Theaterunterricht und Change Management
Schleuter, W./ von Stosch, J. 2009: Die sieben Irrtümer des Change Managements und wie Sie sie vermeiden. Frankfurt/M: Campus Verlag. 218 Seiten – Rezension
Was hat Theater-Unterricht mit Change Management zu tun?
Beim Lesen des Buches hatte ich sehr oft das Gefühl, ein Buch über unser Bildungssystem zu lesen; von Autoren die sich darin besonders gut auskennen. Aber sie sind ja Manager eines der erfolgreichsten Automobilkonzerne und sie berichten über die Veränderung ihres Unternehmens, ihr Innovations- und Change Management und welche Vorstellungen von Lernen und Verändern sie dabei geleitet haben.
Wie inspiriert mich das Buch für meinen Theaterunterricht?
In den folgenden Ausführungen versuche ich die vermeintlichen Parallelen mal etwas genauer herauszuarbeiten. Im Hintergrund steht natürlich auch immer wieder die Frage, wie es mit dem Zusammenhang von Schul- und Berufserfolg bestellt ist. Die Wissenschaft hat uns ja vor Jahren schon mehr als deutlich vor Augen geführt, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt; Schule also nicht auf das Leben vorbereitet. Warum wohl?
Kann Theaterunterricht, der Selbstlernprozesse anregt und möglichst viel Verantwortung an die Schüler abgibt, einen sinnvollen Beitrag leisten?
Ich finde Parallelen!
Die Autoren fassen die sieben Irrtümer von Change Management zusammen. Ich versuche eine(n) jeweilige(n) Übersetzung/Übertragung/Bezug (durchaus zugespitzt) in unseren spezifischen Bildungsbereich. Das wird nicht durchgängig konsequent möglich sein, aber es gibt in den wesentlichen Punkten sehr deutliche Übereinstimmungen und ein paar Denkanstöße.
Es geht in dem Buch natürlich nicht um Change Management im Bildungsbereich, sondern darum, wie in Unternehmen gelernt wird, die einen hohen Anspruch an ihre Mitarbeiter haben und ambitionierte Visionen hinsichtlich ihrer Stellung und ihres Erfolgs im Markt.
Die Übersetzung dazu könnte lauten: Wir wollen mit unserem Bildungskonzept, speziell mit unserem Theaterunterricht – denn darauf habe ich direkten Einfluss – einen hohen Anspruch an die Qualität der Bildungsmöglichkeiten für unsere Schüler umsetzen und unsere Ambitionen gehen dahin, sie für das kommendes Berufsleben besser zu qualifizieren als bisher
Ich suche Entsprechungen zwischen Change Management und (Theater-) Unterricht, mache mich also auf, gleiche oder ähnliche Irrtümer unserer Bildungsanstrengungen zu finden.
Bei der Beschreibung der großen Lernaufgabe (des Changes) haben die Manager sieben Irrtümer entdeckt:
- Irrtum: Visionen sind Chefsache –
Übersetzung: Lehrer lehren frontal und auf sich zentriert
- Irrtum: Mitarbeiterbefragungen sind Selbstläufer –
Bezug: Gruppenarbeit funktioniert immer (ohne methodische Vorbereitung)
- Irrtum: Über Schwächen spricht man nicht –
Paradoxon: Lehrer sind durch das Korrigieren auf Fehler fixiert
- Irrtum: Berater schaffen Wandel –
Übertragung: PISA, Vergleichstests und Schulinspektion bringen die nötige Qualität
- Irrtum: Kreative Unruhe stört den Betrieb –
Übersetzung: Ruhe im Schulhaus sichert die Vereinzelung und isolierte Wissensanhäufung und damit die Macht der Lehrer (divide et impera)
- Irrtum: Netzwerkorganisationen führen zu Chaos –
Übersetzung: Team- und Ensemblearbeit führen zu Chaos
- Irrtum: Nach mir die Sintflut –
Und ewig grüßt das Murmeltier: Lehrer und Schüler im Hamsterrad (the same procedure as every century)
Nun will ich mir das Konzept der Manager etwas genauer anschauen. Schließlich war ich im Jahr 1999 selbst ein bisschen an der Etablierung des Innovations-Managements bei Audi mit Theaterprojekten, Trainings, Großgruppenveranstaltungen, Teamtrainings und Coachings beteiligt.
Nochmal zur Erinnerung.
Lernen heißt Veränderung.
Lernen heißt, sich immer wieder und ständig auf Neues einzulassen, das Neue zu prüfen und wenn es geeignet erscheint, als Kompetenz in die Persönlichkeit zu integrieren, damit es dann, wenn es gebraucht wird, abgerufen werden kann.
Change Management ist eigentlich „nur“ lebenslanges Lernen, immer wieder wach und achtsam auf Veränderungen des Lebens einzugehen und sich ihnen anzupassen. Wer sich nicht verändert stirbt (aus). Wir Menschen sind eine Spezies mit sehr hoher Anpassungsfähigkeit.
