Hentschel, Ulrike (Hg) 2016: Theater lehren. Didaktik probieren. Strasburg (Uckermark): Schibri. 300 Seiten – Rezension
29 AutorInnen mäandern denkend um das Thema „Didaktik für Theater“, jede/r von einem anderen Standpunkt, aus einer anderen Perspektive, in eine andere Richtung schauend mit anderem Fokus. Das Bild des Rhizoms drängt sich auf.
Bei Didaktiken geht es immer um Lernen. Es geht darum, zu bestimmen, was auf welche Art und Weise und wozu gelernt werden soll.
Die Beiträge werden im Folgenden darauf hin untersucht und ihr Aussagewert daran gemessen bzw. ihr Beitrag zur Entwicklung einer Didaktik für Theater an diesem Anspruch bewertet werden.
Es geht also darum zu differenzieren, in welchen Ausbildungsgängen bzw. Lernwegen was, wie, wozu gelernt werden soll. In den Beiträgen geht es zumeist um die Lernwege zum Beruf des Theater-Pädagogen, weniger um den Beruf der Theater-Lehrkraft.
Inhalt
Hentschel Ulrike: Theater lehren und lernen – Zur Einleitung 6
Fachpraxis
Köhler, Eberhard: Schauspielgrundlagen und Grundlagen der Regie 14
Herrbold, Gudrun: Biografisch-dokumentarisches Theater 45
Krützkamp, Beate: Atem. Stimme. Text. Das Fach Sprecherziehung innerhalb des theaterpädagogischen Studiums 53
Menghini, Adalia: The Art of Movement 64
Lambert, Friederike: Choreografische Verfahren in der Theaterpädagogik 70
Lehmann, Claudia: Vom Video Einsatz im Theater 78
Burton, Matthew: The Neutral Mask – The Theatre Pedagogy of Jaques Lecoq 88
Fachdidaktik
Pinkert, Ute: Performance lehren – eine didaktische Reflexion 98
Hirte, Marion: Dramaturgisch denke – eine Herausforderung für die theaterpädagogische Ausbildung 123
Vogt, Annika: Was geht hier eigentlich vor? Koordinaten einer Didaktik der Spielleitung 132
Klimant, Tom: Theaterdidaktik. Ausbildungskonzept und Forschungsperspektiven einer Fachdidaktik theatraler schöpferischer Prozess 149
Meyer, Karl-A.S.: Theater in der Schule. Einblicke – Ausblicke 163
Jurké, Volker: Theater liebhaben und Theater lehren 182
Kup, Johannes: von der Bildung einer Haltung. Für eine reflexive Didaktik des Schulfachs Theater 193
Hentschel, Ulrike: Theater lehren –Theater lernen – Theater probieren. Überlegungen zu einer praxeologischen Didaktik der Theaterpädagogik 202
Projektarbeit
Fuchs, Anita: Der Raum als Impuls. Ausstattungberatung in theaterpädagogischen Projekten 238
Jenni, Ursula: Projektorientierung als Prinzip in der Didaktik der Theaterpädagogik 248
Rothe, Katja: Frechheit bitte! Kulturproduktion als Studieninhalt im Studiengang Theaterpädagogik 259
Theaterpädagogik studieren
Barzel, Laura/ Kohlhoff, Laura: Lernende werden Lehrende. Eine Brücke zwischen Theater-Studium und Lehreralltag 266
Lakowski, Mira: Du, jetzt, hier. Performance lernen, Performance erarbeiten, Performance lehren 272
Neemann, Bodo: Vom Erfahren und Initiieren ästhetischer Prozesse 279
Rode, Anna-Lena: Über das Beobachten und Beschreiben 284
Jetzt-Momente lehren. Uta Plate Im Gespräch mit Eliana Schüler und Lukas Müller 286
Statt eines Nachworts
Albach, Lena: Szenen einer Theaterproduktion 296
Autorinnen und Autoren 298
Hentschel, Ulrike: Theater lehren und lernen – Zur Einleitung 6
Hentschel (Professorin für Theaterpädagogik und Darstellendes Spiel an der UdK Berlin) legt einen Sammelband vor, in dem sich 29 AutorInnen aus unterschiedlichen Bereichen zum Thema Didaktik für Theater äußern. Dass daraus keine auch nur annähernd in sich stimmige Didaktik für Theater entstehen kann ist nur verständlich. Es geht bestenfalls darum, zu zeigen, wie uneinheitlich um Didaktik herum gedacht wird, weit entfernt von einer Suche nach einem einheitlichen und stimmigen Ausbildungskonzept für Theater-Pädagogen und -Lehrkräfte, sodass für diese eine klare Orientierung für ihr späteres Berufsfeld möglich wird. Nach einigen Jahrzehnten der Etablierung einer Theaterpädagogik mit zahlreichen universitären Ausbildungsgängen und der Etablierung des Unterrichtsfaches Theater/ Darstellendes Spiel an Schulen mit seit vielen Jahren mehrfach evaluierten Curricula sollte man doch meinen, dass Wissenschaft Konkreteres anzubieten hätte als ein „Probieren“.
Wo sind die konkreten Entwürfe für eine Didaktik für Theater, die eine tragfähige Brücke schlagen zwischen den Abstraktionen theoretischer Wissenschaft, den curricularen Setzungen, die sich z.B. auf Abiturprüfungsordnungen beziehen bzw. den zahlreich vorliegenden ausgefeilten Lehrplänen der Bundesländer, den zahlreichen Schulcurricula und den entsprechenden Umsetzungen in Angebote für konkrete Unterrichtskonzepte und Schülerbücher? Es wird zwar nachvollziehbar anerkannt, dass sich Theaterpädagogik aus heterogener Praxis speist, der aber einige grundlegende Elemente gemein sind: Projektcharakter, Interdiziplinarität, kollektive Arbeitsformen usw., und das hat gute didaktische(!) Gründe. Es wird danach gefragt, was in den Studiengängen Theaterpädagogik gelehrt wird und wie es gelehrt wird. Nicht gefragt wird danach, was im Theater-Unterricht an Schulen gelehrt wird und wie es gelehrt wird. Das dürfte eine ebenso brennende Frage sein.
Hier zeigt sich schon im Ansatz die Schwierigkeit, das Forschungsfeld zu sondieren. Fehlt doch eine klare Trennung der substanziell verschiedenen Inhalte und Vermittlungsformen der etablierten Theaterpädagogik auf der einen Seite und der Inhalte und Vermittlungsformen von Theater-Unterricht auf der anderen Seite: „Der Begriff der Fachdidaktik wird entsprechend nicht nur im üblichen Sinne als die Theorie vom Unterrichten eines Schulfaches – verstanden, sondern erweitert [Hervorheb. v. V.L.] auf die Theorie und Lehre von der Vermittlung von Theater in schulischen und außerschulischen Feldern. […] Aufgabe einer Fachdidaktik ist es also über die Möglichkeiten und Bedingungen der Weitergabe von im Studium erworbenem künstlerischen Wissen und Können in pädagogischen Kontexten nachzudenken. Eine gelungene Transformation in die pädagogische Anwendungssituation hängt bekanntermaßen von zahlreichen situativen Bedingungen ab die überkomplex und deshalb wenig vorhersehbar oder planbar sind.“ (7-8) Es ist zu befürchten, dass eine solch undifferenzierter erkenntnisleitender Ansatz Probleme bereiten wird.
Im ersten Teil des Bandes „Fachpraxis“ werden die Unterschiede der Perspektiven und der damit einhergehenden Einsichten an zahlreichen Beispielen von Übungen illustriert.
Der zweite Teil „Fachdidaktik“ setzt sich explizit mit Überlegungen zur Fachdidaktik im Theaterpädagogikstudium auseinander und untersucht die besonderen Herausforderungen an die professionelle Haltung von Theaterlehrerinnen und -lehrern.
Im dritten Teil des Bandes „Projektarbeit“ geht es um die künstlerische Notwendigkeit von Projektarbeit.
Der vierte Teil des Bandes „Theaterpädagogik studieren“ beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass das Theater lehren ein vielstimmiger, risikoreicher, von Ungewissheiten, Balanceakten und Emergenzen gekennzeichneter Prozess“ (11) ist. „Didaktik probieren bringt diesen Balanceakt auf den Punkt und verweist in dieser Formulierung auf die künstlerische Praxis des Theaters, mit der die Fachdidaktik der Theaterpädagogik verwoben ist.“ (11)
Theater-Unterricht steht dabei offensichtlich nicht mehr im Fokus.
Fachpraxis
Köhler, Eberhard: Schauspielgrundlagen und Grundlagen der Regie 14
Köhler (Regisseur, Gastprofessor für Schauspiel und Regie im Masterstudiengang Theaterpädagogik und Darstellendes Spiel an der UdK Berlin) will „versuchen einige Gedanken zu den im Titel genannten Veranstaltungen und [s]einem Unterricht an der Berliner Universität der Künste zu formulieren“ (14) Er lehnt es ab, seine Arbeit zu vermethodisieren, da alles immer im Fluss sei und sich seine Arbeit auf immer neue Herausforderungen einzustellen habe. Gleichwohl ist er überrascht darüber, „wie wenig die tägliche Arbeit an den handwerklichen Voraussetzungen vermittels Etüden und ‚Fingerübungen’ im Bereich des Theaters common sense“ sei. (15)
Köhler beschreibt seinen praktischen Unterricht in Masterprogramm Theaterpädagogik und erläutert zahlreiche Grundlagenübungen, wie sie in exakt gleicher oder ähnlicher Weise mit angepasstem Anspruchsniveau für die gleiche Zielsetzung im regulären Theater-Unterricht in Schulen gemäß aktuell gültigen Curricula eingesetzt werden, z.B. Aufwärmübungen, welche eine Probe bereits gezielt vorbereiten, Vertrauensübungen, Wahrnehmungsübungen, Übungen zur Entwicklung des Zeitgefühls, der Wahrnehmung der physischen Präsenz der anderen, Isolations-Übungen, Übungen im 9-Punkte-Feld, Status-Übungen, Subtextsprechen, Kostüm-Übungen, Tier-Analogie-Übungen, Feedback-Übungen usw. usw. usw. Er fordert, wie das in regulärem Theater-Unterricht auch anzustreben ist, „eine möglichst genaue Beschreibung des Wahrgenommenen“ (18) und alleiniges Beurteilungskriterium der Arbeit dürfe die „Darstellungsabsicht“ des Spielenden sein, keine eigenen Vorlieben oder subjektiver Geschmack. Aber das ist doch seit Jahrzehnten eine Standardforderung im Theater-Unterricht und dort längst common sense.
