Hruschka, Ole 2016: Theater machen: Eine Einführung in die theaterpädagogische Praxis. Stuttgart: UTB. 180 Seiten – Rezension
Hruschka hat für sein Buch auch den neugierig machenden und vielversprechenden Titel „Theater machen“ gewählt analog des zwei Jahre zuvor (2014) erschienenen Schülerbuchs aus der Kursbuch-Reihe (siehe Foto). Das Inhaltsverzeichnis weckt Hoffnungen, sehr konkret zu erfahren, WIE das Theater-Machen und vor allem auch WIE das Theater-Unterrichten strukturiert sein sollte.
Hruschka ist seit 2009 verantwortlicher Studiengangsleiter des Lehramtsstudiengangs Darstellendes Spiel, der einzigen grundständigen universitären Ausbildungsmöglichkeit zur Theater-Lehrkraft in Deutschland im niedersächsischen Hochschulverbund (Hannover-Braunschweig-Hildesheim), die innerhalb der literaturwissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Seminars angesiedelt ist. „Die Theaterarbeit konzentriert sich daher in der Regel darauf, literarische Texte zum Ausgangs- und Bezugspunkt theaterpraktischer Übungen zu machen.“ (16) Hruschka ist außerdem Mitherausgeber der Zeitschrift für Theaterpädagogik „Korrespondenzen“ und hat den Vorsitz in der Lenkungsgruppe Darstellendes Spiel.
Inhalt
1 Einführung 8
2 Rahmen erfinden 16
2.1 Ziele setzen 19
2.2 Thema suchen 24
3 Gruppen anleiten 40
3.1 Regie versus Spielleitung 43
3.2 Situative Spielleitung 47
3.3 Projektverlauf planen 51
3.4 Aufbau einer Probeneinheit 55
4 Räume erobern 64
4.1 Vom leeren Raum zum Theaterlabor 68
4.2 Theaterfremde Orte: Die Schule als Bühne 72
4.3 Interventionen im öffentlichen Raum 76
5 Spielweisen erproben 82
5.1 Nichtspielen 86
5.2 Eine Rolle spielen 89
5.3 Sich selbst spielen 93
5.4 Das Spiel mit Geste, Kostüm, Objekt 96
5.5 Das Spiel mit chorischen Formen 99
6 Material entwickeln 106
6.1 Dokumentarisches Theater 110
6.2 Rechercheverfahren 115
6.3 Theatrale Forschung 120
6.4 Zeitgenössische Theatertexte 124
6.5 ,Klassiker‘ vergegenwärtigen 131
7 Präsentieren und Aufführen 140
7.1 Dramaturgische Modelle und Prinzipien 143
7.2 Die Rolle des Publikums 151
8 Anhang 158
Grundsätzlich geht es Hruschka ums reflektierte Theatermachen, denn „Künstlerische Erfahrung (Praxis) und der Wille zur Reflexion (Theorie) gehören zusammen.“ (11) Der schöpferische Akt selbst, so meint Hruschka, lasse sich wohl nur begrenzt ergründen und versprachlichen. Die Umstände und Überlegungen, die zu ihm führten, ließen sich sehr wohl ergründen und versprachlichen. Als Ausbilder von Studierenden, die Theater-Lehrkräfte werden wollen, hege ich die Hoffnung, von Hruschka sehr genau und wissenschaftlich fundiert zu erfahren, mit welchen Qualifikationen und Kompetenzen er die angehenden Theater-Lehrkräfte nach Abschluss ihres Theater-Lehrer-Examens in die Schulen entlässt, um dort Theater-Unterricht zu erteilen. Besonders spannend wird es sein zu erfahren, WIE Hruschka vorgeht, seine angehenden Theater-Lehrkräfte so zu qualifizieren, dass sie ein breites Spektrum ganz unterschiedlicher Formate des zeitgenössischen Theaters „seit Beginn des 20. Jahrhunderts“ – das sich bewegt „zwischen dem Rollenspiel des Als-ob und der Performance, zwischen genau kalkulierten Sprech- oder Bewegungschoreografien und der Improvisation, zwischen Erzähltheater und Tanz“ (12) – in ihr Lern-Konzept des Theater-Machens und vor allen Dingen des Theater-Unterrichtens integrieren.
Ein „charakteristisches Merkmal des Gegenwartstheaters“ (12) bestehe darin, dass es keinen „normativen Begriff von Theater“ setze. Vielmehr müsse man als „zentrale Herausforderung“ die damit verbundenen „Spannungen und Unsicherheiten“ aushalten und als „konstitutiven Teil von Theaterpraxis produktiv“ machen. (12-13) Obwohl diese „Nicht-Normierung“ – eine Kategorienbildung explizit abzulehnen – wieder nach einer neuen Normierung klingt (vgl. „Schultheater“, Heft Nr. 32), will Hruschka mit seinem Buch keinen normativ-programmatischen Standpunkt verkünden, sondern „Merk- und Orientierungspunkte auf einer Landkarte“ vermitteln, „die dabei helfen sollen, eigene Routen und Zugänge zu den unterschiedlichen Kontinenten von Theaterarbeit zu finden.“ (12) Von einer Führungskraft, und eine solche ist Hruschka als Ausbildungsleiter, erwarte ich nicht nur ein paar „Merkpunkte“ im Raum, sondern einen breiten wissenschaftlich fundierten Ausbildungsplan, der Grundkompetenzen für angehende Theater-Lehrkräfte vermittelt und einüben lässt, und zwar genau für die Arbeitssituation, für die sie ausgebildet werden sollen, nämlich für regulären benoteten Theaterunterricht in Schulen. Dass eine derartig beschriebene Qualifizierungsmaßnahme Raum lassen muss für eine individuelle Ausprägung und Gestaltung, das versteht sich von selbst, wenn man weiß, dass der entscheidende Lernimpulsgeber die Lehrkraft mit ihren Persönlichkeitsmerkmalen ist, die sie für diese berufliche Tätigkeit in Frage kommen lassen.
