Hofmann, Fu Li 2015: Theaterpädagogisches Schauspieltraining. Bielefeld: transcript Verlag. 196 Seiten – Rezension
Hofmann begründet schlüssig, wie hilfreich es im Theaterunterricht ist, intensives Schauspieltraining sofort mit ästhetischer Gestaltung zu verbinden
Über den Autor
Fu Li Hofmann ist Gymnasiallehrer, Theaterpädagoge (BuT), Ausbildungsleiter am Pädagogischen Institut der Landeshauptstadt München, steuert Theaterwerkstätten, führt Regie und sonst noch recht aktiv unterwegs. Ein Praktiker, wie es scheint.
Hofmann versucht eine „aktuelle Theorie des theaterpädagogischen Schauspieltrainings“ (S. 33) aufzubauen und meint, „dass man zum Lesen nicht mehr braucht als eine Nacht und am nächsten Tag inspiriert in den Proberaum gehen kann.“ (Hofmann im Autoreninterview).
In den ersten Kapiteln bereitet Hofmann „das Fundament (…), auf dem (s)eine aktuelle Theorie des theaterpädagogischen Schauspieltrainings aufgebaut werden kann“ (S. 33) und im Schweinsgalopp reite ich mit ihm von Kant über Schiller und die wilden 68er durch die Moderne direkt in die Post-Moderne. Man kennt das alles. Hofmann bereitet das historische Material sorgfältig auf und präsentiert es lesefreundlich in Kürze. Da kann sich manch Lexikonartikelschreiber eine Scheibe abschneiden.
Hofmann reflektiert die Chancen beim kommenden Drahtseilakt „zwischen fachwissenschaftlicher Reflexion und praktischer Handreichung“ (Klappentext).
Es eröffne sich „für die Theaterpädagogik über die neue Gewichtung des Ästhetischen gegenüber dem Sozialen eine Möglichkeit, die ihr anfänglich innewohnende Grundspannung zwischen dem Theatermacher und dem Pädagogen zu harmonisieren. Weil künstlerische und persönliche Entwicklung der Lernenden in dem Gedankenmodell zusammenlaufen, arbeitet er nämlich nicht auf zwei verschiedenen Baustellen, sondern nur auf einer einzigen.“ (S. 34)
Gleichzeitig steht „der Arbeitsprozess (…) unter einer Spannung zwischen den Polen einer völlig geordneten Welt des rationalen Denkens und einer völlig chaotischen Welt intuitiver und sinnlicher Erkenntnisse. Eine Herausforderung wird darin liegen, diese beiden Aspekte menschlichen Denkens zu einem harmonischen Ausgleich zu bringen.“ (S. 35)
An dieser Frage arbeiten sich schon seit geraumer Zeit etliche Menschen ab. Eine Antwort wird immer dringlicher, nicht nur, weil in den 1990er Jahren ein neues Schulfach, Theater/ Darstellendes Spiel, in die Schulen (leider noch nicht in Bayern) eingezogen ist, und mittlerweile Hunderttausende Schüler Theaterunterricht (mit Notenbewertung) erhalten. Und es werden immer mehr, aber es gibt nicht genug qualifizierte Theaterlehrer und Theaterpädagogen.
Wie passen Kunst und Schule, Theater und Pädagogik zusammen und was können Theaterpädagogen/ Theaterlehrer von Hofmann lernen, um ihre Schülern künstlerisch und persönlich voranzubringen? Wie kann ein Theaterpädagoge mit den Nützlichkeitserwägungen ästhetischer Bildung umgehen? „Wie stark muss sich eine Trainingsleitung insgesamt zurücknehmen? Welchen Rahmen darf die vorgeben, welchen nicht? Welche bildende Wirkungen hat der Stil der Spielleitung? Welche Einflüsse haben die jeweiligen Trainingsinhalte?“ (S. 36) Und das alles unter der Prämisse, dass „Bildung nicht ‚gemacht’ werden“ könne und man sie vielmehr „als eigenständiges Phänomen auffassen“ müsse. „Insgesamt also müssen wesentliche Fragen zum Selbstverständnis der theaterpädagogischen Leitung geklärt werden. Ebenso eine entsprechende Grundhaltung, die im Trainingsalltag Bestand hat. Darin besteht (…) die Herausforderung, die sich aus einer Orientierung am Ideal ästhetischer Bildung ergibt.“ (S. 36)
In seinen Ausführungen zu den Themen Kreativität (S. 107ff), Spiel (S. 134ff) und Improvisation (S. 152ff) versucht Hofmann, das geordnete Chaos in den (Be)Griff zu bekommen, und die zunächst etwas ungeordnet wirkende Aneinanderreihung der bearbeiteten Themen zusammen zu führen.
