‚Perfekter‘ Theater-Unterricht – wo kann man den anschauen und live erleben?
In einer Schule in Mittelhessen unterrichtet eine junge Theater-Lehrkraft Darstellendes Spiel in der Sek.1 und der Sek.2. Sie hat ihre Weiterbildung erst vor kurzem abgeschlossen und damit die Fakultas erworben, das Fach zu unterrichten und im Abitur Prüfungen abzunehmen. Außerdem unterrichtet sie Mathematik und Musik. Da ich u.a. nach den Veröffentlichungen einiger Schülerarbeitsbücher, zweier theatraler Baukästen und der ersten Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel Anfang des Jahres 2018 neugierig bin, wie Lehrkräfte mit meinem Material arbeiten, gehe ich von Zeit zu Zeit in Schulen und hospitiere.
Nun kann ich allen Interessierten raten, sich diesen Unterricht einmal live anzuschauen, wie diese Kollegin in lebendigster Weise mit ihren Schülern Grundlagen des Theater-Machens erarbeitet und reflektiert. Alle sind immer einbezogen. Alle lernen schrittweise nach didaktisch präzise strukturierten Prozessbeschreibungen das Handwerk des Theaters. