Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und Bundeszentrale für politische Bildung (Hg) 2018: theater/politik.elementar. 12 Methodenkarten im Schuber mit Online-Begleitmaterial – Rezension
Theater als politische Bildung ist die Zielrichtung des Methoden-Sets im Karteikarten Format DIN A5 mit dem Thema „Soziale Ungleichheit“. Es richtet sich insbesondere an Lehrkräfte und soll zeigen, wie „kurze Theatersequenzen im Politikunterricht Ausgangspunkt für eine tiefergehende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema […] sein können.“ (Klappentext)
Die gesammelten szenischen Übungen entstanden im Zuge des 10. Festivals „Politik im Freien Theater“, das unter dem Motto „reich“ stand und nach „wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Ungleichheiten“ fragen sollte. (Inlay, Seite 2)
Die 12 „Übungen“ ließen sich inhaltlich leicht auch auf andere Themenfelder übertragen und sollen sich eignen für den Einsatz im Unterricht aller Schularten ab der Sekundarstufe I, wurde aber „im Rahmen von mehreren Projekttagen an bayerischen Schulen (alle Schularten ab 3. Klasse) im Vorfeld erprobt.“ (Inlay des Schubers, Seite 3) Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem regulären Politik- bzw. Sozialkundeunterricht gibt es demnach nicht.
Die angebotenen Übungsmöglichkeiten sollen zeigen, „wie Theater fachübergreifend als Medium politischer Bildung eingesetzt“ werden kann. Es soll „konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für das ‚Gesamtkonzept für die Politische Bildungsarbeit an bayerischen Schulen‘“ zeigen. (Inlay, Seite 2)
Über ein Online-Portal der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit können die Lehrkräfte weiteres Material zur Vertiefung nutzen.
Inhaltsübersicht
12 Karten
1 Warm-ups
2 „Sekt oder Selters“
3 Speed-Dating
4 Familien-Mahlzeit
5 Demonstrationszug
6 Werbespot
7 Social-Media-Post
8 Chorischer Shitstorm
9 Battle of the Rich
10 Reichtum verteilen
11 Werte
12 Theaterbesuch
Zugang zum Online-Material
Link:
(Screenshot am 06.04.2019; man könnte fragen, was es mit dem Hinweise „Nicht sicher“ vor der Web-Adresse der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit auf sich hat)
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Inhaltsübersicht des Online-Materials
- Speed-Dating: Wer braucht eigentlich was?
- Familien-Mahlzeit: Traumberuf versus Einkommen
- Demonstrationszug: Wohnraum für alle!
- Werbespot: Produkte, die kein Mensch braucht
- Socia-Media-Post: Statussymbole
- Chorischer Shitstorm: Lecker=ungesund=arm
- Battle of the Rich: Auf der Sonnenseite des Lebens
- Reichtum verteilen: Was fordert wer von wem?
- „Was macht mein Leben reich?“ – Die Frage nach den Werten
- Theaterbesuch – 10 Fragen für das Nachgespräch
Im vierseitigen Inlay des Schubers werden Hintergrund und Handhabung in vier Kapiteln erläutert:
1) Politik und Theater
2) Das Festival „Politik im Freien Theater“ als Ausgangspunkt
3) Zielsetzung und Information zur Handhabung von „theater.politik.elemtar“
4) Zugangsdaten Online-Pool
Konzeption und Redaktion
Im ersten Abschnitt versuchen die Autoren eine knappe theoretische Einführung ins Thema „Politik und Theater“. So fragmentarisch, wie es hier geschieht, auch ohne weiterführende Literaturhinweise kann es eigentlich nur misslingen. Der Hinweis, dass Theater eigentlich seit der Antike bis Brecht immer schon politisch war, ist korrekt, würde dann aber die Tautologie „Politisches Theater“ logischerweise verbieten (fundierten Diskurs hierzu bei Hegemann 2005!). Und dass Politik sich schon immer theatraler Mittel bediente, dürfte sich mittlerweile auch herumgesprochen haben. Aus diesen beiden Hinweisen die Schlussfolgerung abzuleiten, dass „das vielfältige Verhältnis von Politik und Theater […] Anlass für ‚politik.theater.elementar‘“ ist, dass „der Politikunterricht in der Schule […] so zum Ort des Theaters“ werden soll, ist ein recht unspezifisches Fazit und auch im bayerischen Schulsystem nur schwer vorstellbar, wenn man z.B. nur die Querelen verfolgt, Theater als Unterrichtsfach in Bayern zu etablieren oder die Sanktionen, die Lehrkräfte in Bayern erleiden, wenn sie lebendigen Unterricht machen, der die Schüler in besonderer Weise motiviert und deswegen auch die Leistungen und die Notengebungen entsprechen ausfallen; Stichwort: Erzwingung der „Gaußschen Normalverteilung“!).
