Höhn, Jessica 2015: Theaterpädagogik. Grundlagen, Zielgruppen, Übungen. Leipzig: Henschel Verlag. 144 Seiten – Rezension
Höhn ist Expertin der Theaterpädagogik und will ihren Lesern mit ihrem Buch einen Blick über ihre Schulter gewähren und beschreibt, wie sie arbeitet.
Sie möchte auf alle Fragen, die sich während ihrer Arbeit stellten, Antworten geben, und Menschen einladen, „Theaterpädagogik selber auszuprobieren“ (S. 10); demnach ein Buch zur Anleitung von Praxis. Dies bezeugt auch ein schneller Blick auf das Inhaltsverzeichnis, in dem all das, was zum Themenbereich der Theaterpädagogik gehört, enthalten zu sein scheint bis hin zu Beschreibungen möglicher Zielgruppen, von Ausbildungswegen, Problemen der Freiberuflichkeit, der Finanzierung von Theaterprojekten, Honorarverhandlungen und ein nach entsprechenden Bereichen differenziertes Literatur- und Link-Verzeichnis. Checklisten zu den jeweiligen Kapiteln gestalten die Inhalte übersichtlich und zeugen von einem klaren Blick auf die breit gefächerte Arbeitswelt des Theaterpädagogen zwischen Kita und Pflegeheim, zwischen freier Theaterszene und Schule und zwischen Marketing am Stadttheater und Unternehmenstheater.
Zahlreiche Grafiken, Schaubilder, Tabellen und Fotos illustrieren die Ausführungen.
In übersichtlich gestalteten Kapiteln arbeitet Höhn relevante Bereiche der Tätigkeit eines Theaterpädagogen ab. Ihr Schwerpunkt ist nicht der theoretische Überbau der theatralen Kunst und die geschichtliche Herleitung ihrer Arbeit. Ihr Schwerpunkt ist das Theater-machen und die genaue Beschreibung, wie sie es tut. Viele Bemerkungen auch zu Problemen, die bei der Arbeit auftauchen können, zeugen von umfänglicher Praxiserfahrung und ihrer Kompetenz. Sie weiß, worauf man bei der Theaterarbeit mit Fünfjährigen achten muss und gibt praxisnahe Empfehlungen für den Umgang mit Demenzkranken in einem Theaterprojekt.
Wie sie ihre Aufgabe als Theaterpädagogin definiert, beantwortet Höhn kurz und klar: „Ich spiele mit Menschen Theater.“ und nennt wesentliche Merkmale eines Theaterpädagogen: „Demut und Hingabe […]: Leidenschaft für die Theaterkunst, Demut im Umgang mit Menschen und Hingabe zum Spiel.“ (S. 11)
Als Theaterpädagogin lädt sie Menschen ein, „die Welt in ihrer Vielfalt theaterspielend zu erforschen und dabei neue, ungewohnte Perspektiven einzunehmen“ (S. 11) und „ihre Spielfreude (wieder) zu entdecken. Dies ermögliche die Schaffung eines dritten Raumes mit der gemeinsamen Verabredung: „Wir tun nur so.“ (S. 11)
Theaterpädagogik orientiere sich nicht nur am klassischen Literaturtheater, sondern lasse sich von vielen Künsten und gesellschaftlichen Bereichen beeinflussen, wobei der Körper des Spielers das vorrangige Gestaltungsmittel“ (S. 11) bleibe. Ziel der Arbeit sei aber nicht die „schauspielerische Perfektion“ (S. 13), sondern die „Freude am Theatermachen“ (S. 13) und solle „eine Weiterentwicklung von persönlichen und beruflichen Kompetenzen ermöglichen“ (S. 13). In einer Arbeitsatmosphäre, die von Respekt, Vertrauen, Offenheit und Toleranz geprägt ist, sollen Grundlagen des Theaterspielens vermittelt werden, die am Ende des Arbeitsprozesses in einer Präsentation münden. Damit hat Höhn wesentliche Eckpfeiler ihrer Arbeit gesetzt.
Die Agenda für den Theaterpädagogen liest sich so: Initiieren von künstlerischen Prozessen mit Spielangeboten und Methodenvorgaben. Unterstützung der Spieler bei der szenischen Umsetzung ihrer Ideen. Engführung oder sanfte Begleitung, je nach Erfordernis. Konstruktives Feedback. Zusammenbau des Materials zu einem „Bühnenstück mit Schauwert“ (S. 15).