Wir haben das erste große Kapitel „Grundlagen“ hinter uns. Im zweiten Kapitel geht es um „Abgrenzungen“.
Hofmann holt das kleine chirurgische Theorie-Besteck heraus und zerlegt sein Versuchsobjekt in drei Kapitel: Theaterpädagogisch – Schauspiel – Training. Mit begrifflicher Präzision beschreibt er die jeweiligen historischen Hintergründe und Entwicklungslinien. Woher kommen die Begriffe? Wann tauchen sie zum ersten Mal auf? Wer hat sie ins Spiel gebracht? Mit welchen Spielzügen (Argumenten) haben sich welche Spieler (Regisseure, Trainer, Workshopleiter) durchgesetzt und das weitere Spiel dominiert?
Nicht ausgespart werden Exkursionen ins Laien-, Amateur- und Schultheater und deren spezifische Problematiken. Verständlich, dass bei einer Weltreise dieser Art, nicht alles ausgiebig besichtigt werden und auf der Reise ein paar blinde Flecken auf der Karte zurückbleiben, wie beispielsweise die neusten Entwicklungen und Konzeptionen im Unterrichtsfach Theater/ Darstellendes Spiel. Probe und Training, wie passt das zusammen: Kompetenzen üben und gleichzeitig frei und kreativ sich in ästhetische Prozesse verwickeln ohne auf die Uhr zu gucken, sich ohne Zeitbegrenzung kontemplativen Momenten überlassen und spüren, was Schönheit und Erhabenheit ist, ohne gleich vom Spielleiter/ Lehrer abgefragt zu werden, wie die erlebte Ästhetik denn nun rational mit höchster begrifflicher Genauigkeit versprachlicht werden kann und es darauf eine Note gibt. Das wäre hier die zentrale Herausforderung.
Hofmanns Antwort: „Ein theaterpädagogisches Schauspieltraining (muss) immer wieder Momente von Probe und Inszenierung integrieren. In diesem Sinne sind kleinere und größere szenische Entwürfe, die vor den anderen Mitgliedern des Ensembles präsentiert werden, Werkstatteinblicke für geladene Gäste oder sogar gelegentliche Inszenierungsprojekte für ein großes Publikum sinnvoller Bestandteil des Trainings. Planung und Leitung eines theaterpädagogischen Schauspieltrainings bewegen sich somit auf einem schmalen Grat. Es gilt, Freiräume für Entwicklung zu schaffen, die Probe (und die Inszenierung) für den Trainingsfortschritt zu nutzen, ohne dass kreative Selbstbestimmung dabei verloren geht.“ (S. 103).
Hofmann will wissen, „Wo findet man Denkansätze und Traditionen die ihnen (Schauspielern und Schülern) kreative Freiräume zuerkennen?“ und schlägt vor in Bezug auf die verschiedenen Berufsfelder „sich wechselseitig mehr in die Karten schauen (lassen).“ (S. 82).
Der Berliner Theaterpädagogikforscher David Fopp hat auf diesen ungewöhnlichen Zusammenhang hingewiesen, dass gewöhnlich Wissenschaftler ihre Erkenntnisse in Schulbüchern in die Schulen bringen, während die ersten Theater-Schulbücher von Lehrern geschrieben wurden und vermutlich deswegen in den Schnittmengen der Berufsfelder Wissenschaft – Theaterpädagogik – Theaterunterricht kaum wahrgenommen werden. Deswegen fehlen vermutlich auch die entsprechenden Titel in Hofmanns Literaturempfehlungen.
