Becker, Annette 2013: Theaterorientierter Ansatz im Coaching. Perspektiven verändern, neue Wege beschreiten, Sinne öffnen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. 224 Seiten – Rezension
Becker will zeigen, „wie sich Erfahrungen aus dem Coaching und dem Theaterspiel gegenseitig ergänzten und befruchten.“ (9) Theaterpädagogik „ist der Schlüssel zur Erlangung von grundlegenden Einsichten und zur Weiterentwicklung.“ (9)
Becker gibt an, „speziell theaterorientierte Methoden“ entwickelt zu haben, „die sich gezielt sowohl in Coachings als auch im Kommunikationstrainings einsetzen lassen.“ (9) Sie sieht sich als „’alter Theaterhase’“ (36) und versteht ihr Buch als „ein Leitfaden“, der dem Leser „’Kochrezepte’, wie sie einen theaterpädagogischen Prozess aufbauen können“, an die Hand gibt. (38)
Der Coaching-Begriff wabert seit geraumer Zeit zunehmend durch nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Als Anglizismus klingt er erstmal wichtig. Heute berät keiner mehr freundschaftlich, brüderlich, väterlich oder kollegial. Und der Berater-Begriff ist seit den Interventionen der Unternehmensberater, die im Interesse von Hedge-Fonds unterwegs sind, auch denunziert. Der Begriff Coach ist nicht geschützt. Jeder darf in benutzen. Es gibt keine einheitlich anerkannte Ausbildung.
Was also genau meint Coaching? Was könnte und sollte es bedeuten?
Becker betont, dass die Intervention des Coachings dazu diene, „Einsichten und Lösungen [zu] finden, die eine zukünftige Unterstützung überflüssig machen. […] Coaching hat das Ziel, die Potenziale der Klienten weiterzuentwickeln. […] Coaching will das Selbstvertrauen in die eigene Lösungskompetenz erhöhen.“ (16) Coaching wird damit zu einer Begleitung beim Lernen. Man könnte auch von betreutem Lernen sprechen.
Diese grundlegenden Setzungen für Coaching definieren damit die Initiierung von Lernprozessen, die die Gesamtpersönlichkeit im Blick haben und unterscheiden sich damit zunächst nicht von den Setzungen einer staatlich sanktionierten bzw. organisierten Allgemeinbildung in öffentlichen Bildungseinrichtungen, unabhängig wie sie im Detail und von Lehrer zu Lehrer verschieden umgesetzt wird.
Wir schauen, worin die Besonderheiten eines theaterpädagogischen Einsatzes beim Coaching bestehen?
Inhalt
Business-Coaching
- Was unterscheidet Business-Coaching von anderen Beratungen?
- Gründe, Themen und Ziele für Business-Coaching
- Welche Ziele verfolgt Business-Coaching?
- Selbstverständnis eines systemischen, lösungsorientierten Coachings
- Erlebnis- und handlungsorientierte Coachingmethoden
- Kriterien für den Einsatz erlebnis- und handlungsorientierter Methoden
- Beispiele erlebnis- und handlungsorientierter Coachingmethoden
Das Konzept des theaterorientierten Ansatzes
- Gründe und Herausforderungen für den theaterorientierten Ansatz
- Gründe für den theaterorientierten Coachingansatz
- Herausforderungen beim Einsatz des theaterorientierten Ansatzes
- Lern- und Erfahrungsfeld Theaterarbeit
- Wichtige Elemente der Plattformen »Erleben« und »Verkörpern«
- Der theaterorientierte Ansatz
- Konzept einer ganzheitlich-systemischen Theaterpädagogik
- Der theaterorientierte Coachingansatz
- Anwendungsbereiche für theaterorientiertes Coaching
- Arbeitsinhalte für den beruflichen Kontext
- Leitfaden: Arbeit mit dem theaterorientierten Ansatz im Coaching
- Spielungewohnte Menschen an den theaterorientierten Ansatz heranführen
- Die Arbeit mit dem theaterorientierten Ansatz
- Den Zugang zum Ansatz erleichtern
- Auf abwehrende Sätze reagieren
Anwendungsbeispiele für den theaterorientierten Coachingansatz
- Beispiel 1: »Dabei habe ich es genau gesagt!«
- Oder: Wenn Informationen aus Wort und Wahrnehmung nicht zusammenpassen
- Coachingansatz mit dem Fokus Körpersprache
- Leitfaden: Innere Haltung – Körpersprache
- Beispiel 2: »Die Rede hätte ich mir sparen können!«
- Oder: Wenn Informationen nicht verarbeitet werden können
- Coachingansatz mit dem Fokus Stimme
- Leitfaden: Inneres Bewegen – Stimme
- Beispiel 3: »Was habe ich nicht schon alles probiert!«
- Oder: Wenn der Sprecher verstanden, aber nicht gehört wird.
