Themen finden in einem Theaterprojekt, wenn sich alle Teilnehmer des Ensembles darin wiederfinden sollen, ist ein dynamischer und komplexer Prozess.
Diese Phase braucht einen souveränen Moderator, manchmal auch Mediator, der beim Themen finden hilft.
Aber der Einsatz lohnt sich, denn er zahlt sich unmittelbar in Motivation und Engagement der Schüler aus, weil alle das Gefühl haben, dass sie sich, ihre Kompetenzen, ihre Wünsche und Absichten in das Projekt einbringen können. Sie machen es damit auch als Gruppe zu ihrem Projekt. Diese Identifikation sorgt auch dafür, dass es ein hohes Durchhaltevermögen gibt, auch über Durststrecken und gegen Widrigkeiten, die sich zwangsläufig bei einem ästhetischen Arbeitsprozess einstellen. Die drei Fokusfragen zu diesem Modul lauten:
- Wie kann die Gruppe Themen finden und sich gemeinsam auf eines einigen?
- Soll eine fertige Stückvorlage oder Auszüge daraus die Grundlage der Arbeit sein oder soll eine Eigenproduktion erarbeitet werden?
- Wie wird der Kompetenzerwerb beschrieben und wie werden Noten gegeben?
In der Schultheaterarbeit ist es zum Teil heute noch gängige Praxis, und da wird keine Unterschied zwischen einer freiwilligen Theater-AG und regulärem und benotetem Theaterunterricht gemacht, professionelles Theater zu kopieren, und es werden fertige Stücke oder Teile daraus unter der Regie des Theaterlehrers inszeniert. Wer dann keine Rolle abbekommen hat, musste sich damit abfinden auch mal einen Baum zu spielen und 20 Minuten still auf der Bühne zu stehen.
Seid es Theaterunterricht in festen Gruppen, Kursen und Klassen gibt, hat sich dieses Problem verschärft. Fertige Stückevorlagen funktionieren nun gar nicht mehr. Oder die Lehrer setzen sich hin und schreiben die Textvorlagen in mühevoller Arbeit zu Hause um. Noch komplizierter und langwieriger wird es, wenn die Lehrkraft eine Stückevorlage mit ein paar wenigen Rollen mit den Schülern oder einer kleinen Gruppe von Schülern in Zusatzarbeit umschreibt. Das ist kaum leistbar, wenn eine Lehrkraft eine volle Stelle und drei, vier oder fünf Theaterkurse plus weiteren Unterricht hat.
Ein Ausweg scheint die Eigenproduktionen zu sein, wobei Anregungen für eine postdramatische Spielweise und der Performance-Kunst helfen können. Hierbei kann man auch leichter Themen finden. Karl-Heinz Wenzel hat in dieser Hinsicht in vorbildlicher Weise gearbeitet und seine Methode in seinen Büchern erläutert und in einem Interview beschrieben. Es ist leichter, mehr Rollen und mehr Aktionsmöglichkeiten für alle zu schaffen und dass Schüler mehr Chancen haben, sich einzubringen, eigene Ideen zu verwirklichen und kreativ zu sein, weil sie sich auch selbst weitgehend eine Rolle oder auf den Leib schneidern oder sich in einem der vielen Handlungsfelder des Theaters in den verschiedenen Spezialteams engagieren können (vgl. „Handlungsfelder im Theater und Spezialteams“, in: List/ Pfeiffer 2009: 131).
Als gängiges dramaturgisches Format mit zumeist 20-25 Schülern in einem Kurs haben sich erfahrungsgemäß Collagen oder Szenenfolgen herauskristallisiert, wobei die Szenen nur in lockerem Verhältnis zueinander stehen und jeder auch seine persönlichen Themen einbringen kann.
Bei dieser Entscheidung wird die Frage noch einmal manifest, was die eigentlichen Ziele des Unterrichtsfachs Theater/ Darstellendes Spiel sind. Und was ist überhaupt in meist nur zweistündigem, teilweise dreistündigem Unterricht pro Woche leistbar?
Theaterlehrer können ihren Schülern Angebote machen, sich in ästhetische Prozesse zu verwickeln und verwickeln zu lassen und ihnen Raum und Zeit geben, ein Mindestmaß an Kompetenzen zu trainieren und aufzubauen. Abendfüllende Stücke mit einer geschliffenen Dramaturgie sind ohne erheblichen Mehraufwand nicht leistbar.