Im Abschnitt „2) Das Festival ‚Politik im Freien Theater‘ als Ausgangspunkt‘“ werden die Autoren konkreter. Ihre Idee für Unterrichtsmaterial für das Fach Politische Bildung entstamme dem 10. Festival „Politik im freien Theater“, das im Dreijahresrhythmus von der Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit Stadt-und Staatstheatern sowie einem Akteur der freien Szene – bei der Ausgabe 2018 mit den Münchner Kammerspielen und dem Spielmotor München e.V./SPIELART Festival – veranstaltet wird.
Das Festival spiegele die gesellschaftliche und politische Lage wieder und gebe einen Überblick über die aktuellen Theaterästhetiken. Eingeladen würden herausragende innovative, interdisziplinäre und genreübergreifende Produktionen aus der Freien deutschsprachigen und internationalen Theaterszene. Das Festival und das vorgelegte Methodenset solle zeigen, wie politische Bildung auch als kulturelle Bildung verstanden werden kann. Man möchte als Leser gerne hinzufügen: Sollte man nicht auch zeigen, wie kulturelle Bildung auch als politische Bildung verstanden werden kann? Und sei es nur, um die anfängliche unklare Differenzierung des Topos vom sog. politischen Theater etwas zu präzisieren.
Ein Hinweis auf die bayerischen Lehrpläne wäre sicherlich hilfreicher für bayerischen Lehrkräfte gewesen, als altbacken den Präsidenten der Bundeszentrale zu zitieren, der Schiller zu rezitiert. Er (Schiller) habe die ästhetische Erziehung zur Basis des politischen Selbstverständnisses gemacht, und in dieser Tradition sehe er das Festival.
Als Argumentationshilfe für Lehrkräfte, die sich gegenüber der Schulbehörde und der Obrigkeit rechtfertigen müssen, warum sie im Sozialkunde-Unterricht Theater spielen, wäre beispielsweise ein Hinweis auf Lehrpläne Bayerns zum Fach Sozialkunde in Gymnasien in einem Unterabschnitt zur kulturellen Bildung nützlicher gewesen: „In der Auseinandersetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen (z. B. Jugendkulturen, Menschen mit Migrationsgeschichte), ihrer Musik, Sprache und Symbolik, entwickeln die Schülerinnen und Schüler ein Bewusstsein für künstlerisches, kreatives Wirken und seine Bedeutung für soziale Gruppen. Sie erkennen, dass Kunst und Kultur immer auch Ausdruck bestimmter Werthaltungen sind und zur Entwicklung einer gemeinsamen Identität beitragen.“ (https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/gymnasium/sozialkunde%20; abgerufen am 09.04.2019)
Da Lehrpläne sich zumeist sehr zurückhalten, was die Lernmethoden betrifft, kann man natürlich annehmen, dass es hier zum Dissens kommt, insofern Lehrplanschreiber auch immer mal meinen, man könne all diese Inhalte über Texte (auswendig)lernen. Dass man eine Wertekultur aber nur durch kontinuierliches Handeln entwickeln und festigen kann, ließe sich z.B. mit folgendem Hinweis aus den Lehrplänen rechtfertigen: „Die Schülerinnen und Schüler respektieren unterschiedliche Überzeugungen und handeln aufgeschlossen und tolerant in einer pluralen Gesellschaft.“ (https://www.lehrplanplus.bayern.de/uebergreifende-ziele/gymnasium/sozialkunde%20; abgerufen am 09.04.2019) Warum diese bedeutsame Lücke in der Argumentation von den Autoren nicht geschlossen wurde, liegt vermutlich daran, dass sie keinen Schulexperten ins Team geholt hatten, eine qualifizierte (Theater-)Lehrkraft, die es in Bayern inzwischen zahlreich gibt. Schade!
