Kann man in Zukunft an der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen ein Studium mit Lehramtsabschluss für Theaterunterricht machen?
Bisher gibt es nur eine Möglichkeit, grundständig auf Lehramt Darstellendes Spiel (DS) zu studieren und Theaterunterricht bzw. Darstellendes Spiel zu erlernen, und zwar an dem Verbund der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, der Technischen Universität Braunschweig, der Hochschule für Musik und Theater Hannover, der Universität Hannover und der Universität Hildesheim.
Eine Reihe weiterer Unis bieten die Fakultas DS als Erweiterungsstudium für fertige Lehrer bzw. Studierende mit einer Mindestzahl von Semestern eines Lehramtsstudienganges an. Neu reiht sich die Uni Koblenz-Landau in die Ausbildungsstätten für Theaterunterricht ein mit einem „lehramtsbezogenen Zertifizierungsstudiengang“.
Eignungsprüfungen sind obligatorisch. Die Uni Rostock erwartet von den Lehramtsbewerbern für Darstellendes Spiel und Theaterunterricht, „dass Sie sich mit einem Rollenausschnitt nach einer dramatischen Vorlage (und einem) freien Vortrag eines Gedichtes oder Prosatextes“ vorstellen.
Weiterhin müssen die Bewerber absolvieren:
„Bewegungstest, Stimm-/ Sprechtest, Rollendarstellung, Improvisationsaufgaben, Abschlussgespräch.“
Dem kundigen Leser drängt sich die Frage auf, ob die genannten Kriterien geeignet sind, qualifizierte Bewerber für eine Ausbildung zum Darstellenden Spiel bzw. für Theaterunterricht zu erkennen.
Die Uni Koblenz-Landau geht einen anderen Weg.
„Aufgrund der besonderen Anforderungen des Studiengangs und im Interesse eines erfolgreichen Studiums bieten wir an, Bewerber und Bewerberinnen vorab schriftlich oder mündlich zu beraten. Interessenten müssen nicht über Vorerfahrungen aus eigener theatraler oder theaterpädagogischer Praxis verfügen. (…) Die Zulassung zum Fach Darstellendes Spiel setzt das Bestehen einer Eignungsprüfung voraus.
Dem Antrag ist eine Bewerbungsmappe beizufügen. Diese enthält
schriftliche Kurzkonzeption zu einem Inszenierungsprojekt mit Jugendlichen zu einem festgelegten Thema einzusenden. Sie enthält neben der inhaltlichen Beschreibung unter anderem auch Raum- und Ausstattungskonzept, bevorzugte Methodik der Erarbeitung. Soweit vorhanden eine Beschreibung der künstlerisch-pädagogischen Vorerfahrungen im Bereich Spiel und Theater. Wird die Kurzkonzeption positiv bewertet, lädt der Prüfungsausschuss zu einer praktischen Prüfung ein. In der praktischen Prüfung nehmen die Bewerberinnen und Bewerber an einer dreistündigen Theaterwerkstatt teil. Geprüft werden die Fähigkeit zur Reflexion der szenischen Realisation, sprachliche Ausdrucksweise, Empathie, Beobachtungsvermögen und szenisches Verständnis.“ (gekürzt)
In Gießen stellt sich zur Zeit eine andere Frage bezüglich Studium Darstellendes Spiel. Nämlich ob überhaupt. Zum Procedere gleich mehr. Und wenn ja, wie?
Gießen hat besondere Umstände. Hier gibt es die Angewandten Theaterwissenschaftler (ATW), die ja weltweit von sich reden machen. Und es stellt sich die Frage, ob man aus dem Olymp der Theatergötter überhaupt herabblicken mag in die graue Kaserne Schule, geschweige herabsteigen, um selbst Hand anzulegen beim Aufbau einer Theaterlehrerausbildung.
