Reichel, Felix/ Reichel, Sabine 2019: Theater spielen mit Grundschülern. Praxiserprobte Übungen, Materialien & Tipps für kleine und große Theaterauftritte. Augsburg: Auer Verlag. 116 Seiten – Rezension
Sabine und Felix Reichel gehören scheinbar zu den Vielschreibern im Auer-Verlag; sie bieten an: Material zum Mathematik-Unterricht, zum Trainieren von Hörverstehen, zur Förderung von Medienkompetenz oder Tipps, um Ruhe ins Klassenzimmer zu bringen, und jetzt auch Material zum Theaterspielen. Sie sind beide abgeordnete Lehrkräfte an Lehrstühlen für Schulpädagogik der Universität Erlangen-Nürnberg.
Sie wollen u.a. Antworten geben auf die Fragen: Wie organisiere ich eine Theater-AG? Weshalb ist Theaterarbeit an der Grundschule überhaupt wichtig und richtig? Wie setze ich szenisches Spiel im Rahmen des Deutschunterrichts um? Sie wollen beschreiben, wie man Theater mit Grundschülern nach Vorlage oder nach eigenen Ideen macht, um ein Stück planvoll auf die Bühne zu bringen. Alles Fragen und Themen, zu denen es bereits seit Jahrzehnten zahlreiche Ausarbeitungen gibt, überwiegend bedingt hilfreich bis komplett an der Herausforderung gescheitert, heißt, es gibt nur wenige wirklich empfehlenswerte Anregungen.
Wir überprüfen, ob es der neusten Publikation zu diesem Sujet gelingt, wirklich hilfreiche Anregungen auf der Höhe der Zeit und dem aktuellen Wissens- und Erkenntnisstand auf diesem Gebiet im deutschsprachigen Raum entsprechend zu geben.
Inhalt
Das Inhaltsverzeichnis gibt auf einer Seite einen Überblick über die vier nicht nummerierten Kapitel, die alle wiederum in fünf Abschnitte gegliedert sind; diese sind aber merkwürdigerweise von 1-20 durchnummeriert.
Der Logik des Sujets folgend werden im ersten Kapitel durchaus sinnvolle und erprobte Übungen zum Aufwärmen beschrieben, wie in bereits Dutzenden vorliegenden Theaterbüchern und Übungssammlungen der letzten Jahrzehnte. Also warum noch ein weiteres Mal? Überdies sind Begriffsebenen und Kategorisierungen nicht plausibel, z.B. „5 Gruppenübungen“ und „3 Körperübungen“. Körperübungen können Gruppenübungen sein. Unklare Begrifflichkeiten, die auf ein unklares Verständnis des Themas hinweisen, durchziehen leider die gesamte Broschüre. Schon im zweiten Kapitel soll mit Szenen gearbeitet werden; was aber eine theatrale Szene ist, wird nicht erläutert. Das hat z.B. Jakob Jenisch vor Jahrzehnten schon in nicht zu übertreffender Prägnanz in seinen Schriften zum Theater mit Kindern und Jugendlichen beschrieben. Es gibt nunmal theatrale Fachbegriffe, wie in jedem Fachgebiet, ohne die eine angemessene Verständigung kaum möglich ist.
Stattdessen führen die Reichels z.B. den filmischen Begriff ‚Storyboard‘ ein. Warum das? Es wäre müßig hier alle die vielen Unklarheiten aufzuführen, die die Broschüre durchziehen. Vieles, was die Autoren beschreiben, ist im Einzelnen nachvollziehbar und ermöglicht tatsächlich eine schnelle Umsetzung in irgendeine Praxis in der Schule, die irgend etwas mit Theater zu tun hat. Im Schweinsgalopp werden dabei u.a. in wenigen Textzeilen alle möglichen Theaterformen angerissen, auf alle möglichen Probleme hingewiesen.
Insgesamt folgt die Broschüre aber einem traditionellen und altbackenen Theaterbegriff, der, um es knapp zu sagen, professionelles Dramentheater platt auf Amateure überträgt. Indizien und Belege dafür sind u.a. das Fehlen jeglicher Hinweise auf seit Jahrzehnten i.w. außerhalb Bayerns vorliegender Curricula für Theaterunterricht nicht nur für die Grundschule. Auch dass den Autoren offensichtlich nicht bekannt ist, dass es seit Jahrzehnten wunderbare kindgemäße Anregungen zum Theater-Machen für die Kleinen gibt, die sie nicht in das enge Korsett des traditionellen Dramentheaters zwingen – natürlich auch überwiegend außerhalb Bayerns, z.B. Czenry > https://angewandte-theaterforschung.de/czerny-2010-theater-safari-praxismodelle-fuer-die-grundschule/. En passant wäre auch zu fragen, warum die Autoren als universitäre Dozenten offensichtlich keinerlei Kenntnis von der Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel besitzen. Leider ist dies keine Einzelerscheinung in Bayern (vgl. die zahlreichen Rezensionen von Publikationen aus Bayern zum Thema schulische Theaterarbeit). Ob man hier dem altbekannten „Miersanmir“ folgt? Überdies arbeiten die Autoren an der Universität Erlangen-Nürnberg, dem Zentrum der theoretischen Beschäftigung mit schulischer Theaterarbeit in Bayern, für sie quasi nur eine Tür weiter. Und, ja, auch in Bayern gibt es tolle Leute, die sich seit Jahrzehnten mit Erfolg mit nachhaltiger ästhetischer Bildung mit Theaterarbeit beschäftigen und Darstellendes Spiel auf fachlich höchst fundierte Weise unterrichten (vgl. z.B. auch Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hg) 2017: Bereit für Theaterklassen! – Rezension).
Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang auch, warum die Broschüre kein Verzeichnis der benutzten Literatur enthält und keine Hinweise auf weiterführende Literatur gibt.
Das Gesamtfazit kann demnach nur lauten: Es täte dem Autorenteam gut, sich vor ihrer nächsten Publikation in diesem Sujet noch sachkundiger zu machen. Wer dennoch mit ihrer Broschüre arbeiten möchte, sollte sich bewusst sein, dass er hier eine Menge praktischer Anregungen findet, von denen tatsächlich viele unmittelbar in Praxis übersetzbar sind, diesen aber insgesamt ein angemessenes theoretisches Fundament und eine fokussierte Struktur mit durchgängig präziser Begrifflichkeit fehlen. Dilettantismus insbesondere bei Multiplikatoren ist aber nicht zu dulden. Dem Sujet Theater als Unterrichtsfach und fundierter kultureller Bildung wird mit dieser Broschüre leider wieder einmal ein Bärendienst erwiesen.
Als kleine Hilfestellung für die Autoren, sich kompetenter machen, sei ihnen z.B. für den Anfang die Lektüre des Hamburger Theater-Curriculums für die Grundschule ans Herz gelegt. Auch bieten die dortigen KollegInnen hervorragende Weiterbildungskurse an. Davon konnte ich mich persönlich überzeugen.
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