Eine weitere gravierende Lücke im Entwurf des Autorenteams öffnet sich bei der Frage zu Punkt 3). Bezogen auf die „Zielsetzung und Information zur Handhabung von ‚theater.politik.elemtar‘“ könnte man fragen, warum man sich primär am freien Theater orientiert und nicht an den zahlreichen Theater-Projekten und Theater-Publikationen im Rahmen von Schulunterricht, die bereits vielfach und seit Jahrzehnten die politischen Dimensionen von Theaterarbeit in Schulen ausführlich beschreiben und vielfältigste Anregungen auch zu fachübergreifender Arbeit insbesondere auch außerhalb der bayerischen Staatsgrenzen(!) geben. Warum diese Ignoranz? Schlägt hier wiedermal das „Mirsanmir!“ durch?
Die Autoren der 12 Methodenkarten (Elke Bauer, Anne Pfaffenholz, Uta Löhrer und Johannes Uschalt) sind Theatervermittler, Theaterpädagogen, Referentinnen der Bundeszentralen, freiberufliche Dramaturginnen und Experten für Didaktik der politischen Bildung. Leider befindet sich keine Lehrkraft und auch keine Theater-Lehrkraft unter den Autoren, die das Team fachlich bezogen auf die Arbeit an Schulen hätte beraten können, obwohl doch Bayern in diesem Bereich fachlich hochqualifiziertes Personal anzubieten hat. Dieser Mangel macht sich an verschiedenen Stellen des Materials nachteilig bemerkbar, weil den Autoren offensichtlich in diesem Bereich eine gewisse Kompetenz und vor allem Erfahrungswissen und insbesondere theaterdidaktisches Wissen zu fehlen scheinen. Das ist sehr schade für ein durchaus sinnvoll ausgedachtes und gut gemeintes Projekt.
Die Karten
1 Warm-ups
Die erste Karte folgt einem erprobten allgemeinen Konzept, dass man sich vor Aktivitäten versucht aufzuwärmen. Soweit so gut. Die angebotenen Spiele erfüllen diesen Zweck nur zum Teil, da sie der Gruppe lediglich Angebote machen, miteinander in Kontakt zu kommen. Sie erfüllen nicht den Anspruch von zweckorientierten Aufwärmübungen, möglichst auch konkret auf das kommende Thema und die zu erwartenden Aktionen vorzubereiten. Da das Thema „Soziale Ungleichheit“ ist, wären Übungen, dieses Thema zumindest schon andeutungsweise für die Schüler auch körperlich und theatral erfahrbar machen, z.B. Statusübungen und Ähnliches, zielführender. En passent: Die Aufstellung soll vermutlich in Linie erfolgen, nicht in Reihe. Hier werden Fachbegriff falsch benutzt. Dies kann später immer wieder zu Missverständnissen führen. Auch ein Einzählen von 10 rückwärts bis „Los!“ scheint nicht plausibel, wenn gleichzeitig auf Zeitdruck verweisen wird. Dann doch lieber nach bewährter Manier: „3,2,1. Los!“ Das sind aber nur Kleinigkeiten.