Ich bin sehr neugierig darauf, wie dieses Konzept von „Theater machen“ zukünftigen Theater-Lehrkräften hilft, guten Theater-Unterricht zu „machen“. Und noch neugieriger bin ich darauf zu erfahren, WIE das Lernen und Erwerben von theatralen Kompetenzen konkret aussehen soll, WIE geübt werden soll und am Ende auch, WIE und nach welchen „transparente[n] Bewertungskriterien“ (47) der nach curricularen Vorgaben anzustrebende Kompetenzzuwachs beschrieben werden soll und WIE die von Hruschka ausgebildeten Theater-Lehrkräfte von ihm zu einem entsprechenden Kompetenzerwerb angeregt und geführt werden, solchermaßen bei Schülern zu beschreibende Lernfortschritte zu bewerten und zu benoten, denn „Dieses Studienbuch wendet sich insbesondere an Studierende der Theaterpädagogik und an angehende Theaterlehrerinnen, die sich mit theoretischen und praktischen Grundlagen von Theaterarbeit vertraut machen möchten.“ (11)
Die „vielen Anregungen und Impulse aus der universitären Theaterpraxis mit Studierenden aus der Lehrerbildung im Fach Darstellendes Spiel“ (14) lassen entsprechend konkrete Hilfen auch für bereits ‚nur“ per Weiterbildung qualifizierte Theater-Lehrkräfte erwarten, denn Hruschka „will zeigen, was es bedeutet, Theaterarbeit konzeptionell zu denken, in dramaturgischer, pädagogischer und organisatorischer Hinsicht.“ (14)
Hruschka greift dabei auch eine Forderung aus aktuellen Lehrplänen des Unterrichtsfaches Theater/ Darstellendes Spiel auf, die als Kern des Unterrichts Projektarbeit fordern, in der die Schüler auch lernen, zunehmend Verantwortung für ihren eigenen künstlerischen Lernprozess zu übernehmen (14) und „alle ihre Fähigkeiten und speziellen Begabungen in den Produktionsprozess einbringen“ können (20). Schon hier deutet sich an, was Hruschka später vielfach wiederholt, dass es ihm i.W. darum geht, dass die lernenden Theatermacher, die Schüler, das in den Produktionsprozess einbringen, was sie bereits an Fähigkeiten besitzen. Die theaterpädagogische Arbeit stehe und falle „mit den Interessen und der Neugier, mit den individuellen Stärken und besonderen Darstellungsqualitäten, die die Akteure mitbringen. Allerdings sollte es das Ziel sein, bei diesen Ausgangsbedingungen nicht stehenzubleiben, sondern neue Erfahrungen zu ermöglichen.“ (25)
Zu Beginn skizziert Hruschka sein Theaterverständnis an den Kriterien eines „gelungenen Theaterprojekt[es]“, das Grundlage für seine weiteren Ausführungen ist. Demnach zählt Hruschka als Erstes auf, dass es „die Akteure ebenso wie das Publikum – gut unterhalten und zum Lachen gebracht hat, wenn es irritiert und berührt und wenn es dazu herausfordert, einen veränderten oder differenzierteren Blick auf die Wirklichkeit zu werfen.“ Dabei sei der „auffälligste Indikator für einen ästhetischen Mehrwert […] das Lachen.“ (20, 21) Hruschka bezieht dieses Überprüfungskriterium für ästhetische Qualität auf die Probensituation und hebt die Bedeutung von „gut durchdachten Aufgabenstellungen (vgl. Kapitel 3.3)“ (21) hervor. Im Kapitel „3.3 Projektverlauf planen“ und auch an anderen Stellen des Buches erhält der Leser allerdings keine Hinweise, was eine gut durchdachte Aufgabenstellungen für Schüler ist, nach welchen Kriterien man sie beurteilt und auch keine Beispiele dafür. Alle Beispiele des Buches beziehen sich auf Arbeit von erwachsenen Lehramtsstudenten und freie Theatergruppen, nicht auf Theaterunterricht in Schulen für Schüler im entsprechenden Alter!
Die Bühne eröffne, so Hruschka, einen Schutzraum, in dem eigenes und fremdes aufeinandertreffen, Möglichkeiten und Grenzen ausgetestet, verschiedene Perspektiven auf ein Thema formuliert und neue Ideen ausprobiert werden könnten. „Die intentionale, zielgerichtete Gestaltung eines Resultat ist ein wichtiger Aspekt des Produzierens – mindestens ebenso wichtig aber ist die Aufmerksamkeit für das Unerwartete und die Umwege, die sich mitten im Tun überraschend ergeben.“ (14) Theater sei ein Medium und ein Ort der „gesteigerten Wahrnehmung“ und biete die Möglichkeit „sich intensiv und reflektierend mit der eigenen Persönlichkeit zu befassen. (20) Vor allem aber könne „der Produktionsprozess selbst als politische Praxis begriffen werden.“ (23) Herauszuheben sei am Ende aller Mühen die „Gemeinschaftsleistung“. (20) Zum Anspruch, dass Theaterspielen implizit als politische Bildung zu verstehen sei, äußert sich Hruschka in seinem „Baustein 9“ der Unterrichtsbausteine-Sammlung „Theater probieren. Politik entdecken.“ (vgl. Weiterführendes). Leider erfährt der Leser nicht, wie diese „Gemeinschaftsleistung“ in der Schule bei Schülern im regulären Theaterunterricht bewertet werden soll.
