Auf der Ruhrtriennale wurden Kinder unvorbereitet mit Kunst konfrontiert. Das kann einen kontraproduktiven Effekt haben. Kein Verständnis führt zu Abwendung.
Warum haben Künstler und Theaterlehrkräfte so unterschiedliche Konzepte für kulturelle Bildung?
„We don’t need no education!“ rufen die Geister und Untoten von Zeit zu Zeit aus der Gruft des Idealismus, jetzt auf der Ruhrtriennale. Schauerlich schön ihr (Ab-)Gesang auf den Glauben, das Schöne werde sich schon Bahn brechen, wenn man es nur lasse.
Der Irrglaube gesellt sich dazu, die Schwester des Aberglaubens, man müsse nur fest genug das Dogma herzen, dann erschlösse es sich schon … für andere. Erinnert ein bisschen an den, der die Wahrheit im Wein sucht und am Ende volltrunken laut krakeelend durch die Welt taumelt. Ein jämmerliches Bild von Wahrheit. – Kulturelle Bildung geht anders.
Bitte wer kommt heutzutage noch auf den Gedanken, Kinder zu Juroren für Kunst zu machen und darauf zu hoffen, ihr „gefühltes, intuitives Wissen“ (http://www.ruhrtriennale.de/de/programm/no-education/ 17.07.2014) – sprich: ihre Vorurteile und Inkompetenz – seien die beste Grundlage für eine Bewertung, ein Urteil über Kunst?
Es gibt in jüngster Zeit in der kulturellen Bildung zunehmend Projekte, in denen Kunst und Schule aufeinander zugehen, miteinander arbeiten. Sie tun dies auch sehr erfolgreich, zu beidseitigem Nutzen, insbesondere zum Nutzen der Kinder und Jugendlichen. Das geht nur, wenn der eine den andern respektiert und sich gleichzeitig öffnet. Öffnet für eigene Veränderung. Für Lernen. Für Zugewinn an Erfahrung, an Wissen, an Kompetenz. Das macht aus Kindern Personen und Persönlichkeiten. Und das bereichert Kunst und Kultur, also menschliche Gemeinschaft.
Positionen von ‚Künstlern’ wie: Die Schule muss sich erst grundlegend ändern, bevor wir dorthin gehen, um unsere Kunst anzubieten, fördern die Sache nicht. Leider immer noch aktuell.
Lehrer und Theaterpädagogen, die sich für Theaterregisseure halten und professionelles Theater mit ihren Schülern nachäffen ebenso. Leider immer noch weit verbreitet.
Als Theaterlehrer freue ich mich natürlich über (kulturelle) Initiativen, die unseren Kindern den Rücken stärkt, sie groß macht. Meistens.
Bei näherem Hinsehen fühle ich mich allerdings manchmal zunehmend in eine Fragehaltung gedrückt. Bei „Rythm is it“ war das beispielsweise auch so.
Große Geschichten. Großes Echo. Große Bewunderung. Tja, wenn man mal Fachleute ranlässt. In diesem Fall Künstler.
Zugegeben ein tolles Projekt wars. Es sollte ganz viele davon geben. Jeder Schüler sollte in seinem Leben mehrmals die Chance erhalten, an solchen Projekten teilnehmen zu dürfen und Künstler als Lehrer zu haben. Auch mal als Bewerter, sprich: Juror bei großen Kunstereignissen dabei sein dürfen.
Und da liegt die Crux. Diese Projekte sind einmalig. Taugen nicht für die Masse. Sie sind keine Vorbildprojekte für die Niederungen des Lerngeschäfts im Theaterunterricht/ Darstellendes Spiel, in denen wir Theaterlehrer uns manchmal bis zum totalen Selbstverschleiß abrackern, um alle(!) unsere Schüler ein bisschen an Kunst heranzuführen – und wir betreuen jetzt schon Tausende von Schülern. Es könnten Hunderttausende sein. Das ginge vielleicht zügiger, wenn nicht gehypte Künstler falsche Vorbilder abgäben oder gegen das Lernen und den Kompetenzerwerb agitierten, wie es die Verantwortlichen der Triennale mit ihrem Nicht-Wissen-Konzept tun. Ich wünsche mir von ihnen einen Blick über ihren Tellerrand, ein konstruktives Miteinander.
Die Gießener wort-gewandten Theaterwissenschaftlicher standen (und stehen?) im Ruf höchst elitär und arrogant zu sein. Kunst definierte sich durch Abgehobenheit. Ein Kriterium war, nicht verständlich zu sein für ein Publikum außerhalb eines winzigen hermetischen Kosmos‘. Und bitte keine kritischen Nachfragen im Gespensterhaus!
Das hat sich scheinbar geändert. Einige öffnen sich, entdecken die Welt da draußen. Nicht nur das. Man will nun endlich auch mit ihr kommunizieren. Man beginnt zuzuhören. Man fragt nach. Und das Schönste: Man fängt an zu verstehen, dass Kunst bedeutungslos wird, wenn sie nur wenige erreicht.
„We don’t need NO EDUCATION!“ haben scheinbar einige Studenten ihren Führungskräften und Managern am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in brechtscher Manier entgegengesungen. Sind aus ihrer Selbstbespiegelungssuppe über den Tellerrand gekrochen und haben etwas entdeckt. Nämlich Themen, die die Welt bewegen. Nicht nur sie selbst. Haben alle Eitelkeiten zurückgestellt. Sind auf die Welt zugegangen und haben sich als Künstler eingemischt. Und beispielsweise Inklusion praktiziert.
Und sie haben eine Antwort vor ihrer Haustür gegeben.
Über die Antwort des Gießener Theaterkollektivs ongoing project berichte ich hier:
https://angewandte-theaterforschung.de/schultheatertreffen/
Weiterführende Hinweise:
- Puvogel, Renate: No Education. Ruhrtriennale: Schüler arbeiten in einer Jury. In: KUNSTUNDKUTUR. Kulturpolitische Zeitschrift 2/14. Herausgeg. von ver.di. Berlin. S. 11
- www.ruhrtrienale.de
- www.mammalian.ca
- http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/zu-guter-arbeit-gehoert-anstand-a-984707.html
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