Das hier als Aufwärmen geforderte Verhalten ist kein Aufwärmen. Es fördert lediglich die Kontaktaufnahme bei Gruppen, in denen sich die Teilnehmer noch nicht kennen. Für Schulklassen, in denen sich die Teilnehmer bereits alle meist gut kennen, gibt es deutlich bessere Übungen zur vertiefenden Vertrauensbildung und um sich gegenseitig besser kennen zu lernen. Qualifizierte Aufwärmübungen sind zuhauf in der theaterpädagogischen Literatur zu finden. Ebenso ausführliche und sehr detaillierte Beschreibungen, wie ein Aufwärmen aussehen und welche Ziele damit erreicht werden sollen.
2 „Sekt oder Selters“
Die angebotene Übung eignet sich gut, um einen ersten niedrigschwelligen Zugriff auf das Thema vorzubereiten. Sie stammt aus dem Kontext des allgemeinen pädagogischen Methoden-Sets. Sie bereitet aber nicht auf das Theatermachen vor.
3 Speed-Dating
Die angebotene Übung eignet sich gut, um eine erste Sensibilisierung der Schüler auf Datenbasis anzustoßen. Sie stammt ebenfalls aus dem Kontext des allgemeinen pädagogischen Methoden-Sets, aus dem sich seit vielen Jahrzehnten Lehrkräfte in Deutschland bedienen. Sie bereitet aber ebenfalls nicht auf das Theatermachen vor und ermöglicht den Schülern nicht entsprechend notwendige grundlegende Kompetenz zu trainieren und zu erwerben.
Fragen bleiben: Warum wird in den vertiefenden Materialen relativ alte Statistiken (von 2011) der Lehrkraft/ den Schülern empfohlen. Es gibt neuere Zahlen von 2016 direkt von der Bundeszentrale, nur einen Klick weiter, die außerdem deutliche Trends zeigen, nämlich ein signifikantes weiteres Öffnen der Armut-Reichtums-Schere > https://www.bpb.de/nachschlagen/datenreport-2018/private-haushalte-einkommen-konsum-wohnen/278177/nettoeinkommen-privater-haushalte?
4 Familien-Mahlzeit
Dieser Arbeitsauftrag, eine Vater-Mutter-Kind-Szene zu spielen, soll als „Einstieg in die szenische Arbeit“ die Schüler dazu bringen, „bestimmte Rollenmuster zu erproben“. Sie sollen damit auch die „Übernahme fremder Perspektiven“ üben. Die Szene soll anschließen der Gruppe präsentiert werden.
Diese Anweisung stammt aus der Mottenkiste des sozialen Rollenspielens und provoziert eine Wiederholung plattester theatraler Klischees. Daran ist zunächst nichts Verwerfliches, wenn es als Einstieg in die Theaterarbeit gedacht ist und anschließend mit Hilfe theatraler Mittel und Methoden in einem theatralen Setting diese Klischees gebrochen werden und die Kinder theatrale Grundkompetenzen erwerben. Das ist aber nicht intendiert. Es geht lediglich darum, ein bisschen dilettantisch-spielerisch Inhalte zu transportieren und zu vermitteln. Das ist bestenfalls soziales Rollenspiel und hat mit Theater noch recht wenig zu tun. Es als „szenische Arbeit“ zu bezeichnen ist schlichtweg Etikettenschwindel und schadet der Vorstellung vom angemessenen Theatermachen mit Schülern. Es zementiert eher Vorurteile und Klischees.