Hofmann macht zurecht deutlich, wie wichtig eine gute Vorbereitung, „viel üben“ und das „sich in ein Thema hineinarbeiten“ als Voraussetzung für Kreativität ist, auch für schauspielerische. „Warum ist das so? – Man kann den hohen Stellenwert der Vorbereitung für kreative Prozesse relativ leicht erklären. Einerseits macht man sich mit Herangehensweisen oder Werkzeugen vertraut und entdeckt auf diesem Wege nicht nur deren besondere Wirkungen, sondern auch deren Schwächen und Grenzen. (…) Die Wahrscheinlichkeit origineller Kombinationen steigt mit der Vielfalt und Vielzahl der zur Verfügung stehenden Werkzeuge.“ (S. 111f)
Wir erfahren: Handwerk braucht’s. Und je sorgfältiger das gelernt wird und je mehr Werkzeuge, Techniken und Methoden jemand beherrscht, um so mehr Möglichkeiten hat er, diese miteinander zu kombinieren. Wenn er sich in seinem Handwerk intensiv in langen Phasen harten Trainings geübt hat und er alles wie im Schlaf beherrscht, es ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist, erst dann kann er wieder frei sein, frei und offen für kreative Prozesse, für das Unbekannte, das Fremde und auch das Angst machende und das Chaos. Jetzt hat er ja seine handwerkliche Kompetenz zur Verfügung, die er – ohne nachdenken zu müssen – intuitiv benutzt. Hofmann verweist auf Erkenntnisse der Neurowissenschaften (S. 113) und warum diese eine Bedeutung für die Theaterpädagogik haben.
Er versucht eine Antwort auf die Frage, wie man Kreativität in das schulische Korsett bekommt oder notwendige Arbeitsphasen sinnvoll und Inspiration erzeugend miteinander kombinieren kann: „Hierbei kommt es zu drei Verschränkungen (…) die erhebliche Vorteile bieten. Erstens werden die ‚Werkzeuge’, die im Training erworben werden sollen, also zum Beispiel Stimm- und Körperarbeit, Improvisation oder Wahrnehmungstraining, nicht vom jeweiligen ‚Werkstück’, also der konkret zu erarbeitenden Inszenierung getrennt. Die Entwicklung der Spieler entfaltet sich stattdessen an der Rollen- und Szenenarbeit. Zweitens erreicht man einen erheblich schnelleren Wechsel konvergenter und divergenter Denkhaltungen und verbessert dadurch die Voraussetzungen für gute Ideen erheblich. Und drittens kommt es durch Wechselwirkungen zwischen dem Einzelnen und der Gruppe zu einer wesentlich höheren Frequenz an Impulsen.“ (S. 121) Wie das genau funktioniert hat Karl-Heinz Wenzel in seinen Publikationen über die beiden Prinzipen „Zufall“ und „Überfluss“ ausführlich erläutert.
Hofmann beschreibt ein Beispiel, an der er seine Theorie in einer Trainings-/ Probeneinheit praktisch macht. (S. 121-134)
Sie sei hier in Kurzform beschrieben:
- Ein Theaterpädagoge will zur Rolle der Marie aus Georg Büchners „Woyzeck“ arbeiten.
- Im Probenraum liegen Requisiten.
- Die Spielleitung liest Textauszüge der Marie-Rolle.
- Das Ensemble erkundet währenddessen die Requisiten.
- Jeder nimmt über das Requisit Kontakt mit anderen auf.
- Danach liest jeder Texte vom Spielleiter zu Themen, die sich auf den Kontext beziehen und gibt den Inhalt als Gerücht an andere weiter.
- Anschließend kann man alle Impulse aufschreiben und damit weiterarbeiten.
„Das Training bevorzugt das Erproben von Möglichkeiten gegenüber dem rationalen Diskurs.“ (S. 122)
- Oder mit der Übung „Wegwerfszene“ zeigen Kleingruppen alle möglichen Varianten von Darstellungen zum Thema nach nur zehn Minuten Vorbereitungszeit. Was nicht brauchbar ist, wird weggeworfen.
