie Methoden, die wir seit den 1990er Jahren in diesen Change-Prozessen einsetzen, nun auch scheinbar bei Theater-Regisseuren als attraktiv eingeschätzt und benutzt werden. (vgl. Richter: 4) Man schaut über den Tellerrand. Von beiden Seiten. Gut so.
Der Ratgeber der Autorinnen zeigt ein breites Spektrum. Es reicht von Empfehlungen, wie z.B. ein „Anschreiben“ (187) an einen Auftraggeber formuliert werden kann bis hin zu sehr praktischen und bewährten Methoden, wie man Mitarbeiter eines Unternehmens für das Theaterspielen gewinnen kann. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass der Anbieter von Unternehmenstheater hohe Kompetenzen mitbringen müsse, um die Methode Theater in Unternehmen sinnvoll anwenden zu können. Dies sei allen jungen Theaterpädagogen ins Stammbuch geschrieben, die glauben, mit Theaterarbeit könne man in Unternehmen leicht Geld verdienen.
Sicherlich erhalten Personalentwickler und Unternehmensentscheider als Auftraggeber einen ordentlichen Überblick über den Markt. Insofern kann das Buch auch als Informationsbroschüre über die einschlägigen Anbieter von Unternehmenstheater gelesen werden.
Anfänger in diesem Berufsfeld erhalten sicherlich einen Überblick über das Anbiet- und auch Machbare mit Theater als Methode. Als konkrete Unterstützung wären etwas ausführlichere Beispielbeschreibungen, die konkret Möglichkeiten und Schwierigkeiten plastisch machen, notwendig, um dem Newcomer einen realistischen Blick auf die Arbeitsweise zu geben, die ihm hilft zu entscheiden, ob er sich diese Arbeit überhaupt zutraut bzw. er die nötigen Kompetenzen hat.
Ich habe vielfach die Erfahrung gemacht, dass sich erst nach konkreter Anschauung bzw. Miterleben von Veranstaltungen (Trainings, Workshops, Großgruppen, Kongresse, Coachings usw.) in denen auch theatrale gearbeitet wurde, ein wirkliches Verständnis der Funktionsweise und der dafür notwendigen Kompetenzen einstellte, sodass eine angemessene Beurteilung möglich wurde.
Insofern ist jedem Start-up in diesem Bereich dringend ans Herz zu legen, sich vorher bei erfahrenen und erfolgreichen Anbietern einen hoffentlich ernüchternden und heilsamen Praxisschock zu holen.
Die parallele Lektüre entsprechender Literatur kann dann nur hilfreich sein.
Als Erfahrungswert aus mehreren Hundert Großgruppenveranstaltungen in unterschiedlichen Unternehmen, in denen ich allein und in Kooperation sowohl mit professionellen Regisseuren und Dipl.-Schauspielern als auch mit erfahrenen Wirtschaftspsychologen und Unternehmensberatern zusammengearbeitet habe kann ich sagen, dass Theateraufführungen, die von außen zugekauft wurden, um Veranstaltungen aufzupeppen eine geringere und meist nur kurzfristige Wirkung entfalteten als szenische bzw. theatrale Interventionen, die in enger Kooperation mit Personal- und Organisationsentwicklern in den Veränderungsprozess eines Unternehmens integriert wurden.
Während die Angebote aus dem Bereich des Unternehmenstheaters, also Theaterfachkräften und Theaterpädagogen, eher als nice-to-have und add-on in den Unternehmen wahrgenommen wurden, entfalteten die szenischen Interventionen, die mehr von Personal- und Organisationsentwicklern, also Wirtschaftsfachkräften mit entsprechenden Kenntnissen der Unternehmen, im Veränderungsprozess gesteuert wurden, deutlich stärkere Wirkung.
Oder mit anderen Worten: Theaterfachkräfte ohne Kompetenzen im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung punkten als Auftragnehmer von Unternehmen eher im Bereich der Unterhaltung, z.B. bei Betriebsversammlungen, Messen usw. in Abendveranstaltungen zum Ausklang oder als Eröffnung durch ein Themenstück, während Theaterfachkräfte mit Kompetenzen im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung und in engster Kooperation mit erfahrenen Unternehmensberatern und Wirtschaftspsychologen nachhaltigere Impulse in Veränderungsprozessen von Unternehmen geben konnten. Diese Unterscheidung führt letztlich auch zu erheblichen Differenzen im Honorar.
