Vertrauen aufbauen, sonst gibt es keine Kreativität.
Vertrauen aufbauen ist eine Grundvoraussetzung für einen ästhetischer Prozess, der meist komplex und unübersichtlich ist.
Ein kreativer ästhetischer Prozess ist oft sehr körperlich und sprachlich nicht immer leicht greifbar bzw. begrifflich fixierbar. Das erzeugt Unsicherheit bei den Schülern und auch bei der Theaterlehrkraft. Die Fokusfrage lautet demnach: Wie regt eine Lehrkraft zusammen mit den Schülern an, eine Arbeitsatmosphäre herzustellen, in der sie schnell Vertrauen aufbauen und zueinander gewinnen, damit sie konstruktiv miteinander arbeiten können?
Um Vertrauen zu jemanden zu gewinnen, muss man sich untereinander kennen lernen. Das geschieht am schnellsten durch gemeinsames Handeln und durch Körperlichkeit, in dem jeder sehen kann, ob der Andere das sprachlich Verabredete auch entsprechend umsetzt und man ihm das glauben kann, was er sagt.
Eine wesentliche Konstituente von Vertrauensbildung sind klare Strukturen und Rituale, wie sie im ritualisierten Format der Doppelstunde zum Modul 1 bereits beschrieben wurde. Ohne Vertrauen traut man sich nichts. Es entsteht keine Kreativität. Denn dazu gehört Mut, auch mal etwas Ungewöhnliches zu machen, wobei man keine Angst hat, ausgelacht zu werden oder vermeintliche Fehler zu machen.
Theaterlehrer müssen in der Regel auch Noten geben. Hier ist Vertrauen – auch zwischen Lehrer und Schüler – ebenso wichtig, weil die Schüler dem Lehrer zunächst glauben müssen, dass er nach den Kriterien, die er genau erläutert hat, ihnen die Noten gibt.
Inspiration und Kreativität entwickeln sich am ehesten in angstfreiem Klima. Es braucht Mut und Selbstvertrauen und natürlich Vertrauen in die Gruppe, die wie bei einem brainstorming zunächst alle Ideen und Anregungen anhört und ohne vorschnelle Beurteilung akzeptiert und erst später in einem rationalen und für alle transparenten Verfahren die gemeinsam erarbeiteten Kategorien und Kriterien für eine Beurteilung anwendet und dann entscheidet, welche Ideen und Anregungen im laufenden Prozess für die Stückerarbeitung genutzt werden.
Eng verknüpft mit dem Thema Vertrauen aufbauen ist das Thema Inklusion und die Frage, welche Teams am erfolgreichsten arbeiten und unter welchen Bedingungen sie das tun. Die Arbeitsstruktur gerade in einem Lernprozess der kulturellen Bildung wie in einem Theaterprojekt erfordert geradezu eine Vielfalt von Kompetenzen und Sichtweisen. Ein Theaterprojekt kann dieser Anforderung in besonderer Weise entsprechen, bietet es doch die vielfältigsten Tätigkeitsbereiche an, die sich am Ende in einer Einheit (Aufführung, an der alle beteiligt sind) von Vielfalt (verdichtet in den ästhetischen Gestaltungskategorien Handlungsbögen, Dynamik und Bildwirkung) zusammenfügen.
Sogenannte Vertrauensübungen zeigen, wie weit das Vertrauen der Schüler untereinander und zu der Lehrkraft ausgeprägt ist bzw. noch erarbeitet werden sollte. Eine Vertrauenskultur ist eine Fehlerkultur. Kontakt herzustellen bedeutet immer auch zunächst Kontakt zu suchen, und dies gelingt natürlicherweise nicht immer und nicht immer sofort. Es braucht eine gewisse Offenheit, in der schon Ambiguitätstoleranz trainiert werden kann.
„Connectedness“ ist auch einer der aktuell zentralen Begriffe in der Theaterpädagogik, wie sie im Kreis internationaler Kulturforschung diskutiert werden. Alle Beteiligten entwickeln hierbei eine besondere Sensibilität gegenüber dem Anderen, dem Mitspielpartner, da in den kulturell bedingten Intimkreis der Personen eingedrungen wird und dies ohne Einverständnis der Person zu Konflikten führen kann. Die Lehrkraft sollte dies an konkreten Beispielen im Handeln sehr deutlich machen, auch und insbesondere im zwischengeschlechtlichen Bereich, denn Jungen und Mädchen arbeiten im Theater unter Umständen auch körperlich sehr eng zusammen und müssen Vertrauen aufbauen. Spricht die Lehrkraft dies frühzeitig an und erläutert die Problematik mit praktischen Beispielen sozusagen am eigenen Leib, verliert das Thema deutlich an der anfänglichen Verkrampfung. Hat ein Ding einen Namen, sprich: Spricht man darüber, dann verliert es an Angstpotenzial.
Die Theaterpädagogik hat sich der Frage zu stellen, wie sie ihren AnVertrauten hilft, sich auf die spätere Arbeitswelt vorzubereiten. Eine rigorose Ablehnung der „spätkapitalistischen Unterdrückungswelt“ und deren Zurichtungsinstanzen wie Schule und Rückzug in eine andere, eine theatrale Scheinwelt, in der angeblich mit den Kindern auf Augenhöhe kommuniziert werden soll, ist vermutlich kein konstruktiver Ansatz.