Der „auffälligste Indikator für ästhetischen Mehrwert“, so Hruschka, „und ein besonders beglückendes Zuschauererlebnis ist das Lachen.“ (21) Zur Bewertung einer gelungenen künstlerischen Arbeit und „spezifische[n] Qualitätskriterien“ (21) formuliert Hruschka schon vorab, dass dies im Ermessen der Teilnehmer liege und „ob sie in der Theaterarbeit einen positiven Beitrag zur individuellen Veränderung oder Weiterentwicklung erkennen. Marginalie: Individuelle Qualitätskriterien entwickeln.“ (21) Ich bin neugierig auf sein Lösungsangebot, wie er diese „individuellen Qualitätskriterien“ im Unterricht kommuniziert bzw. entwickelt und „transparent“ macht und sie plausibel für die Schüler in eine Zeugnisnote umsetzt und rechtfertigt. Ob man eine Bewertung und Notengebung für gut oder schlecht hält, ist hier nicht von Interesse, sondern allein die Qualifizierung der Theater-Lehrkräfte für eine berufliche Arbeit, in der dies gefordert wird. Ein Verdrängen und Verschweigen dieser Problematik lässt die jungen Lehrkräfte allein mit einem substanziellen Problem ihrer Profession, für das sie eine sach-und fachgerechte Antwort haben und von einer Ausbildungsinstitution mit entsprechender Dignität auch ausgebildet werden müssen.
Wir werden später sehen, ob dieses „individuelle“ Kriterium eine hinreichende Qualifizierung für angehende Theater-Lehrkräfte darstellt, die erbrachten Leistungen ihrer Schüler im Unterrichtsfach Theater/ Darstellendes Spiel transparent zu beurteilen und angemessene Noten zu erteilen.
„Gelungenes Theater“ ist nach Hruschka dann entstanden, wenn „adäquate szenische Verfahren – Zeichen, Bilder und formale Übersetzungen“ gefunden wurden. (22) Für die Erarbeitung von „Qualitätskriterien“ für das eigene künstlerische Tun und seine Wirkung sei es „wichtig, sich mit den verschiedenen Inszenierungsstilen und Theaterkonzepten der Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen.“ (22) Bevor man aber als Gruppe das anzustrebende Ziel eines Theaterprojektes inhaltlich auch nur vage umreißen und eine ästhetische Vision kreieren könne, müssten eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen und wichtige Voraussetzungen geschaffen sein (19). Es sei wichtig zunächst „mit gezielten Übungen“ ein „gutes Gruppenklima und eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre herzustellen“, sodass die Gruppenmitglieder „aufmerksam und flexibel miteinander umgehen.“ (26) Ebenso wichtig sei es, die „sich neu konstituierende Probengemeinschaft auf ein Ziel“ auszurichten. (26) Dabei sei es wichtig, auf eine „Verdichtung einer Weltsicht, auf Grenzüberschreitung, persönliches Wachstum, öffentliche Wirkung – Kunst“ zu zielen (28). Es werde „die wohldosierte, motivierende Herausforderung durch Darstellungsaufgaben und -ziele“ gesucht, die den Horizont der Spieler erweitere. (28) Zur Bedeutung eines herausfordernden Lernimpulses vergleiche auch: List 2017: Potenzialentfaltung im Theater-Unterricht.
Hruschka wendet sich gegen jedwede Verzweckung des Theaterspielens, denn, sich auf Friedrich Schiller berufend, Kunst sei die Tochter der Freiheit, und erlaube nur eine begrenzte Verallgemeinerung und Messbarkeit. Sie bleibe sperrig gegen jedwede Verzweckung und Vereinnahmung und müsse Zweckfreiheit, Autonomie und emanzipatorischen Geist beanspruchen dürfen, um überhaupt Wirkungen auf den Einzelnen und das soziale Miteinander entfalten zu können. Hruschka beruft sich in dieser Aussage auf Hentschel (2010). Wie fragwürdig diese Engführung des Kunstbegriffes ist, zeigt sich sehr schnell in zahlreichen normativen Setzungen, die diese Forderung zumeist begleiten, wenn z.B. in analoger Engführung des Begriffs „zeitgenössisches Theater“ nicht die tatsächliche Vielfalt und Gleichzeitigkeit einer breiten Heterogenität von theatralen zunehmend hypriden Formen wahrgenommen wird, sondern auf eine theateravantgardistische Vorhut und eine Bereicherung durch postdramatische Spielweisen reduziert wird (vgl. auch List 2015: Theater 4.0 – Grenzenlose digitale Vielfalt – Die Welt in Nullen und Einsen).
Der in diesen normativen Setzungen formulierte Widerspruch wird eklatant, wenn neben der Forderung nach der Freiheit der Kunst und der Frage nach ihrem Nutzen für Menschen in Gesellschaften und Gemeinschaften unvermittelt Qualitätsnormen aufgestellt und als „Individuelle Qualitätskriterien“ (21) eingefordert werden, die Aktionen im Probenprozess aber nur wahrgenommen und nicht bewertet werden sollen (vgl. z.B. 27, 59). Ebenso wird unvermittelt – ohne diesen Widerspruch aufzulösen – gefordert, Schüler könnten sich über ihre Lieblings(!)filme, besondere(!) Augenblicke oder ihre Wünsche(!) eine Inspiration für ihre Theaterarbeit schaffen, ganz so, als ob diesen individuellen Zugängen keine Bewertung zugrunde lägen.