- Coachingansatz mit dem Fokus Rolle
- Leitfaden: Rolle
- Beispiel 4: »Jeder macht seinen Job.«
- Oder: Wenn Einzelkämpfer zusammen spielen sollen
- Coachingansatz für den Fokus Zusammenspiel
- Leitfaden: Zusammenspiel
- Beispiel 5: »Da müsste ich mir was einfallen lassen!«
- Oder: Wenn Struktur auf Individualität trifft
- Coachingansatz mit dem Fokus Improvisation
- Leitfaden: Improvisation
- Beispiel 6: »Das geht nicht!«
- Oder: Wenn Wahrnehmungskanäle dicht machen
- Coachingansatz mit dem Fokus Wahrnehmungsblockaden
- Leitfaden: Wahrnehmungsfilter lösen
Anforderungen, Ausbildung, Einsatzfelder
- Anforderungen an den Coach
- Selbstverständnis der Theaterpädagogik
- Theaterpädagogische Weiterbildung
- Einsatzfelder der Theaterpädagogik außerhalb des Theaters
- Exkurs: Historie des mitteleuropäischen Theaters
- Exkurs: Kommunikationsstruktur des Theaters
- Tätigkeitsfelder der Theaterpädagogik
- Grenzen des Unternehmenstheaters
- Theaterarbeit und Gesellschaft
- Abgrenzung zu Rollenspielen im Coaching
- Grenzen von Rollenspielen im Coaching
- Fazit
Theaterorientierte Methoden
- Theaterorientierte Methoden, die zum Einsatz kommen können
- Methodenübersichten
- Methoden in alphabetischer Reihenfolge
- Die Übungen im Detail
- Aufbau der Übungen
Business-Coaching (BC) zielt – so Becker eine Studie von Gallup Consulting (2008) zitierend – darauf, für ein Unternehmen die richtigen Mitarbeiter zu finden, also Selektion. BC soll den Unternehmensertrag erhöhen. Die berufliche Leistungsfähigkeit soll gesteigert werden. (18) Hierin zeigt sich eine grundlegende Einschränkung des zuvor beschriebenen nach Ganzheitlichkeit von Potenzialentfaltung klingenden Ansatzes. Der Mensch soll innerhalb eines definierten Systems von unternehmerischer Ertragssteigerung funktionieren. Deshalb muss alles getan werden, damit er gesund bei maximaler Leistungsfähigkeit innerhalb der vorgegebenen Prozesse bleibt. Becker versteht unter Coaching ein „Mittel zur Kompetenzerweiterung“, das „die Integration von Kompetenz und Humanität“ anstrebt. (22) Insofern stellt sie in ihrer Liste der „Anforderungen an einen Business-Coach“ eine „humanitäre Grundeinstellung“ ganz an den Anfang. (23)
Wir werden sehen, wie Becker im Kontext einer priorisierten Effizienzsteigerung innerhalb eines profitorientierten Wirtschaftsunternehmens dem Humanen und einer „emanzipatorischen Kundenorientierung“ (24) diese Priorität mit theaterpädagogischem Businesscoaching verschaffen will.