Im vorherigen Modul hatten die Schüler die Hausaufgabe bekommen, auf einige Zettel aufzuschreiben, welche Themen sie gern im Theaterunterricht bearbeiten und gestalten würden. Mit diesen Themenzetteln improvisieren sie nun in diesem 3. Modul. Schüler machen mit dieser Aufgabenstellung Rollenspiele und nutzen dabei Klischees. Ungeübte tun das allemal. Das ist am Anfang auch völlig in Ordnung. Die Schüler sollen ja zunächst Vertrauen gewinnen und Mut fassen, sich zu exponieren. Diesen Mut haben Menschen gewöhnlich nur mit Vertrautem in vertrauter Umgebung.
Klischees helfen ins Spiel zu kommen, weil sie aus einfachen Mustern bestehen, die eine entsprechend einfache Mustererkennung ermöglichen. Mehr noch. Klischees sind bereits durch die meist klar konnotierten Zeichen hilfreiche Modelle für Theaterarbeit und helfen sehr beim Themen finden. Später lernen die Schüler, diese Klischees wieder zu brechen, wenn sie theatrale Gestaltungsmöglichkeiten kennen gelernt haben.
Die einzige Vorgabe, die die Schüler erhalten, wenn die Lehrkraft sie auffordert, zu einem Thema zu improvisieren, ist die Bitte, einen Interessenkonflikt in den Themen finden, so dass sich ihre Figuren aneinander reiben können, bis zu einem Haltepunkt, an dem ihre Figuren kurz innehalten und erkennen, dass sie verschiedene Handlungsoptionen haben, und sich für einen Weg bewusst entscheiden (müssen).
Sie dürfen auch gerne während des Improvisierens wirklich innehalten und nachdenken (vgl. auch List/ Pfeiffer 2009a: 20ff). Das macht die Darstellung sowieso meist interessanter, weil man ja jemanden sieht, der wirklich gerade gedanklich an einem Problem arbeitet. Die Schüler lernen eine theatrale Spielweise kennen, die im Gegensatz zu ihrer überwiegend medialen Bildung steht, die durch filmische Techniken und Methoden (Zeitlupe, Loops, Rückblenden, 360-Grad-Kamerafahrten usw.) geprägt ist. Sie lernen eine Handlungen zu dehnen, auseinander zu ziehen, im Sinne einer technischen Explosionszeichnung, die kleine Handlungselemente zeitlich deutlicher sichtbar aneinanderreihen muss, damit ein Publikum überhaupt die Gelegenheit hat, sie auch rezipieren zu können.
Schüler lernen hier bereits ein klares Format, das einer Szene mit Halte-, Dreh- oder Wendepunkt, kennen, an dem sie sich bei der weiteren zunehmend selbstständigeren Arbeit orientieren und das sie entsprechend kritisch reflektierend ihrem filmischen Wahrnehmungskonzept gegenüberstellen können.
Da Schüler wissen, dass sie im regulären Unterricht zumeist benotet werden, ist eine frühzeitige Information über den Prozess der Bewertung sinnvoll, so dass sich die Schüler daran orientieren und darauf einstellen können.
Die matra-artige Wiederholung mancher Künstler, theatrale Kunst sei nicht bewertbar ist weltfremd. Immer und überall werden künstlerische Prozess und Produkte begutachtet, beurteilt und bewertet. Die Frage ist: Sind die Kriterien nachvollziehbar und transparent und insbesondere im schulischen Bereich: Sind die Kriterien akzeptabel? Bilden sie die Lernprozesse so ab, wie sie auch tatsächlich abgelaufen sind? Oder mit anderen Worten: Wird das abgeprüft, was vorher klar benannt wurde, nämlich die Lernimpulse und Aufgaben, und was die zu Prüfenden vorher in ausreichendem Maße trainieren konnten? Haben die Prüfling ein sicheres Gefühl, dass das Gelernte auch in einer Weise abgeprüft wird, dass es in einer Prüfung zeigbar ist?
Das folgende Drei-Phasen-Modell ist hervorgegangen als ein Produkt langjähriger Praxiserfahrung des Autors in unzähligen Kursen Darstellendes Spiel, das immer wieder aufs Neue mit den unterschiedlichen theoretischen Erfordernissen abgeglichen wurde. Es sei hier nochmals in einer etwas anderen Begrifflichkeit abgebildet mit den Vokabeln:
- Phase: kennenlernen und vertrauen
- Phase: kontrollieren und rückmelden
- Phase: überprüfen und benoten.
Ist der Lernprozess beispielsweise auf ein halbes Jahr angelegt, dann dauern diese drei Phasen jeweils ca. vier bis sechs Wochen, wobei es Theatergruppen und Kurse gibt, die sich schnell in eine vertrauensvolle Gruppe finden, zumal wenn sich die Gruppenmitglieder bereits vorher kannten, und die Phasen zwei und drei dementsprechend deutlich länger ausfallen können.
Ebenso ist denkbar und die Erfahrung lehrt das, dass eine Gruppe sich schwer tut, ein vertrauensvolles Arbeitsklima herzustellen und lange braucht oder auf oberflächlichem Niveau stehen bleibt. Dann ist der Theaterlehrer stärker gefordert die Standards einzuhalten als in einer vertrauensvollen Gruppe, in der die Gruppenmitglieder alles mittragen und sich einer gemeinsamen Verantwortung nicht entziehen.
Die jeweiligen Kriterien, woran man beispielsweise „redliches Bemühen“ erkennt und in welcher Weise es abzustufen ist, würde den Rahmen diese Formates sprengen. Das Herunterbrechen in eine derartige Konkretion ist Aufgabe des ausgebildeten Theaterlehrers und gehört zu dessen Handwerkszeug und grundlegenden pädagogischen Kompetenz. Darüber hinaus ist es sinnvoll diese Kriterien an konkretem Verhalten im Unterricht festzumachen.
Einige wenige Beispiel mögen hier genügen.
Hat ein Schüler beim Aufwärmen, nachdem alle Kriterien bekannt sind, immer noch die Hände in den Hosentaschen, läuft deutlich langsamer als alle anderen, kommt Aufforderungen nur widerwillig und maulend nach, dann kann ein solches Verhalten nicht mehr als ausreichend redliches Bemühen bezeichnet werden. Entsprechend härter sind Verhaltensweisen zu beurteilen, wenn ein Schüler bei Vertrauensübungen mutwillig einen anderen Schüler beispielsweise fallen lässt, obwohl alle Bedingungen der Übung klar beschrieben und alle Schüler sie auch schon richtig gemacht haben.
Großes Gewicht ist den häufigen Feedbackrunden und dem individuellen Feedback durch die Theaterlehrkraft beizumessen. Auf diesen Verfahren liegt das stärkste Gewicht, wenn es darum geht, die genannten Kriterien der Leistungsüberprüfung transparent, anschaulich und glaubwürdig zu machen, und zwar auf eine Weise, dass sie sukzessive von den Schülern benutzt werden, eigenen und fremden Kompetenzzuwachs zu beschreiben.
Die unzähligen Lernprozesse, die der Autor begleitet hat, machen sichtbar, dass solchermaßen durchlebte Prozesse bei den Schülern die entsprechenden Kompetenzen zur Selbst- und Fremdbeurteilung in der Lernumgebung Theater in dem Maße reifen lassen, wie Schüler von ihren Anlagen und ihrer Begabung her dazu in der Lage sind.
Literatur
- List, Volker/ Pfeiffer, Malte (2009): Kursbuch Darstellendes Spiel: Stuttgart: Klett
- Wenzel, Karl-Heinz (2000): Das Zufallsprinzip. Über die „planlose Entstehung eines Theaterstückes. In: Spiel & Theater. Heft 165, Juli 2000. Weinheim Deutscher Theaterverlag: 20-22
- Wenzel, Karl-Heinz (2006): Theater in B.E.S.T.-Form. Plädoyer für ein anderes Jugendtheater. Weinheim: Deutscher Theaterverlag
- Wenzel, Karl-Heinz (2009): „Showing Doing“ statt „Showtime“. Über performative Darstellungsformen im Jugendtheater. In: Spiel & Theater. Die Zeitschrift für Theater von und mit Jugendlichen. Heft 183, April 2009. Weinheim: Deutscher Theaterverlag: 10-13
- Wenzel, Karl-Heinz (2011a): B.E.S.T.- Das Praxisbuch. Eine exemplarische Projektbeschreibung in 10 Phasen. Weinheim: Deutscher Theaterverlag
- Wenzel, Karl-Heinz (2011b): Die Arbeit an und mit disparatem szenischen Material. Methoden zur Gestaltung und Strukturierung einer offenen Eigenproduktion. In: Spiel & Theater. Heft 188, Oktober 2011. Weinheim: Deutscher Theaterverlag: 26-29
Schreiben Sie einen Kommentar