Die vielfach wiederholte Forderung Hruschkas auf Bewertungen theatraler Vorgänge zu verzichten wird konterkariert durch die vielfachen Aufzählungen von Zusammenhängen, in denen Kunst und künstlerisches Schaffen sehr wohl bewertet werden (z.B. „Kreativitätstechnik […] eignet sich auch als Prüfstein für konzeptionelle Leitideen eines Theaterprojekts.“ (36) – „Phantasien rechtzeitig auf ihre Umsetzbarkeit zu überprüfen“ (36) – Spieler werden für ein Theaterprojekt gecastet, also bewertet, ob sie zum Mitmachen taugen (29) – in einer Spielortanalyse wird die Tauglichkeit für ein Theaterspiel bewertet (30) – Die Stärke des Freien Theaters wird bewertet (33) – „Dabei geht es einzig und allein darum, wie Spieler A ‚gut aussehen’ […] kann“ (59) – „produktive Rückmeldungen“ (59) – „Suche nach wirkungsvolleren szenischen Aktionen“ (59) – „Aussageabsicht am günstigsten über szenische Darstellung entwickeln“ (59) – „wird das Präsentieren gewürdigt“ (60) – „Die Gruppe beschreibt, ergänzt und verbessert das Gesehene“ (60) – „Um ein gelungenes ästhetisches Resultat zu ermöglichen“ (60) – „Welcher Moment war intensiv, gut“ (60) und im Folgesatz: „Diese Impulse bieten den Vorteil, Bewertungen auszuklammern.“ (60) – „Die Präsentationsphase ist in jedem Fall eine Art Testlauf, eine Phase der Einigung und Überprüfung. […] und sich mit Bewertungen zurückzuhalten.“ (61) – „die Angemessenheit eines szenischen Lösung einzuschätzen.“ (61) – „Angesichts einer postdramatischen oder performativen Ästhetik sind die Beteiligten vielmehr herausgefordert, andere Beschreibungs- und Bewertungskriterien auszubilden.“ (61) – „Ausgehend von inhaltlichen und räumlichen Setzungen werden [bei der Theaterarbeit] Situationen entworfen und ausprobiert, um sie anschließend zu beschreiben und zu wiederholen, zu verbessern oder zu verwerfen.“ (86) Überdies berichtet Hruschka von zahlreichen außerschulischen Projekten des professionellen freien Theaters, in denen sich Menschen bewerben durften und auf ihre Eignung für das geplante Theaterprojekt überprüft, bewertet und „gecastet“ (29, 88) wurden. (Hervorhebungen von V.L.)
Es ist nicht nachvollziehbar, wie Hruschka das geforderte Nicht-Bewerten gleichrangig neben die zahllosen Aufforderungen zu bewerten stellt. Hier ist offensichtlich ein Nacharbeiten erforderlich und eine fundierte Klärung des Sachverhaltes nötig, dass ohne Bewertungen keine Konstruktionen von transparenten Qualitätskriterien möglich sind, die zur plausiblen Leistungs- und Kompetenzbeschreibung und dann als Wegmarken für eine konstruktive Weiterarbeit dienen können.
Hruschka wendet sich vehement gegen den Glauben, „es bedürfe bloß des passenden, zielgerichteten Methoden, um kurzerhand zu wie auch immer gearteten Kompetenzen zu gelangen.“ (26) Warum diese pauschale Abwertung methodischer Arbeit? Zumal Hruschka sie an anderen Stelle fordert („Am Anfang des Studiums wird der Stellenwert wichtiger Organisations- und Leitungsaufgaben wie organisatorische Absprachen und methodische [Hervorhebung durch V.L.] Konzeption der Proben jedoch häufig unterschätzt. Daher sollte gerade im Kontext der Aus- und Weiterbildung genügend Zeit darauf verwendet werden, implizite Auffassungen von Theater, Probenmethoden [Hervorhebung durch V.L.] und Praxishaltungen zu reflektieren.“ (43)
Bei der Beschreibung der Anforderungen an die Rolle der Lehrkraft akzeptiert Hruschka zwar eine unterschiedliche Lern-Impulsgebung der Lehrkraft und auch dass sie Vorgaben für den Unterricht nach ihren eigenen „Vorlieben“ macht und z.B. dass sie lieber mit literarischen Vorlagen arbeitet (vgl. Status des Lehramtsstudiengangs als Unterabteilung des Deutschen Seminars/ literaturwissenschaftliche Abteilung) als Schüler in die Themenfindung einzubeziehen und ihnen zu helfen, ihre eigenen Themen zu finden. Er favorisiert aber die Vorgehensweise und findet „gute Argumente“, dass die Spielleitung „bereits im Vorfeld den inhaltlichen und formalästhetischen Rahmen einer Inszenierung“ (32) festlegt, weil die Theater-Lehrkraft in der Regel mehr Erfahrung besitze und ein größeres Überblickswissen über Stoffe und Theaterformen habe. Diese Vorgehensweise widerspricht schlichtweg aktuellen Curricula und auch der EPA, die eine Vielfalt an Spielformen fordern. Überdies ist das genau auch die Aufgabe einer ausgebildeten Lehrkraft, Lernsettings zu kreieren, in denen Schüler dieses Noch-Herrschaftswissen der Lehrkraft sukzessive selbst erwerben können, um sich von ihr zu emanzipieren. In diesem Fall bleibt Hruschka mit seinen „pädagogischen“ Vorstellungen in einem überholten Status-Denken verhaftet, das Schüler in einer Abhängigkeit von „Regisseurs“-Wissen belässt. Die im gleichen Kontext gestellte Frage von Hruschka, wie die Spielleitung ihre Spieler (H. spricht selten von Schülern!) zu „Experten“ für die Themenauswahl machen könne und welche Methoden geeignet seien, Teilnehmer in die Bearbeitung von Themen einzubeziehen, kann dann nur noch