Weidemann, Gisela (Hg) 2010: Jetzt machen wir Theater! Troisdorf: Bildungsverlag EINS. 137 Seiten – Rezension
Können Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren schon Theaterspielen? Ja, aber, beantworten die Autoren diese Frage, die Arbeit ziele nicht auf ein vorführbares Ergebnis. Vielmehr sei der Weg das Ziel. (9, 27)
Die Frage stellt sich gleich zu Anfang, warum bezeichnen die Autoren ihre Arbeit mit Kindern als Theater, wenn es noch gar kein Theater ist. Denn klar ist, das Theatermachen besteht nicht nur aus einem Weg, sondern auch aus einem Ziel, nämlich einer Aufführung vor Publikum. Gerade das macht es zum Theater.
Inhalt
Vorwort 5
1 Spielerische Bildung auf den Brettern die Liebe bedeuten 7
2 Theater in der Kita 11
2.1 Was kann Theater in der Kita? Theaterpädagogischer Exkurs 12
2.2 Der Erfahrungshorizont von Zwei- bis Dreijährigen 19
2.3 Rolle und Selbstbild der Erzieherinnen und Erzieher 28
2.4 Theaterpädagogische Übungen für Erzieherinnen und Erzieher 31
3 Die Umsetzung in der eigenen Einrichtung 39
3.1 Voraussetzungen und Bedingungen 40
3.1.1 Zeitrahmen 40
3.1.2 Alter der Kinder und Gruppengröße 41
3.1.3 Raumbedingungen in der Kita 42
3.1.4 Personaleinsatz 43
3.1.5 Kommunikation und Transparenz im Team 44
3.1.6 Nachhaltigkeit durch Dokumentation 46
3.1.7 Elternarbeit 48
3.2 Ideen und Impulse für eigene Theaterstunden 49
3.2.1 Themenfindung 50
3.2.2 Raumwahrnehmung 52
3.2.3 Gruppenprozesse 52
3.2.4 Sprache, Klänge, Requisiten – künstlerische Ausdrucksmittel 55
3.2.5 Exkurs Stabpuppenbau 68
3.2.6 Spieltechniken und Spielbausteine 71
3.2.7 Der Aufführungsrahmen 78
3.3 Begegnung mit dem professionellen Theater 80
3.4 Eigener Aufführung im Theater 83
3.5 Die Theaterstunde: Anwendungsbeispiele mit Reflexion 87
4 Projektmanagement 99
4.1 Langfristige Projektplanung
4.2 Partner 102
4.3 Finanzierung und Sponsoring 105
5 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Einrichtungen 109
5.1 Pressearbeit 110
5.2 PR-Aktionen 112
5.3 Werbemaßnahmen 112
6 Projekt SPIELWIESE: Zum Stellenwert von Theaterprozessen in der( früh)kindlichen Bildung 117
6.1 Theaterprozesse als Elemente (früh)kindlicher Bildung? 118
6.2 Theoretische Überlegungen oder wie Schillers Bildungskonzepte sich auch auf (früh)kindliche Bildungsprozesse übertragen lassen 119
6.3 Wegstrukturen des Theaterprojekts SPIELWIESE 120
6.4 Ergebnisse einer Komponentenanalyse 122
6.4.1 Zur Ausgangslage 122
6.4.2 Bewegung im Raum: Die Ebene der Motorik 124
6.4.3 Mimetisch-gestische Übungen 126
6.4.4 Zu den sprachlichen und musikalischen Ebene 127
6.5 Zum theatralischen Gesamtkonzept der Versuchsanordnung 129
7 Anhang 131
7.1 Literaturverzeichnis 132
7.2 Liedtexte 134
7.3 Die Autoren 137
Dass für Kinder mit Beginn des zweiten Lebensjahres das „So-tun-als-ob“ (19) immer wichtiger werde und dass sie beim Spielen die vielen neuen Erfahrungen, die sie täglich machen, verarbeiten und dass ihnen das Spiel hilft, Erlebtes miteinander zu verbinden, macht ihr Spiel noch nicht zu Theater. (20)
Auch dass das Nachspielen von unbewältigten Erlebnissen bei der Verarbeitung hilft, macht dieses (Rollen-)Spiel noch nicht zu Theater.
