Das 19. Internationale Figurentheater-Festival 2015
„65 Kompagnien, 20 Länder, 130 Vorstellungen – das Internationale Figurentheater-Festival gehört zu den wichtigsten Plattformen für zeitgenössisches Figuren-, Bilder- und Objekttheater in Europa.
Gegründet wurde das Figurentheater-Festival 1979, bewegt sich die Biennale seit Jahren an den Grenzen gängiger Genre-Traditionen und forciert die künstlerische Begegnung zwischen Figurentheater, objekt- und medienorientierter Bühnenkunst sowie zeitgenössischem Tanz, Comic, Bildender Kunst und Performance. In diesem Zusammenspiel sollen Genre-Grenzen in Frage gestellt, Sichtweisen und Sehgewohnheiten verändert und Reibung hergestellt werden. Trotz des Fokus auf innovative Ästhetik und neuartige Ausdrucksformen verweist das Programm des Internationalen Figurentheater-Festivals, das vom 8. bis 17. Mai in Erlangen, Nürnberg und Fürth stattfindet, immer wieder auf seinen eigenen Bezugspunkt, das klassische Figuren-, Bilder- und Objekttheater.“ (www.figurentheaterfestival.de )
Wer Kinder ausgiebig beobachtet, der weiß es: Kinder erschließen sich ihre Welthorizonte wesentlich im Spiel mit Puppen und Gegenständen. Sie machen diese zu Stellvertreter-Objekten im Als-ob-Spiel. Das hat ihnen niemand beigebracht. Das Spielen in und mit Rollen erlaubt ihnen PROBE-Handeln und Welterschließung.
Das Spiel mit der Verwandlung und der Transformation ist uns Menschen scheinbar in die Wiege gelegt worden. Als Erwachsene spielen wir das Spiel weiter, im Beruf und in der Familie und sonstwo. Wir switchen blitzschnell täglich in Dutzende Rollen. Mal sind wir Chef, Untergebener, Teammitglied, Opa, Vater, Enkel. Wir spielen den reuigen Sünder vor Gericht und in der Kirche, als Mann den Matcho auf Partys, als Frau die Femme Fatale uswuswusw.
Das Rollenspielen prägt essentiell unser Leben. Wer wollte das bestreiten? Aber wir tun es beim Erwachsenwerden zunehmend un-bewusster. Ein Kulturbereich hat unsere Verwandlungslust zur Kunstform entwickelt: Das Theater. Dort wird die Lust an der Transformation zur Profession gemacht. Das Als-ob-Spiel beinhaltet natürlich die Stellvertreterfrage: Wer oder was wäre ich als jemand Anderer oder als etwas Anderes?
Erstaunlich ist, dass Kinder mit ca. drei Jahren schon mit dem Konjunktiv jonglieren, obwohl ihnen das kaum jemand beigebracht haben dürfte. Vorausgesetzt natürlich sie wachsen in einer Umwelt auf, in der das Sprechen und Kommunizieren miteinander auch praktiziert wird. Es ist vermutlich müßig darüber zu streiten, ob Kinder selbst-bewusst eher mit ihren Körpern andere Figuren spielen (früher Cowboy und Indianer, heute Luke Skywalker, Spiderman und ihre Gegenspieler) oder ob sie dazu lieber unbelebte Materie nehmen, also Gegenstände wie Hölzchen und Stöckchen oder Barbie und Ken und das Setting bzw. Handwerk von Figurentheater schon beherrschen.
„Ich wäre jetzt im Haus und bin krank und liege im Bett.“, sagt die Dreijährige zu ihrem vierjährigen Bruder und legt ihre Barbiepuppe ins Spielzeugbett (ein Topflappen), „und du kommst mich besuchen“ – sie drückt ihm die Ken-Puppe in die Hand, „und bringst mir Blumen. Ich liege im Bett und würde weinen und du würdest mich trösten.“ Der Vierjahrige nimmt eine herumliegende bunte Serviette als Blumenstrauß und klemmt sie Ken zwischen die Arme und lässt ihn von oben ans Bett von Barbie fliegen. „Nein!“, ruft die Dreijährige, „du musst erst an der Haustür klingeln!“ (die es nur in ihrer Fantasie gibt).
So oder so ähnlich läuft das Rollenspiel der Beiden ab und sie benutzen virtuos alles, was sich irgendwie eignet, um ihre Geschichte mit ihren Protagonisten zu spielen. Mal spielen sie selbst eine Rolle, mal benutzen sie Figuren und Objekte, die dann zu dem gemacht werden, was sie gerade brauchen. Manchmal wird das Benötigte einfach nur imaginiert. Und wenn Papa zuschaut, kann man es auch schon Theater nennen.