Bei der Auswahl des Teams weisen die Autorinnen richtigerweise auf das Folgende hin: „Unerlässlich sind natürlich Erfahrungen im Bereich der Bühnenarbeit und ein Verständnis vom Business. Jedoch: ein guter Schauspieler muss noch kein begabter Theaterpädagoge sein – falls also z.B. Mitarbeiter animiert und motiviert werden müssen, werden Talente als Trainer, Moderator oder Pädagoge gebraucht. Weiterhin hilfreich sind Kenntnisse in den Feldern Betriebswirtschaft, Personalentwicklung, Beratung und Coaching. Sinnvoll ist es auch, wenn ein erfahrener Organisator und Koordinator als Ansprechpartner für die Teammitglieder mit im Boot ist.“ (201) Das kann ich nur unterstreichen und spricht für die hohe Praxiskompetenz des Autorenteams.
Der überwiegende Teil des Buches beschreibt die Königsdisziplin des Unternehmenstheaters, die Entwicklung eines bedarfsorientierten Theaterstückes, das den Mitarbeitern vorgeführt wird. Die Erfahrungen, die ich seit den 1990er Jahre damit machte, zeigen, dass diese teuerste Variante sehr aufwändig und nur sehr schwer zu verkaufen ist. Unternehmer bzw. Manager neigen dazu, alle Maßnahmen eher kurzfristig mit Unternehmenszielen zu verbinden und fragen nach einem messbaren Output der Unternehmenstheater-Intervention, der aber nicht herzustellen ist. Unternehmenstheater erreicht keine Unternehmensziele. Das Primärziel eines Unternehmens ist es, Gewinn zu erwirtschaften. Die anfänglich formulierte Absicht, man könne mit Theater Unternehmensziele erreichen (10), halte ich aus meiner Erfahrung für ein wenig vermessen.
Man erwartet, dass nach der Überarbeitung eines Buches – es sind immerhin von 2004 bis 2015 elf Jahre Zeit gewesen – darin der aktuelle Stand der Kenntnisse in Bezug auf Praxis und Theorie eingearbeitet ist und Unkorrektheiten bzw. Widersprüchlichkeiten weiter minimiert wurden.
Dies ist scheinbar nicht in einem zu erwartenden Maße geschehen. Eine kleine Auswahl soll dies deutlich machen:
- Warum wird oft Bezug genommen auf Literatur, die teilweise mehrere Jahrzehnte alt (1958, 1982) und vergriffen ist?
- Warum wird einmal bei den bibliografischen Angaben das Erscheinungsjahr genannt, aber zumeist nicht?
- Auch eine Geringschätzung grundlegender Fakten wie „Ort, Zeit und Technikbedarf“ (187), die nur der „Vollständigkeit halber“ ins Angebot aufgenommen werden sollen, führen zur Verwunderung des erfahrenen Großgruppenmoderators, sind diese Fakten doch so bedeutsam, dass eine Veranstaltung damit steht und fällt. Ein Hinweis zu ausgesprochener Sorgfalt im Umgang mit diesen „Rahmendaten“ wäre hilfreicher.
- Manche Empfehlung am Rande fällt etwas abwegig aus, wenn die Autorinnen einem unsicheren Referenten oder Seminarleiter raten, „den Inhalte, visualisiert auf Flipchart oder Pinnwand, in den Mittelpunkt zu rücken und sich selbst direkt daneben zu platzieren.“ (25) Das macht man erstens grundsätzlich so und zweitens sollte man jedem der seiner Sache nicht sicher ist, raten, es sein zu lassen. Befragungen von Seminarteilnehmern zeigen, das sie nichts mehr ablehnen als Unsicherheit beim Referenten. An anderer Stelle geben die Autorinnen zurecht die Empfehlung, falls man unsicher sei, die Finger von einer Sache zu lassen (186).