Zunächst zitiert Becker ausführlich Beschreibungen von Rellstab zu Stanislawskis naturalistischer Schauspielpraxis, ergänzt diese durch Hinweise auf die Werke von Schulz von Thun und einiger Sprechtrainer, deren Arbeiten sie als „Basis einer Schauspielausbildung“ (45) sieht und folgert: „Ein Laie kann aus diesen grundlegenden Elementen der Schauspielausbildung alles nehmen, was er für eine stimmige, authentische und zielgerichtete Kommunikation braucht – verbal und nonverbal.“ (45) Fragwürdig dabei ist, dass Becker den von Stanislawski als erster beschriebenen naturalistischen (!) „Als-ob“-Schauspielstil gleichzeitig mit Schulz von Thuns Beschreibungen von alltäglicher natürlicher (!) Kommunikation in einen Topf wirft und daraus Authentizität ableitet.
In meinem Business-Alltag war anfangs genau diese Verwirrung die Ursache beim Einsatz theatraler Methoden in Training und Coaching und die Probanden regierten mit Abwehr: „Soll ich hier etwa schauspielern lernen?!“ und meinten damit, ob sie lernen sollten, sich zu verstellen und lernen sollten, nur so zu tun, „als ob“. Ob sie beispielsweise lernen sollten, so zu tun, als ob sie traurig wären, wenn sie ihren Untergebenen mitteilten, dass sie beispielsweise umgeschult oder entlassen würden.
Becker listet die „Anforderungen an einen Business-Coach“ auf (23) und betont die grundlegende Bedeutung einer hohen Kompetenz des Coachs, denn von ihm hinge es ab, „wie nachhaltig er einen Menschen (hier Akteur) auf die Suchfunktion ausrichten kann,“ die ihn zum Ziel führt. (48) Die in diesem Kontext mehrfach wiederholte Aussage, dass die Wirkung von Theater „automatisch“ (49) einträte und „immer“ wirke (36), bleibt ein wenig rätselhaft, zumal als Wirkung auch angenommen wird, wenn sich jemand dem Theater entziehe. Mit so einer Aussage kann allem und jedem in der Welt Wirkung bescheinigt werden. Eine wenig hilfreiche Annahme auf der Erkenntnissuche, vor allem wenn gleichzeitig festgeschrieben wird: „Eine strikte Lösungsorientierung: Theaterpädagogik hat immer [sic!] ein konkretes Ziel, ein Wozu, vor Augen.“ (36) Eben gerade nicht. (vgl. eine aktuelle Diskussion in > 10 Jahre Winterakademie).
In ihrem „theaterorientierten Coachingansatz“ versucht Becker „Elemente des ganzheitlichen, systemischen Coachings und [das] Konzept ganzheitlich-systemischer Theaterpädagogik“ zu kombinieren. (51) Zur Konkretisierung listet sie allerdings weitgehend die seit vielen Jahren bereits praktizierten grundlegende Elemente einer theaterpädagogischen Arbeitsweise auf:
- „Handlungsweisen werden – quasi experimentell – immer wieder verändert, um zu sehen, welchen Einfluss dieses auf die Situation hat. Es gibt kein Falsch!
- Der experimentelle Weg strebt an, eine Anzahl als geeignet empfundener veränderter Handlungsweisen zu generieren. Es gibt mehr als eine mögliche Lösung.
- Das iterative Vorgehen festigt das handlungs- und erlebnisorientierte Lernen. Der experimentelle Weg ist gleichzeitig ein Prozess.
- Dieser Prozess führt bekannte Handlungsweisen über mehrere Veränderungen immer näher an die problemgenerierende Situation heran. Ressourcen und Wohlbefinden des Klienten bestimmend das Tempo.
- Metamorphosen und Sprünge sind erlaubt.