Die Autoren raten davon ab, vorgefertigte Handlungsstränge von den Kindern nachspielen zu lassen. Improvisation sei gefragt. „Kinder in diesem Alter spielen ausschließlich für sich und aus Freude. […] Was zählt, ist nicht das Ereignis, sondern das Ins-Spiel-kommen und das In-Gang-setzen kreativer Potenziale in den Kindern selbst.“ (21)
„Der Wechselwirkung von Darsteller und Publikum sind sie sich noch nicht bewusst“ (71) und „Jüngere Kinder spielen an sich nicht für Zuschauer. […] Es muss den Kindern erlaubt sein, während des Spiels [und einer Aufführung] auf die Eltern zuzugehen und sich bei Ihnen aufzuhalten.“ (78)
Wir werden sehen, wie die Autoren mit dieser scheinbar eigenwilligen Definition von Theater weiter umgehen.
Die Autoren gehen davon aus, dass Spielleiter „keine Vorkenntnisse im Bereich des Theaters benötigen.“ (28) Ihre Aufgabe bestehe darin, dass sie „die Brücke vom freien kindlichen Spiel zur theateralen Szene [oder Performance] schlagen. Dabei nehmen sie Impulse auf und kanalisieren diese in einer Form, die den Kindern Zugang zu theatralen Spieltechniken und -bausteinen verschafft.“ (28)
In den Anwendungsbeispielen zeigen die Autorinnen konkret, wie das ‚Theaterspielen’ mit kleinen Kindern gehen kann. Grundlegend bedeutsam ist eine klare Struktur der „Theaterstunde“. Diese startet immer mit dem gleichen Ritual: Sitzkreis und Begrüßungslied. Jedes einzelne Kind wird wahrgenommen und die Rahmung von Theaterarbeit als kulturelle Bildung sinnlich erlebt: Einzelne Menschen finden zur Gruppe zusammen, und nur auf diese Weise sind sie zu besonderen Leistungen im Stande. Dieses Wechselspiel zwischen Individuum und Gruppe wird als Wesensmerkmal von Theaterarbeit und Theater-Machen gelebt.
Bewegungslieder als Impulse locken die Kinder in weitere körperliche Aktionen. Ein entsprechender Einsatz einfacher Gegenstände und Instrumente unterstützt den Kompetenz-Erwerb in Bezug auf Zeitgefühl, Dynamik und Komposition.
Eine Erweiterung der Bewegungsimpulse mithilfe von Tiervorstellungen regt die Kinder an, die ihnen bekannten Tiere mimetisch mit den Ihnen bereits möglichen körperlichen Ausdrucksmitteln zu demonstrieren.
Aufforderungen der Spielleitung an die Kinder, selbst Vorschläge zu machen und Anregungen zu geben, die von den anderen Kindern umgesetzt werden, führen zu einer hohen Qualität der Selbstwirksamkeit, die für ein starkes Ich-Bewusstsein und ein hohes Selbstwertgefühl unabdingbar sind.
Kulturelle Bildung at its best.
Im nächsten Schritt können die Kinder mit einfachen Gegenständen improvisieren und diese in ihr mimetisches Spiel einbeziehen, z.B. Chiffon-Tücher als Flügel für Vögel. Die einfachen, multifunktionalen Gegenstände werden von den Kindern intuitiv und fantasievoll auch ohne Anweisungen der Spielleitung in ihr mimetisches Spiel experimentierend einbezogen.
Die Autorinnen vergessen nicht dem Alter der Kinder gemäß immer wieder Möglichkeiten anzubieten, zur Ruhe zu kommen. (87-89)
Die Autorinnen beschreiben weitere Möglichkeiten des fantasievollen Umgangs mit Materialien. Dabei werden geübte einfache Bewegungsmuster bzw. einfache künstlerische Gestaltungstechniken und -methoden (Techniken der Zeit, der Lautstärke, der Dynamik usw.) spielerisch auch z.B. auf Stab-, Finger- und Handpuppen übertragen.
Theaterstunden enden grundsätzlich mit einem Abschlussritual, z.B. einem gemeinsamen Lied, in das Themen und Dinge, mit denen gearbeitet wurde, nochmals einbezogen werden.
Mit dieser klaren Dramaturgie einer Theaterstunde bzw. des Theater-Machens erleben die Kinder ihre Arbeit als eine Künstlerische, in der sie von Anfang an in ästhetische Prozesse verwickelt werden und diese vielfach mitgestalten können. Sie werden nicht zur Objekten einer Inszenierungsabsicht einer vermeintlichen Regisseurin gemacht, die sie im Wesentlichen auf schauspielerische Darstellung reduziert. Sie werden vielmehr spielerisch durch angemessene und altersgemäße überwiegend sehr offene Impulse gelockt, mehr und mehr Ihre künstlerische Gestaltungskompetenz und damit sich zu gestalterischen Subjekten ästhetischer Prozesse zu entwickeln.
Hinführung zum Theater-Machen als Kulturelle Bildung mit den ganz Kleinen at its very best.
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