- Ebenso wenig hilfreich ist die Empfehlung, sich als Schutz gegen Kritik aus den Reihen der Seminarteilnehmer hinter der „Barriere“ (25) eines Rednerpults zu verschanzen. Dadurch wir der Beziehungsaufbau, ohne den keine Wirkung erzielt werden kann, mindestens erschwert, wenn nicht sogar verhindert. Jeder kluge Redner wird die barrierefreie Begegnung und die entsprechende Nähe suchen, auch und gerade wenn die Thematik schwierig ist. Das kleine Einmaleins des Lernens setzt die Kontaktaufnahme und den Beziehungsaufbau an die erste Stelle.
- „Theatersport“ (109) ist eine von Keith Johnstone (Kanada) geschützte Wortmarke.
- Die Empfehlungen zum Marketing und zur Kundenakquise hinken der Zeit um ca. zwei Jahrzehnte hinterher. Serienbriefe und Messen sind pure Ressourcenverschwendung. Meine Erfahrungen aus vielen Rückmeldungen von (potenziellen) Auftraggebern in Unternehmen zeigen, dass sie aufgrund eines Überangebotes auf Kaltakquise schon lange nicht mehr reagieren. Auf Messen, die ich dutzendweise besuchte, als Anbieter und Kunde, erlebt man die immer gleichen Anbieter, aber so gut wie keine potenziellen Kunden. Auftragsvermittlung läuft seit vielen Jahren weitgehend über Empfehlungen und Networking.
- Diese Liste ließe sich noch weiterführen, soll aber hier mit einer grundsätzlichen Frage abgeschlossen werden. „Ziel“ ist ein betriebswirtschaftlich präziser Begriff und bezeichnet eine intersubjektiv messbare Einheit, z.B. eine Rendite von 25% pro Jahr oder eine Schadstoffreduzierung von Diesel-Motoren von 30% in drei Jahren. Unternehmenstheater-Anbieter sollten nicht großspurig auftreten und behaupten „Unternehmenstheater-Projekte (…) ziehen immer Veränderungen nach sich, darin liegt ihr Gewinn.“ (147) Die Autorinnen relativieren selbst ihre vollmundigen Ankündigungen über die Leistungsfähigkeit von UT, wenn sie einschränkend formulieren: „Jedoch erschließen sich Sinn und Gewinn (wie bei jedem prozessorientierten Vorgehen) im vollen Umfang erst während oder sogar erst nach Beendigung des Prozesses. Alle vor Projektbeginn gemachten Aussagen zu Wirkung und Nutzen beruhen auf Erfahrungswerten [sic!]. Diese lehren allerdings, dass Unternehmenstheater funktioniert und dass Unternehmen und alle beteiligten Personen davon profitieren.“ (145) Ergänzend sollte man hinzufügen, das kann eintreten und ist vermutlich das Ideal. Das sind meine Erfahrungen aus einigen Hundert Veranstaltungen in Unternehmen von Audi bis ZDF seit den 1990er Jahren. Ansonsten sollte man UT realistischerweise als ein Instrument unter vielen bewerten, das bestimmte Veränderungsprozesse begleiten und hier eine förderliche Wirkung entfalten kann, sofern das Unternehmen entsprechend aufgestellt ist. Die Weichen für Unternehmensentwicklungen werden woanders gestellt. Insofern ist eine Koppelung der Wirkung eines Theaterstückes an „eine maßgebliche Steigerung der Umsatzzahlen“ und „ein(en) erheblichen Rückgang von Reklamationen“ (153) eher mit Vorsicht zu betrachten. Sie ist nicht belegbar.
Sehen wir von diesen „Kleinigkeiten“ ab, dann legen uns die Autorinnen ein kenntnisreiches Werk vor, in dem sich viel Praxiserfahrung spiegelt und eine vielfach wiederholte Mahnung dem interessierten Theaterpädagogen ohne Kenntnis der Funktionsweisen und Kulturen von Wirtschaftsunternehmen, der sich aber dort ein neues Arbeitsfeld schaffen will, deutlich vor Augen gehalten wird: Arbeiten sie – wenigstens am Anfang – unbedingt mit erfahrenen Profis und Experten zusammen, also mit Unternehmensberatern, Wirtschaftspsychologen und Personalentwicklern. Eine Methode ist „immer nur so gut wie ihre ‚Macher’, d.h. sie lebt stark vom Können und vom Gespür des Moderators und der Schauspieler.“ (117)
Aus meiner Erfahrung kann ich diese Empfehlungen der Autorinnen nur unterstreichen.