Köhler weist auf einen grundlegenden Unterschied seines Unterrichts mit Schauspiel- bzw. Theaterpädagogik-Studenten gegenüber sog. anderen Schulen studentischer Ausbildung hin. Ihm sei es wichtig, seinen Studenten bei Improvisationen nicht zu sagen, WIE sie etwas darstellen sollen. „Das WIE liegt nach dieser Auffassung ganz im Verantwortungsbereich der Spieler. Es ist der Bereich Ihrer kreativen Fantasie. Sie suchen dieses WIE, nach der gemeinsamen Klärung des WAS, in konkreten szenischen Versuchen.“ (22) Sage ein Regisseur seinem Darsteller, wie er etwas spielen soll, dann entmündige er diesen und degradiere ihn zum bloß Ausführenden. Köhlers Konzept liegt hier dicht bei Setzungen einer Didaktik für Theater, wie sie seit vielen Jahren im Theater-Unterricht in Schulen praktiziert wird. Das Ziel ist nicht der Nürnberger Trichter als Werkzeug und das Abfüllen mit Wissen als Methode, sondern, die Kreation von herausfordernden (Lern-)Situation für den Schüler mit dem langfristigen Ziel, ihn zu einem Kompetenzerwerb anzuregen, der ihn dauerhaft selbstständig macht. Dabei werden von Köhler im Training gezielt die theatralen Techniken und Methoden eingesetzt, wie sie bereits nach einer Didaktik für Theater in Schülerbücher seit langem ausführlich als Trainingseinheiten beschrieben sind: „Einfache Handlungen werden während der Untersuchung in den folgenden Parametern variiert: Geschwindigkeit, Größe, Häufigkeit, Dauer, Spannung. Dies geschieht zunächst einzeln, nach Eingabe von außen, dann in Kombinationen.“ (33)
Bei Köhler zeigt sich scheinbar das grundsätzliche Problem, eine Didaktik für Theater zu entwickeln: Auf der einen Seite gibt es die Menschen, die hauptsächlich Theater machen oder Theater-Spielen anleiten, die Regisseure, die Theater-Lehrkräfte, -Pädagogen, Spielleiter usw. und auf der anderen Seite diejenigen, die kein oder kaum Theater machen und auch nicht anleiten, sondern hauptsächlich mit einem wissenschaftlichen Anspruch darüber nachdenken und ihre Gedanken zu Papier bringen. Es fehlt eine mittlere Theorieebene, die den Brückenschlag schafft. Diese Brücke kann eine Didaktik für Theater sein, in die das umfangreiche Erfahrungswissen von Theater-Lehrkräften einfließt, jenen Experten, die seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten zahllose Evaluierungsprozesse in ihren theatralen Lernkonzept, ihren teilweise noch nicht ausformulierten und dokumentierten didaktischen Überlegungen, vollzogen haben. Eine wissenschaftliche Betrachtung hätte hier die Aufgabe, all dieses reflektierte Erfahrungswissen einzusammeln, zu systematisieren, zu analysieren, die Erkenntniswerte daraus zu destillieren und als dann auch theoretisch-wissenschaftlich reflektierten Entwurf einer Didaktik für Theater an die Empirie zurück zu überweisen mit der Absicht, sie einer erneuten praktischen Überprüfung auf Tauglichkeit zu unterziehen, auf dass der Erkenntnisprozess von Neuem beginne.
Erstaunlich bei Köhler – und man findet diesen Widerspruch bei zahlreichen Theatermachern und Theater Lehrenden – sie lehnen alles Methodische meist rigoros und argumentativlos ab. Dabei wird aber das, was Methodisches ausmacht, nicht beschrieben. Es findet keine inhaltliche Auseinandersetzung, kein Diskurs zum Thema Methode statt. Stattdessen werden aber oft als eigene Arbeitsweisen teilweise ausgefeilte Methoden angeboten. So auch bei Köhler, der am Ende seines Beitrages auf mehren Seiten sehr detailliert mit seinem „Arbeitsblatt“ einer „Zusammenfassung der Prinzipien zur Wiederholbarmachung“ (40) tatsächlich aber keine Prinzipien beschreibt, sondern seine Methode, seine Vorgehensweise sehr nachvollziehbar entfaltet, wie er seine Studenten grundsätzlich zum Improvisieren bringt und diese für die Ausbildung nutzbar macht. In dieser ausführlichen Methodenbeschreibung entfaltet Köhler eine Vorgehensweise – natürlich auf dem Anspruchsniveau von Studenten, nicht von Schülern – die recht genau auch die Arbeitsweise/ Methode beschreibt, wie sie von einer modernen Didaktik für Theater für Theater-Unterricht bereits seit längerem empfohlen wird: Impulse für Geschichten finden ohne lange zeitraubende Diskussionen, schnell in (glaubwürdiges) Handeln kommen, spielerische Lösungen suchen, mit Techniken und Methoden spielen, diese kombinieren und letztlich nach ästhetisch gestalteten Formen suchen („’form follows funktion’“ (39)).
Wo liegt nun ein möglicher grundlegender Dissens?
Er liegt vermutlich in einer von Köhler befürchteten „Kurzschlussreaktion“ (38), dass die Studierenden in ihrer späteren beruflichen Realität es häufig mit nicht professionell Spielenden zu tun haben werden, die „gegebenenfalls fragwürdige Erfahrungen mit einer alten bzw. veralteten Form des Schultheaters gemacht haben“, und deshalb „nur noch postdramatische Formen, Performances, Collagen, autobiografisches Theater, Improvisation als legitime Formen der Theaterarbeit mit nicht professionellen Spielern“ ansehen. (38) Dies sei „eine gewiss unnötige und sogar schädliche Selbstamputation.“ (38)
Ziel der studentischen Ausbildung sei es, nicht nur das Inszenieren postdramatischer Spielweisen zu lernen (Teil der praktischen Masterprüfung). Auch werden seine Studenten nicht von den Herausforderungen der „secondary duties“ (38) verschont, wie es Köhler auch in seinem eigenen freien Privat-Theater „Teatr Pokoleniy“ macht. In diesem „zweiten Verantwortungsbereich“ übernehmen die Studenten neben der Arbeit als Anleitende/ Spielende alle noch Arbeiten in den Bereichen „Licht, Ton, Video, Requisite, Bühne, Kostüme, Disposition, PR, Dramaturgie, Dokumentation, Catering etc.“ (38) Auch wieder kein grundlegender Unterschied zu dem, was Schüler im Theater-Unterricht, der einer modernen Didaktik für Theater folgt, zu leisten haben.
Herrbold, Gudrun: Biografisch-dokumentarisches Theater 45
Herrbold (Regisseurin, Dozentin für performative Künste) erläutert ihr Konzept der biografisch-dokumentarischen Theaterform, das sie aus der praktischen Arbeit „mit inhaftierten Frauen, Boxerinnen, Hooligans und Jugendlichen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen“ (46) gewonnen und in Seminaren an der HBK Braunschweig Studierenden des Darstellenden Spiels vermittelt hat. Dabei geht sie von der Hirnforschung empirisch bestätigten Theorie des Kontruktivismus aus, dass „Realität und Fiktion untrennbar miteinander verbunden“ (46) seien. Ziel ihre Arbeit sei es, individuelle Lebensgeschichten im gesellschaftlichen Kontext zu thematisieren, wobei die Chance einer mehrperspektivischen Betrachtung kollektiver gesellschaftlicher Prozesse möglich werde.Die Biografien der Einzelnen bildeten als Selbst- und Welterzeugung die Basis für einen ästhetischen Prozess, und die Teilnehmer ihrer Seminare erfahren ihre eigene Lebensgeschichte als Ausgangspunkt einer künstlerischen Auseinandersetzung und der Erfindung eines Erzähl-Ichs. Dabei werde der Blick nicht nur auf Vergangenes gelenkt, sondern gleichermaßen auf das Potenzial einer Entwicklung, in der Erwartungen und Zukünftiges bewusst und neue, zukunftsorientierte Varianten erprobt und erforscht werden können. Fehlendes schauspielerisches Handwerk bei den Studierenden muss nicht erlernt werden, sondern wird von Herrbold umgedeutet als „Ästhetik des Nicht-Perfekten“ (47). Ästhetische Inkompetenz wird sprachlich umdeutend geadelt. Warum der Anspruch an eine qualifizierte Ausbildung aufgegeben wird, begründet Herrbold nicht. Statt dessen legt sie großen Wert darauf, ihren Studenten „eine Reihe von verschiedenen Methoden [aus den Bereichen des kreativen Schreibens, der Feldenkrais-Lehre, der Improvisation mit Objekten und Musik zu] vermitteln, die ihre individuellen ‚kreativen Triggerpunkte’ erfahrbar machen und die Narration direkt mit Körper, Raum, Objekten und Musik verbinden.“ (49) Also doch eine Methoden-Lehre? Auseinandersetzungen in Kleingruppen mit nicht-fiktionalen Texten sollen als „Ausgangspunkt für eine szenische Präsentationen“ (49) dienen. Zu fragen ist, woher ihre Studenten „ohne schauspielerische Vorerfahrung“ (47) wissen, was eine Szene ist, wie sie aufgebaut ist und wie eine Szene präsentiert werden kann. Oder ist das Besondere dieser dilettantischen „Präsentationen“ ihrer „Experten“ für das „Nicht-Perfekte“ der Beleg für die neue Ästhetik der Inkompetenz? Warum „müssen die Methoden breit gestreut und niederschwellig sein.“? Sollten die Methoden in einem universitären Studiengang der Theaterpädagogik nicht anspruchsvoll sein? Sollten die angehenden Theater-Lehrkräfte und -Pädagogen nicht unbedingt darin möglichst umfassend und anspruchsvoll qualifiziert werden, wie sie andere Menschen anregen und unterstützen können, Theaterkompetenzen zu erwerben, nachdem sie selbst Erfahrungen damit gemacht und diese erworben haben? Vgl. dazu auch den Ansatz von Köhler im ersten Beitrag!
