Theater-Lehrkräfte coachen durch Training-On-The-Job
Seit dem Schuljahr 2015/16 berate und coache ich Grundschul-Lehrkräfte bei ihren Bestrebungen, sich für das Theater-Lehren zu qualifizieren.
Coachen hat sich zu einem Allerweltsbegriff entwickelt, ähnlich wie das Label Berater. Beide sind als Titel nicht geschützt, deshalb darf sie jeder verwenden. Es gibt zahlreiche Institutionen und Unternehmen, die die unterschiedlichsten Zertifikate für ihre Ausbildungsangebote zum Coach ausstellen. Dementsprechend unterschiedlich sind die Qualifikationen und Kompetenzen, mit denen die zukünftigen Coaches ausgestattet werden.
Meine Qualifikation basiert auf zahlreichen Coachings und Beratungen, die ich in Unternehmen, Institutionen und pädagogischen Einrichtungen unterschiedlichster Größen mit den verschiedensten Zielsetzungen seit den 1990er Jahren durchführe. Dabei habe ich mit verschiedentlich qualifizierten, teilweise sehr erfahrenen Coaches in der Supervision oft eng zusammengearbeitet und konnte auf diese Weise das erworbene Praxiswissen umfassend reflektieren.
Ein Coach ist im weitesten Sinne ein Betreuer, der seinen Coachee darin unterstützt, sein Potenzial zu entfalten und Kompetenzen auszubauen und anregt, seine Probleme selbst zu lösen. Dies tut er mit unterschiedlichsten Interventionen. Diese reichen von reflektierenden Gesprächen, in denen der Fokus auf offenen Fragen liegt, die der Coach seinem Coachee stellt, um seinen Blick geschickt auf die Problembereiche zu lenken, die der Coachee selbst nicht sehen kann, weil er in diesen Bereichen natürlicherweise betriebsblind ist.
Der distanzierte Blick des Coachs von außen ermöglicht ihm dies auf der Grundlage einer sorgfältigen Analyse der Redeinhalte und der Körpersprache seines Cochees bzw. seines Verhaltens während seiner Arbeit bzw. seiner Tätigkeiten. Insofern sind extrem wache Aufmerksamkeit im Kontakt mit dem Cochee und eine hohe Analyse-Kompetenz, sowohl in psychologischer als auch in kommunikativer Hinsicht, von Nöten und Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Coachen.
Es geht nicht darum, dem Coachee den einen richtigen Lösungsweg zu zeigen und ihn dorthin zu führen, sondern mit großem Einfühlungsvermögen, die spezifischen Persönlichkeitsmerkmale des Cochees zu entdecken, und von diesen ausgehend die individuellen Potenziale zur Lösung von Problemen bzw. zur Entwicklung und zum Ausbau von Kompetenzen zu entdecken, sodass der Cochee diese selbst ins Auge fassen kann und als sein zukünftiges Arbeitsfeld erkennt.
In einem folgenden bzw. integrierten Beratungs- und Lernprogramm erarbeitet der Coach mit seinem Coachee Möglichkeiten des Handelns. Hierzu rückt der Coach meist mehrere Optionen in das Blickfeld und lässt den Coachee wählen, in welcher Weise er seinen Veränderungsprozess gestalten möchte, denn der Coachee weiß in der Regel (anfangs unbewusst), wo bei ihm, bei seiner Arbeit anzusetzen ist.
Insofern ist ein Coach eher eine Katalysator bzw. ein Enzym, der/ das nicht inhaltlich in den Prozess involviert ist, ihn aber entscheidend beeinflussen kann.
Diese Setzung hat zur Folge, dass der Coach sehr darauf bedacht sein muss, den Kontakt auf professioneller Ebene zu halten, da die Gefahr besteht, dass aus der unabdingbar vertrauensvollen Beziehung eine vertraulich-freundschaftliche Beziehung erwächst, die keine kritische Distanz mehr garantiert. Ein seriös geführter Coachingprozess kann u.U. dazu führen, dass der Coachee seine bisherige Tätigkeit aufgibt und sich eine andere sucht, weil er entdeckt hat, dass ihm die notwendigen Ressourcen und Potenziale fehlen, dass sein aktuelles Umfeld ihn bei seiner Entwicklung behindert oder andere Gründe.