Höhn listet die verschiedenen Rollen auf, die ein Theaterpädagoge während seiner Arbeit in kompetenter Weise ausfüllen sollte als Forscher, Anstifter, Begleiter und Spielverderber. (S. 16f)
In einer passenden nautischen Metapher beschreibt sie die theaterpädagogische Arbeit als Schiffreise und fächert die verschiedenen Facetten bildhaft auf. Wenn man so will, auch ein Fahrplan für einen theaterpädagogischen Ausbildungsgang.
Das mitzunehmende Reisegepäck, ihre Schatztruhe zeigt, dass sie nichts Relevantes vergessen hat. Es gibt das Fach für Methoden, die Schublade des ästhetischen Gestaltens mit dramaturgischem Wissen, den Beutel der Kommunikation, die Dose der Psychohygiene, die Schatzkiste des Expertentums und die Box der Reflexion. (S.19-21)
In Text-Boxen lässt sich Höhn ganz praktisch über die Schulter schauen und beschreibt an konkreten Einzelfallbeispielen knapp, was sie in bestimmten Situationen tut. Sehr anschaulich, transparent und hilfreich für Menschen, die sich zum Theaterpädagogen ausbilden lassen möchten, die in der Ausbildung stehen oder solche mit bereits längerer Praxiserfahrung, die sich fragen, warum dies und das nicht so recht bei ihnen klappt.
Dass Feedback eine zentrale Lernquelle ist, macht Höhn im Rekurs auf Schulz von Thun deutlich, und beschreibt, wie ein konstruktives Feedbackritual wesentlicher Bestandteil theaterpädagogischer Arbeit ist.
In ausführlichen Checklisten zur Überprüfung eines theaterpädagogischen Projektes gibt Höhn dem Leser oder dem angehenden Theaterpädagogen ein Werkzeug in die Hand, das ihn bei seinem Vorhaben unterstützt.
Nicht durchgängig plausibel bzw. widerspruchsfrei erscheinen die Argumente für die Abgrenzung eines offenen von einem strukturierten Konzept. Die Behauptung, dass in einem eher strukturierten Konzept (es wird nicht ganz klar, ob sie auf neue Theaterschulbücher anspielt) die Teilnehmer keine Verantwortung übernehmen, ist nicht nachvollziehbar. (S. 46) Im Gegenteil, denn in einem strukturierten Konzept lassen sich leichter Verantwortungsbereiche definieren.
Auch in einem offenen Konzept, wie es Höhn augenscheinlich bevorzugt, sollten die Teilnehmer (natürlich) die Grundlagen des Theaterspielens strukturiert angeleitet erlernen und sie sollten die Gesetzmäßigkeiten der Bühne durch strukturiert angeleitete praktische Übungen kennen lernen. Sie sollten im Arbeitsprozess auch ästhetische Verfahren kennen und anwenden lernen. All das kann nicht offen und unstrukturiert ablaufen. Etwas Anderes ist es, wenn es um die Inhalte geht. Hier sollte ein Konzept mit Amateuren immer offen sein.
Der weiteste Spagat besteht wohl zwischen Kunst und Pädagogik. Ein seit langem und wieder stärker diskutierter Dissens zwischen Künstlern, die ihre Kunst durch die Pädagogik missbraucht sehen, und Pädagogen, die ihre Schützlinge zur Kunst hinführen und sie dafür öffnen wollen.
Im Arbeitsprozess nimmt Höhn auch die gruppendynamischen Probleme in den Fokus, die – nach Ruth Cohn – vorrangig besprochen werden müssen, weil sie sonst unter Umständen eskalieren und die gesamte Arbeit in Frage stellen können.
In Höhns Werkzeugkasten fehlen leider die genauen Beschreibungen der ästhetisch-gestalterischen Werkzeuge. Welche theatralen Mittel, Techniken, Methoden benutzt sie und mit welchen Kategorien arbeitet sie? Der Leser erfährt nur in wenigen Bröseln etwas über diese grundlegenden Werkzeuge der Kunst, z.B. „das Verfremden einer Szene, die Verdichtung oder die Überhöhung“. (S. 48) Diese werden aber nicht erläutert. Die genaue Kenntnisse und der kompetente Umgang mit diesen Werkzeugen theatraler Kunst sind aber ein Muss für jeden Theaterlehrer und -pädagogen
Im Kapitel „’Spielmaterial’ – Übungen, die in jedem theaterpädagogischen Werkzeugkoffer zu finden sind“ beschreibt Höhn ausführlich viele Übungen, die bereits in zahlreichen Publikationen der letzten Jahrzehnte nachzulesen sind. Eben Klassiker, wie Raumlauf, Impulse im Kreis, Standbilder, Freeze, ein Ding verändert sich usw. Das obligatorische Aufwärmen in den vielfältigsten Variationen sieht sie als Chance, schnell ins Spielen zu kommen, wenn es mit geeigneten Impulsen weitergeführt wird, ohne dass sich schon jemand vor der Gruppe exponieren muss; quasi im geschützten Raum.