Krützkamp, Beate: Atem. Stimme. Text. Das Fach Sprecherziehung innerhalb des theaterpädagogischen Studiums 53
Schon in den ersten Sätzen des Beitrags von Krützkamp (Lehrbeauftrage für Sprecherziehung in den Studiengängen Theaterpädagogik und Darstellendes Spiel an der UdK Berlin) wird deutlich, hier bietet jemand eine anspruchsvolle Qualifizierung in einem Teilbereich theatraler Qualifikation, genauer theaterpädagogischer Qualifikation an, denn das Anleiten einer Gruppe zum Erwerb stimmlicher Kompetenzen gehört bei ihr zum Ausbildungsprogramm. Ein systematischer Aufbau von Kompetenzen wird über die Abfolge der Semester beschrieben, in denen das Gelernte „spielerisch erprobt wird“ (54) und die Pädagogik-Studenten im Fachgebiet Theater bereits im zweiten Semester „in der Lage [sind], eigene kurze Anleitungen zu einzelnen Themen anzuleiten“. (54)
In ihrem Beitrag beschreibt Krützkamp eine ganze Reihe konkreter Übungen, um die Studenten zu qualifizieren. Es sind Übungen, wie sie auch – dem Anspruchsniveau angepasst – im regulären Theater-Unterricht in Schulen einer modernen Didaktik für Theater folgend eingesetzt werden. Krützkamp differenziert in ihrem Ausbildungskonzept genau zwischen dem, was ein Absolvent der Theaterpädagogik später können muss und den erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen eines zukünftigen Schauspielers: „Jedoch vermittele ich bei dem Theaterpädagogikstudierenden immer auch die Hintergründe einer Übung und damit die ihnen implizierte Didaktik. Was wird geschult? Wofür ist diese Übung gut? Mit welcher Altersgruppe sollte man welche Übungen machen? Für Studierende der Theaterpädagogik ist die Einsicht zentral, dass in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen das Korrigieren und Anleiten in bildhaften Begriffen besonders wirkungsvoll ist. So entwickeln sich im Laufe des Studiums aus praktischen Erfahrungen und Reflexionen Einsichten, die es den Theaterpädagogikstudierenden erlauben, mit den bekannten Übungen frei umzugehen und sie mit etwas Fantasie zu einem eigenen Bildungsrepertoire umzugestalten.“ (62)
Krützkamps Beitrag ist der erste Beitrag, der tatsächlich das Thema „Didaktik für Theater“ ernsthaft in den Fokus holt, sich allerdings auf die Ausbildung von Pädagogen für Theater beschränkt. Eine Didaktik für Theater als Fundierung von Theater-Unterricht kommt noch nicht in den Blick.
Menghini, Adalia: The Art of Movement 64
Menghinis (Choreografin, Lehrbeauftragte für Tanz und Bewegung an der UdK Berlin) Ansatz wirkt etwas verstörend, da sie unerklärlicherweise davon ausgeht, dass es angeblich einen großen Unterschied gibt, ob man Erwachsene oder Kinder unterrichtet, weil nur die Erwachsenen wissen müssten, warum sie etwas lernen sollten. „Teaching adults ist very different from teaching children because adults need to know why they have to learn something.“ (66) Warum sollen Kinder von diesem Wissen ausgeschlossen bleiben, ist es doch Grundvoraussetzung, selbst zum Subjekt und Gestalter ästhetischer Prozesse zu werden, zu wissen, WARUM man etwas macht?
In ihrem Beitrag erläutert die Autorin wörterbuchartig die grundlegenden Fach-Prinzipien ihrer Arbeit: Ideokinesis, Body Mind Centering (BMC), Neurophysiological Psychology, Feldenkrais, Balance, Seuqence, Path, Flow, Effort, Creative Implications.
Lambert, Friederike: Choreografische Verfahren in der Theaterpädagogik 70
Lambert (Choreografin, Lehrbeauftragte an versch. Universitäten, Hochschulen und Schulen) beschreibt die Methode der „9-Punkte-Technik“ nach Laban, mit der sie auch mit talentlosen Ausführenden ohne jegliche Vorerfahrung und der Vorgabe einer klaren Struktur ein komplexes choreografisches Gesamtbild entstehen lassen kann (vgl. auch die Mischpult-Arbeitsweise von Plath). Wichtig sei dabei, dass für einen Zuschauer dabei „eine deutliche Ordnung“ (76) zu erkennen sei.
Als Begründung für Tanzen in Schulen verweist Lambert auf Studien, die nachgewiesen hätten, dass diese Art von Bewegung „entwicklungsfördernde Kompetenzen wie Leistungsbereitschaft, Konzentrationsfähigkeit, personale und soziale Fähigkeiten fördert.“ (70) Neben diesen „entwicklungsfördernden, kognitiven Kompetenzen“ sollten „auch oder insbesondere das Erleben von eigener Kreativität und persönlichem Ausdruck sowie die ‚zweckentbundene’ Freude im Hier und Jetzt im Vordergrund stehen.“ (70)
Lehmann, Claudia: Vom Video Einsatz im Theater 78
Lehmann (Physikerin, Dozentin für visuelle Medien/ Performance und Film) geht es in ihren Seminaren mit angehenden Theaterpädagogen „in erster Linie darum, den Einsatz von Video im Theater zu reflektieren.“ (78) Lehmann rät davon ab, Video im Theater zu nutzen, „wenn durch dessen Einsatz kein Mehrwert für die Inszenierung entsteht.“ (78) Ihre Arbeit ist geprägt von 15-jähriger Zusammenarbeit mit dem Theaterregisseur Nicolas Stemann. Bestimmend für ihre Lehre sei die „Suche nach Einfachheit“ (79) und setzt diese in Kontrast zu aufwändigsten Videoinstallationen mit Teams bis zu sieben Mitarbeitern bei den Salzburger Festspielen 2011 bei Faust 1 und 2. Deswegen lege sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit mit den Studierenden darauf, „zu erarbeiten, wann Videoeinsatz im Theater überhaupt sinnvoll ist.“ (79)
Lehmann erläutert die vier Komponenten, die man bei der Arbeit mit Video berücksichtigen müsse, wolle man ein stimmiges Konzept erhalten: Inhalt, Ästhetik, Technik und Kommunikation.
Burton, Matthew: The Neutral Mask – The Theatre Pedagogy of Jaques Lecoq 88
Burtons (Schauspieler und Schauspiellehrer, Lehrbeauftragter an der UdK Berlin) Fokus liegt auf der Beschreibung von Lecoqs Arbeitsverfahren mit Neutralmasken. Dabei ist ihm wichtig: „Additionally, exercises are proposed that concern the questions of physical expression, awareness and theatrical use of space, form, rhythm, balance, creative inspiration through observartion, improvisation techniques, background creative potentional of play in relation to both partner and group. We look to the questions of what are thes sources and conditions for inspiration and creativity.“ (88)
Fachdidaktik
Pinkert, Ute: Performance lehren – eine didaktische Reflexion 98
Pinkert (Professorin für Theaterpädagogik an der UdK Berlin) untersucht die Didaktik eines Hochschulseminars am Beispiel ihrer Performance-Seminare. Sie geht davon aus, dass die Hochschulpraxis gegenüber der Kunst einen Eigenwert besitzt und in der „Anwendung von Kunst“ besteht. Deshalb sei es legitim, die eigene Lehre genauer zu untersuchen und zu fragen: „Was tue ich (als Hochschullehrerin) hier (im Kontext universitärer Lehre) und warum?“ Später fragt Pinkert auch ausdrücklich noch nach der Art und Weise der Lehre.
Ziel der Lehre ist es, die Studierenden in die Lage zu versetzen, „auch performativ zu arbeiten. […] Wir orientieren allgemein auf eine erfahrungsorientierte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Theater sowie auf eine stetig begleitende Reflexion, die sowohl die künstlerische Praxis bestimmenden Zusammenhänge zwischen Intention, Form und Wirkung in den Blick nimmt als auch die dieser Praxis immanente Didaktik für die Vermittlungssituationen selbst thematisiert.“ (99-100)
Pinkert setzt der Kennzeichnung der unterrichtlichen Struktur als „performative Praxis“ ihren Begriff für eine Seminargestaltung als „Formatierung von Wissen“ (100) und als „formatierende Praxis von Bildungsanlässen“ (101) entgegen. Sie begründet diese begriffliche Umdefinition damit, dass „der Begriff des Formates offener“ sei (99) und „Das Formatieren lässt sich noch einmal grob unterscheiden erstens in Praxen der Auswahl der Rahmungen und Inhalte, die zur Auseinandersetzung angeboten werden und zweitens in Praxen der intendierten Aufmerksamkeitslenkung der Lernenden im Prozess.“ (101) Pinkert lehnt eine Lehr-Praxis als „Verwirklichung eines zugrunde liegenden didaktischen Konzeptes“ ab. (101) Es drängt sich die Frage auf: Wozu dann eine Didaktik?