- Voraussetzungen dafür, diesen experimentellen Weg beschreiten zu können, sind eine gelöste Grundhaltung, offene Wahrnehmungskanäle und ein geschützter Raum.“ (51)
Also nichts Neues (siehe die unzähligen Publikationen, die seit vielen Jahren solcherart beschriebene theaterpädagogische Arbeitsweisen ausführlich darlegen).
Beckers Versuch, ihren vorgestellten Ansatz von Coaching als ein „Mittel zur Kompetenzerweiterung“, das „die Integration von Kompetenz und Humanität“ (22) anstrebt, über die Schiene der Theaterpädagogik zu etablieren, bleibt an jenen Stellen unausgearbeitet, wenn sie davon spricht, dass er dazu dienen soll „überall dort, wo Handlungen nicht die gewünschten Ziele erreichen“, diese denn doch erreicht werden sollen. Nicht näher beleuchtetet und hinterfragt wird das Wozu: Das Unternehmensziel. „Einsatzfelder für theaterpädagogische Methoden können also überall dort sein, wo Handlungen nicht die gewünschten Wirkungen erreichen.“ (52) Becker fragt nicht nach, wer sich welche Wirkungen wünscht und in welchem Interesse diese sind. Wer ist der Nutznießer? Eine Integration von Kompetenz und Humanität kommt an einer klaren Werte-Diskussion und einer eindeutigen Wert-Haltung aber nicht vorbei.
In meiner eigenen Businessarbeit wurde mir schnell klar, dass ich für mich eine rote Linie ziehen muss. „Gewünschte“ Unternehmensziele unterstütze ich nicht um jeden Preis und ich unterstütze nicht jede Form von Unternehmenskultur, wenn sie zum Ziel meiner Arbeit macht, Mitarbeiter so zu verändern, das sie die von der Unternehmensführung „gewünschten“ Wirkungen hervorbringen. Es macht für mich als Coach einen Unterschied, ob ich beispielsweise eine Führungskraft in der Luftfahrtaufsicht coache, und ihr helfe, eine gewünschte Wirkung zu erreichen, nämlich ihr Team so aufzustellen, dass sie als Ziel eine Null-Fehler-Toleranz erreichen, oder ob ich Atomkraftwerksbetreiber rhetorisch wirkungsvoller mache, Mienenhersteller-Führungskräfte helfe, „gewünschte“ Ziele zu erreichen (und Argumentationsstrategien gegen ein schlechtes Gewissen erarbeiten), Verkaufsleiter coache und sie dabei unterstütze, ihre Teammitglieder noch besser mit Manipulationstechniken aus dem Sammelsurium des NLP aufzurüsten. Nicht ohne Grund werden z.B. letztere Trainings und Coachings weit höher honoriert als andere. Schmerzensgeld.
In einem „Leitfaden“ zeigt Becker einen „Musterprozessablauf“, der weitgehend die einzelnen Schritte eines allgemeinen Lernprozesses beschreibt: Vorklärung, Klärung der Ziele und Umfeldes, Problemevaluierung, Hypothesenbildung, methodischer Einstieg mit Hilfe von Körperarbeit und Entspannungsübungen, Arbeitsphase und Transferphase. Man kennt das aus vielen Lehrbüchern zur Theorie des Lernens. Beckers weitere Zitate aus den Werken Rellstabs benennen hilfreiche Hinweise, wie ein theaterpädagogischer Prozess gestartet werden sollte und wie man Skeptiker überzeugen kann. (62) Unklar bleibt hier ein Hinweis Beckers auf einen kritischen Einwand eines Klienten: „Wir machen das nicht vor Publikum“ (60), negiert es doch das, was Theater grundlegend ausmacht.
