Woher kommt der Text bei Eigenproduktionen im Darstellenden Spiel? Welche Rolle spielt ein Stimm- und Sprechtraining im Theaterunterricht?
Stimme, Sprache und Text sind eine Funktion des Körpers und damit ihm prinzipiell untergeordnet. Wenn diese Abhängigkeit gebrochen wird (Kompositionsmethode Bruch), entsteht eine Mehrdimensionalität von Figuren und Aktionen. Es entsteht z.B. Ironie und es lassen sich Impulse generieren für neue Assoziationsräume, in denen sich ein Publikum lustvoll bewegen kann, weil es eine Mehrdimensionalität von Verständnis erlaubt.
Beim den Themen Stimme, Sprache, Text stellen sich zwei zentrale Fragen, mit denen eine Theaterlehrkraft bei der konkreten unterrichtlichen Tätigkeit konfrontiert wird:
1. Soll es im Theaterunterricht umfangreiches Stimm- und Sprechtraining geben? Wenn ja, wie?
2. Woher kommen die Sprechtexte im Theaterunterricht bei Eigenproduktionen?
Im Schultheater in früheren Zeiten wurden überwiegend fertige Stücke bzw. Text-Vorlagen inszeniert und man orientierte sich generell am Profitheater bzw. ahmte es nach. Dies mehr schlecht als recht, weil die Akteuere keine Experten des Schauspiels waren und sind, sondern Dilettanten, also mit wenig Sachkenntnis und Kompetenz, aber umso mehr Leidenschaft beim Tun.
Stimm- und Sprechkompetenz sind Kernkompetenzen eines Schauspielers, weil in den meisten Stücken viel gesprochen wird und der Sprechtext eines Stückes früher nicht verändert werden durfte. Es war die Zeit der Diskussion um die sogenannte Werktreue.
Die Erfahrungen des Autors mit umfangreichem Sprechtraining mit Schülern sind denkbar schlecht. Das Training war sehr zeitraubend und langwierig und es brachte nicht den gewünschten Erfolg, heißt: Die Sprechqualität verbesserte sich zwar bei einigen Schülern, aber nur kurzfristig und gering. Dies ist nachvollziehbar bei lediglich einer Doppelstunde Unterricht pro Woche.
Das Stimmtraining hat der Autor reduziert auf Übungen, die die Resonanz- und Artikulationsräume im Körper lockern und freimachen, bzw. aufwärmen.
Ansonsten geht es nur um wenige grundlegende Techniken, die die Schüler bei der Theaterarbeit trainieren, und sie lernen sich gegenseitig darauf hinzuweisen,
- den Mund beim Sprechen weiter aufzumachen als normal
- zum Publikum zu sprechen, nicht nach hinten
- laut zu sprechen (Amateure empfinden das laute Sprechen als unnatürlich. Mit dem Schimpfspiel und anderen lustvollen Übungen, die die Schüler erleben lassen, dass sie laut sprechen können, kann ein Anker gesetzt werden, der sie im Bedarfsfall an ihre Kompetenz erinnert)
- deutlich zu artikulieren (dies kann mit der Übung Korken-Sprechen trainiert werden, auch wenn die Wirkung nur kurzzeitig anhält)
Eine generelle Lösung, die Schwierigkeiten des Stimmeinsatzes zu beheben besteht darin, die Textdominanz zu reduzieren zugunsten einer gesamtkörperlichen Spielweise.
Nach langem Suchen, Forschen, Ausprobieren und Fehlschlägen ist der Autor auf einige Methoden gekommen, die für den Theaterunterricht empfehlenswert scheinen.
Schülern sollten in der Anfangsphase von Theaterunterricht wenig, am besten kaum artikuliert sprechen. Am ehesten geeignet sind stimmliche Töne, auch Gramolo und Kauderwelsch, um sie zu gestisch-mimischen Aktionen anzuregen. Sie sollen ihre Motive durch Körperlichkeit in Handlungen sichtbar machen und nicht durch wenig glaubwürdige Textdeklamation. Ein schönes von vielen Beispielen: Catherine Tate – The Offensive Translation > https://www.youtube.com/watch?v=Vc8tfioOKvU
„Drama ist im wesentlichen mimetische Handlung.“, so Esslin. „Wenn es einen Widerspruch zwischen Worten und Handlung gibt, ist die Handlung ausschlaggebend. (…) Wenn die gesprochenen Worte im Widerspruch zur Handlung der Figuren stehen, sind sie natürlich doch Teil der Handlung, offenbaren ihre Komplexität und gemischte Motivation. Wo einfache, wortlose Handlung ausreicht, um zu zeigen, was geschieht, sind Worte redundant. Einer der größten Schauspiellehrer unserer Zeit, Jacques Lecoq, lässt seine Studenten mit ‚Situationen‘ beginnen, in denen sie in verschiedenen sozialen Rollen Reaktionen aufeinander improvisieren müssen (zum Beispiel Gäste auf einer Party, die einander nicht vorgestellt worden sind). Sie müssen solange wie möglich schweigend miteinander umgehen und dürfen nur sprechen, wenn Worte absolut unumgänglich werden. Das verkörpert eines der grundlegenden Prinzipien der ‚Ökonomie‘ des Dramas: Alles, was ohne Worte auszudrücken ist, sollte ohne sie auskommen.“ (Esslin 1989: 86)
Der Schauspiellehrer Hawemann beschreibt hilfreiche Übungen, wie beim Proben mit Text umgegangen werden kann.