Im Folgenden nennt Pinkert allerdings einige Auswahlkriterien für Inhalte ihrer Performance-Seminare: zum Einen „Künstlertheorien“ (102) bzw. „ästhetische Operationen, […] Methoden, Verfahren und Techniken“ (103) von Künstlern, die sich verallgemeinern lassen. Nicht überraschend schildert Pinkert ein offensichtliches Grundproblem, „eine verbreitete Problematik von Hochschullehre“ (104) des universitären Ausbildungsganges „Theaterpädagogik“: „Hier wird oftmals eine künstlerische Haltung vorausgesetzt, die in kunstpädagogischen Zusammenhängen erst entwickelt werden muss. Orientiert (einzig) an den Programmatiken experimenteller (forschungsorientierter) Kunst, erleben Absolventinnen und Absolventen die kunst- bzw. theaterpädagogische Praxis mit nicht-professionellen Spielenden schnell als frustrierend, auch weil sie die (narzisstische) Selbstbestätigung einer eigenschöpferischen Praxis vermissen lässt.“ (104) Mit anderen Worten, sie haben in ihrer Ausbildung nicht das Lehren gelernt und können demzufolge ihrer Berufsbezeichnung Pädagoge im Fachgebiet Theater nicht gerecht werden. Dies wird u.a. auch darin sichtbar, wenn Theaterpädagogen ihre Berufsbezeichnung hassen und sich zu Regisseuren umdeklarieren (vgl. Habich 2013).
Pinkert sucht nach einem didaktischen Kompromiss zwischen „zu starken Verallgemeinerungen in einem handwerklichen Ansatz“, (105) die der Absicht der Komplexitätsreduzierung in Lehr-Lern-Prozessen geschuldet seien, und „einer zu großen Spezialisierung der künstlerischen Verfahren“ (104) und kritisiert eine Orientierung an „vereinfachenden Lösungen“, die sich häufig in Schule finde, wie in den Kursbüchern von Pfeiffer/ List, in denen „ästhetische Operationen quasi mit einer Meta-Künstlertheorie ‚kurzgeschlossen’ und auf einzelne ‚tools’ reduziert“ würden. Es würden Schnittmengen und Übereinstimmungen gebildet „und diese zu einem verallgemeinerten Performance-Ansatz synthetisiert.“ (104) „Indem die Lehrperson verschiedene Künstlertheorien und Operationen in eine Metatheorie transformiert und diesen Vorgang nicht transparent macht, wird die Komplexität, Widersprüchlichkeit und Ambivalenz künstlerischer Herangehensweisen aufgegeben und die Perspektive der Lernenden letztlich auf die durch die Lehrperson eröffneten Spielmöglichkeiten begrenzt.“ (105)
Zu fragen wäre, warum Pinkert hier Lehrpersonen unterstellt, sie würden „diesen Vorgang nicht transparent“ machen. Selbstverständlich hat eine Lehrperson ihr Vorgehen transparent zu machen. Das ist eine Grundvoraussetzung einer modernen Didaktik: Transparenz des Lernprozesses! Und selbstverständlich wird Inhalt ausgewählt, reduziert und verdichtet, weil das Zeitbudget begrenzt ist. Jammern über zu wenig Zeit für Performance-Arbeit an der Uni hilft da auch nicht. Die Kunst der Lehre besteht eben genau darin, mit der zur Verfügung stehenden Zeit ein Maximum an Lerngelegenheiten als angemessene Herausforderung zu kreieren und die geplanten Absichten zu erreichen. Das ist das kleine Einmaleins von Lehrtätigkeit und Grundlage von Evaluationsprozessen und Qualitätskontrolle. Dem kann man sich leider nicht mit dem Hinweis auf die Freiheit der Kunst (oft missverstanden als Beliebigkeit) entziehen, wenn es um Lehr-Lern-Kontexte geht. Und genau darin liegt die Kunst, Theater zu lehren, indem in ästhetischen Lehr-Lern-Prozessen und kunstpädagogischer Ausbildung das „’Kunsthafte’ der Kunst“ (106) schon in den ersten Lernschritten sicht- und erlebbar gemacht wird und die Lernenden sich Schritt für Schritt die Komplexität von Kunst erarbeiten, indem sie die Kompetenzen zur theatralen Gestaltung und damit zur Abstraktionsfähigkeit erwerben.
Pinkerts Forderung, „die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Rahmung ist die Voraussetzung dafür, dass die Transformation von Performancekunst in einen Gegenstand von Lehre nicht reduktionistisch vorgeht, sondern an der Komplexität und dem Charakter der Kunstform orientiert bleibt.“ (110) verkennt vollkommen, wie Menschen lernen. Sie lernen nicht, indem man sie durch Konfrontation mit hochkomplexen und widersprüchlichen Systemen konfrontiert. Dies führt zwangsläufig zu einem Gefühl der Überforderung und in Folge zur Demotivation und Ausstieg. Die Kunst, Theater zu lehren, besteht genau darin, Lernsettings zu kreieren, in denen die Lernenden einen Chance erhalten, sich Komplexität und Widersprüchlichkeit von Systemen Schritt für Schritt in für sie überschaubaren Kontexten zu nähern und herausgefordert werden, damit Erfahrungen zu machen, die selbstverständlich auch häufig reflektiert werden. Diese Vorgehensweise hätte eine Didaktik für Theater auszuformulieren.
In der Beschreibung der ihren Seminaren zugrunde liegenden Vorstellungen und in ihrer Didaktik gemachten Annahmen und Setzungen für eine Unterrichtsstruktur bzw. für eine Seminar-Dramaturgie folgt Pinkert allgemeinen Grundsätzen des Lernens, wie sie Didaktiken seit langem fordern und explizit und ausführlich auch in den Kursbüchern von Pfeiffer/ List angeregt werden und auch Pinkert als idealtypisch bezeichnet: Einführung, Theorie, Erprobung einzelner Verfahren und Bündelung durch eine eigenständige Anwendung, die keiner Linearität folgen, wie sie Pinkert kritisiert, sondern thematisch inhaltliche Lern- und Erfahrungsfelder aufbereitet, „die am Ende in einer projektorientierten Rahmung gebündelt werden.“ (112) Pinkerts Qualififzierung eines zwangsläufig lerntheoretisch begründeten modularen Aufbaus eines „Eins-nach-dem-Anderen“ als linear an einer handwerklich orientierten Didaktik erfasst nicht die in den Kursbüchern in Lernchancen transformierte Didaktik für Theater, die der Komplexität des Phänomens Theater vollumfänglich Rechnung trägt. Pinkerts Versuch, einen Dissens zu konstruieren, schlägt hier fehl.
Es ist nun erstaunlich, dass nach anfänglich eher verklärenden als differenzierenden theoretischen Setzungen Pinkert nun eine Seminar-Praxis beschreibt, die in ihren didaktischen Setzungen ziemlich genau dem entspricht, was die Kursbücher anregen. Allerdings unterlässt es Pinkert nicht, ihre didaktische Konzeption immer wieder abzugrenzen von einer vermeintlich handwerklich orientiert Didaktik, die angeblich auf einer Meister-Schüler-Abhängigkeit aufbaue, während sie als Seminarleiterin dies nicht so sehe, und angeblich ihre Tätigkeit auf „didaktische[s] Transformieren, Problematisieren und Aufgaben-Formulieren“ (113) beschränke und die Studierenden bereits als „Expertinnen und Experten ihrer eigenen Praxis“ deklariert, diese aber in Wirklichkeit noch nichts gelernt haben. Es geht um eine Etablierung „eines offenen Experimentierraums“ (113). Ja, der darf aber nicht der Beliebigkeit Tür und Tor öffnen! Ja, und die Ergebnisse eines Theater-Unterrichtes, der es den Schülern erlaubt, das Handwerkszeug zur Erstellung ästhetischer Prozesse und Produkte in unterschiedlichen Erfahrungsfeldern, sprich: Modulen, kennen und erproben zu lernen, gestalten sich als ästhetische Prozesse und ästhetische Produkte auch „immer wieder etwas anders.“ (111) Das ist aber seit langem tradiertes Erfahrungswissen vieler Theater-Lehrkräfte.
In den von Pinkert beschriebenen Aufgaben inklusive ihrer Wissensvermittlung an die Studenten wird sie nun in ihren Forderungen (als Lehrmeister!) an das, was die Studenten zu leisten und zu erbringen haben, sehr konkret (vgl. die Aufgabenformulierung auf den Seite 114-115). „Dabei geht es nicht um eine ‚Anwendung’ von Theoriewissen auf Praxisbeispiele, sondern um eine aktive Auseinandersetzung mit einem praktischen Wissen, das sich nur im Tun erschließt.“ (115) Auch hier sei die Frage erlaubt: Wo ist jetzt der grundlegende Dissens?