[1] Grundsätzlich steht bei diesem Thema die Auseinandersetzung im Spannungsfeld der Beantwortung einer ethischen Frage, nämlich unter welchen Bedingungen das Wirtschaften und das Erwerbsleben für Gemeinschaften förderlich ist oder ob es durch Förderung von Ideologien zu Ungerechtigkeiten und Ausbeutung kommt, letztlich zu unmenschlichen Verhältnissen, wenn eine geringe Minderheit z.B. aufgrund ihres angehäuften Reichtums durch ungerechte Verteilung bei der Erwirtschaftung die große Mehrheit dominiert und ihr ihren Willen aufzwingen kann. Die 25%-Rendite-Forderung von Josef Ackermann beispielsweise, die vermutlich dauerhaft nur auf kriminelle Weise zu erwirtschaften ist, verweist auf sinnentleerte Gier nach mehr. Ein Beleg für den Vorsatz könnten die Rücklagen der Deutschen Bank sein, die sie langfristig für Strafverfahren einkalkuliert. Man handelt offensichtlich bewusst und „rechnet“ damit, erwischt und bestraft zu werden. Dass die Kompetenz, Rechnen zu können und gut in Mathematik zu sein kein Ausweis für gutes Handeln ist, hat sich scheinbar immer noch nicht herumgesprochen, weil immer noch die meisten Menschen Banken ihr Geld anvertrauen. Oder ist es einfach die gleiche Gier, die sie antreibt, auch an einer kriminell hohen Rendite teilhaben zu wollen?
Wo Menschen agieren, wird auch betrogen und gelogen, auch in die eigene Tasche. So ist das nun mal. Und man muss nicht erst auf Brecht verweisen und andere kluge Köpfe, die Eigentum als Diebstahl definierten; ab einer gewissen Größenordnung, versteht sich.
Die Eigentumsfrage ist auch demokratisch auszuhandeln, so wie es die Gründer Deutschlands im Grundgesetz im Artikel 14/2 „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ festschrieben. Aber wer der politischen Vertreter kann sich daran noch erinnern? Kunst und Theater könnten hier vielleicht als Gedächtnisstütze wirken.
Mit einer ethisch begründeten Haltung steht und fällt dann auch ein Angebot oder Auftrag. Und Brecht spricht sicherlich aus Erfahrung: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Und wenn Theater eingesetzt wird, um eine Entlassungswelle in einem Unternehmen nur positiver zu verkaufen, ohne eine konstruktive Begleitung und Unterstützung im weiteren beruflichen Werdegang, dann halte ich das für einen Missbrauch. Aber wer mag sich zum Richter aufspielen, wenn ein Theaterpädagoge einen solchen Auftrag annimmt, den er persönlich vielleicht für moralisch verwerflich hält, weil er eine Familie zu ernähren hat?
Im Übrigen, so die Autorinnen, „bleibt dem Einsatz von Theater im Business ein gewisser ‚Eigensinn’ bestehen, denn, Flume/ Hirschfeld/ Hoffmann zitierend, ‚Das Spiel schafft Freiräume, bietet Überraschungen und ist herausfordernd und anregend, Kurz: Mitarbeitertheater kann Organisationsentwicklung im besten Sinne sein.’“ (205) Vergleiche dazu auch das Heft 67 der Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen mit dem Schwerpunktthema „Eigensinn“. Wobei es immer eine Gratwanderung ist zwischen dem, was mit dem Auftraggeber vereinbart wurde und was machbar und sinnvoll erscheint.
Ein Beispiel soll dies illustrieren: Ich begleitete mit einem Team von Experten die Einführung des Innovationsmanagements in den 1990er Jahren bei Audi und beim Kick-off zum Prozess und meine in zwei Tagen trainierte Ingenieurs-Theater-Gruppe von Audi-Mitarbeitern überraschte mit einer Szenen-Collage die anwesenden Manager und oberen Führungskräfte, und machte mit theatralen Mitteln und Methoden deutlich, unter welchen Bedingungen eine Einführung gelingen könne und welche Forderungen vom anwesenden Vorstand zu erfüllen seien.
