[NÄHKÄSTCHEN 2]
Theaterunterricht und Inklusion – Umgang mit schwierigen Kindern
Meine aktuelle Arbeit gestaltet sich variationsreich. Zur Zeit coache ich drei Grundschulkolleginnen, die unbedingt mehr lernen wollen, wie man mit Kindern Theater macht, obwohl sie von der alltäglichen Arbeit in der Grundschule ziemlich überlastet scheinen. Der Aufgabenberg wächst nahezu täglich.
In einer Eingangsstufe (E1), das ist die Vorschule mit ca. 5-Jährigen, mache ich erste Erfahrungen mit dieser Altersstufe. Meine beiden eigenen Kinder sind mittlerweile über 30. Ich erinnere mich nur undeutlich, wie sie mit fünf waren.
Ich muss jetzt genau hinschauen, hospitiere, und werde auch gleich vereinnahmt: „Du Volker, kannst du mal nach Antilnoa gucken, was die macht?! werde ich höflich gebeten aus meiner Komfortzone des Beobachters herauszutreten.
„Ok!“, sage ich und gehe zum dem Einzeltisch(!) des Kindes. Sie arbeitet an Übungen zur Anlauterkennung von Wörtern. Sie ist ein wahrer Zappelphilipp, kaum Impulskontrolle, schlägt sich häufig selbst ins Gesicht, springt auf, wälzt sich am Boden, tritt um sich.
Kurz-Briefing der Grundschulkollegin: Einzelkind, Mutter alleinerziehend, unerzogen, darf alles, tyrannisiert die gesamte Umgebung, hat nie Grenzen aufgezeigt bekommen, …
Ich wende mich dem Kind zu. Sie fragt schon und greift nach mir: „Kannst du mir helfen?!“
Meine Rückfrage, was sie da machen soll, beantwortet sie zögerlich, aber richtig. Wir gehen jede Einzelaufgabe durch. Ich lobe viel. Ihr Blick: Anerkennung heischend. Keine sofortige Lösung: Wutausbruch, schreien, heulen.
Nach 20 Minuten intensiver Betreuung brauche ich eine Pause. Das Mädchen krallt sich die Kollegin: „Kannst du mir helfen?!“
Bestätigungen bei richtigen Lösungen, Lob und Anerkennung fruchten wenig.
Ich mache in der folgenden Stunde mit dieser Klasse Theater. Einfachste Grundlagen. Antilnoa ist begeistert dabei. Die Kinder können sich in vielfältiger Weise engagieren und mitmachen oder einfach erstmal nur zuschauen, je nach Temperament.
Sie „inszenieren“ nach ein paar Instruktionen ein Abenteuer von Hänsel und Gretel im Wald. Die ganze Klasse ist einbezogen.
Antilnoa ist in der gleichen Woche zufällig auch im Projekt Theater mit anderen Kindern, in dem ich auch eine andere Kollegin begleite. Dort glänzt sie – überraschend für alle – mit ihren Kenntnissen aus dem Theaterspiel in ihrer Klasse, heimst großes Lob von der Kollegin ein und strahlt wie ein Honigkuchenpferd.
Hat sich jetzt die Arbeit mit ihr gelohnt, ist die Zuwendung auf fruchtbaren Boden gefallen? Wird die Erfahrung nachhaltig sein? Kann sie daran anknüpfen?
In der Gruppe von 16 Kindern befinden sich ca. 5-6 Antilnoas, Jungen und Mädchen. Das ist auch mit zwei Kollegen kaum zu bewältigen. Und das ist nichtmal eine offizielle Inklusionsklasse. Praktisch aber eine ähnliche Herausforderung. Die anderen Kinder erhalten diese umfangreichen Zuwendungen nicht im Ansatz. Ist das pädagogisch korrekt und zu verantworten?
Bin gespannt, ob ich, ob wir, auf Dauer mit Theater etwas bewirken können.
Weiterführendes
- Amaya, Melanie 2013: Die Kunst sie „schön zu machen“ – Theaterpädagogischen Arbeit mit geistig behinderten Menschen. Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung zur/zum Theaterpädagogin/en BuT® > http://www.theaterwerkstatt-heidelberg.de/uploadverzeichnisse/downloads/AA_TP13_1_Amaya_M.pdf
- Fluegelman, Andrew/ Shoshana, Tembeck 1981: New Games – Die neuen Spiele. Weidgarten: Ahorn Verlag
- Fluegelman, Andrew 1999: Die neuen Spiele. Band 2. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr
- Hummel, Katrin 2014: Die Illusion mit der Inklusion. In: Frankfurter Allgemeine vom 17.06.2016
- Kluge, Meike 2014: Verzauberung-Entzauberung. Das Bilder- & Objekttheater ein kommunikationsunterstützender theaterpädagogischer Ansatz für die Inklusion von sprechenden & nicht sprechenden Menschen mit besonderem Förderbedarf !? Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung zur Theaterpädagogin BuT® > http://www.theaterwerkstatt-heidelberg.de/uploadverzeichnisse/downloads/AA_BF10_1__Kluge__M_Objekttheater.pdf
- LeFevre, Dale 2002: Best of New Games: Faire Spiele für viele. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr
- Mirka, Constanzi 2014: Biografische Theaterarbeit mit Menschen geistiger Behinderung. Was steckt hinter dieser Performance: Kunst oder Aufklärung? Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung Theaterpädagogik BuT ® an der Theaterwerkstatt Heidelberg http://www.theaterwerkstatt-heidelberg.de/uploadverzeichnisse/downloads/AA_TP14_1_COSTANZI_M_Biographische_Arbeit_m_Menschen_mit_Behinderung.pdf
- Portmann, Rosemarie 2015: Die 50 besten Spiele zur Inklusion. München: Don Bosco Verlag > Rezension
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