Hirte, Marion: Dramaturgisch denke – eine Herausforderung für die theaterpädagogische Ausbildung 123
Hirte (Professorin für Schauspiel an der UdK Berlin) sieht sich selbst mehr als Praktikerin, denn als Wissenschaftlerin (129) und vermittelt in ihren Seminaren “Einblicke und Wissen über die wesentlichen theatergeschichtlichen Epochen anhand exemplarischer Beispiele.“ (124) Im Seminar diskutieren die Studenten von Hirte vorgegebenen Stücke und „analysieren Handlungsaufbau, Figurencharakterisierung, szenische Struktur und Sprache sowie die Darstellung und die Verhandlung thematischer Elemente (hermeneutische Interpretation).“ (124) An ausgewählten Beispielen von Stückschlüssen und End-Setzungen sowie Erzählbögen macht Hirte dramaturgisches Denken und Erzählen und dessen Konsequenzen besonders deutlich und relevant. Sie will damit bei ihren Studenten „ein Bewusstsein für die dramaturgischen Entscheidungen und inszenatorischen Interpretationen“ wecken. (125) Problematisch bei ihrer Lehre findet Hirte, „dass es den Studierenden häufig an Maßstäben fehlt. […] Bewusstsein, Wahrnehmung und Beschreibungsmodalitäten müssen hier erst geübt und ausgebildet werden.“ (125) Ja, woher sollen sie es können? Das ist der Zweck einer Ausbildung; es zu üben und zu lernen.
Hirte hat ihr Seminarkonzept weiterentwickelt und favorisiert nun einen stückbezogenen Dreischritt: „Stückanalyse – Inszenierungsbeispiele und deren Analyse – eigene Konzeption.“ (129) Sie beklagt bei KollegInnen eine „Scheu vor literarischen Texten“, manche Konzepte umgingen „die literarische Vorlage völlig.“ (130) Auch sei mehr Zeit notwendig, damit die Studenten selbst Inszenierungen erarbeiten könnten. Was aber ist die Lösung, wenn eben nicht mehr Zeit zur Verfügung steht?
Vogt, Annika: Was geht hier eigentlich vor? Koordinaten einer Didaktik der Spielleitung 132
Vogt (Dozentin für Theaterpädagogik und Ästhetische Bildung an der UdK Berlin) startet ihren Beitrag mit der zentralen Frage: „Wie versetze ich Lernende ins Spiel und in ästhetische Erfahrungsprozesse und wie kann ich diesen Vorgang gleichzeitig transparent machen.“ (132) und stellt klar, dass sie unter dem Begriff „Theater“ in ihrem Beitrag nur „zeitgenössisches performanceorientiertes Theater“ (132) verstehen will. Eine Erklärung für diese eigenwillig-abwegige Definition gibt sie nicht. Unter „Spielleitungsvermittlung“ will Vogt verstehen, wenn „eine erfahrene Person anderen Personen mit weniger Erfahrung fachliches Wissen und Erfahrungswissen weitergibt. Dieses Wissen wird nicht nur rein theoretisch und diskursiv vermittelt, sondern auch und vor allem handlungsorientiert, also durch Erfahrung im Spiel“, um „’Theater- und Bildungsprozesse miteinander hervorzubringen.’“ (133-134) Vogt will „grundsätzliche Ansätze einer Lehre der Spielleitung“ (135) durch die Beantwortung der Frage “Wie kann ich das Lehren erlernbar machen?“ (135) formulieren und erkennt, dass der Vermittlungsprozess selbst „kunsthaften Charakter“ (136) bekommt. Dieses „Lehren von Spielleitung greift auch die Theorie des forschenden Lernens aus, verbunden mit Eigenaktivität und Selbsttätigkeit, Selbstorganisation und Selbststeuerung sowie Autonomie und Selbstbestimmung.“ (136) „Der experimentelle Modus des Erprobens gilt nicht nur für die Lernenden, sondern die Lehrperson ist selber in diesem Modus.“ (136) Ecksteine von Vogts Lehre, das Lehren zu lernen, sind „Prozesse des allmählichen Kompetenzaufbaus und der Kompetenzentwicklung“ in den sechs Konzepten: „Subjekt, Raum, Körper, Material, Zeit und Sprache/Sprechen.“ (139-142)
Klimant, Tom: Theaterdidaktik. Ausbildungskonzept und Forschungsperspektiven einer Fachdidaktik theatraler schöpferischer Prozess 149
Klimant (Akademischer Rat am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Bayreuth) skizziert die Merkmale einer Didaktik für ein Studium der Theaterpädagogik bzw. des Darstellenden Spiels in Bayreuth, die nicht nur Begründungszusammenhänge für Lernfelder angehender Theater-Lehrkräfte, sondern auch Theater-Pädagogen bereitstellt, die sich in nicht-schulischen Kontexten professionalisieren wollen. Der Fokus liege dabei auf der Aufgabe des Studienganges, die Studierenden zu befähigen „nicht-professionelle […] Darstellerinnen und Darstellern [zum] Theaterspiel in Bildungskontexten“ anzuleiten. (150) Es müssten „zukunftsorientiert Bildungskonzepte und die damit verbundenen Steuerungsinstrumentarien zielführender Lehr-Lern-Arrangements“ (150) entwickelt werden. Eingeschlossen seien Überlegungen zur Unterrichts-Planung, -durchführung, -beschreibung und -reflexion.
Meyer, Karl-A. S.: Theater in der Schule. Einblicke – Ausblicke 163
Meyer (Theater-Lehrkraft und Lehrbeauftragter an der UdK Berlin) vermittelt in seinen Reflexionen drei Perspektiven, die ihn als besonders qualifiziert erscheinen lassen, wenn es darum geht, Positionen einer Didaktik für Theater zu formulieren. Er unterrichtet das Schulfach Theater, er arbeitet in nicht-schulischen (auch internationalen) Kontexten als Spielleiter und er bildet Theater-Lehrkräfte und -Pädagogen aus. Etwas zu bescheiden formuliert er aber als Anspruch seines Beitrages „keine pädagogisch-didaktische Erörterung“ (163) leisten zu wollen, sondern will stattdessen „Möglichkeiten“ aufzeigen, wie er sie in seinem speziellen Berufsleben erfahren habe. Tatsächlich leistet sein Beitrag aber so erheblich mehr Substanzielles zur Konstruktion einer Didaktik für Theater als die bisherigen und einige der noch folgenden Beiträge, und vielleicht gerade, weil seine Perspektive nicht so sehr beschränkt ist, wie eine rein theoretische Betrachtung es Phänomens durch eine weitere Zusammenstellungen und Verweiskultur auf Aussagen, die bereits vielfach an anderen Stellen gemacht wurden. Meyer verkörpert durch seine Professionalität die entscheidenden Schnittstellen und ihre Interdependenzen. Folgerichtig holt er die relevanten Einflussgrößen in den Fokus, ohne die eine Didaktik für Theater nicht auskommt. Es setzt sich auseinander mit curricularen Vorgaben, mit den institutionellen Grenzen von Schule und den Möglichkeiten von freier Theaterarbeit. Er beschreibt die übergeordnete Bedeutung von Theaterarbeit als kulturelle Bildung und beschreibt entsprechende bildungspolitische Forderungen ganz praktisch in erfolgreichen Projekten. Ja, so geht’s. Und das kann Mut machen, sich als Theater-Lehrkraft und -Pädagoge ins Zeug zu legen. Dass ihm seine Musikausbildung bei seiner Arbeit hilft, ist da nur natürlich, und das Plädoyer nach Interdisziplinarität nur zu verständlich und berechtigt. Meyer verdichtet seine komplexen Erfahrungen in drei Thesen, die er als Hinweis verstanden wissen will, „wie Theaterspielen als flüchtige Kunst zu einem nachhaltig gelungenen Ereignis gemacht werden kann.“ (172) und formuliert damit grundlegende Eckpunkte, die gleichermaßen als das Gebäude einer Didaktik für Theater rahmen: „Soll das Theaterspiel auch bei weniger erfahrenen Spielerinnen und Spieler gelingen, so bedarf es einer entsprechenden Vorbereitung auf das Ereignis, die gewährleistet, dass Anforderungen und Können der Spielenden in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Soll das Spiel intensiv und als ein Akt der freien Wahl erlebt werden, dann muss gewährleistet sein, dass die Spielenden für eine gewisse (verabredete) Zeit und innerhalb des gemeinsam verabredeten Rahmens spontan, eigenständig und ohne Fremdbestimmung Agieren und reagieren können.
Soll Theaterspiel zu einem verwertbaren Erfahrungs- und Erkenntniszuwachs führen, dann braucht es die Phase der Reflexion.“ (172)
Meyer sieht in der Auffächerung der postdramatisch-performative Spielweisen nach Kirby eine angemessene Möglichkeit Amateure ins Spielen zu bringen (vgl. 174). Theater-Lehrkräfte und -pädagogen sollten sich aufgrund ihrer speziellen Einbindung in ästhetische Arbeitsprozesse mit Kindern und Jugendlichen eher als Komponisten verstehen, die nicht nur aus genauer Beobachtung ihrer Schützlinge diese animieren, ihre Potenziale zu zeigen und zu entfalten, sondern auch über die Fachgrenzen hinweg sich mit angrenzenden Bereichen vernetzen.
Jurké, Volker: Theater liebhaben und Theater lehren 182
Jurké (Theater-Lehrkraft und Lehrbeauftragter für Fachdidaktik Theater an der UdK Berlin) stellt fest, dass es „weder die Fachdidaktik noch die Fachmethodik für das Schulfach Theater“ gibt. (182) Es gebe dagegen „praxisbezogene Konzeptionen der Vermittlung, die unterschiedliche Schwerpunkte“ setzten. (182)
Zwischenfrage: Was ist eine Didaktik anderes als ein Begründungsrahmen für praxisbezogene Unterrichts- und Vermittlungs-Konzeptionen? Eine Didaktik stellt genau die praxisorientierten Fragen nach dem WAS und dem WIE bzw. versucht entsprechend anregende Formulierungen zur Beantwortung zu geben.