verwundern. Überdies folgen keine Anregungen und Impulse, wie sich Hruschka das vorstellt. Diese Fragen werden für Theaterunterricht nicht beantwortet. (32) Der ausführlichen Beschreibungen der Vorzüge des Freien Theaters stellt Hruschka die Bedingungen von „Kursunterricht in der Schule“ gegenüber, mit dem der institutionelle Anspruch der Vermittlung von Wissen, Können und Werthaltungen verknüpft sei. Hruschka schlussfolgert daraus, dass „die didaktische Auswahl und die methodische Modellierung des (Lern-)Gegenstands sich dort auch daran zu orientieren habe, welche fachlichen und sozialen Kompetenzen jeder einzelne Lernende erwerben kann. Dies entspricht der aktuellen – und durchaus umstrittenen – Norm- und Wertorientierung der Institution Schule, die auch für das Fach Theater gültig ist. Daraus folgt, dass das Schulfach Theater zunehmend innerhalb der üblichen Stundenpläne und Schulstrukturen unterrichtet wird, einschließlich der Benotung und Leistungsüberprüfung.“ (34)
Hruschka formuliert Leitfragen für eine Vision eines Theaterprojektes. Sie sollen zunächst die Rahmenbedingungen ins Auge fassen, wozu als erstes die Lerngruppenanalyse gehört – ein Terminus, der seit Jahrzehnten in der schulpädagogischen Ausbildung benutzt, nicht aber von Hruschka – (Teilnehmer, Kenntnisse, Interessen, Haltungen, Wünsche usw.). Es soll ermittelt werden, welches Thema die Gruppe interessieren könnte und welche Schwierigkeiten die Projektkonzeption für sie bergen könnte. Die Frage, warum es sich lohne, speziell mit dieser Gruppe mit der Kunstform Theater auseinanderzusetzen und welche Erfahrungen den Beteiligten durch Projekt ermöglicht werden soll, muss beantwortet werden. Welche Ziele sollen mit welchen theatralen Verfahren realisiert werden und welche literarischen Vorlagen bzw. welche weiteren Materialien dienen der Anregung für ein bestimmtes Thema? Auch ist zu klären, in welchem Kontext das Projekt stattfinden soll, welche Vorgaben, Wünsche von institutioneller Seite zu berücksichtigen sind und welche Wirkungen beim Publikum bzw. generell mit dem Theaterprojekt beabsichtigt ist. (39) Der Leser, die angehende Theater-Lehrkraft erhält aber keine Antworten und Hilfen und auch keine anregenden Beispiele für den Theaterunterricht. Diese etwas unsortierte Anhäufung unterschiedlicher Fragen bei der Analyse der Voraussetzungen theatraler Lernprozesse im Theaterunterricht müsste nach den verschiedenen Bereichen zunächst noch kategorisiert werden, bevor sie dazu dienen können, ein stringentes theatrales schulisches Lernkonzept zu befördern, das umfassend alle betroffenen Rahmenbedingungen und theatralen Lernfelder abdeckt. Hruschka klärt letztlich nicht Frage „wie man Theatervermittlung so organisieren kann, dass die damit verbundenen Anforderungen dem jeweiligen Fähigkeitsgrad der Beteiligten entsprechen“ soll (49). Ein theatrales Lernkonzept sollte die bestehenden Begabungen und Fähigkeiten der Schüler selbstverständlich zuerst sichtbar machen. In einem zweiten großen Schritt sollten die Schüler die aus einer wissenschaftlich fundierten Didaktik des Theaters abgeleiteten, vorab in Curricula beschriebenen und den daraus von der Theater-Lehrkraft individuell auf ihre spezifische Situation (raumzeitliche Bedingungen, Spezifik der Lerngruppe usw.) heruntergebrochene Lernziele operationalisiert werden und anschließend die von den Schülern zu erwerbenden Kompetenzen genau beschrieben und in eine theatrales Lernkonzept und Unterrichtsvorbereitungen umgesetzt werden. Ein theatrales Lernkonzept kann nicht stehen bleiben bei der Anpassung seines Anspruchs an die bereits bestehenden Begabungen und Fähigkeiten der Schüler. Das wäre auf Dauer eine Unterforderung und generierte keinen Lernfortschritt. Ziel kann nicht sein, wenn das Theaterspielen den Schülern Freude macht und die Anforderungen lediglich „ihrem Fähigkeitsgrad und ihrem persönlichen Sachinteresse entsprechen.“ (50) Sollte die „theatrale Handlungskompetenz“ nicht hoch sein, dann „sollte die Spielleitung die Struktur der nächsten Arbeitsschritte (erneut) erläutern, einfache Übungen wiederholen und so Erfolgserlebnisse ermöglichen […] und noch einmal darauf hin[…]weisen, was künftig zu tun ist und worauf es dabei ankommt, um den Prozess in Gang zu setzen oder neu zu befördern. […] Nachfragen (‚Warum tun wir das?’) sind ein guten Anlass, die Gruppe erklärend zu lenken oder den Einzelnen immer wieder die Möglichkeit zu geben, Einsicht zu gewinnen. […] Wenn die Schüler eigenständig realistische Zielsetzungen formulieren, eigene Ideen und Konzepte ausprobieren möchten und diese kompetent bewältigen – dann können Aufgaben und Teile des szenischen Realisierung delegiert werden. Die Spielleitung hält sich nun bei der Entwicklung von Ideen und ihrer Umsetzung zurück, behält selbstverständlich aber die Verantwortung für das Projekt.“ (50) Beschreibungen von detaillierten zu erwerbenden theatralen Kompetenzen erfährt der Leser nicht.