Bei meiner Arbeit mit Beschäftigten war grundsätzlich klar, dass es bei angekündigter Theaterarbeit auch immer eine Aufführung gibt. Wo kein Publikum, ist auch kein Theater. Alles andere ist Psychodrama, Rollenspiel, Beratung, Therapie oder wie man es nennen mag. Begriffliche Klarheit wäre hier hilfreich. Ansonsten geraten die Inhalte durcheinander. Unklar Inhalte führen zu ungenauer Auftragsklärung und bedeuten schlechte Ausgangspositionen für Interventionen.
In sechs verschiedenen Anwendungsbeispielen beschreibt Becker allgemein einen jeweiligen Ablauf eines Coachings bei bestimmten Problemen. Dabei geht sie recht systematisch vor, beachtet relevante Einflussgrößen und benennt entsprechende Übungen aus der Sekundärliteratur, z.B. Improvisationsübungen, die einer Lösung des Problems förderlich sein können.
Im ersten Beispiel geht es um Inkongruenz zwischen verbaler Aussage und Körpersprache. Ziel der Intervention nach Becker ist demnach, mit den genannten Übungen eine Selbsterfahrung zu induzieren, um in einer Nachbesprechung das zu betonen, was „gelungen“ ist und herauszufinden, „was hilfreich war, um die Resultate zu erreichen.“ (77) Anschließend soll nach Parallelen im Alltag gefragt werden, um „Handlungsoptionen für den Praxistransfer“ (77) zu entwickeln. Nicht gefragt wird danach, ob die innere Haltung möglicherweise etwas mit den Unternehmenszielen und der -kultur zu tun hat. Es wird lediglich nach einer effektiven Funktionsweise des Individuums innerhalb des jeweiligen Systems gefragt.
Um als Trainer und Coach glaubwürdig zu erscheinen, halte ich es aber für unabdingbar diese Thematik zum zentralen Ausgangspunkt eines Trainings zu machen. Die Klärung kann dann auch dazu führen, dass ich bei mangelnder Übereinstimmung der Unternehmensziele oder -kultur mit der inneren Haltung meines Coachees (mangelnde Loyalität bzw. Identifikation beispielsweise) eine Trennung vom Unternehmen empfohlen habe, statt meinen Coachee mit falschem Training an ein letztlich krankmachendes System anzupassen. Das Training z.B. an der Stimme im Beispiel Nr. 2 bei ausbleibender Wirkung eines Vortrags auf das Publikum bleibt dann auf der Ebene der Arbeit an Symptomen und kann dauerhaft keine Potenzialentfaltung generieren. Eine Verbindung von Kompetenz und Humanem findet nicht statt. Eine Empfehlung wie: „Es liegt an ihnen als Coach, ihre Klienten zu stärken und stützen, damit deren Stimme dort ankommen kann, wo sie als Mensch tatsächlich sind.“ (82) blendet die entscheidenden Fragen aus, z.B. ist der Vortrag im beschriebenen Beispiel für einen EDV-Mann überhaupt das Mittel der Wahl und liegt seinem Anliegen ein überzeugendes Motiv und eine entsprechende dazu passende innere Haltung zugrunde. Nach meinen Erfahrungen mit zahlreichen Coachings und Trainings mit IT-Mitarbeitern kann ich feststellen, dass der Vortrag in der Mehrzahl der Fälle ganz sicher die falsche Wahl der Informationsvermittlung bei diesen Klienten war.
Eine seit Jahren zunehmende Tendenz in Wirtschaftsunternehmen, Entwickler und Ingenieure zu schulen, damit sie selbst, und nicht wie früher Verkäufer, bei Kunden akquirieren und ‚ihre’ Produkte vorstellen, führt zu mehr Trainings im Bereich Rhetorik und Präsentation; mit erfahrungsgemäß geringem Erfolg.