Die eine Richtung benutze laut Jurké Theaterunterricht als Vehikel, um „formale“ [!] (183) Kompetenzen wie „vornehmlich besondere menschliche Qualitäten, soft skills, social skills, Schlüsselkompetenzen usw.“ zu entwickeln. Die andere Konzeption präferiere eine „künstlerisch-ästhetische Bildung“ (183) Warum Jurké grundlegend menschliche Kompetenzen als „formal“ bezeichnet, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
Die von Jurké hier vorgenommene rein theoretisch-analytische Trennung kann allerdings kein ernsthafter Differenzierungsgrund sein, da sich in ihr lediglich bestenfalls zwei Seiten einer Medaille darstellen. Kulturelle Arbeit definiert sich schlichtweg genau dadurch, dass sie in wunderbarer Weise genau die Aufhebung dieser auch theoretisch nicht haltbaren Trennung überwindet. Kulturelle Praktiken sind ihrem Wesen nach immer auch ästhetische Praktiken, egal welchen Qualitäten man sie zuordnet. Entscheidend ist, dass kulturelle Arbeit als bewusst gestaltendes Phänomen begriffen und gelebt wird und diese Kompetenz in der Ausbildung zur Theater-Lehrkraft als Anleitungskompetenz ‚gelehrt“ bzw. erworben wird.
Im Folgenden skizziert Jurké seine Arbeitsweise auf der Studienordnung der UdK aufbauend, die in allen grundlegenden Setzungen einer modernen Didaktik des Theaters entspricht und als Maßstab für Theater-Unterricht in Schulen seit vielen Jahren Geltung beansprucht, und die natürlich (noch) nicht von allen ausgebildeten und nicht-ausgebildeten Theater-Lehrkräften entsprechend beachtet wird (vgl. auch Jurkés Fragensammlungen auf den Seiten 186 und 187). Neuralgischer Punkt, und von Jurké sorgfältig ausgeklammert, das Reizthema Benotung. Aber dazu gibt es ja seit langem andernorts zahlreiche hilfreiche Ausarbeitungen.
Kup, Johannes: von der Bildung einer Haltung. Für eine reflexive Didaktik des Schulfachs Theater 193
Kup (Wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Studiengängen Theaterpädagogik und Darstellendes Spiel an der UdK Berlin) setzt sich in seinem Beitrag u.a. mit der Rolle auseinander, die die Theater-Lehrkraft in der Schule spielt, und in welcher Weise Studierende darauf vorbereitet werden können. Dabei verkennt er allerdings den grundsätzlichen Auftrag, den Schulen haben, die Schüler weitestgehend selbstständig zu machen, was in entsprechenden Kompetenzbeschreibungen zum Ausdruck kommt, wenn er vor der Gefahr warnt, gerade bei partizipatorischem Theater-Unterricht, „die Verantwortung von dem Lehrer hin zu den Schülern“ zu verlagern. (199) Es müsse vermieden werden, dass „auch die Verantwortung für den künstlerischen Prozess und das ästhetische Produkt an die Schülerinnen und Schüler delegiert wird.“ (199) Wie sollen Schüler zur ernsthaften Selbstverantwortlichkeit und Selbstständigkeit, ästhetische Prozesse zu organisieren, darin ein Funktion, eine Rolle, einen Arbeitsbereich zu übernehmen, angeregt werden, wenn sie am Ende die Verantwortung dafür wieder durch die Lehrkraft weggenommen bekommen, so wie es u.a. auch Weig empfiehlt? (Vgl. Weiterführendes) Die Angst des Lehrers vor dem Kontrollverlust! Das ist keine emanzipatorische Ausgangs-“Position“! Auch nicht mit dem vorgeschobenen Argument, aber dann leide doch die ästhetische Qualität des Produktes. Die leidet nur, wenn die Lehrkraft während der monatelangen Proben ihren Job nicht gemacht hat. In dem Vertrauensbeweis von Delegation und Verantwortungsteilung bzw. -abgabe zeigt sich letztlich die Kompetenz der Lehrkraft, ob sie es geschafft hat, eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre gemeinsam mit der Lerngruppe hergestellt zu haben, oder ob alles nur „gespielt“ war.
Hentschel, Ulrike: Theater lehren –Theater lernen – Theater probieren. Überlegungen zu einer praxeologischen Didaktik der Theaterpädagogik 202
Hentschel (Professorin für Theaterpädagogik und Darstellendes Spiel an der UdK Berlin) sieht in Bezug auf eine Didaktik für Theater drei Anwendungsgebiete, zu einem als Hochschuldidaktik für eine Grundlegung eines theaterpädagogischen Studiums und des Lehramtsstudiengangs Theater für angehende Theater-Lehrkräfte und zum anderen als Schuldidaktik für Theater-Unterricht in Schulen und außerschulischen Kontexten. Immer geht es dabei um die Befragung des Theorie-Praxis-Verhältnisses auf der einen und des Verhältnisses von Kunst und Pädagogik auf der anderen Seite. Als abwegig erscheint Hentschel die idealisierende Vorstellung, dass sich in der Lehr-Person – die anwenden könne, was sie wisse und begründen könne, was sie tue – eine bruchlose Vorstellung von Theorie und Praxis möglich sei, und verweist dabei aber auf den tatsächlichen Knoten, in dem alle Fäden letztlich zusammenlaufen, in der Person der Lehrkraft, die diese Fäden verknüpfen bzw. zusammenhalten sollte.
Der Schlüssel für die Umsetzung einer Didaktik für Theater liegt also letztlich in der Hand eines vielseitig kompetenten Lern-Managers. Der Begriff „Manager“ soll in diesem Fall keine Assoziationen an gewerbliche Zusammenhänge wecken, sondern auf die rein funktionale Tätigkeit hinweisen im Sinne von organisieren, bewerkstelligen, auf die Reihe bringen, unterstützen und betreuen. Insofern besteht die Kunst des Theater-Lehrens durch die Theater-Lehrkraft offensichtlich darin, mit Hilfe einer entwickelten Didaktik für Theater die Fäden des Abstrakt-Theoretisch-Wissenschaftlichen zu verweben mit dem Anwendungswissen des Technisch-Handwerklich-Methodischen. Dabei soll das Bild der Verknüpfung von Fäden deutlich machen, dass geringfügigste Impulse innerhalb dieses Netzwerkes sofort spürbare Auswirkungen auf alle anderen Komponenten innerhalb dieses als Ideal gedachten Verbundes haben.
Ein Blick auf die Realität zeigt, dass es noch viel zu weben gibt, da der überwiegende Teil der sich wissenschaftlich-theoretisch mit dem Thema Beschäftigten die Wirklichkeit der Praxis des Unterrichtens (noch) nicht angemessen ins Auge gefasst haben. Das Netz scheint bisher nur aus wenigen Fäden zu bestehen, die von Personen gesponnen worden sind, die in beiden Welten über Kompetenzen und vor allem Erfahrungen verfügen. Die immer öfter zu hörende Forderung aus dem Bereich der theoretischen Wissenschaft nach einer Empirie von Theater-Unterricht als Untersuchungsgegenstand unterstreicht dies und markiert deutlich das Desiderat: „In welcher Weise theaterpädagogische Praktiken […] gelesen werden können, […] kann letztlich nur durch eine gezielte Praxisforschung geklärt werden.“ (217), weniger durch „Praxistheorien“ (216). Vgl. u.a. die Studie über einjährigen Unterricht von ca. 46 ausgebildeten Theater-Lehrkäften aus acht Bundesländern nach einem einheitlichen Unterrichtskonzept; im Gegensatz zu Studien, die einen beliebigen einzelnen Theater-Untericht auf ihre Wirkung hin untersuchen.
Hentschel will folgerichtig „einzelne Praktiken der theaterpädagogischen Arbeit […] beleuchten und dabei vor allem die ‚Wanderungen’ in den Blick“ […] nehmen, mit denen sie die Wissensordnungen der künstlerischen und der didaktischen Praxis verknüpfen.“ (217) „Dazu ist zunächst anzumerken, dass die benannten Praktiken im Prozess des Theaterlehrens und -machens aufeinander bezogen sind. Sie treten selbstverständlich nicht so isoliert auf, wie es den Anschein haben mag, wenn sie hier aus heuristischen Gründen als einzelne Elemente eines komplexen Prozesses auseinander gelegt und sukzessive vorgestellt werden. Entsprechend ist die Zuordnung einzelner Seminarbeispiele zu diesen Praktiken nicht linearer oder zwingend zu verstehen. Jede Zuordnung nimmt eine Fokussierung des Beispiels vor. Unter einer anderen Perspektive ließe sich das jeweilige Beispiel auch anderen künstlerisch-didaktischen Praktiken zuordnen.“ (218)
Als Schlussfolgerung ergibt sich aus Hentschels erstem Beispiel, einem „didaktischen Projekt“ in Bezug auf die Arbeit mit Objekten einer Ausstellung eines Museums, ein „grundlegendes Merkmal einer Didaktik der Theaterpädagogik […], die künstlerische und didaktische Praktiken miteinander verbindet“, nämlich die mit einem Perspektivenwechsel verbundene Differenzerfahrung zwischen der „eigenen performativen Gestaltung (Teilnehmerperspektive) und der Vermittlung gegenüber den Zuschauenden (Theaterperspektive).“ (222-223) Störend bei Hentschels Suche nach einer Didaktik für Theater zeigen sich z.B. in Einschüben und Verweisen auf ein angeblich „didaktisch übliche[s] Verhältnis von Fragendem und Befragtem“, in dem der „Wissende […] den Unwissenden [fragt]“ und „dann die Antwort nach den Kriterien ‚richtig’ oder ‚falsch’“ beurteilt. (225-226; Hervorheb. v. V.L.) Zu fragen wäre, warum Hentschel hier eine längst veraltete Vorstellung von Didaktik als Maßstab für ihre Kritik nimmt und sich nicht an seit vielen Jahren längst fest etablierten modernen Didaktiken des forschenden Lernens orientiert, wie sie seit Jahrzehnten z.B. schon in Grundschulen die Regel sind. Weiterhin wäre zu fragen, warum Hentschel immer dann, wenn sie sehr konkret in der Beschreibung ihrer Beispiele wird, in denen sie didaktische Umsetzungen beschreibt, Sammelaufzählungen für Anweisungen für theatrale Gestaltungsmöglichkeiten, Techniken, Methoden und Verfahren vornimmt: „Vergrößerung und Verkleinerung, Verlangsamung und Beschleunigung und ihre Übertragung auf verschiedene Ebenen des Raumes“ (229), „Wiederholen und Variieren, Verlangsamen oder Beschleunigen, […] Verfremdung“ (225), Wechseln „zwischen epischen und dramatischen Momenten, zwischen Kommentar und Präsentation“ (225) usw. Eine „praxeologische Theorie“ sollte insbesondere genau auf diese Verfahren eingehen und sie entfalten, weil in ihnen der Schlüssel zu Gestaltung liegt, die aus allem erst Theater werden lässt.
