Der Ton macht die Musik. Live erzeugte Geräusche, ob Stimmen, Musik oder irgendwie erzeugte Geräusche besitzen im Theater große Gestaltungskraft
Die Augen führen den Menschen in die Welt. Die Ohren führen die Welt in den Menschen. So ähnlich hat es einmal Joachim-Ernst Berendt gesagt, der viele interessante Tatsachen über die Welt des Hörens herausgefunden hat.
Im Schultheater tun wir uns und unseren Schülern ein Gefallen, wenn wir dem Hörbaren die Aufmerksamkeit schenken, die ihm zukommt und versuchen Lernarrangements zu schaffen, bzw. Lernimpulse zu geben, die unsere Schüler anregen, selbst produktiv-kreativ Töne und Geräusche zu erzeugen, als sich auf die vermeintlich sichere Wirkung von industriell gefertigter Musik aus der Audioanlage zu verlassen.
Ein kleines Beispiel gibt einen Hinweis, welche Bedeutung das Gehör für Menschen zur Orientierung in der Welt hat. Man hat festgestellt, dass Menschen eine Atombombenexplosion anschauen können, ohne emotional davon berührt zu sein. Betrachter können dem Atompilz sogar eine gewisse Ästhetik abgewinnen. Die Schreie eines gefolterten Mitmenschen aber, den die Hörenden nicht sehen, können sie kaum ertragen.
Was bedeutet diese Erkenntnis für Theaterunterricht?
Ganz allgemein das Hörbare nicht zu vernachlässigen, sondern seine Bedeutung richtig einzuschätzen und gebührend in das Training kultureller Bildung einzubeziehen.
Esslin bestätigt: „Die Arten von Drama, die ohne Musik auskommen, bilden durch die Geschichte hindurch alle zusammen einen relativ kleinen Teil der Gesamtheit aufgeführten Dramas; viel häufiger wurden und werden immer noch eingefügte Lieder, Tänze und stimmungsvolle Musik im Hintergrund verwendet. Man denke nur an die allgegenwärtige Hintergrundmusik im Film- und Fernsehdrama. (…) Die Musik, die den Gesang begleitet, sorgt ebenfalls für einen starken ‚Subtext’, indem sie die Stimmung, die verborgenen Gedanken und Gefühle der Figuren erkennen lässt.“ (Esslin 1989: 91)
Die Einführung von moderner Tontechnik hat darüber hinaus „das Anwendungsgebiet der Toneffekte gewaltig ausgedehnt worden. Stereophonischer Ton kann im Theater die ganze Skala natürlicher Töne von Vogelgezwitscher bis Erdbeben simulieren, während im Film ausgeklügelte quadrophonische Apparate das Publikum mit Tönen aus allen Richtungen überfluten können und zum Beispiel in ‚Katastrophenfilmen‘ wahre Orgien dramatischer Gewalt produzieren. Toneffekte dieser Art sind ‚ikonisch‘, weil direkt abbildend. Doch sie können gelegentlich auch symbolisch verwendet werden.“ (Esslin 1989: 92)
Was gibt es an Hörbarem im Schultheater?
Es scheint drei unterschiedliche Gruppen von Schallquellen zu geben:
Dominant sind offensichtlich die Stimmen und die Sprache der Akteure. Außerdem gibt es alle Live-Geräusche, die irgendwie im Zusammenhang einer Aufführung zu hören sind, geplant oder nicht geplant.
„Indem ein Geräusch auf dem Theater – wie auch immer – ein anderes Geräusch denotiert, weist es zugleich auf den Vorgang, das Objekt oder die Handlung hin, die das bedeutete Geräusch verursacht haben, und fungiert auf diese Weise auch als ein Zeichen für die jeweilige Geräuschquelle. (…) Geräusche mögen dergestalt als theatralische Zeichen einen großen Reichtum potentieller Bedeutungen zu entfalten.“ (Fischer-Lichte 1988: 165).
Zum Einsatz von Stimme und Sprache gibt es im Modul 9.3 Stimme, Sprache, Text Anregungen und in dem dazugehörigen Tutorial hat der Autor einige Hinweise gegeben, wie man im Theaterunterricht damit umgehen kann: Die generelle Empfehlung lautet: Wenig Text, aber diesen am Leistungsvermögen der Schüler anknüpfend, fördernd und nicht überfordernd, in dem man sie z.B. Sprechtexte klassischer Dramen deklamieren lässt, die sie selbst kaum oder gar nicht verstehend plappern. Das hat immer noch eine unsägliche Tradition, die nach Beobachtungen des Autors zumeist aus antiquierten Vorstellungen von Deutschunterricht herrühren.
Mit den Live-Geräuschen, befindet man sich in einem für Theaterunterricht hilfreichen Bereich, weil Schüler selbst und unmittelbar in vielfältiger Weise allein und in der Gruppe koordiniert körperlich kreativ aktiv sein und agieren können.
Im „Kursbuch Theater machen“ hat der Autor etliche Beispiel dafür gegeben. Und wenn man sieht, wie Schüler gemeinsam und koordiniert z.B. eine Geräuschkulisse aufbauen – und mit welcher Freude sie das tun – dann wird die kompetenzaufbauende Wirkung eines solchen Trainings offensichtlich.
Bei Youtube findet man Projekte (https://www.youtube.com/watch?v=eh3Hyms96Eg) die beispielhaft zeigen, wie man auch mit größeren Schülergruppen mit Tönen arbeiten kann, und es wird offensichtlich dabei, mit welcher Leichtigkeit man sich auch des Themas Inklusion annehmen kann, weil die Arbeit und die Lernimpulse so klug angelegt sind, dass alle mitmachen können und dabei das Gefühl entsteht, dazu zu gehören, nicht ausgeschlossen zu sein, auch wenn man nicht so kompetent ist wie manche andere. Denn die Mehrheit der Gruppe entwickelt eine Integrationskraft durch diese gemeinsame Arbeit, eben Kulturarbeit. Alle werden in ihrer Individualität wahrgenommen und akzeptiert. Alle bekommen Anerkennung und Wertschätzung. Keiner wird hier aussortiert.
Das ist das Besondere an kultureller Bildung: Es wird ein Gefühl für das Gemeinsam jenseits aller persönlichen Unterschiede erzeugt, ohne dabei alle gleich zu machen. Dieses Gefühl zu erzeugen, ist die Leistung kultureller Bildung.
Auf dieser Basis von grundlegender Wertschätzung ist eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Menschen leichter auszuhalten. Das kulturelle Band, das kulturelle Bildung erzeugt, hält diese Differenzen so zusammen, dass sie nicht gewaltsam eskalieren, sondern im Idealfall einen konstruktiven Impuls für die Entwicklung einer Kultur geben.
Die Sehnsucht vieler Schüler in Musicals mitzumachen, rührt vermutlich von der gemeinschaftsstiftenden Funktion durch das gemeinsame Singen, sei es zu Playback oder live. Natürlich spielen auch gewisse medial vermittelte Vorbilder hier eine Rolle. Es ist nur die Frage, ob man seine Schüler zu Statisten und Anhängseln von industriell gefertigter Playbackmusical-Musik degradiert und sie nur noch eingeübte Bewegungsmuster wie Marionetten dazu machen lässt oder ob sie selbst kreativ-produktiv ein Singspiel, wie man früher gesagt hat, schreiben und aufführen lässt.
Zanders zeigt in seinem Vortrag überzeugend, welche Geschichten Musik erzählen kann und dass klassische Musik jeden Menschen berühren kann (vgl. Zander 2008). Glennie, eine Percussionerin, zeigt sehr einfühlsam und auch mit praktischen Vorführungen, warum das Hören so wichtig ist für ein Verständnis der Welt (vgl. Glennie 2003).
Also lieber selber singen und Geräusche machen.
Zum Einsatz von Stimme und Sprache gibt es im Modul 9.3 Stimme, Sprache, Text Anregungen und in dem dazugehörigen Tutorial habe ich einige Hinweise gegeben, wie wir im Theaterunterricht damit umgehen können.
Weiterführende Hinweise:
http://www.ted.com/talks/benjamin_zander_on_music_and_passion#t-3872
http://www.ted.com/talks/evelyn_glennie_shows_how_to_listen#t-20678
… und sich inspirieren lassen von solchen Aktionen:
https://www.youtube.com/watch?v=eh3Hyms96Eg (Irish Version of The Cup Song !)
https://www.youtube.com/watch?v=pCB4lzzw0No
https://www.youtube.com/watch?v=nWelB7Oap7U
Literatur
- Esslin, Martin (1989): Die Zeichen des Dramas. Reinbek: Rowohlt
- Fischer-Lichte, Erika (1998): Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Wege zu einer performativen Kultur. In: Fischer-Lichte/ Pflug (Hg.)(1998): Theater seit den 60er Jahren. Tübingen: UTB
- Hawemann, Horst (2014): Leben üben. Improvisationen und Notate. Recherchen 108. Hg. von Christel Hoffmann. Berlin: Theater der Zeit. (Besonders hilfreich die Übungen auf den Seiten 173-175) > Rezension
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