Eine Methode zur Text-Generierung besteht darin, dass die Schüler von der Regie beim Improvisieren und entwickeln ihrer Szenen danach gefragt werden, was das Motiv ihrer Figur, ihres Akteurs ist und was nun in dieser konkreten Situation die Figur sagen könnte, was sie nicht in irgend einer Weise handelnd vermitteln kann. Was die Darsteller handelnd zeigen, das brauchen sie nicht auszusprechen und ist allemal das spannendere Theater, und nach der Erfahrung des Autors im Amateurbereich und Schultheater das glaubwürdigere und überzeugendere. Der Regie-Impuls ist zielgerichtet und fordert – falls das Motiv nicht handelnd gezeigt werden kann – einen präzisen Text von der Figur. Dieser erste Textimpuls führt zu einer Reaktion bei der angesprochenen Figur. So kann sich ein Dialog entwickeln, wobei die Regie immer wieder fragt, was die Figuren wollen, was das Ziel der Begegnung oder der Szene ist usw.
In der Übung, in der die Schüler einen Text mit einem bestimmten Gefühl aussprechen und dabei eine Körperhaltung einnehmen, die diesem Gefühl widerspricht, wird die Irritation, wird die Spannung deutlich sichtbar und auch beschreibbar, dass etwas nicht stimmt, etwas nicht stimmig ist. Gleichwohl wird eine Divergenz von Bewegung und Sprache als Irritation auch vom Zuschauer wahrgenommen und kann eine Handlung in der Wirkung steigern, aber auch neue Assoziationsräume eröffnen.
Eine weitere Methode, mit der der Autor gute Erfahrungen gemacht hat, ist in diesem Modul im Kursbuch Theater machen ausführlich beschrieben. Schüler sollen irgend welche Texte irgend woher zum gefundenen Thema suchen, aufschreiben und auswendig lernen. Das klingt zunächst ein bisschen postdramatisch, ist es aber nicht. Den Sätzen, die die Schüler suchen sollen, liegt eine recht komplexe Aufgabe zugrunde, auch wenn es anfangs nicht so aussieht.
Die Schüler beantworten bei der Lösung der Aufgabe meist folgende Frage: Wo suche ich? Internet, Bücher, Zeitungen, Illustrierte, Grafitti, Beobachtungen von Menschen im Alltag usw. Sie schärfen damit automatisch ihre Beobachtungsfähigkeit. Eine wichtige Kompetenz im Theater auf die schon Stanislawski hingewiesen hat. Hat das Gefundene etwas mit dem Thema zu tun? Wenn ja, was? Passt es? Wie und warum passt es? Sie lernen im Kontext, in Interdependenzen und damit auch dialektisch zu denken und zu argumentieren. Das ist der Übergang vom Kombinieren zum Komponieren. Ästhetische Prozesse sind keine beliebigen Prozesse, sondern unterliegen plausiblen und beschreibbaren Kriterien. Der Kunstproduzent – also das Ensemble – steht in der Verantwortung, einen Sinnkontext herzustellen und überlässt das im Theaterunterricht zunächst nicht dem Zuschauer – wie es beispielsweise die Postdramatik postuliert.
Es ist ein spannender Prozess, wenn die Schüler ihren mitgebrachten Text in ihre Improvisationen integrieren und damit experimentieren. Welcher Satz passt in welche Situation, in welche Szene, zu welcher Figur, zu welcher Handlung? Warum passt der Satz, warum passt er nicht? Oder kann der Satz entfallen, weil eine passende Handlung, eine Aktion an die Stelle des Textes gesetzt werden kann? Inspiriert das Gefundene zu etwas Neuem, das viel besser passt?
Nicht zu vergessen ist bei allen Aktionen auf der Bühne Esslins Erkenntnis: „Also leitet sich die ‚Aussage‘ der im Drama gesprochenen Worte in letzter Konsequenz (unabhängig von ihren rein lexikalischen, syntaktischen, verweisenden, metrischen und anderen Bedeutungen, bei rein literarischer Interpretation) aus der Überlegung her, wer mit diesen Worten was mit wem unter welchen Bedingungen macht. Oder knapper, im Drama leitet sich die Aussage der Worte letztlich aus der Situation her, der sie entspringen.“ (Esslin 1989: 88)
Mit dem Modul 9.3 Stimme, Sprache, Text sind die drei Bereiche der Körperarbeit abgeschlossen und es bietet sich an, die erworbenen Kompetenzen der Schüler zu überprüfen und ein entsprechendes Feedback zu geben, sei es individuell mit einer entsprechenden Beratung oder als benoteter Kompetenz-Check.
Die Kriterien für die Bewertung kann man mit Hilfe entsprechender Links aus dem Kursbuch direkt von der Verlags-Website herunterladen.
Literatur
- Esslin, Martin (1989): Die Zeichen des Dramas. Reinbek: Rowohlt
- Hawemann, Horst (2014): Leben üben. Improvisationen und Notate. Recherchen 108. Hg. von Christel Hoffmann. Berlin: Theater der Zeit > Rezension
- List, Volker (2012): Theaterübungen. 600 Theaterübungen für Theaterarbeit im Unterricht. Hüttenberg > Bestellung
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