Als Erwachsene vergessen wir mehr oder weniger das selbst-bewusste Spiel mit Rollen und Gegenständen. Statt dessen identifizieren wir uns schonmal mit anderen Menschen, z.B. berühmten Schauspielern oder Gegenständen, dem eigenen Auto beispielsweise. Wird dieses wenig selbst-bewusste Handeln übertrieben, macht es auch schonmal krank.
Im Stellvertreterspiel, dem Theater, haben wir eine Gelegenheit, dieses Spiel wieder etwas selbst-bewusster zu betreiben, das Ich als ein Anderer oder etwas Anderes zu spielen. Damit können wir auf Distanz gehen, die uns erlaubt, eine andere Perspektive einzunehmen, uns selbst auf oder in den Kopf zu gucken bzw. uns in eine andere Umgebung zu beamen und andere Optionen durchzuspielen.
Das ist der eigentliche Reiz.
Nun stellt sich die Frage, warum dieses reizvolle Spiel mit Dingen bei den meisten Erwachsenen eher in der kindlichen Welt angesiedelt (oder in Wissenschaftssprech: verortet) wird. Könnte es sein, dass je älter wir werden, um so weniger selbst-bewusst werden?
Könnte es sein, dass wir Angst vor dem Transformationsspiel haben, weil wir glauben, dass unsere Umgebung von uns verlangt eine klare Haltung zu zeigen, ein leicht erkennbares Muster von erwarteten Rollen als Mann, als Frau, als Berufstätiger, als Filmstar? Und wir glauben, das ginge nur, indem wird uns auf mehr oder weniger eindeutige Rollenbilder bzw. Rollenklischees festlegen (lassen)?
Nachvollziehbar wäre es, denn Klischees sind einfache Muster, die keinen hohen Anspruch an die Kompetenz der Mustererkennung stellen, um sich das Gefühl zu geben, sich in der Welt auszukennen, um nach außen Selbst-Bewusstsein zu zeigen, das wir aber gar nicht wirklich haben. Wir bewegen uns statt dessen in einem engen Korsetts, das kaum abweichendes Probehandeln erlaubt, wie es für Kinder noch selbstverständlich ist. Sie übernehmen ja erst nach und nach die vorgelebten Klischees und Verhaltensmuster der Erwachsenen durch Sozialisation mit deren Hilfe sie sich dann orientieren.
Möglicherweise ist hier auch der Grund zu suchen, warum Postdramatiker das Rollenspiel verabscheuen. Sie sind zumeist nicht ausgebildet im Schauspiel, in Dramaturgie und in Regie, den Grundlagen des Theaterspielens. Will man ihnen verübeln, dass sie sich dann darauf auch nicht einlassen und etliche Probleme haben, sich verständlich zu machen?
Fakt ist: Das Figurentheater ist nicht nur nach wie vor zentral für Kindertheater, es hat traditionelle Formen des Puppenspiels bewahrt und verfeinert und hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt wie das Kinder- und Jugendtheater überhaupt (vgl. auch ASSITEJ (Hg) (2015): IXYPSILONZETT. Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheater 2015. Berlin: Theater der Zeit > Rezension und die Zeitschrift „double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater“ Berlin: Theater der Zeit).
Es hat sich geöffnet gegenüber allen anderen Künsten und theatralen Darstellungsweisen und nimmt auf, was eine Erweiterung des künstlerischen Ausdrucksrepertoires verspricht. Zunehmend entstehen hypride Formen. Erstaunlich viele Figurentheater, -ensembles und -Festivals legen Zeugnis der Veränderungen ab. So auch das renommierte Internationale Figurentheater-Festival in Erlangen-Fürth-Nürnberg.
Leider konnte ich mir nur einige der 130 Aufführungen anschauen. Die Karten waren schnell weg. Einige Aufführungen haben Eindruck hinterlassen.
Ein paar Beispiele:
Beim Puppetry Slam (www.puppetryslam.de) zeigten u.a. Absolventen von universitären Studiengängen des Figurentheaters wie man meisterhaft lebensgroße Puppen animiert, dass die Illusion eines lebendigen Menschen wahr wird, während – wie im Fall der späteren Siegerin Nicole – die Puppenspielerin selbst eine andere Rolle spielt.
Eine Hand, ein Arm wird zur Schlange, während die Puppenspielerin zur Eva wird.
Ein Spieler moderiert eine Schlacht zwischen zwei Armeen, die aus Puderzucker und Zuckerwürfel bestehen und sich im Pulver-Puderzucker-Dampf gegenseitig vernichten, bis nur noch Strohhalm-Generäle übrig sind.