Ich erspare dem Leser, meine weitere detaillierte Analyse hier auszubreiten, da deutlich ein Muster in der Konzeption erkennbar ist. Ziel der Unterrichtsanregungen ist es, politische Inhalte, Themen und Probleme als Lerninhalte etwas lebendiger zu vermitteln und mit ein bisschen vorgeblichem Theaterspielen aufzupeppen. Die Unklarheit in der Begrifflichkeit der Tautologie vom „politischen Theater“ und explizit präsentierten politischen Themen mit Hilfe von modischen Aktionen wie der „Übernahme popkultureller Elemente“, wie es so schön im Rechtfertigungsprogramm der sog. postdramatisch-performenden professionellen Theateravantgarde-Kollektiven heißt (Battle, Rap, Shit-Storm, Plakate mit politischen Parolen basteln und Demonstrationszug mit chorischem Brüllen einüben usw.) bildet sich in einem Unterrichtskonzept ab, das seine eigenen Vorgaben gar nicht erfüllen kann. Es wird letztlich kein Theater gemacht, und es wird nicht im Ansatz den Schülern Gelegenheit gegeben, grundlegende theatrale Kompetenzen zu erwerben. Dies bildet sich ebenso ab in den belehrenden Produktionen des experimentell arbeitenden professionellen Theaterkollektivs SheShePop, auf die verwiesen wird, und in denen plattester ein wenig geschönter AgitProp versucht wird, der bereits vor vielen Jahrzehnten Konjunktur hatte (vgl. u.a. List 2019) und zurzeit fröhliche Urständ feiert.
Die zentrale Frage, die sich bei diesem Unterrichtsangebot stellt: Was haben die Anweisungen und die Übungssettings zum Thema „Soziale Ungerechtigkeit“ der 12 Karten überhaupt mit einer modernen Theaterdidaktik zu tun, wie es im Inlay vollmundig verkündet wird, kann nur mit einem klaren Nein beantwortet werden.
Der vermeintliche Vorteil eines schnellen Reiterzugriffs durch ein aufwendiges Karteikartenformat von nur 12 Karten (gegenüber einfacher Broschüre) erschließt sich nicht, da es als Vorbereitungsmaterial, insbesondere in Kombination mit dem Online-Material, Arbeitsaufträgen für die Lehrkraft, zu Hause gedacht ist.
Noch eine Kleinigkeit am Rande. Publikationen enthalten als bibliografische Mindestangabe u.a. das Erscheinungsjahr. Hier habe ich keine gefunden. Mutmaßung: Hängt das vielleicht damit zusammen, dass diese Projektidee erst nach dem Festival im Jahr 2018 entstand, und nach der Erstellung des Entwurfs für das Material wurde es außerdem noch „im Rahmen von mehreren Projekttagen an bayerischen Schulen (alle Schularten ab 3. Klasse) im Vorfeld erprobt? Und dann haben es noch vier Autoren konzeptionell überarbeitet und fertiggestellt, und der Entwurf ging vielleicht etwas überhastet in die Produktion und Vertrieb? War das ein Schnellschuss, möglicherweise auf Kosten der Qualität, um schnell auch am aktuellen Hype (Theater und Politik; vgl. auch List 2019: Genug gespielt. Jetzt wird’s ernst – Theater und Politik) teilzunehmen? Aber das sind nur Fragen am Rande.
Die Struktur des vertiefenden Lernmaterialien ist verwirrend, da die Ordner des Online-Materials nur teilweise mit den Kapitelüberschriften der Karteikarten übereinstimmen und der Nutzer in allen Ordner nach den entsprechenden Hinweisen suchen muss (z.B. das Ikon mit dem Schreibstift „Arbeitsauftrag 1“). Unschön und lästig!
Eine besonders gravierende Lücke im Entwurf des Autorenteams öffnet sich bei den Anweisungen, welche von den Schülern verlangen, in kurzer Zeit eine Szene zu entwerfen, diese zu proben und anschließend zu präsentieren. Diese Form von Ge- oder sollte man sagen Missbrauch von Theater, um politische Themen für die Schülern vermeintlich attraktiv zu machen durch die „Lebendigkeit“ der Methode Theater erweist dem Theater einen Bärendienst. Eine Anweisung, eine Szene zu entwickeln und diese zu präsentieren, ohne jegliche Vorarbeit, in der die Schüler wenigsten die grundlegendsten Merkmal von Theater kennen und erproben lernen, ohne dass sie zumindest grundlegende Kompetenzen im Theatermachen erwerben, führt letztlich nur zur Reproduktion von Vorurteilen und Theaterklischees bzw. zur platten Reproduktion von medialen Formaten (Casting-Shows, Rapper-Selbstinszenierungen, Battle-Formaten, Familien-Soaps und Serien usw.). Eine kompetent ausgebildete (Theater-)Lehrkraft hat auch gelernt, und das ist eine Grunderkenntnis der Lernforschung und der Pädagogik, dass sie Lernende über ein Lernprogramm mit entsprechenden Lernsettings die Möglichkeiten geben muss, die anzustrebenden Kompetenzen zu erwerben, bevor sie diese Kompetenzen von ihren Schülern abfordern kann. Irgendwie logisch.