Projektarbeit
Fuchs, Anita: Der Raum als Impuls. Ausstattungsberatung in theaterpädagogischen Projekten 238
Fuchs (Bühnenbildnerin) will aus der Vielfältigkeit ihrer Tätigkeiten heraus als Ausstatter, Ideengeber, Text-Analytiker, konzeptionell Beratender, Handwerker, Techniker, Organisator, Teamplayer, Näh- und Malkünstler die Frage beantworten, wie sie in der Ausbildung von Lernenden für diese zielführende Impulse geben kann, um sie im Prozess der Ideenfindung zu inspirieren und anzuregen eigenständig kreativ zu denken und zu handeln. Exakt das ist auch die Fragestellung mit der sich Theater-Lehrkräfte aus ihrer Kompetenz heraus als Lernprozessinitiatoren in theatralen Feldern grundsätzlich auseinandersetzen müssen. Fuchs’ Arbeitsziel „ist die Inszenierung emotionaler Welten im dreidimensionalen Raum“ und die Übersetzung „narrative[r] Strukturen in publikumsorientierte Raumstrukturen.“ Ihre Studenten sollen am Ende „eine künstlerische Leistung in außerordentlicher Qualität erbringen.“ (239) Fuchs erläutert zunächst ihr „Baukasten“-Prinzip, wobei sie alle Projekt-Bausteine und „Tools“ vorstellt, Element, aus denen der theatrale Raum zusammengebaut wird.
Jenni, Ursula: Projektorientierung als Prinzip in der Didaktik der Theaterpädagogik 248
Jenni (Theaterpädagogin und Gastdozentin im Studiengang Darstellendes Spiel und Theaterpädagogik an der UdK Berlin) stellt sich die Frage „nach den spezifischen Inhalten des Theaterprojekts und daran anschließend, welche bildenden Effekte sich aus der Projektform ergeben können.“ (248) Sie beleuchtet die seit Dewey hinlänglich bekannte Arbeitsform in ihren vielfältigen Facetten und Wirkungen.
Rothe, Katja: Frechheit bitte! Kulturproduktion als Studieninhalt im Studiengang Theaterpädagogik 259
Rothe (Juniorprofessorin für Theaterwissenschaft an der UdK Berlin) untersucht in ihrem Beitrag „die Forderung nach einem kulturwissenschaftlichen Überdenken des Kulturmanagements, in dem vor allem auch die künstlerischen Produktionsbedingungen in ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen reflektiert wird.“ (260)
Theaterpädagogik studieren
Barzel, Laura/ Kohlhoff, Laura: Lernende werden Lehrende. Eine Brücke zwischen Theater-Studium und Lehreralltag 266
Barzel (Theaterlehrerin) und Kohlhoff (Theaterlehrerin) sind beide Absolventinnen des Studienganges Darstellendes Spiel an der UdK Berlin. Die Erwartung, nun endlich etwas darüber zu lesen, wie denn nun genau Theater-Unterricht geht, so die Behauptung am Anfang, wird aber enttäuscht. Theater-Unterricht wird nicht beschrieben, sondern ein paar kleine Ausschnitte aus dem Erlebnishorizont der Referendarinnen aus Theater-AG-Arbeit geschildert und Plaths Theater-Analogie in Bezug auf die allgemeine Beschreibungen der Rolle der Lehrkraft wiederholt. Die zukünftige Theater-Lehrkraft solle selbst Theater am eigenen Leib erlebt haben (ja, was sonst?). Einzelkompetenzen seien schwer erfassbar. Es komme vielmehr darauf an, „eine grundsätzliche Haltung gegenüber dem Fach Theater zu entwickeln.“ (266) – Die Angst des Theoretikers vor der Konkretion.
Der Beitrag erschöpft sich in einer sehr allgemeinen Beschreibung des Ablaufs eines Projektes: „Zu wissen, wie man ein Theaterstück auf die Bühne bringt und im Team von A bis Z erprobt, ist ein wichtiges Gepäckstück im Theaterkoffer. Dazu gehört es, die jeweilige Gruppe kennen zu lernen, ein gemeinsames Thema zu finden, sich auf eine Herangehensweise zu einigen, zu proben, Material zu generieren, immer wieder zu reflektieren, Szenen und zu verwerfen, zu verändern und zu festigen und am Ende den Höhepunkt – die Aufführung selbst – zu erleben. Ein Ablauf, der sich so oder ähnlich in der zukünftigen Theaterarbeit immer wiederholen wird, ob in einer freien Form oder im konkreten Theaterunterricht.“ (268) Auch scheint ein wenig klarer Kompetenzbegriff dieser Form von Arbeitsbeschreibung zugrunde zu liegen, wenn z.B. die Kompetenz zu improvisieren als „grundsätzliche Haltung“ beschrieben wird, die im Studium erworben werden kann und diese „grundsätzliche Haltung“ im nächsten Satz aber als Kompetenz beschrieben wird: „Und es kann nur funktionieren, wenn das nötige Handwerkszeug dazu gelernt und verinnerlicht [Hervorheb. v. V.L.] wurde, so dass es ohne große Überlegungen eingesetzt werden kann.“ (268-269) Ohne einen klaren Kompetenzbegriff ist aber schlecht Unterricht zu erteilen. Schade, dass die Chance nicht genutzt wurde, in einem Reader mit dem Anspruch, Didaktik für Theater zu formulieren, einmal einen Nachweis zu erbringen, in welcher Weise eine Didaktik für Theater tatsächlich und konkret Grundlage für Theater-Unterricht sein und Form-Angebote machen kann. – Die Angst des Theoretikers vor der Konkretion?
Lakowski, Mira: Du, jetzt, hier. Performance lernen, Performance erarbeiten, Performance lehren 272
Lakowski (Theaterpädagogin) macht während ihrer Ausbildung an der UdK durch eigenes Scheitern die Erfahrung, dass eine Spielleitung auch tatsächlich zu leiten und zu führen hat, und andererseits muss sie den Lernenden auch immer wieder Freiräume für eigene kreative Gestaltungsarbeit geben. Das ist aber ein seit Jahrzehnten bekanntes Grundprinzip einer modernen Didaktik. Schade dass Lakowski ein ganzes Semester vertun musste, um eine Erfahrung zu machen, die bereits seit langem in Theaterschulbücher als wesentliche Grundlage ausführlich beschrieben ist. Umso irritierender ist, dass Lakowski in Leitungsfunktion Übungen aus genau dem Theaterschulbuch (Kursbuch Darstellendes Spiel) beschreibt, das auch weitere grundlegende Hinweise dafür anbietet, WIE Theater gelehrt werden kann. Ein breiterer Blick über den Tellerrand in Richtung (theater-)pädagogischen Arbeitens im Theater-Unterricht und Nutzung der hier gemachten Erfahrungen wäre möglicherweise hilfreich gewesen.
Neemann, Bodo: Vom Erfahren und Initiieren ästhetischer Prozesse 279
Neemann (Theaterpädagoge) will in seinem Beitrag sein Studium an der UdK Berlin „Revue passieren lassen“ und daran aufzeigen, wie er selbst ästhetische Prozesse erfahren hat und wie er versucht, diese nun erfahrbar zu machen. (279) Neemann wiederholt die seit vielen Jahren hinlänglich bekannten Arbeitsschritte in einem Theaterprojekt: Kennenlernen, Vertrauen aufbauen, Thema finden usw. usw., wobei ihm hilft, während des Studiums eine Vielzahl von ästhetischen Formen kennen und erproben gelernt zu haben. In Bezug auf die Themensuch gibt Neemann seiner Gruppe „zum Thema passende Startpunkte vor, z.B. Texte, Musik, Geschichten, Bilder und anderes Material. Dazu finden die Teilnehmer erste Vorschläge und Versuche.“ (280) Nemann zeigt dann „eine Vielzahl von Wegen [auf,] wo die Reise hingehen könnte.“ (281) Dadurch würden die Teilnehmer „merken, dass ihre Vorschläge und Versuche nicht nur Spielereien sind, sondern ihnen ästhetische Qualitäten innewohnen können.“ (281) Neemann beschreibt ein offensichtliches Manko seiner Ausbildung zum Theater-Pädagogen, von allem nur ein bisschen zu können. Dabei zählt er die wesentlichen Elemente des Theater-Machens auf: Es brauche „nicht nur Schauspiel, Bühnenspannung, Selbstsicherheit, nicht nur Performance-Qualitäten, Stimme und Aufmerksamkeit. Es braucht Übergänge, dramaturgische Bogen, ästhetische Entscheidungen über Darstellungsformen. Es braucht Toneinspielungen und Technik, Lichtstimmungen und Texthefte, Ordnung auf und hinter der Bühne. Und dann noch alles drum herum: Organisationen, Diskussionen in ästhetischen und sozialen Belangen, Abrechnungen, Probenpläne.“ (281) Der entscheidende Part, der sicherlich einen großen Anteil in der Ausbildung haben sollte, wenn nicht sogar den größten, der eine schlüssige Antwort auf die Frage gibt: WIE unterrichte ich das selbst Gelernte? fehlt bzw. ist unterrepräsentiert. Das hat für den professionellen Alltag später Konsequenzen, z.B. hinsichtlich Zeitmanagement, Verantwortungsabgabe, Benotung.
