Das Kostüm nutzen Kinder für ihr Lieblingsspiel: Jemand anderer sein zu wollen. Ein altes Spiel, das die Menschen im Theater zur Kunstform verfeinert haben: das Rollenspiel
Das Verkleiden, seine Haut abstreifen oder sich eine andere überziehen ist – buchstäblich – auf natürliche Weise mit der Evolution verbunden. Daher auch der Ausdruck in eine andere Haut oder eine Rolle schlüpfen. Das Lieblingsspiel von Kindern besteht darin, jemand anderer zu sein und das durch sichtbare Zeichen nach außen deutlich zu machen. Dieser Vorgang der Mimesis, der Camouflage ist also schon ein geplanter mit einer bestimmten Wirkung auf andere. Wir haben das im Laufe der Jahrtausende zu einem Spiel gemacht und im Theater zu einer Kunstform verfeinert.
Im Schultheater, insbesondere im Theaterunterricht mit wenig Zeit, hat sich eine ästhetische Form als Kostüm als besonders zweckmäßig herausgestellt, und zwar die der „Pars-pro-toto-Kostümierung“. Pars pro toto meint, dass ein Teil für das Ganze steht. Dieses Prinzip wird auch bei anderen ästhetischen Mitteln in ähnlicher Weise an, z.B. beim Requisit, bei der Schmink-Maske, in der Szenografie usw. angewendet. Es unterstützt die Absichten des Theaterunterrichts, weil es einerseits vor großem Aufwand bewahrt und andererseits zur Abstraktion anregt, zum Verbildlichen und zum Symbolisieren.
Waegner bringt in Erinnerung, dass ohne körperlich überzeugendes Spiel keine Glaubwürdigkeit herzustellen ist: „Auch die Kostümierung ist zum größten Teil unerheblich; über (Teil-)Körperspannung und konzentriertem Gesichtsausdruck vermittelt sich der Spieler und damit auch erst seine Botschaft viel eindrucksvoller. Requisit, Aktion und natürlich auch der Text helfen ihm dabei, versagen aber, wenn der Spieler nicht ‚präsent’ ist. Dann ist er spielmächtig, d.h. er hat die ‚Macht’ über die Zuschauer, sie zu unterhalten und zu informieren (delectare et prodesse), und auf diese beiden Eckpfeiler des Theaters kommt es an.“ (Waegner 1991: 8)
Schon Stanislawski wies in seinen Ausführungen auf die Problematik des So-Tun-als-ob hin: „Man kann aber nicht nur handeln oder empfinden ‚als ob‘ und dabei aufrichtig an diesen Selbstbetrug glauben. Sobald den Schauspielern jedoch der Glaube an die Wahrhaftigkeit ihres Verhaltens auf der Bühne fehlt, verlieren sie endgültig den Halt, den ihnen ihre im wirklichen Leben vorhandenen Fertigkeiten, Gewohnheiten und Erfahrungen, die unbewusste Tätigkeit ihres Organismus und die Logik und Folgerichtigkeit ihrer persönlichen Wünsche, ihres Strebens und Handelns bieten. Anstelle dieser Eigenschaften bildet sich dann auf der Bühne ein eigentümlicher, ausgesprochen schauspielerhafter Zustand heraus, der mit dem realen Leben nichts mehr gemein hat. Ohne den Halt, den uns die echten menschlichen Bedürfnisse bieten, beginnt man auf der Bühne alle möglichen Verrenkungen zu vollführen und gerät unversehens auf den Weg des geringsten Widerstandes, das heißt in die Gewalt eines schablonenhaften, rein handwerksmäßigen Spiels.“ (Stanislawski 1993: 341)
Darum ist es auch so wichtig, dass die Trainingskleidung im Theater zunächst schwarz ist und die Schüler nicht in Alltagskleidung arbeiten. Die Alltagskleidung abzulegen heißt, das Kostüm der Alltagsrolle abzulegen. Im Theatertraining sind zunächst alle nur Akteure und alle sind gleich. Alle sind zunächst einmal nur menschliche Körper mit allen Sinnen und Emotionen. Pure Menschen sozusagen. Der Körper ist ja auch das primäre Mittel theatraler Arbeit. Die Farbe Schwarz ist keine Farbe. Schwarz resorbiert alles Licht. Es signalisiert: Da ist nichts. Aus dem gleichen Grund ist der Theaterraum auch schwarz. Da ist noch nichts. Noch kein Raum. Wie beim Raum, so wird auch beim Menschen die Bedeutung erst erschaffen durch bestimmte Mittel. Schwarz als Kleidung beschränkt die Akteure auf ihr ureigenstes Ausdrucksmittel, ihren Körper. Eigentlich bräuchten es kein Kostüm, denn alles ist mit dem Körper spielbar. Das wäre aber auf Dauer langweilig und für Schüler wenig attraktiv.
Menschen lieben die Ausgestaltung und Ausdifferenzierung. Deshalb spricht man auch vom Schauspiel und vom Ansprechen möglichst vieler Sinne. Theater will/ soll den Rezipienten berühren. Hilliger nennt „drei zentrale Funktionen“, die dem Kostüm zukommt:
„1. Sie können zum Ausgangspunkt der (Figuren-) Erarbeitung und Gestaltung werden.
2. Sie sind ein integrativer (ggf. auch widerständiger) Bestandteil des Spiels in der Probenphase wie auch in der Präsentation.