In meinen Coaching-Projekten zeigte sich das Verfahren Training-On-The-Job für berufliche Problem bzw. Kompetenzentwicklung als ein besonders wirkungsvolles Instrument. Diese Arbeitsweise ist am ehesten zu vergleichen mit der Arbeit des Coachs einer Mannschaft im sportlichen Bereich.
Wie bedeutsam diese Arbeit ist, zeigt sich z.B. darin, dass in Fußballmannschaften nach verlorenen Spielen recht schnell der Coach/ Trainer ausgewechselt wird bzw. dass eine wenig erfolgreiche Mannschaft mit einem neuen Trainer sehr schnell erfolgreich sein kann.
Der Vorteil der Arbeitsform besteht darin, dass sich die Analysebasis des Coachs nicht auf Erzählungen und Interpretationen des Coachees beschränkt, was leicht zu Fehlschlüssen führen kann, sondern er den Coachee unmittelbar bei der Ausübung seiner Tätigkeiten bzw. seinem Handeln erleben kann, und er sich auf die Weise unvermittelt ein Urteil bilden kann.
Nach einer Beobachtungsphase (Coach beobachtet Coachee beim Handeln) erhält der Coachee vom Coach ein Zwei-Stufen-Feedback nach dem folgendem Muster:
- „Ich habe folgendes gesehen: ..
- Was ich gesehen habe, hat bei mir das Folgende ausgelöst: …“
Alternativ – je nach Situation, oder ergänzend – ist auch ein Feedback nach dem folgenden Muster angezeigt:
- „Gut gefallen hat mir …, weil …
- Ich wünsche mir …, weil …“
Das Coachen von Theater-Lehrkräften oder von Menschen, die sich in diesem Bereich qualifizieren wollen, nach dem Verfahren von Training-On-The-Job, hat eine doppelte Herausforderung zu bewältigen. Zum Einen muss es die Entwicklung des Coachees anregen, seine eigenen künstlerischen Kompetenzen auszubauen und zum Anderen muss es dazu führen, dass der Coachee seine Schüler in die Lage versetzt, selbst Kompetenzen darin zu entwickeln Theater zu machen, um auf diese Weise seine Selbstwirksamkeit in einem ergebnisoffenen ästhetischen Prozess entwickelnd wahrzunehmen.
Das Verfahren Training-On-The-Job mit Theater-Lehrkräften ist demnach kein Regie-Workshop, der nach professionellem Muster Lehrkräfte darin schult, ein Stück mit Amateuren zu inszenieren, wie es noch vielfach in der Theater-Pädagogen-Ausbildung gelehrt wird (vgl. u.a. Hentschel 2010, 2016; Hruschka 2016; Wiese 2006; Primavesi 2014). Es ist vielmehr eine unterstützende Begleitung darin, die Kunst, Theater zu lehren, zu erlernen. Pädagogischer und künstlerischer Anspruch gehen dabei eine Symbiose ein (vgl. List: Die Kunst Theater zu lehren). –
In Hessen startet mit der folgenden Ausschreibung eine Initiative, um mehr Theater an Grundschulen zu ermöglichen:
Grundschule Hessen – Theater für ALLE!
Grundschulen in Hessen, an denen auch geflüchtete Kinder unterrichtet werden, sind eingeladen, sich für die Teilnahme am Schulentwicklungsprogramm „Theater für ALLE!“ zu bewerben.
Ziel des Programms ist es, Grundschulen dazu zu motivieren und zu befähigen, Darstellendes Spiel als integrative Methode in allen Fächern und schulischen Bereichen einzusetzen. Zudem soll jede Schülerin/jeder Schüler die Möglichkeit bekommen, Theater als Spiel- und Kunstform zu entdecken.