Hruschka bleibt in einem Ziel-Mittel-Konflikt verstrickt, wenn er auf der einen Seite erklärt, dass sich Probenarbeit nicht auf die reibungslose Umsetzung und zielgerichtete Herstellung eines Produktes reduzieren lasse, sondern andere Ziele und Zwecke verfolge und auf der anderen Seite in der Projektarbeit klar definierte Ziele fordert. (51, 52). Er warnt davor, dass die beste Methode, die engagierteste Anleitung mittels manipulativer Stimulationstechniken „als bloße Technik und rein mechanisches Baukastenprinzip“ nicht zwangsläufig zum Erfolg führen müsse. (51). Das ist vermutlich richtig und unterstreicht die Forderung nach einer qualifizierten Theaterlehrer-Ausbildung, für die Hruschka im universitären Bereich verantwortlich ist. Zu dem, was Hruschka im Rahmen eines Theaterunterrichts als „Erfolg“ definiert, bzw. mit welcher Methode sich dieser transparent beschreiben lasse führt er weiter aus: „Die Spielleitung kann […] Qualitätskriterien entwickeln und sich zum Abschluss des Projektes danach erkundigen, inwiefern die anfangs formulierten Erwartungen eingelöst wurden. Als hilfreich erweisen sich hier ein einfaches Cluster- oder Mindmapping-Verfahren. Die Projektteilnehmer notieren auf Stellwänden ihre Antworten und Statements zu den drei […] – bewusst offen gehaltenen – Evaluationsfragen […] Was war gut? Was hätte besser laufen können? Was sollten wir so nicht wieder machen?“ (54, 55). Durch ein solches Bewertungs(!)-Brainstorming-Verfahren werde u.a. der „Bildungs- und Entwicklungsfortschritt“ der Teilnehmer geklärt und ob sie „neue Erfahrungen und Sichtweisen“ ermöglicht habe. (55) Zu kritisieren ist hier die abwegige Nutzung von – für andere Zusammenhänge sinnvolle offene Methoden zur Generierung und Strukturierung von Material – Clustering und Mindmapping für die Evaluation eines erworbenen Lernzuwachses. Hruschka sieht im häufigen Wiederholen von Übungen eine Basis für befriedigende und motivierende Erfahrung für die Schüler, die ihnen im Einzelnen und in der Gruppe ermöglichen „einen Lernfortschritt und eine Weiterentwicklung“ zu bemerken (57). Worin dieser Lernfortschritt und die Weiterentwicklung im Detail besteht führt Hruschka aber nicht weiter aus. Überdies ist er ohne Bewegungen nicht qualifiziert zu haben. Das ist nicht annäherungsweise eine Basis für eine transparente Notengebung. Sämtliche bereits seit vielen Jahren vorliegenden ausgearbeiteten vielfältigen Beschreibungen und Methoden zur Feststellung von Lernfortschritten bleiben unerwähnt (vgl. z.B. Iaconis (2005), (2007), (2008)).
Hruschka fordert neben einem umfangreichen Training, um einen Vorgang exakt wiederholbar zu machen, dass Schüler diese Vorgänge auch angemessen beschreiben können, um darüber auch sachangemessen kommunizieren zu können. Im Probenverlauf bilde sich ein entsprechendes Vokabular aus (62). Welche Ausdrücke Hruschka dazu zählt, erfährt der Leser nicht.
Raum und Zeit sind die Grunddimensionen mit dem größten Einfluss auf theatrales Geschehen. Folgerichtig schenkt Hruschka bereits im zweiten Kapitel dem Raum seine Aufmerksamkeit und definiert den Probenraum als „Versuchslabor“, einer heute gängigen (Mode- und Trend-)Bezeichnung im Rahmen der Umetikettierung von Theater zum „Forschenden Theater“, bei dem in einem Labor experimentiert werde. Die Sprachverwendung leiht Begrifflichkeiten aus den vermeintlich „exakten“ Naturwissenschaft, ohne aber deren streng methodisches(!) Vorgehen die exakten Kriterien und Gebote für die Abläufe von Experimenten, die zuvor gefasste erkenntnisleitende Hypothesen aufstellt, die es zu überprüfen gilt, um sie zu veri- oder zu fasifizieren, mitzuübernehmen. Insofern fehlt diesen Experimenten in den Forschungslaboren der Theatermacher das Wesentliche dessen, was die Arbeit zu einem experimentellen Forschen in Laboren ausmacht. Es bleibt im Grunde ein spielerisches Suchen, bestenfalls freies Herumexperimentieren im Sinne eines Wir-probieren-halt-mal-ein-bisschen-rum-und-gucken-was-so-passiert. Diese Art zu Arbeiten ähnelt mehr dem freien Spiel von Kindern und kann durchaus Kreativpotenzial wecken und zu interessanten Ergebnissen führen, mit einer exakten wissenschaftlichen Methode, die durch die entlehnte Begrifflichkeit suggeriert wird, hat das aber wenig bzw. nichts zu tun. Also hören wir bitte auf, Theaterinteressierten Sand in die Augen zu streuen und sie zu manipulieren und nennen wir das was wir theatral machen weiterhin recherchieren, experimentieren (umgangssprachlich), ausprobieren und proben. Das ist ehrlicher. In ähnlicher Weise sind Bestrebungen zu kritisieren über eine Umetikettierung eine Aufwertung zu bewirken, wie das mit der Überhöhung von Laien als „Experten“ und des „Nicht-Perfekten“ zum neuen künstlerischen Spielprinzip geschieht. Mit diesen Sprachmanipulationen erweist man dem Theatermachen nur einen Bärendienst.
Hruschkas Ausbildungskonzept „Theater machen“ für angehende Theater-Lehrkräfte fordert zurecht die Öffnung und Weitung der traditionellen Guckkastenbühne zur Raumnutzung mit den Konzepten Site-specific und Stationentheater. Dies eröffnet gerade für die Schule neue Möglichkeiten der theatralen Arbeit im gesamten Schulgebäude und auch Schulgelände. Leider fehlen an dieser Stelle wieder – außer den nahezu durchgängigen Hinweise auf Projekte des freien professionellen Theaters mit teilweise Hunderten Beteiligten – die ausführlichen Beschreibungen, wie im Theaterunterricht gearbeitet werden sollte und Hinweise auf seit bereits seit Jahrzehnten erfolgreich durchgeführte Projekte mit interessanten Raumkonzeptionen wie Wenzels B.E.S.T. und ausführliche Unterrichtsbeschreibungen für Stationen-Theater in der Schule im Rahmen von Theaterunterricht (vgl. Grundkurs 1. Körper, Raum und Improvisation: 8-65 im Kursbuch Darstellendes Spiel und im bereits 2000 erschienenen Buch „Körper und Raum“). Theaterpädagogische Angebote könnten, trotz aller sozialen Relevanz(!), zu ästhetischen Erfahrungen nur anregen, „letztlich müssen sie von den Beteiligten selbst individuell angenommen und aktiv genutzt werden.“ (26) folgert Hruschka. Ja, das ist richtig und eine uralte pädagogische Erkenntnis, aus der nur ein Fazit gezogen werden kann: Die Theater-Lehrkraft sollte ein inspirierend-motivierendes Lernsetting für die Schüler kreieren, indem sie auf der Basis von systematisch-methodisch zu erwerbenden theatralen Kompetenzen durch sachgerechte Instruktion und Training und Übungsphasen lernen, das Handwerkszeug des Theaters zu nutzen. Damit können sie sehr zeitnah auf dem jeweils erlangten Kompetenz-Niveau in entsprechend überschaubaren Lernmodulen intensiver recherchierend-forschend, suchend-improvisierend, mit trial & error experimentierend, den Zufall herausfordernd das Erlernte in Bezug auf ihre ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten erPROBEN, Erfahrungen machen und ihre Fähigkeiten, zunehmend theatral-ästhetisch anspruchsvollere Kompositionen zunehmend selbstständiger zu kreieren.