In dem vorliegenden Lernprogramm wird aber die Kompetenz, Theater zu machen und Theater zu spielen, von den Schülern erwartet, ohne den Schülern Gelegenheit gegeben zu haben, diese erwerben zu können. Was ist die Folge? Die Anweisung „Entwickelt eine Szene und spielt diese der Klasse vor“ erwartet, dass die Schüler die Kompetenz dazu bereits besitzen. Das wird im vorliegenden Entwurf des Autorenteams nicht gefordert. Konnten sich die Schüler nicht entsprechend qualifizieren, führt das dazu, dass sie lediglich dilettantisch-inkompetent ihre Vorurteile und Klischees reproduzieren und das ist zumeist medial vermitteltes „Wissen“ der entsprechenden Formate (siehe oben!); so lehrt es jedenfalls umfangreiches Erfahrungswissen von Theater-Lehrkräften. Hier rächt sich in dem gut gemeinten Entwurf der Mangel an Lehrkraftkompetenz.
Was kann eine Sozialkunde-Lehrkraft in Bayern und außerhalb dessen Grenzen nun tun, die in ihrem Unterricht „Theater“ für politische und kulturelle Bildung sinnvoll nutzen möchte?
- Sie kann die hervorragenden Unterrichtsmaterialien von Doris Post nutzen (siehe List 2019: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg) 2011: Theater probieren. Politik entdecken – Rezension > https://angewandte-theaterforschung.de/bundeszentrale-fuer-politische-bildung-hg2011-theater-probieren-politik-entdecken-bausteine-theater/)
- Sie kann eine fachübergreifende Projektarbeit anstreben, insbesondere eine Zusammenarbeit mit kompetenten Theater-Lehrkräften (vgl. dazu auch die Vorgaben des bayerischen Lehrplans > https://www.lehrplanplus.bayern.de/uebergreifende-ziele/gymnasium/sozialkunde%20)
Theater kommt nach diesem Unterrichtsmaterial leider nicht heraus. Auch die Nutzung von Theatermethoden funktioniert anders. Der Entwurf ist ein etwas lebendigeres Konzept für Sozialkundeunterricht als reines Textstudium und Fragen schriftlich und/ oder mündlich zu beantworten und zu diskutieren. Das ist doch auch schonmal was.
Der interessierte Leser kann sich selbst ein Bild machen und den Schuber für 4,50 € hier bestellen > http://www.blz.bayern.de/publikation/materialschuber-theater-und-politikelementar.html
Weiterführendes
- Bayerische Lehrpläne > https://www.lehrplanplus.bayern.de/uebergreifende-ziele/gymnasium/sozialkunde%20
- Hegemann, Carl 2005: Plädoyer für die unglückliche Liebe. Texte über Paradoxien des Theaters 1980-2005. Herausgegeben von Sandra Umathum. Recherchen 28. Berlin: Theater der Zeit – Rezension
- List, Volker 2019: Genug gespielt. Jetzt wird’s ernst – Theater und Politik > https://angewandte-theaterforschung.de/genug-gespielt-jetzt-wirds-ernst-theater-und-politik-pamphlet/
- List, Volker 2019: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg) 2011: Theater probieren. Politik entdecken – Rezension > https://angewandte-theaterforschung.de/bundeszentrale-fuer-politische-bildung-hg2011-theater-probieren-politik-entdecken-bausteine-theater/
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