3. Sie bestimmen in hohem Maße das Bild und die Ästhetik der Aufführung.“ (Hilliger 2009: 56)
Einen weiteren Vorteil der schwarzen, am besten eng anliegenden Kleidung, besteht darin, wenn man ein Kostümteil hinzufügt, dann fällt dieses besonders ins Auge und wird vom Zuschauer als deutliches Zeichen sofort erkannt und entsprechend gelesen; als Zeichen für etwas Bestimmtes. „Die erste Identifizierung der Rollenfigur durch den Zuschauer erfolgt daher auch in der Regel aufgrund des Kostüms (…) Diese spezifische Beziehung scheint bereits in der gesellschaftlichen Bedeutung der Kleidung ausgeprägt und vorgegeben zu sein: die Funktion des Theaterkostüms und die Funktionen, welche die Kleidung im sozialen Leben auszuüben vermag, stimmen weitgehend überein.“ (Fischer-Lichte 1988: 120)
Natürlich spielen die Schüler anfangs mit Klischees und das zumeist genutzte Kostüm ist Klischee vom Feinsten. Und das ist auch gut so, denn über Klischees finden Schüler einen leichten Einstieg ins Spiel. Aber natürlich werden diese Klischees wieder gebrochen, sonst wird es langweilig. Für die Brechung gibt es viele Techniken und Kompositionsmethoden.
Die Vollkostümierung wirft im Theaterunterricht zwei Fragen auf: Zum Einen, ob es genug Zeit gibt, sich diesem aufwändigen Mittel angemessen zuzuwenden und zum Anderen, ob sie in die Ästhetik des grundsätzlich armen Schultheaters passt. Wir sollten sie im Schultheater aber nicht gänzlich verdammen. Es sollte natürlich triftige, nachvollziehbare Gründe dafür geben, warum man so arbeiten will.
Warum sollte man den Schülern nicht das Vergnügen gönnen, z.B. ein Minidrama wie „Ruhig ist´s.“ einzustudieren (vgl. das Probenfoto im Kursbuch Theater machen, S. 6) Es kann ein großer theatraler Spaß sein, sechs verschiedene Paare nacheinander anzuschauen, die dieses Minidrama spielen. Und jedes Paar spielt eine ganz eigene Version des gleichen Theatertextes in verschiedenen Rollen, an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen Vollkostümen.
Die Reduzierung des Kostüms erleichtert auch den Einsatz in allegorischer und symbolischer Hinsicht oder auch durch Beziehung des Kostüms zum Raum. Die 23. und letzte Produktion von BEST, Bremens Erstes Schulübergreifendes Theater, „ZIELsicher – ZIELsucher“ gibt ein Beispiel mit Schwarz-Weiß-Kleidung dafür und Wenzel erläutert in einem Interview mit Filmausschnitten die Hintergründe und Argumente für dieser dramaturgischen Entscheidung.
Eine einfache Kostümierungen, wenn sie bewusst mit den Mitteln Raum und Zeit kombiniert wird, führt zu sehr klarem ästhetischem Ausdruck. Die Darsteller nehmen klar erkennbar gestaltete Aufstellungen im Raum ein. Sie nutzen das Mittel Zeit, indem sie Handlungen gleichzeitig, in einem bestimmten Rhythmus zeitversetzt oder nacheinander tun. Das Kostüm in Schwarz und Weiß erhält durch diese Gestaltungen, diese bewusste dramaturgische Entscheidung, sprich: Kompositionen, einen künstlerischen Ausdruck und eine besondere Kraft und Wirkung.
Eine künstlerische Erweiterung des Einsatzes von Kostümen sieht Reuter im Objekt-Theater: „Die Kleidung, das Kostüm, nimmt im Objekttheater eine veränderte Funktion ein. Während es im traditionellen Theater Requisit ist, um der Rolle eine besondere Note zu geben, „ist im Objekt Theater“, so schreibt Peter Weitzner in seinem 1993 erschienenen Buch [Objekttheater. Frankfurt a.M.), „indem es streng genommen keine Rolle gibt, das Kostüm Hauptbestandteil der Figur“, und will damit sagen, „dass das Kostüm zu den für das Spiel unverzichtbaren Objekten gehört. Selbst ein Alltagsanzug wäre hier ein Spielobjekt, ein Spielobjekt am Körper.“
Beispielaufgabe für eine spielpraktische Prüfung als PDF:
Kompetenzüberprüfung-Kostüm-Bildungsstandards
Literatur
- Fischer-Lichte, Erika (1988): Semiotik des Theaters. Band 1. Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen: Gunter Narr
- Hawemann, Horst (2014): Leben üben. Improvisationen und Notate. Recherchen 108. Hg. von Christel Hoffmann. Berlin: Theater der Zeit. (Besonders hilfreich die Übungen auf den Seiten 140-147) > Rezension
- Hilliger, Dorothea (2009): Theaterpädagogische Inszenierung. Beispiele – Reflexionen – Analysen. Uckerland: Schibri
- Reuter, David (2008): Vom Objekttheater zur Kunst in Aktion. In: Fokus Schultheater 07. Objekte. Figuren. Hg. vom Bundesverband Darstellendes Spiel e.V. Hamburg: edition Körber-Stiftung: 14-23
- Stanislawski, Konstantin Sergejewitsch (1993): Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle. Materialien für ein Buch. Berlin: Henschel
- Waegner, Heinrich (1991): Zum Realismusproblem. In: Spiel und Theater. Zeitschrift für Amateur-, Jugend- und Schultheater. 44. Jahrgang (1991), Heft 148/149, Weinheim: Deutscher Theater Verlag
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