Gerade im Grundschulalter eröffnen spielerische Herangehensweisen, die den ganzen Körper, Mimik, Gestik, Stimme und den Raum einbeziehen, Kindern die Möglichkeit, sich schulische Lerninhalte leichter und mit mehr Freude zu erschließen. Dabei wird den Bedürfnissen der Kinder nach Bewegung, nach Eigenaktivität und -verantwortung, nach sozialer Interaktion – auch ohne Sprache – und einem ganzheitlichen Lernen mit allen Sinnen in vielfältiger Weise entsprochen: Gerade im Grundschulalter eröffnen spielerische Herangehensweisen, die den ganzen Körper, Mimik, Gestik, Stimme und den Raum einbeziehen, Kindern die Möglichkeit, sich schulische Lerninhalte leichter und mit mehr Freude zu erschließen. Dabei wird den Bedürfnissen der Kinder nach Bewegung, nach Eigenaktivität und -verantwortung, nach sozialer Interaktion – auch ohne Sprache – und einem ganzheitlichen Lernen mit allen Sinnen in vielfältiger Weise entsprochen: Darstellendes Spiel ist inklusiv, denn jede Schülerin und jeder Schüler kann, unabhängig von ihrer/seiner Herkunft, von ihren/seinen Deutschkenntnissen und individuellen Begabungen und Beeinträchtigungen aktiv teilhaben und sich einbringen.
Darstellendes Spiel ermöglicht individuelle Förderung, denn es bietet unterschiedliche Zugangsweisen zu Lerninhalten und bietet im Spektrum seiner unterschiedlichen Arbeitsfelder beste Voraussetzungen für binnendifferenzierten Unterricht.
Darstellendes Spiel fördert die Persönlichkeitsbildung, denn die Schülerinnen und Schüler können sich in verschiedenen Rollen und in ihrer gesamten Körperlichkeit erproben und werden sich hierdurch „ihrer selbst bewusst“.
Darstellendes Spiel unterstützt den Spracherwerb, denn Sprache kann hier spielerisch in unterschiedlichsten Situationen erprobt und eingeübt werden, begleitet von allen Formen des körperlichen Ausdrucks.
Darstellendes Spiel fördert Integration, denn das gemeinsame Spiel eröffnet umfassende Möglichkeiten des sozialen Miteinanders, ermöglicht Freude durch gemeinsame Erfolge, gibt Mut, auch das Scheitern in Kauf zu nehmen, um neue kreative Lösungsansätze zu finden, erweitert das Verständnis für die Verschiedenheit der Perspektiven des Gegenübers und fördert Ausdauer und Durchhaltevermögen mit Blick auf ein gemeinsames Ziel. Zudem werden im Darstellenden Spiel Grundwerte unserer Gesellschaft, wie Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung sowie die Übernahme von Verantwortung exemplarisch vermittelt und intensiv eingeübt.
Über einen Zeitraum von zunächst einem Schuljahr erhalten zehn regional verteilte Grundschulen Hessens Unterstützung durch ihren „Theatercoach“ in Form von Schulentwicklungsberatung, Fortbildungen für das gesamte Kollegium, individuelles Mentoring und Unterrichtsentwicklungsberatung mit gemeinsam geplantem Unterricht und Projekten. Es wird zudem für alle teilnehmenden Schulen und deren Kollegium die Möglichkeit zur Vernetzung, gegenseitigem Austausch und Hospitationen gegeben.
Voraussetzung zur Teilnahme:
Grundschule Hessen – Theater für Alle! soll wissenschaftlich begleitet und nach einem Jahr evaluiert werden. Die zunächst zehn teilnehmenden Schulen sollten bereit sein, anschließend als Referenzschulen für die Region zu Rate gezogen zu werden.
Die Schule verfügt über mindestens eine ausgebildete Theaterlehrkraft und /oder ist bereit, eine Kollegin / einen Kollegen zur Teilnahme am Weiterbildungskurs Darstellendes Spiel des Hessischen Kultusministeriums oder zur Grundlagenqualifizierung des Landesverbandes Schultheater in Hessen (LSH) frei zu stellen. https://www.schultheater-in-hessen.de/weiterbildungskurs-fortbildung-ds/
Die Schule ist offen für Kooperationen mit externen Theatern, z.B. im Rahmen von TUSCH (https://www.tusch-frankfurt.de/home.html) oder FLUX (https://kultur.bildung.hessen.de/theater/kooperationsprojekte/flux/index.html)
Bewerbung: Online vom 5.6. bis 21.06.2017 über das KulturPortal des Hessischen Bildungsservers: https://kultur.bildung.hessen.de/theaterfuerALLE!/index.html
Das Formular muss zudem ausgedruckt und von der Schulleitung unterschrieben gesendet werden an: Hessisches Kultusministerium Referat für besondere Bildungs- und Erziehungsaufgaben Herrn Marcus Kauer, Referent für Kulturelle Bildung Luisenplatz 10 65185 Wiesbaden
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