Der Bundesverband Darstellendes Spiel empfiehlt: „Nicht nur Vermittlung von Wissen, sondern umfassende allgemeine Bildung wird künftig verstärkt im Zentrum der Schule stehen. Ihr kommt die Aufgabe zu, jungen Menschen Lebens-, Arbeits- und Erfahrungsräume zu schaffen, in welchen sie entwicklungs- und zukunftsfähig werden. Schüler sollen die individuellen, sozialen, fachlichen und methodischen Qualifikationen erwerben, die sie zu ihrer persönlichen Orientierung und gesellschaftlichen und beruflichen Integration benötigen. Sie erwerben in der Schule ein Fundament für ihre gegenwärtige und künftige Lebensgestaltung.“ (Bundesverband Darstellendes Spiel 2009: 18)
Häufig wechselnde Partnerschaften und Kleingruppen sind wichtig und können Vertrauen aufbauen, damit nicht immer die gleichen zusammen sind, die gleichen Gespräche führen, die gleichen Verhaltensmuster reproduzieren. „Die erste Arbeit, die eine Gruppe leisten muss, ist die Arbeit daran, eine Gruppe sein zu wollen.“ (Stegemann 2013: 280) So Stegemann, und er begründet sein Forderung u.a. mit der Abgrenzung zu aktuellen Entwicklungen im Profi-Theater, die somit kein Vorbild für Schultheater sein können. Respekt lernt man am besten durch Handeln.
Die Lehrkraft spricht jetzt auch schon über das Thema Bewertung und Notengebung sprechen. Die Notengebung ist nicht so schwierig, wenn man gemeinsam dafür sorgt, dass es klare nachvollziehbare Kriterien gibt.
Dabei helfen die Kompetenz-Checks für die Module, die man kostenlos von der Verlags-Website herunterladen kann.
Wenn die Lehrkraft sagt, experimentiert jetzt mal, dann kann sie hinterher keine schlechten Noten geben, weil nichts Gescheites herausgekommen ist. Denn das ist ja wesentlicher Bestandteil des Experimentierens, dass man nicht weiß, was es hervorbringt und ob überhaupt etwas Sinnvolles entsteht.
Wenn die Lehrkraft z.B. sagt, gebt nach dem besprochenen klaren Muster ein Feedback, dann gibt es auch klare Kriterien für eine Leistungsbeurteilung.
Der Autor hat gute Erfahrungen damit gemacht, sehr früh über Noten zu sprechen. Lernende wollen Klarheit. Mit Recht. Und es hilft ihnen, sich zu orientieren und ihren Leistungswillen und ihre Leistungsbereitschaft – übrigens auch ein Notenkriterium – zu überprüfen und zu entscheiden, wo und in welcher Weise sie Leistung erbringen wollen.
Vertrauen aufbauen bedeutet Klarheit und Verlässlichkeit im Prozess.
Kar sollte sein, dass die Lehrkraft nur das benotet, was die Schüler auch vorher alle in ausreichendem Maße trainieren konnten.
Was trainiert werden soll, das ist in den Lehrplänen und Bildungsstandards formuliert, nicht aber wie es trainiert werden soll. Dafür gibt es u.a. die Kursbücher.
Schüler sollen nicht nur Vertrauen aufbauen, sondern auch Vertrauen in die Kriterien der Benotung haben und wissen, wenn sie eine bestimmte Leistung erbringen, erhalte sie eine entsprechende Note dafür. Auch in der Arbeitswelt werden sie später zumeist nach erbrachter Leistung bewertet und bezahlt. Es wäre weltfremd und kontraproduktiv dies aus der Schule fernhalten zu wollen. Vielmehr sollte Schule auch der Raum sein, in dem die Schüler das lernen können, was sie später im Beruf als Voraussetzung benötigen.
Gerhard Roth, der in Fachkreisen anerkannte Experte, Philosoph, Biologe und Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen bestätigt:
„Zu den wichtigsten lernfördernden Faktoren gehört also die Vertrauenswürdigkeit des Lehrenden. Es ist absolut notwendig, dass der Lehrende ein Vertrauensverhältnis zu den Lernenden aufbaut, wie lange dies auch immer dauern mag, das von Sympathie, Kompetenz, Verlässlichkeit und Autorität gekennzeichnet ist. Das Gehirn des Lernen fragt nämlich automatisch: ‚Kann ich dem trauen, was der da sagt? Ist er kompetent, verlässlich? Weiß er, was er will?‘ Diese Fragen werden vom Gehirn erst einmal unbewusst und vorbewusst-intuitiv anhand der emotional-kommunikativen Merkmale überprüft. Eine zynische Haltung des Lehrenden gegenüber dem eigenen Tun und gegenüber den Schülern wirkt ebenso zerstörerisch wie ein sich anbiederndes Auftreten.
Die erste Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit wird dann ergänzt und eventuell durch langfristige und eher kognitiv verlaufende Überprüfungen korrigiert, welche die tatsächliche Verlässlichkeit der Lehrperson, ihre nicht nur vorgespielte Freundlichkeit usw. feststellen.“ (Roth: 225)
Literatur
- Bundesverband Theater in Schulen e.V. (Hg)(2009): Bildungsstandards im Fach Theater der Sekundarstufe 1. Frankfurt/M
- Roth, Gerhard (2015): Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt. Stuttgart: Klett-Cotta > Rezension
- Stegemann, Bernd (2013): Kritik des Theaters. Berlin: Theater der Zeit
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