Es bleiben offene Fragen am Ende der Lektüre:
- Hurschka leitet den einzigen universitären grundständigen Lehramtsstudiengang zur Ausbildung von Theater-Lehrkräften an der Leibnitz-Universität in Hannover. Warum beschreibt er überwiegend Beispiele aus der professionellen freien Theaterszene bzw. Theater-Projekte mit Studierenden/ Erwachsenen und nicht aus professionellem Theaterunterricht? So schildert Hruschka beispielsweise ein Theaterprojekt mit einem 50-köpfigen Team aus professionellen Künstlern, Studierenden und Anwohnern einer Straße im Alter von 12 bis 90 Jahren und preist die „Stärke des Freien Theaters“, das in seiner Autonomie liege. (30-33) Die Übertragung des Formates professioneller Theaterarbeit in schulischen Theaterunterricht oder dessen Nachahmung kann wegen der grundverschiedenen Bedingungen nicht gelingen.
- Wie geschieht das Vertrautmachen, das Trainieren und Üben, ohne dass alles Tun (außer bei sehr Begabten) dilettantisch bleibt, ohne dass man das Dilettantische und „Un-Perfekte“ zur Kunst verklärt (vgl. Jurké) aus Mangel an zu erwerbenden Kompetenzen, das was Unterricht im Eigentlichen und grundsätzlich zu leisten hat? Wie erwerben die Lehramtsanwärter die Kunst, Theater zu unterrichten und im zumeist 90-Minuten-Rhythmus ein inspirierendes Lernsetting zu kreieren, in dem ihre Schüler sukzessive aufbauend theatrale Kompetenzen erwerben? Man kann es machen wie Volkhard Paris und Schule verdammen ob ihres Zurichtungscharakters für den neoliberalen Markt und fordern, dass Schule sich erst ändern müsse, bevor er dort Theater anbieten werde und statt dessen selbst ein kommerziell-orientiertes Unternehmen gründen und sich seine Dienste – Theater mit Kindern zu machen – von zahlungskräftiger und -williger Eltern honorieren lassen. Ist das eine Option?
- Wenn Hruschka explizit Theaterlehrerinnen mit Grundlagen ihrer Arbeit vertraut machen will, und sein Buch „viele Anregungen und Impulse […] aus der Lehrerbildung im Fach Darstellendes Spiel erhalten hat“ (14), warum fehlen dann z.B. für Unterricht so bedeutsame Themen wie das Bewerten und Benoten der Leistungen und Leistungsüberprüfungen. Im theaterpädagogischen Diskurs sind dies heftig diskutierte Themen und hier besteht ein großes Defizit und demzufolge auch Anregungen zur Klärung. Einen pauschale Ablehnung von Bewertung ist zum Einen weltfremd und ist zum Anderen im schulischen Kontext für angehende Theater-Lehrkräfte nicht hilfreich. Gerade hier bräuchte es dringend eine wissenschaftlich fundierte Hilfestellung und handfeste Argumentation von universitärer Seite. Wie bewerten und benoten solchermaßen nicht ausgebildete Theater-Lehrkräfte nach ihrem Studienabschluss, wenn sie als Lehrkräfte in der Schule Unterricht erteilen sollen?
Die vielfach gepriesene Vorzüge der Freiheiten des Freien Theaters der meisten Beispiele werden aufzählend neben die nur am Rande (!) erwähnte Rahmung schulischen Theaterunterrichts gestellt. Beides wird nicht miteinander vermittelt. Diese Aufgabe ist noch zu lösen.
Das Versprechen des Titels „Theater machen“ eines Theater-Lehrkräfte-Ausbilders mit Hilfe dieses Buches konkrete Einblicke in das Theatermachen zu bekommen oder genauer: wie angehende Theater-Lehrkräfte das „Theater-machen-Lehren und -Unterrichten“ lernen können, bleibt zunächst noch unerfüllt.
Leider sehen auch die Studieninhalte des Lehramtsstudienganges an dem Uni-Verbund scheinbar nicht schwerpunktmäßig vor, die Studenten auf ihr späteres Berufsleben als Theater-Lehrkräfte vorzubereiten:
„Studieninhalt
Neben dem Fachwissen in den Bereichen Theater, Performance und Kunst in Aktion wird im Studium Darstellendes Spiel vor allem Theaterpraxis, zum Beispiel Improvisation oder Inszenierungsarbeit, vermittelt. In praktischen Übungen, Seminaren, Exkursionen und Projekten werden künstlerische, fachwissenschaftliche und fachdidaktische Lerninhalte und Methoden eng aufeinander bezogen. Reflexion, Argumentation und Theorie in den Bereichen Theater-Anthropologie und Theater-Ethnologie, Theater-Reformbewegung, Dramenanalyse und -theorie, Performance, in Modellen und Methoden der Theaterpädagogik oder im szenischen Schreiben sind zudem zentrale Bestandteile des Studiums.
