Studenten gestalten Schultheatertreffen mit neuem Konzept
In Gießen zeigten 300 Beteiligte Anfang Juli 2014 bei den 23. Mittelhessischen Schultheatertagen eine neue, zeitgemäßere Form von Schultheatertreffen.
Die 23. Mittelhessischen Schultheatertage wurden von dem Studentenkollektiv „ongoing project“ des Fachbereichs Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität in Gießen mit neuem Konzept versehen.
Traditionell werden die großen Schultheatertreffen der Länder und des Bundes unter dem Motto organisiert: Die besten Produktionen werden ausgezeichnet und erhalten die Geldpreise. Entscheidungskriterium ist, ob eine Produktion vorbildhaft für das Schultheater ist.
Meist konkurrierten dabei freiwillige Theater-Arbeitsgemeinschaften mit ihren Lehrern um die Lorbeeren. Während der Festivals, also bei der gegenseitigen Präsentation der verschiedenen Gruppen ging es in den Nachbesprechungen teilweise heftig zur Sache. Da flossen in der Vergangenheit auch schonmal Tränen, Frust machte sich breit und man reiste auch schonmal vorzeitig ab. Die Konkurrenzsituation der Gruppen förderte nicht immer die gemeinsame Leidenschaft des Theaterspielens. Schließlich wurde man eingeladen, weil man zu den Besten gehörte und der Umgang mit Kritik war schwierig.
Die Begehrlichkeit von Preis und Anerkennung wirkt manchmal kontraproduktiv und zeigt zuweilen der Öffentlichkeit ein falsches Bild von dem, was Darstellendes Spiel als Unterrichtsfach in Schulen leisten kann.
Dieser Konflikt spitzt sich nun zu, seit es regulären Theaterunterricht in der Oberstufe in Form des Unterrichtsfaches Darstellendes Spiel/ Theater gibt. Viele Theaterlehrer, die mit Leidenschaft, viel Zeit und großem Aufwand mit ihren Schülern in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften abendfüllende Produktionen erarbeiteten – und ohne Zweifel profitieren Schüler davon – unterrichten jetzt im Fachunterricht Darstellendes Spiel und Theater. Sie haben teilweise mehrere Theaterkurse in der Oberstufe und manchmal zusätzlich noch Gruppen in der Mittelstufe im Wahl- oder Wahlpflichtbereich zu betreuen. Die Folgen sind gravierend. Unter diesen unterrichtlichen Bedingungen sind Produktionen wie in den freiwilligen AGs nicht möglich. Die Anmeldezahlen für die großen Schultheatertreffen gehen zurück.
Das Gießener Studentenkollektiv „ongoing-project“ des Fachbereichs Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Alexander Bauer, Alma Wellner Bou, Chris Herzog, Jasmin Jerat, Ferdinand Klüsener, Triade Kovalenko und Lisa Schwalb erarbeiteten für das Schultheatertreffen in Mittelhessen ein neues Konzept. Ihr gelungenes Beispiel könnte einen Impuls setzen darüber nachzudenken, wie in Zukunft Schultheatertreffen aussehen könnten, die mehr Zusammenarbeit als Konkurrenz unter den Gruppen und Schulen fördern und nicht dazu verleiten, professionelles Theater nachzuahmen. Schultheatertreffen, sollten mehr – von ihrem pädagogischen Auftrag her gedacht – ästhetische und organisatorische Formen finden, die konstruktiver auf eine kulturelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen Einfluss nehmen.
Nach dem Konzept des Studentenkollektivs arbeiteten alle beteiligten Schultheatergruppen an einem Stück, an deren Ende eine gemeinsame Aufführung im Gießener Stadttheater stand. Gruppen aus unterschiedlichen Jahrgangsstufen und verschiedenen Schulformen erarbeiteten gemeinsam eine Aufführung. Schüler aus Förderschulen und Gymnasien hatten ein gemeinsames Ziel.
Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass dieses Konzept einen wesentlichen Beitrag zur Inklusion liefert, bei dem nicht verengt nur in den Kategorien von Behinderung und Nicht-Behinderung gedacht wird.
Die Schüler – und sicher auch die Lehrer – konnten aus neuer Perspektive auf ihr gesellschaftliches Umfeld schauen. Zielsicher haben die Gießener Studenten, die bereits zum Teil ihren Master in der Tasche haben oder kurz vor dem Abschluss ihres Studiums stehen, auch eine entsprechende Stückvorlage ausgewählt: „Das Badender Lehrstück vom Einverständnis“ von Bertolt Brecht.
„Gewisse Schüler und Schülerinnen wissen schon sehr früh, dass sie nicht zur Elite der Gesellschaft gehören. Dementsprechend kann man in sozial schwächeren Klassen auch mehr Wiederstand erwarten. Aber gerade hier hat das Konzept der 23. Mittelhessischen Schultheatertage (MHSTT) am meisten angeschlagen – in dem die Schüler_innen die Möglichkeit bekommen genauso wie alle anderen auf einer großen Bühne zu spielen.
Auch künstlerisch war die Zusammenarbeit von einer solch heterogenen Masse ein Zugewinn. In einem erarbeiteten Musikstück, das gerade für die Aufführung entsteht, antworten beispielsweise Schülerinnen auf die Frage ‚Wovon träumst du’? In dieser Schule, in der viele Kinder aus Migrationsfamilien kommen, wünschen sich die Schüler ihre Familien wieder sehen zu können, in einer anderen Schule wird danach gefragt: ‚Was wirst du vermissen, wenn du tot bist?’“ publiziert der Gießener Anzeiger unter der Überschrift „Schultheater durch alle Klassen“ (> http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/93608/schultheater-durch-alle-klassen/ 12.07.2014)
Hier wurde nicht selektiert nach Schulart und Herkunft. Hier wurden Kinder zu Beteiligten, die ansonsten wegen ihres Nicht-Könnens ausgeschieden werden. Hier wurden angemessene Orte für Auftritte für jeden gefunden. Hier haben sich die Beteiligten gegenseitig geholfen. Die Unterschiede wurden sichtbar und erschufen damit einen Raum, diese auch zu bearbeiten. Und Brechts Lehrstück lieferte die richtigen Stichworte dazu. Ein gelungenes Beispiel für eine Konstruktion, insbesondere von Brücken zwischen Angewandter Theaterwissenschaft, Profi-Theater, Darstellendem Spiel und Schultheater.
Michael Meyer, Theaterlehrer und Mitarbeiter im Schulamt, hielt die Fäden für die Organisation der 23. Mittelhessischen Schultheatertage in der Hand.
Die Fotos vom Schultheatertreffen hat Michael Meyer gemacht.
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