Das Studium des ATWlers und das eines Theaterlehrers unterscheiden sich sehr. Das steht außer Frage. Schon die Beschreibung ihrer offenen „Ziele“ scheint gegenläufig zur Engführung einer Didaktik des Darstellenden Spiels, die ihr Anliegen in ein Schulformat zwängen muss. Ihr Ziel ist das einer „dreifachen Öffnung – ein offener Theaterbegriff, die An-Wendung von Wissenschaft und Theater und die Nicht-Spezialisierung in der Arbeit am Theater.“ Man will den Studierenden der Angewandten Theaterwissenschaft eine umfassende und weite Grundlage für ihre eigene wissenschaftliche und/oder künstlerische Praxis (…) bieten, die ihnen ermöglicht, mit großer Wachsamkeit und Sensibilität für neue Theaterformen in Kunst und Wissenschaft zu forschen, ihr eigenes Nachdenken über und Handeln im Theater aus unterschiedlichen Perspektiven zu reflektieren und mit ihren Tätigkeiten am Horizont eines Theaters der Zukunft zu bauen.“ Das hat wenig mit Schule zu tun.
Nur ein schlichtes „Probebühne“-Schild an einem vergammelten Gebäude signalisiert Theater; sonst kein Hinweis auf die Ausbildungsstätte von weltbekannten Künstlern, dem Fachbereich Angewandte Theaterwissenschaft an der JLU in Gießen.
Aber es gibt Schnittstellen, die scheinen auf den ersten Blick eher schmal zu sein. Dennoch. Es gibt da eine Probebühne, Theaterräume, es gibt eine Bibliothek, es gibt eine funktionierende Verwaltung. Man könnte helfen. Gespräche fanden wohl noch nicht statt. Es ist auch unklar, wer da mit wem sprechen sollte. Man hört, der Leiter des Fachbereichs wird nicht allzu oft in Gießen gesehen. Aber das ist eine andere Geschichte. Immerhin gibt es seit geraumer Zeit eine Zusammenarbeit der örtlichen Schultheaterszene und 2014 gab es sogar ein Großprojekt des Theaterkollektivs ongoingprojekt (ATW-Studierende), das federführend ein neues Format für die Mittelhessischen Schultheatertage erfolgreich erpobt hat. Geht doch.
Im Übrigen würden bei der Einrichtung vermutlich einige andere Fachbereich beteiligt sein und auch mitreden wollen, z.B. die Fachbereiche Sprache, Literatur, Kunst, Musik, Philosophie, deren Inhalte ja schon feste Bestandteile in der ATW-Ausbildung sind. Auch bilden sie in der Struktur durchaus didaktische Grundprozesse ab (ohne die offene Zielrichtung des ästhetischen Forschens zu vernachlässigen), wie sie in modernen Unterrichtskonzeptionen von Theaterunterricht a la Kursbuch vorgeschlagen werden. Vergleiche auch die Erläuterungen zu Theaterunterricht. So jedenfalls der Leiter Heiner Goebbels, der darauf hinweist, dass man z.B. auch in der „Regieausbildung (…) lernen (muss) alle theatralen Mittel (Raum, Licht, Ton) ebenso wie den Umgang mit Schauspielern durchzubuchstabieren, bevor man der Komplexität gewachsen ist, die es bedeutet mit all diesen Ebenen gleichzeitig umzugehen.“ (Goebbels 2012: 158)
Kommen wir zu der entscheidenden Frage: Woran hängt es?
Zunächst ist aber noch klarzustellen:
Es gab angeblich keinen Antrag der Uni an das HKM auf Einrichtung eines Studiengangs, wie es die FR behauptet hat: „Ein Antrag der Gießener Uni zum Aufbau eines solchen Lehramts-Studiengangs wurde von der Landesregierung genehmigt.“ Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen hat mir durch seinen persönlichen Referenten mitgeteilt, dass der genannte Prozess derzeit noch voll im Gange sei, in den eine ganze Reihe von Akteuren eingebunden seien und die JLU hierbei lediglich ein Partner in einer Verantwortungsgemeinschaft sei. Im Übrigen läuft das auch gar nicht so, per Antragstellung. Im Falle Gießen war es wohl so, dass das HKM angeblich den Impuls zur Einrichtung eines solchen Lehramtsstudienganges gegeben habe. Man würde das dann in den Gremien (Hochschulrat usw.) prüfen und mit dem HKM entsprechende Gespräche über die Ausgestaltung des Fachbereichs und des Studienganges führen und einen groben Studienplan entwerfen. Zuvor müsse man aber schauen, ob und wenn ja, überhaupt geeignetes Lehrpersonal zur Verfügung stünde, das wiederum – wegen der Freiheit von Forschung und Lehre – selbstverständlich ein entscheidendes Wörtchen mitzureden habe bei der Studienordnung bzw. sie nach ihren Wünschen gestalten wolle. Und dann gälte es noch die noch nicht veröffentlichten offiziellen Bildungsstandards für das Fach zu beachten und in den Studiengang zu integrieren.