Die Idee, dass die Entwickler einer Software diese dem Kunden am besten erklären könnten und man überdies Kosten für Verkäufer spart, ist ein Trugschluss. Der Fokus der Arbeit von Entwicklern, Ingenieuren und Konstrukteuren liegt auf hochspezialisierten funktionalen Zusammenhängen meist hochkomplexer Systeme. Diese Details will ein kaufinteressierter Kunden nicht wissen. Dieser will schnell, kurz und präzise darüber informiert werden, welche Vorteile ihm der Kauf einbringen würde. Das ist ein vollkommen anderer Blickwinkel auf das Thema. Ein Stimmtraining setzt dabei nicht am zentralen Fokus an, sondern arbeitet nur an Symptomen und hat demzufolge auch keine Nachhaltigkeit.
An sechs verschiedenen Beispielen demonstriert Becker ihren Einsatz theaterpädagogischer Methoden und zeigt, wie sie unterschiedliche berufliche Probleme gezielt damit bearbeitet. Ihr Vorgehensweise folgt einer Struktur, die den Vertrauensaufbau allem voran stellt. Arbeitsprozesse folgen einer klaren Lernlogik und beginnen immer mit Lockerungs- und Entspannungsübungen, bzw. spielerischen Übungen zum Ankommen und Loslassen („Methodischer Einstieg“).
In der „Arbeitsphase“ zeigen sich allerdings immer wieder die spezifischen Probleme, die Definition einer sozialen Rolle (Goffman) mit der Beschreibung einer theatralen Rolle zu vermitteln bzw. zu vermischen, die dann bei Becker zu folgender Erkenntnis führt: „Ohne Kenntnisse, was innere Haltung und inneres Bewegen [also Motive] ausmacht, erschließt sich die Bedeutung der Rolle nur schwer.“ (91) An dieser Stelle wird deutlich, dass das theatrale Rollenkonzept nicht einfach übertragbar ins Soziale bzw. ins Business ist.
Während es auf der einen Seite im Sozialen um Interessen geht, hat die theatrale Rolle auch nicht unwesentlich die Ästhetik im Fokus. Die Gefahr besteht dann, dass die Coachinginterventionen im Makrokosmos der Unternehmenskultur mit allen ihren Vorgaben befangen bleiben und letztlich nur an Symptomen gearbeitet. Zwingend notwendig ist eine schnelle Abklärung im Arbeitsprozess, in welcher Weise das Makrosystem des Unternehmens oder der Organisation bestimmte Haltungen und Arbeitsziele einfordert. Nur wenn diese weitgehend deckungsgleich mit der inneren Haltung des Coachees sind, kann eine Arbeit im Mikrokosmos der Person erfolgreich sein.
Vielleicht ergibt sich diese Problematik in Beckers Ansatz auch aus einer falschen Definition, was Theaterpädagogik ist, bzw. wie sie sich versteht: TP bezeichnet nicht „Formen, wie angehenden Schauspielern Fertigkeiten bestmöglich vermittelt werden.“ (11) Das machen Schauspielschulen. Und TP „begreift Theater als Modell für Pädagogik an sich.“ Genau das macht TP nicht. (11) Eine Setzung wie „In der theaterpädagogische Arbeit mit Berufstätigen geht es nicht um ein künstlerisches Vorgehen.“ (123) negiert das Wesen theaterpädagogischer Arbeit an sich (vgl. dazu u.a. Höhn, Hofmann und einschlägige Fachzeitschriften wie die „Zeitschrift für Theaterpädagogik“ und „Spiel & Theater“).
Die im Kapitel „Selbstverständnis der Theaterpädagogik“ zusammengetragenen Merkmale sind großteils korrekt, verirren sich aber wieder in dogmatischen Setzungen wie „Übungen und Proben sind das Wesentliche.“ (124) Falsch. Ohne Aufführung vor Publikum gibt es kein Theater. Worauf man dabei einen etwas größeren Schwerpunkt legt, ob Prozess oder Aufführung, das mag von Fall zu Fall differieren.