Rode, Anna-Lena: Über das Beobachten und Beschreiben 284
Rode (Theaterpädagogin) schildert in ihrem Beitrag, dass ein wesentlicher Schwerpunkt darin bestand, das Beobachten zu erlernen: „Doch das Beobachten und Wahrnehmen sind für mich die größten und intensivsten Erfahrungsräume, die das Studium für mich geschaffen hat. Mit etwas Abstand verstehe ich jetzt auf eine neue Art und Weise, warum unser Unterricht zum Beispiel aus Feldenkrais-Stunden bestand, in denen wir am Boden lagen und die eigene Körperhälfte in unserer Wahrnehmung mit der anderen verglichen, oder warum wir Rezensionen schrieben, warum wir unsere Stimmen analysierten und ausprobierten, warum wir tanzten und uns auf ungewohnter Weise bewegten, konzipierten, theoretische Texte lassen, uns stritten über die Theaterpädagogik und natürlich auch, warum wir stundenlang beobachteten, wie wir durch die eine Tür herein und die andere wieder herausgegangen sind.“ (285) Leider auch keinerlei Erfahrungen und Reflektion, WIE das Gelernte an Schüler vermittelt werden könnte.
Jetzt-Momente lehren. Uta Plate Im Gespräch mit Eliana Schüler und Lukas Müller 286
Plate (Theaterpädagogin) und Schüler (Theaterpädagogin) Müller (Theater-Lehrer und -pädagoge) sprechen über die Schwerpunkte der theaterpädagogischen Ausbildung. Plate formuliert, dass sie bei einer schriftlichen Fixierung dessen, was sie als Leitung macht, große Schwierigkeiten habe, weil es immer um „Jetzt-Momente“ (286) gehe. Außerdem falle ihr eine Relativierung ihres Tuns sehr schwer, da sie noch nie bei anderen Lehrern hospitiert habe. Zentral für Plates Lehre sei der Raum für einen Blick auf ihre Ethik und ihre Haltung. Schwerpunkt ihrer Arbeit und Vermittlung in der Lehre, „die Gruppe in ihrem sozialen Miteinander zu stärken“ und ein „Grundvertrauen“ zu schaffen. (287) In den Proben und Seminaren kommt es Plate auch darauf an, dass ihre Studenten lernen, „Qualität zu beschreiben, und das habe viel mit „Theaterhandwerk“ zu tun, ohne Geschmackskriterien in die Bewertung einfließen zu lassen. (287)
Plate besteht darauf, obwohl sie größten Wert auf die Erarbeitung eines Gemeinschaftsproduktes in einem Gemeinschaftsprozess legt (287-288), kurz vor Ende des Probenprozesses eigenmächtig über die Köpfe des Ensembles hinweg Änderungen am gemeinsam erarbeiteten Stück vorzunehmen, was zwangsläufig das mühsam aufgebaute Vertrauen wieder zerstört und den künstlerisch-pädagogischen Prozess unglaubwürdig macht: „’Du hast doch immer gesagt, das ist unser Stück und wir können machen, was wir wollen und auf einmal können wir das gar nicht mehr.’“ (289) Ein solches Verhalten ist vor der Gruppe nicht zu rechtfertigen und die Lehrkraft erweist sich damit als nicht vertrauenswürdig und zuverlässig, da sie sich nicht an ihre eigenen Vorgaben hält. Eine ähnlich absurde Forderung, die das Vertrauensverhältnis untergräbt, stellte bereits Weig auf. In solch einem Fall hat die Lehrkraft ganz offensichtlich auch während des Arbeitsprozesses wichtige Schritte verschlafen, in denen sie das Ensemble so weit kompetent hätte machen müssen, damit sie am Ende nicht noch „korrigierend“ eingreifen muss. Die immer wieder zu hörende Forderung, das sich pädagogischer und künstlerischer Prozess die Hand reichen und verschränken müssten, wird hier klar konterkariert durch ein nicht zu rechtfertigendes autoritäres Eingreifen mit dem vorgeschobenen Argument, eine wie auch immer von der Lehrkraft präferierte ästhetische Qualität sichern zu wollen. Letztlich handelt es sich schlichtweg um ein Versäumnis der Lehrkraft im Verlaufe des ästhetischen Arbeitsprozesses, um die Angst vor Delegation und Verantwortungsabgabe an das gesamte Ensemble und die Angst, Verantwortung für den Gesamtprozess mitzutragen, auch dann, wenn das Produkt am Ende von der Lehrkraft als minderwertiger eingeschätzt wird, als wenn sie in der Endphase nochmal selbst Hand angelegt hätte um das Ganze ihrer Meinung nach erst „rund zu machen“. Hier scheiden sich ganz offensichtlich die Geister Pädagogik und Kunst, sind nicht miteinander vermittelt, denn es geht vermutlich auf Kosten der Schüler und führt u.U. zu einem dauerhaften Vertrauensverlust. Eine kontraproduktive autoritäre Seminarführung dieser Art bestätigt sich auch darin, dass die Seminarleitung nicht die Teilnehmer die Workshop-Themen mitbestimmen oder auswählen lässt, sondern nach egoistischem „Eigeninteresse, wie bei allem, was ich mache“ (289) bestimmt.
Statt eines Nachworts
Albach, Lena: Szenen einer Theaterprodutkion 296
Albachs (Theater-Lehrerin) Beitrag muss sich ebenfalls die Frage stellen lassen, welchen Mehrwert er für einen Diskurs zum Thema Didaktik für Theater erbringen sollte. Er ist nicht sichtbar. Der Rechtschreibfehler in der Überschrift hätte bei sorgfältigem Lektorat auffallen können.
Der Sammelband reiht in eher eklektizistischer Weise unterschiedliche Perspektiven aneinander, statt – und das hätte sich man als fachinteressierter Leser gewünscht – das Kernthema „Didaktik für Theater“ systematisch einzukreisen. Die Beiträge erschöpfen sich in vielfachen Wiederholung längst in anderen Publikationen zugänglichen Positionen und die eigentlich wichtige Frage, wie eine Didaktik für Theaterunterricht aussehen könnte wird bestenfalls am Rande gestreift; wie auch die Zahl der Theater-Lehrkräfte mit viel theoretisch reflektiertem Erfahrungswissen extrem unterrepräsentiert ist. Die teilweise unterstellte Gleichsetzung von traditioneller Theaterpädagogik mit schulischer Theatervermittlung führt dabei zwangsläufig zu undifferenzierten Aussagen, die einer intensiven Reflexion des Theorie-Praxis-Bezugs nicht genügen. Die Literaturverzeichnisse veranschaulichen, dass sich die Autoren überwiegend, wenn nicht ausschließlich auf fachwissenschaftliche Literatur begrenzen. Es findet so gut wie kein Blick über den Tellerrand des eigenen Horizonts hinaus statt in die realen Verhältnisse von Schulen und ernsthafte Auseinandersetzungen mit den dort vorzufindenden Widerständen und wie diese zu überwinden wären. Schwerpunkt in der Ausbildung zur Theater-Lehrkraft und zum -Pädagogen ist offensichtlich zu lernen, wie man selbst mit Amateuren ein Stück inszeniert, nicht das Lehren zu lernen, wie man seinen Schülern ermöglicht zu lernen, Theater selbst zu machen. Die Folge: Theater-Pädagogen wiederholen in ihrem Berufsalltag das, was sie selbst am Modell mit ihren Lehrern umfassender erfahren haben: Theater-Kunst zu machen, weniger das Theater-Machen als Kunst zu lehren. Diese scheinbar falsche Schwerpunktsetzung führt im Berufsalltag zur Offenbarung der bekannten Inkompetenzen. Theater-Pädagogen und -Künstler tun sich beispielsweise oft schwer mit den Zeitvorgaben, insbesondere der Regelschule. Es wird dann zuweilen apodiktisch gekontert: Kunst lasse sich nicht methodisiert in so enge Zeitraster pressen. Auch werden beispielsweise die Themen Kompetenzerwerb und Benotung noch weitgehend entweder tabuisiert und/ oder als destruktiv für einen ästhetischen Prozess gelabelt und der Diskurs verweigert. Eine erkenntnistheoretische Ableitung einer Forschungsfrage aus dieser widerständigen Realität müsste demnach als Desiderat lauten: Wie kann eine Didaktik und wie können Konzepte und Zielsetzungen so ausformuliert werden, damit eine sinnvolle Theaterkunst-Begegnung unter auch vordergründig sperrigen Verhältnissen möglich wird?
Der BVTS (Bundesverband Theater in Schulen) hat 2013 z.B. eine hilfreiche Anregung gegeben, die in der Ausbildung von Theater-Lehrkräften und -Pädagogen Beachtung finden sollte: Kerncurriculum Lehramtsstudium Darstellendes Spiel/Theater (Mindeststandards).
Weiterführendes
- List, Volker 2018: Die Kunst Theater zu lehren – Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung
- List, Volker 2013: Der Theaterlehrer, das unbekannte Wesen. Versuch einer Positionsbestimmung im Rahmen eines E-Mail-Gespräches. In: Spiel & Theater. Heft 191. April 2013. Weinheim: Deutscher Theaterverlag
- Habich, Ines 2013: Theaterpädagogen – Theatermacher 2. Klasse …? In: Wenzel, K.-H./ Frenzel, G. (Hg): Spiel & Theater. Heft 192 Oktober 2013: Weinheim: DTV: 27-29
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