Schwerpunkte in der Forschung sind unter anderem das Wort-Bild-Verhältnis, Theatralität, chorisches Theater, kollektive Kreativität, Kinder- und Jugendtheater und Musiktheater. In Wahlpflichtmodulen können Studierende inhaltliche Schwerpunkte setzen. Das Studium ist auf die fünf Hochschulen in Hannover, Braunschweig und Hildesheim aufgeteilt, die unterschiedliche Modulschwerpunkte anbieten. Das Studium soll an mindestens zwei Hochschulstandorten stattfinden.“ > https://www.uni-hannover.de/de/studium/studienfuehrer/spiel/studieninhalt/ Lediglich ein vierwöchiges Praktikum konfrontiert die Studenten mit Schule: „Praktikum
Im Bachelorstudium müssen zwei jeweils vierwöchige Praktika absolviert werden. Studierende, die einen Masterstudiengang für das Lehramt an Gymnasien anschließen wollen, müssen eines der Praktika in der Schule ableisten. Im Masterstudiengang für das Lehramt ist ebenfalls ein Schulpraktikum verpflichtender Bestandteil. Zudem werden künstlerische Praktika während des Studiums dringend empfohlen.“ > https://www.uni-hannover.de/de/studium/studienfuehrer/spiel/studieninhalt/
Auch hier ist Handlungsbedarf.
Weiterführendes
- Bundeszentrale für politische Bildung (Hg) 2011: Theater probieren. Politik entdecken. Bonn. 262 Seiten – Rezension
- Friedrich Verlag (Hg) 2018: Postdramatisches Theater. Schultheater Nr. 32/2018. Seelze. 48 Seiten – Rezension
- Hentschel, Ulrike 2010, erste Auflage 1995: Theaterspielen als ästhetische Bildung. Über einen Beitrag produktiven künstlerischen Gestaltens zur Selbstbildung. Uckerland: Schibri
- Hruschka, Ole 2010: Kompass für das Schultheater. (Rezension „Kursbuch Darstellendes Spiel”). In: IXYPSILONZETT. Beilage Theater der Zeit, Heft 1/2010. Berlin: Theater der Zeit: 37-38
- Hruschka, Ole 2011: Kritik üben – ein Baustein über die Kunst, Theater zu beschreiben und zu deuten. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg) 2011: Theater probieren. Politik entdecken. Bonn: 233-261
- Hruschka, Ole 2012: Theaterpädagogik in der Schule. In: Nix, Christoph/ Sachser, Dietmar/ Streisand, Marianne (Hg.) (2012): Theaterpädagogik. Berlin: Theater der Zeit: 166-181 > Rezension
- Hruschka, Ole 2013: Über alte und neue Rollen der Spielleitung. In: Hentschel. U. u.a. (Hg): Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 62, Uckerland: Schibri: 4-6
- Hruschka, Ole 2013: Dramaturgie lehren lernen. In: Fokus Schultheater 12. Zeitschrift für Theater und ästhetische Bildung, herausgegeben vom Bundesverband Theater in Schulen e.V. Hamburg: Körber-Stiftung: 15-21
- Hruschka, Ole/ Vaßen, Florian 2011: Theaterpraxis in der kulturellen Bildung. In: kulturelle Bildung DOSSIER > http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/60244/theaterpraxis?p=all (Letzter Zugriff: 01.10.2016)
- https://www.darstellendesspiel.uni-hannover.de/hruschka0.html (Letzter Zugriff: 25.10.2016)
- Iaconis, Ute Ena 2005: Das Fach Darstellendes Spiel im Zeichen der Bildungsreform. Ein Blick zurück und nach vorn von. In: Spiel & Theater Heft 176, Oktober 2005. Weinheim: Deutscher Theaterverlag: 2-8
- Iaconis, Ute Ena 2007: Überlegungen zur Erarbeitung von Bildungsstandards Darstellendes Spiel für die Sekundarstufe 1. In: Wozu das Theater? Dokumentation der Beiträge zum Kongress am 22.-24. März 2007 in Hamburg. Herausgeg. vom Bundesverband Darstellendes Spiel. Frankfurt/M: 42-43
- Iaconis, Ute Ena 2008: Lernen durch Theater. Unterrichtsstandards und Kompetenzentwicklung. In: Zukunft Schultheater. Das Fach in der Bildungsdebatte. Herausgegeben von Jurkè, Volker/ Linck, Dieter/ Reiss, Joachim. Hamburg: Edition Körber-Stiftung: 136-150
- List, Volker 2000: Körper und Raum. Wiesbaden: Hessisches Landesinstitut für Pädagogik
- List, Volker/ Pfeiffer, Malte 2009: Kursbuch Darstellendes Spiel. Stuttgart: Klett
- List, Volker 2014: Kursbuch Theater machen. Stuttgart: Klett
- List, Volker 2015: Theater 4.0 – Grenzenlose digitale Vielfalt > https://angewandte-theaterforschung.de/theater-4-0-grenzenlose-digitale-vielfalt/
- List, Volker 2017: Potenzialentfaltung im Theater-Unterricht > https://angewandte-theaterforschung.de/theaterunterricht-und-potenzialentfaltung/
- List, Volker/ Pfeiffer, Malte 2018: Kursbuch Darstellendes Spiel. Überarbeitete Neuauflage. Stuttgart: Klett
- Wenzel, Karl-Heinz 2006: Theater in B.E.S.T.-Form. Plädoyer für ein anderes Jugendtheater. Weinheim: Deutscher Theaterverlag
- Wenzel, Karl-Heinz 2011: B.E.S.T.- Das Praxisbuch. Eine exemplarische Projektbeschreibung in 10 Phasen. Weinheim: Deutscher Theaterverlag