Wenn Fantasie grenzenlos ist, dann hier.
Ortswechsel.
Puppentheater für Drei- bis Fünfjährige. Ein Künstler erzählt spielend mit animierten Gegenständen und liebevoll kreierten Handpuppen die Abenteuer von Käpten Knitterbart.
Eine Leiter, eine Blechwanne werden zum Schiff, ein Kleiderständer zum Schiffsmast, ein Tuch zum Segel und im nächsten Moment zum Seeungeheuer. Entsprechende Lichtstimmungen und Geräusch-, Musikeinspielungen, Gesangsnummern und gekonnt eingesetztes Theaterhandwerk bannen das sehr junge Publikum für eine ganze Stunde und lassen es die Abenteuer von Käpten Knitterbart und seiner Crew miterleben, als ob es wirklich und live dabei wäre.
Beispielhaftes herausragendes Erzählen im Figurentheater, nützlich und sinnvoll (www.theater-knuth.de).
Aber ich habe auch eine Aufführung gesehen, da war ich recht irritiert. Es wurden blau bemalte Pappstreifen in Wellenform über versteckte Gestänge hin und her geschoben und ein Meerdarsteller in hautengem blauen Kostüm und einem Wellenhut versuchte mit ungelenken Armbewegungen eine Illusion von Meer zu erzeugen. Filmeinspielungen von Computerspielen a la Super-Mario mit wenig Bezug zur Geschichte sollten vermutlich zeigen, dass man auch die Digitalwelt einbeziehen kann. Allerlei Holprigkeiten in der Dramaturgie machten es schwer, einer Geschichte zu folgen. Die Animationen der Objekte wirkten oft auf mich unausgearbeitet.
Ein Ausreißer? Ich weiß es nicht und blieb etwas enttäuscht ob dieser etwas angestaubten eigenwilligen Ästhetik zurück (www.halfpastselberschuld.de).
Fazit:
Figurentheater scheint nicht mehr dominiert von Formaten des Hohnsteiner Kaspers, auch wenn es das noch zu geben scheint. Auch der Klassiker der Augsburger Puppenkiste ist nicht tot. Gut so.
Alle Formen des Puppen-, Objekt-, Schatten- oder Maskentheaters sollte man laut Lazic mit dem Begriff „Animationstheater“ zusammenfassen, denn „In dem Augenblick, wo man begreift, dass jeder Gegenstand einer Puppe ist, hat man das Wesen des Puppenspiels ergründet.“ (Lazic 1991)
Animationstheater ist aktuell, es wird immer mehr gespielt, ist auf der Höhe der Zeit und damit zeitgemäß und zeitgenössisch.
Oder um es nochmal mit Lehmanns Worten zu sagen: „Kunst kann sich überhaupt nicht entwickeln ohne Bezugnahme auf frühere Formen.“ (Lehmann 2015: 31)
Animationstheater stellt einen umfangreichen Inspirationspool und eine Vielfalt an Formaten und Darstellungsformen für kulturelle Bildung und Theaterunterricht zur Verfügung.
Bedienen wir uns!
Ach ja, und manchen Organisatoren von Schultheatertreffen und entsprechenden Festivals scheint es angeraten, nicht mehr dem Trend postdramatischer Spielweisen nachzuhecheln, sondern das abzubilden, was die zeitgenössische Theaterlandschaft wirklich ausmacht und zu bieten hat: in die Moderne geführte Traditionen, Grenzüberschreitungen, hypride Formen und auch Figurentheater und vor allem Vielfalt.
Literatur
- ASSITEJ (Hg) 2015: IXYPSILONZETT. Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheater 2015. Berlin: Theater der Zeit > Rezension
- Lazic, Radoslav 1991: Traktat über Puppenspielregie. Novi Sad: 70. Zit. nach: Dinic, Ljiljana 2015: Jeder Gegenstand ist eine Puppe. Das Animationstheater von Srboljub Stankovic. In: double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater 1/2015, Nr. 31, 12. Jg., 26f
- Lehmann, Hans-Thies 2005: Postdramatisches Theater. Berlin: Theater der Zeit
- Reuter, David 2007: Vom Objekttheater zur Kunst in Aktion. In: Bundesverband Darstellendes Spiel e.V. (Hg)(2007): Objekte. Figuren. Fokus Schultheater 07. Hamburg: Edition Körber Stiftung
- Schmotz, Thomas 2015: Semiotischer Overkill. Die Puppenspielerin Katharina Kummer entdeckt das subversive des Figurentheaters. In: Theater der Zeit. Heft Nr. 9, September 2015. Berlin: Theater der Zeit Verlag: 74
- Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V. > http://www.fidena.de
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