In den Bemerkungen zu Thema „Theaterpädagogische Weiterbildung“ zitiert Becker ausführlich aus den Richtlinien des Bundesverbandes Theaterpädagogik e.V. für Lehrinhalte, übersieht aber eine bedeutsamen Satz gleich zu Anfang: „Der Beruf des Theaterpädagogen umfasst sowohl künstlerische [sic!] als auch pädagogische Aspekte.“ Und „In der Praxis sind künstlerische und soziale Methoden untrennbar miteinander verbunden und führen zu eigenständigen Formaten künstlerischer Produktion.“ (Theaterpädagogisches Manifest 2016) Die unklare Abgrenzung eines soziologischen Rollenbegriffs von einem theatralen könnte die kontrapoduktiven Auswirkung dieser Arbeitsweise verstärken. Überdies ist die Behauptung „Die Wirksamkeit sowohl der erlebnis- und handlungsorientierten Coachingmethoden als auch der erlebens- und erfahrungsbildenden Methoden der Theaterpädagogik sind hinlänglich bewiesen.“ (12) nicht haltbar. Bewiesen in einem wissenschaftlichen Sinne ist das nicht. Es mag Hinweise geben auf eine bestimmte Wirkung, mehr nicht. Hier sollten wir der Ehrlichkeit halber andere Formulierungen wählen.
Fragwürdig wird Beckers „pädagogische Methodenabfolge“, wenn sie als ihre Inspirationsquelle die – nachweisbar manipulativen – „Anwendungsformate des Neurolinguistischen Programmierens“ (vgl. z.B. O’Connor und Decker) angibt, um damit Interventionen zu empfehlen, „wo Handlungen nicht die gewünschte Wirkung erreichen [und] Veränderungen initiiert werden“ sollen. (13) NLP wird seit vielen Jahren als klassische Methode in der Verkäuferschulung als verkaufsfördernde Methode gelehrt und offenbart sich dabei oft als eine Schulung in Manipulationstechniken, um Verkaufs-Abschlüsse zu erzielen. Davon konnte ich mich in zahlreichen Trainings seit den 1990er Jahren in Dutzenden von großen und mittelständischen Unternehmen, in vielen Gesprächen mit Schulenden und Beschulten überzeugen. Erkenntnisse über Körpersprache und die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren, werden dabei häufig in unethischer Weise benutzt, um Menschen zum Vorteil des Manipulierenden gefügig zu machen. Das aber hat ganz und gar nichts mit Theater und schon gar nichts mit Theaterpädagogik zu tun. Eine umfangreiche Sammlung (Seite 144-221) von bereits in unzähligen Publikationen veröffentlichten Übungsbeschreibungen schließt das Werk ab.
Fazit
Beckers Buch ist über weite Strecken theoretisch fundiert. Sie komplettiert ihr Angebot durch Anregungen aus ihrer umfänglichen Praxiserfahrung im Coaching und aus theaterpädagogischer Arbeit. Ihr Anliegen: Theaterpädagogik und Business zu verbinden. Klar wird dabei: Das geht nicht ohne eine klare Werthaltung des Coachs und auch nicht ohne eine klare Definition von Theater und Theaterpädagogik. Darüber hinaus verweist Becker zurecht immer wieder darauf, dass eine entsprechenden Außenwirkung des Menschen auf einer inneren Grundhaltung fußen muss. Diese sollte allerdings bei einem Coaching frühzeitig herausgearbeitet werden, sonst bleibt alles nur eine Arbeit auf der Symptomebene. Problematisch für den Coach ist das, insofern er zu Beginn die Gretchenfrage stellen muss: Wie hältst du es mit deinem Unternehmen? Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, die überwiegende Zahl meiner Coachees wurde von ihren Chefs zu einem Coaching oder Training verpflichtet. Ein ehrliches Coaching hat dann aber auch zu Folge, dass ich manchmal als Coach bei einer wahrhaftigen Beratung, auch einen Abbruch empfehlen muss und ich mich damit um meinen Auftrag und meine Einnahmen bringe. Das sollte jedem seriösen Coach klar sein. Zu oft habe ich von Auftraggebern die kritische Bemerkung über Coaching-Kollegen gehört: Der will doch nur Folgeaufträge generieren und erntete erstaunen, wenn ich aufgrund meiner Analyse der Haltung des Coachees zum Schluss gekommen war, das Coaching vorzeitig zu beenden. Eine heikle Situation, denn man will seinen Coachee auf der einen Seite nicht in schlechtes Licht stellen, auf der anderen Seite will man Lösungsmöglichkeiten erarbeiten.