- Oder die Spieler spielen mit verbundenen Augen.
- Oder sie spielen mit weniger Material.
- Oder sie improvisieren und performen z.B. in einer leerstehenden Fabrikhalle zu einem kurzen Musikstück mit Requisiten und Texten.
- Oder mit weniger Sprache. Nur einem Satz oder einem Wort.
- Oder mit der Übung „Szenen-Reißverschluss“, auch bekannt unter dem Namen „Freeze“.
Hofmann hat die nicht immer gradlinige(n) Theatergeschichte(n) der Wissenschaft, der Kunst und der Theaterpädagogen als ihre gemeinsame interpretiert und präsentiert. Nicht in dieser Geschichte enthalten ist das Unterrichtsfach Theater/ Darstellendes Spiel.
Hofmann schlussfolgert, dass die Frage ‚Wie leitet man ein theaterpädagogisches Schauspieltraining?’ offen bleiben muss.“ (S. 185)
Sein Fazit: Es ist „weniger wichtig, was man spielt, als vielmehr, dass man spielt. Je mehr man die jeweiligen Einzeltechniken verinnerlicht hat, desto weniger wird man sich währen des Trainings bewusst mit ihnen auseinandersetzen. Und diese Einsicht wiederum lässt einen wertvollen Rückschluss zu auf die Ausbildung angehender Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen, nämlich den, dass sie denselben Weg durchlaufen müssen wie Schauspielerinnen und Schauspieler. Auch sie werden nur dann erfolgreich arbeiten, wenn sie sich in der praktischen Erfahrung immer wieder dem Wechselspiel der Erkenntniskräfte hingeben, wenn sie sich in offene Spielwelten wagen und wenn sie den Mut gefunden haben, zum Grenzgänger zu werden. Somit schließt sich der Kreis.“ (S. 186)
Für mich schließt sich mit dieser Rezension der Kreis noch nicht.
Ich leihe mir mal schnell Hofmanns kleines Chirurgisches aus, sprich: seine präzise Fragetechnik und seinen analytischen Scharfsinn. Wenn ich die Wortzusammensetzung „Theaterpädagoge“ zerlege, erhalte ich „Pädagoge“ als Grundwort und „Theater“ als Bestimmungswort. Folglich ist ein Theaterpädagoge erstmal Pädagoge, also Lehrer. Und die Kompetenz dieses Pädagogen/ dieses Lehrers besteht im Unterrichten von Theater. Also ist ein Theaterpädagoge ein Theaterlehrer. Nun werden angehende Schauspieler nicht von Theaterpädagogen unterrichtet, sondern von Schauspielern, Regisseuren, Dramaturgen, Wissenschaftlern, Sängern usw. Die sind erst einmal Fachprofis und keine pädagogischen Profis. Schüler, die das Unterrichtsfach Theater/ Darstellendes Spiel wählen, werden (im besten Fall) von ausgebildeten Theaterlehrern unterrichtet, also Lehrern mit einer Fakultas in Fächern für bestimmte Schulstufen und Schulformen.
Und Theaterpädagogen? Sie inszenieren zumeist mit Amateuren jedweder Couleur Stücke und führen sie auf, arbeiten also eigentlich als Regisseure, aber mit Amateuren.
Darüber sollten wir weiter im Gespräch bleiben, auch wenn die Diskussion über dieses Thema von manchen als bereits zu Ende geführt betrachtet wird.
Dank an Hofmann: Wir diskutieren weiter. Und wir sollten es auch für die vielen jungen Theaterlehrer und -pädagogen tun und ihnen dabei helfen, ihre Profession qualifiziert auszuüben.
Hofmann lässt sich demnächst noch mehr in die Karten gucken und wird über seine Arbeitsweise in einem Interview auf dem YouTube-Kanal „Angewandte Theaterforschung“ berichten.
[Auf ausufernde geschlechtsspezifische Nennungen wurde zugunsten der besseren Lesbarkeit verzichtet. Dies bedeutet keine Diskriminierung.]
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