So weit so gut.
Das alles würde aber erst in Gang gesetzt, wenn es eine feste Zusage zur dauerhaften Finanzierung der Einrichtung dieses Studienganges gibt. Vorläufige Schätzungen gehen von 300.000€ pro Jahr aus, die vom Kultusminister oder vom Wissenschaftsminister oder von beiden locker gemacht werden müssten. Und da liegt der Hase im Pfeffer, wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu erfahren ist. Keiner von beiden will sich dieses Loch in seine Kasse reißen lassen. Die Finanzierungsfrage wird wie eine heiße Kartoffel hin und her gereicht.
Man will doch lieber – erstmal oder an Stelle von – einen kleinen Koffer packen >
„Gemeinsam mit den Kommunen und privaten Förderern werden wir zum Schwerpunkt Kulturelle
Bildung ein Modellprojekt „Kulturkoffer“ für junge Menschen im Alter von 10 bis 16 Jahren entwickeln.
Damit sollen Kinder und Jugendliche kostenfreie oder kostengünstige Angebote im vielfältigen Bereich der kulturellen Bildung erhalten.“ So steht es im Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und Bündnis90/Die Grünen Hessen für die 19. Wahlperiode des Hessischen Landtags 2014-2019 auf S. 92.
Zu fragen wäre auch, ob z.B. die 500.000 € Unterstützung privater, kommerzieller Musikschulen (für Privatzahler) die richtige Wahl von Wissenschafts- und Kunstminister Boris Rhein ist, wenn gleichzeitig Defizite in der kulturellen Bildung (Musik, Kunst, Theater) in den öffentlichen Schulen bestehen.
Wird hier im Kulturellen auch der Privatisierungsideologie gehuldigt, die uns demnächst mit TTIP, CETA und TiSA massiv ins europäische Haus einfällt?
Dabei gäbe es da doch eine ganze Menge Renommé abzustauben mit der Möglichkeit zu so einem Studium Weltweit wird seit Jahren bis in die höchsten Gremien das hohe Lied der kulturellen Bildung gesungen und in zahlreichen Studien die positive Wirkung von Kulturarbeit insbesondere in konfliktreichen Gebieten beschworen und neuerdings mit noch viel mehr Geld – es sind angeblich mindestens dreistellige Millionenbeträge – Untersuchen angeregt, die beweisen sollen, was längst vielfach bewiesen ist und wache Menschen als Bestandteil eines friedlichen Lebens sehen: ein gemeinsames Miteinander zu lernen. Theaterunterricht könnte da einen wichtigen Beitrag leisten. Aber dazu braucht’s mehr Theaterlehrer, sehr viel mehr, und zwar als kostenloses Bildungsangebot an öffentlichen Schulen für alle; nicht nur für Privatzahler.
Alles könne möglicherweise recht schnell gehen. Wenn denn die finanzielle Zusicherung käme. Wir warten … aber’s kommt net.
Studierende ATWler bei der Arbeit. Ob sie einmal mit Kommilitonen kooperieren werden, die Kompetenzen für Theaterunterricht erwerben wollen?
Weiterführendes
- Goebbels, Heiner (2012): Ästhetik der Abwesenheit. Texte zum Theater. In: Theater der Zeit. Recherchen 96, Berlin: Theater der Zeit
J. A. meint
Vielen Dank für diesen Artikel. Ich studiere Gymnasiallehramt in Hessen (Frankfurt) und würde gerne Darstellendes Spiel unterrichten. Wissen Sie, wo ich die erforderlichen Kompetenzen erwerben kann? Vielen Dank.
Volker List meint
Hallo,
das Schultheaterstudio Frankfurt bietet zahlreiche Möglichkeiten an, sich zu qualifizieren, z.B. hier https://schultheater.de/weiterbildung-bearbeitung.html
Beste Grüße
Volker