Menschen zu verbiegen und zuzurichten war keine Option bei meinen Coachings. Insofern habe ich beispielsweise auch ein entsprechend klare Stellungnahme formuliert, als ein männlich dominierter Vorstand eines Großunternehmens eine aufstrebende weibliche Führungskraft auf der Bereichsleiterebene dazu verdonnerte, bei mir ein Rhetorik-Coaching zu absolvieren, um sie gefügig zu machen. Man hat es natürlich anders formuliert. Dieses Coaching endete nach dem zweiten Arbeitstermin mit einem Gutachten über die tatsächlichen, herausragenden rhetorischen Kompetenzen dieser weiblichen Führungskraft. Ich habe von diesem Unternehmen nie mehr Folgeaufträge erhalten.
Becker behauptet in ihrem Fazit: „Trainingsorientiertes Unternehmenstheater und Business-Coaching mit Theaterpädagogik [sind] hoch qualitative Methoden, die die Problemlösungskompetenz [der] Klienten tiefgreifend erhöhen.“ (141) Beckers Schlussfolgerungen – mal abgesehen vom dem Stil-Lapsus der tiefen Erhöhung – decken sich nicht ganz mit meinen umfangreichen und langjährigen Erfahrungen mit Trainings und Coachings im Business. Dass diese Art zu Arbeiten durchaus konstruktive Impulse gibt, kann ich bestätigen. Dass sie zu einer „tiefgreifenden“ Erhöhung der Problemlösungskompetenz führt, halte ich für eine Werbeaussage und ist nicht belegt, geschweige denn wissenschaftlich bewiesen. Dennoch ist die Lektüre von Beckers Zusammenstellung interessant und fordert zur Diskussion heraus. Die Arbeit an der Suche nach besseren Coachingmethoden ist nicht abgeschlossen.
Weiterführendes
- Motsch, Christina (2015): Vorhang auf für Lehrer – Leistung theaterpädagogischer Methoden für Lehrpersonen in Beruf oder Ausbildung. Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung Theaterpädagogik BuT® an der Theaterwerkstatt Heidelberg > http://www.theaterwerkstatt-heidelberg.de/uploadverzeichnisse/downloads/AA_TP15_1_Christina_Motsch_Vorhang_auf_fuer_Lehrer.pdf
- Decker, Franz 1995: Die neuen Methoden des Lernens und der Veränderung. Lern- und Organisationsentwicklung mit NLP, Kinesiologie und Mentalpädagogik. München: Lexika Verlag
- Goffman, Erving 2003: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Pieper Verlag
- Hofmann, Fu Li 2015: Theaterpädagogisches Schauspieltraining. Ein Versuch. Bielefeld. Transcript > Rezension
- Höhn, Jessica 2015: Theaterpädagogik. Grundlagen, Zielgruppen, Übungen. Leipzig: Henschel > Rezension
- http://www.butinfo.de/berufsbild
- Kotter, John P. 2009: Das Prinzip Dringlichkeit. Schnell und konsequent handeln im Management. Frankfurt/M: Campus Verlag
- O’Connor, Joseph 1995: Neurolinguistisches Programmieren: Gelungene Kommunikation und persönlich Entfaltung. Freiburg im Breisgau: Verlag für Angewandte Kinesiologie
- Schleuter, W./ von Stosch, J. 2009: Die sieben Irrtümer des Change Managements und wie Sie sie vermeiden. Frankfurt/M: Campus Verlag > Rezension