Dieses offene, mutige und auch etwas freche Kommunizieren einer größeren Gruppe von Audi-Mitarbeiter mit Hilfe des Theaters nötigte der anwesenden Belegschaft und dem Vorstand hohen Respekt ab, möglicherweise mehr als das mit einem Power-Point-Vortrag eines einzelnen Ingenieurs gelungen wäre.
Es wäre aber vermessen und etwas größenwahnsinnig nun zu glauben, dieses klassische Unternehmenstheater in der Form des Mitarbeiter-Theaters hätte einen nennenswerten Einfluss auf den weiteren Erfolgskurs von Audi gehabt und hätte die entsprechenden „Unternehmensziele erreicht“. (10)
Letztlich ist das entscheidende unternehmerische Ziel, wirtschaftlichen Erfolg zu haben. Dieser Erfolg wird durch die fachliche Kompetenz und die respektvolle Anerkennung der Mitarbeiter (ideell und materiell), die Identifikation mit der Arbeit und ein gewisses Wohlbefinden der Mitarbeiter im Unternehmen erreicht, nicht durch Theater. Das Theater Gesellschaft verändert, dieser Nachweis müsste noch erbracht werden.
Weiterführendes
- Arnes-Fischer, Wolfgang 2010: Die Perspektive der Unternehmensführung auf die Theatrale Organisationsforschung. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 48-52
- Bünsch, Nicola 2010: Es darf gelacht werden. Das Scharlatan theater setzt auf Humor und präzise Recherche für erfolgreiches Unternehmenstheater. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 56-57
- Dittrich-Brauner/ Dittmann/ List/ Windisch 2013: Interaktive Großgruppen. Lebendig lernen – Veränderung gestalten. Heidelberg: Springer Medizin Verlag
- Flume, Peter/ Hirschfeld, Karin/ Hoffmann, Christian 2000: Unternehmenstheater in der Praxis. Wiesbaden: Gabler
- Häring, Benjamin 2010: „Der Vorstand in dir“ – Schauspiel im Unternehmenskontext. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 41-42
- Hentschel, Ulrike u.a. (Hg) 2015: Theater-Pädagogik-Eigensinn. Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 67. Oktober 2015. Uckerland: Schibri
- List, Volker(2016: Unternehmenstheater – Theatermethoden im Business https://angewandte-theaterforschung.de/theater-in-unternehmen-unternehmenstheater-theatermethoden-im-business/
- Muscheid, Frank 2010: Auszubildende setzen ihren Arbeitsalltag in Szene. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 53-54
- Pauli, Oliver 2010: „Impro ist alles!“ Training und Coaching mit Methoden des Improvisationstheaters. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 54-56
- Prinz-Kiesbüye, Myrna-Alice 2010: Unternehmenstheater zur Erprobung von Widerstand? In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 57-58
- Renvert, Eva 2010: Forschung zum Unternehmenstheater: Der Ansatz der Theatralen Organisationsforschung. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 38-41
- Richter, Anne 2015: Die Fragen des Fortschritts. Das 30. Internationale Regieseminar der ASSITEJ und eine Spielzeit der Fortschrittssuche. In: ASSITEJ e.V. (Hg) 2015: IXYPSILONZETT. Das Magazin für Kinder- und Jugendtheater der ASSITEJ Deutschland 03.2015. Berlin: Verlag Theater der Zeit
- Ruping, Bernd 2010: Ästhetische Performanz in Organisationen. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 43-47
- Teichmann, Donata 2010: Wenn die Zahlenjongleure auf die Bühne gehen. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 59
- Streisand, Marianne 2010: Sieben unvollkommene Überlegungen zur theatergeschichtlichen Linien des Unternehmenstheaters. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 57. Oktober 2010. Uckerland: Schibri. S. 31-33
- Unseld, Siegfried 1960: Bertolt Brechts Dreigroschenbuch. Erster und zweiter Band. Frankfurt: Suhrkamp
- https://angewandte-theaterforschung.de/unternehmenstheater-theatermethoden-im-business/