Auch das heikle Thema des Umgangs mit Konflikten packt Höhn an. Was soll der Theaterpädagoge tun, wenn einem Teilnehmer seiner Gruppe das alles zu viel ist, wenn sich zwei oder mehrere über die Festlegung des dramaturgischen Ablauf in die Haare geraten und der Konflikt zu eskalieren droht, wenn sich jemand verweigert und blockiert und eine bestimmte Szene mit diesem oder jenem Partner nicht spielen will oder wenn jemand seinen Text nicht gelernt hat und alle nicht weiterkommen oder unregelmäßig anwesend ist, sodass keine Arbeitsfluss entsteht. Höhn hat für nahezu alle in der Wirklichkeit tatsächlich auftretenden Probleme praxisnahe Lösungsvorschläge bereit. Sie beschreibt, wodurch Konflikte entstehen können und wie der Theaterpädagoge durch eine entsprechend kompetente Vorbereitung diese verhindern kann. Sie beschreibt, wie auftretende Konflikte in der Gruppe bearbeitet und einer Lösung zugeführt werden können und verhehlt auch nicht, was bei einem gruppendynamischen GAU als Option in Betracht kommen kann, nämlich ein Gruppenmitglied von der Arbeit auszuschließen bzw. die gemeinsame Arbeit würde- und respektvoll zu beenden.
Höhns umfassende Beschreibung der Kompetenzen eines Theaterpädagogen und seines Arbeitsfeldes sind im Wesentlichen erstaunlich weitgehend deckungsgleich mit den Anforderungen und Tätigkeiten eines Theaterlehrers. Sie hat mit ihrem Buch eine breite Brücke gebaut, auf der sich diese beiden Berufsgruppen, die nicht immer konstruktiv miteinander diskutieren, begegnen und austauschen können. Es wird Zeit aufeinander zuzugehen. In ihrer theaterpädagogischen Arbeit bezieht Höhn auch immer wieder andeutungsweise Schule mit ein, stellt aber im gesamten Buch keinen expliziten Bezug zu dem Unterrichtsfach Darstellendes Spiel her, der die inhaltliche Ähnlichkeit und bzw. Gleichheit und die Unterschiede der Arbeitsweisen darstellt und herausarbeitet. Das wäre eine hilfreiche Voraussetzung, um die Brücke einer ähnlichen Arbeit und Zielsetzung wirklich zu einer Begegnungsstätte mit intensivem gegenseitigen Austausch zu machen.
Will man auf 144 Buchseiten das gesamte Arbeitsfeld eines Theaterpädagogen und die Schnittmengen zu anderen Berufen, die in ähnlicher Weise auch theaterpädagogisch unterwegs sind (Künstler, Regisseure, Lehrer, Kindergärtner, Altenpfleger, Ärzte, Pfarrer, Coaches, Trainer, Unternehmensberater, Führungskräfte, Personalentwickler usw.) abbilden, wie es Höhn versucht hat, dann geht das zwangsläufig auf Kosten der inhaltlichen Tiefe. An dieser Stelle hilft die differenzierte Literaturliste und die Auflistung von Ansprechpartnern weiter.
Insgesamt ist Höhns Buch allen jenen zu empfehlen, die sich einen Überblick über die Arbeit eines Theaterpädagogen verschaffen wollen, ohne Dutzende von Büchern lesen zu müssen. Es ist ein ersten Einstieg in die Beschreibung einer faszinierende Welt der Theaterpädagogik, die nur durch ein Selbst-tun und Erfahrungen-machen betreten werden kann. Dieses Buch kann dabei auch ein Ratgeber sein, sich in der Welt des Amateurtheaters zu orientieren und vorab zu prüfen, ob man dort ein berufliches Zuhause finden kann.
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