Wie haben die Audi-Manager mitgeholfen, ihr Unternehmen erfolgreich zu machen?
Audi hat sich natürlich auch Berater ins Haus geholt, die Anstöße zu Veränderung also zum Lernen geben sollen. Ich übersetze jetzt einfach mal Berater als Lehrer. Dann liest sich die folgende Passage so:
Wir sind nicht gegen Berater/Lehrer … nur sollte Beratung/Lehren als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden.
Die zentralen Schlagworte ihres Konzeptes lauten: sensibilisieren – ermutigen – bestärken – einladen umzudenken.
Ihr Acht-Stufen-Plan für die Umsetzung tiefgreifenden Wandels/ Lernens, und wieder versuche ich zu übertragen und Analogien oder Parallelen zu finden:
- Ein Gefühl für die Dringlichkeit erzeugen –
Übersetzung: Ich als Lehrer muss Schüler begeistern können. Was natürlich nur geht, wenn ich selbst begeistert bin.
- Die Führungskoalition aufbauen –
Übertragung: Nicht alle Schüler lassen sich von mir gleichermaßen begeistern. Die Schüler, die Lust auf Lernen haben, entwickeln zusammen mit mir einen Sog, dem sich nur wenige entziehen können. Die Schüler, die sich längerfristig diesem Sog entziehen, erhalten das entsprechende Feedback vom gesamten Ensemble und eine individuelle Lernwegs- und Laufbahnberatung von mir.
- Visionen und Strategien aufbauen –
Übersetzung: Der Lehrer muss sichtbar machen, welchen Sinn das Ganze hat. Das geht nur, wenn er die Handlungsrelevanz der Lerninhalte und Methoden schnell und plausibel deutlich macht.
- Die Vision des Wandels kommunizieren –
Übertragung: Ständig Neues lernen heißt auch, sich ständig von Veraltetem zu verabschieden. Es gibt kein Lernen für die Ewigkeit. Immer wieder neue Fehler vorbereiten (Brecht, Bertolt: Mühsal der Besten, aus: Geschichten des Herrn Keuner).
- Empowerment auf breiter Basis –
Übertragung: “Empowerment“ ist Selbst-Bemächtigung im Sinne von Wiedergewinnung von Stärke, Energie und Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse. Im Bildungsbereich: Selbstlernkompetenz führt zu Selbstbewusstsein.
- Kurzfristige Ziele ins Auge fassen –
Übersetzung: Methodisch und prozessorientiert denkend Schritt für Schritt Kompetenzen erwerben, die sich später in grundlegenden, Schlüssel- oder Handlungskompetenzen verdichten und Teil der Persönlichkeit werden.
- Erfolge konsolidieren und weitere Veränderungen ableiten –
Übertragung: Auf der Grundlage von Angeboten von Improvisationen nächste Gestaltungsschritte definieren und umsetzen (Konturierung einer Rolle oder Figur/ Gestaltung einer Szene usw., im Folgekurs auf dem Gelernten aufbauen und auch kritisch damit brechen).
- Neue Ansätze in der Kultur verankern –
Übersetzung: Schüler nutzen Verhaltensmuster selbstständig und tragen sie in andere Kontexte (Denise berichtet freudig im Theaterkurs: Ich habe jetzt unser Feedbackritual auch in meinem Deutsch-Leistungskurs eingeführt.)
Jedem Theaterlehrer und auch anderen Unterrichtenden sei die Lektüre dieses Buches an Herz gelegt. Wir verlieren als Lehrer über die Jahre den Kontakt zur Wirklichkeit außerhalb der Schule. Das Buch kann eine kleine Anregung sein, uns damit zu beschäftigen, welche zunehmend höheren Anforderungen und ständigen Veränderungen auf unsere Schulabgänger warten … und vielleicht unseren Unterricht ein wenig mehr daran zu orientieren.
Zum Abschluss sei noch an eine grundlegende Erkenntnis erinnert:
Nur wer die Herzen bewegt, bewegt die Welt.
Lernen, oder wie man heute so schön sagt: nachhaltiges Lernen, funktioniert nur, wenn die gelernten Inhalte auch emotional geankert sind.
Die Autoren zitieren u.a. John P. Kotter, dass „die Rolle der Emotionen … weder in den Lehrbüchern (und Schulbüchern!) noch in der Managementpraxis (Schulunterricht!) besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird“. Die Übertragungen in Klammer habe ich hinzugefügt. (Zitat: Kotter, John P.: Das Prinzip Dringlichkeit. Schnell und konsequent handeln im Management. Frankfurt/M 2009. Campus Verlag, S. 5)
Weiterführendes
- Becker, Annette 2013: Theaterorientierter Ansatz im Coaching. Perspektiven verändern, neue Wege beschreiten, Sinne öffnen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag > Rezension
- Funcke, Amelie/ Havermann-Feye, Maria 2015: Training mit Theater. Wie Sie Theaterelemente in Trainings und Unternehmensveranstaltungen erfolgreich einsetzen. Bonn: managerSeminare Verlag > Rezension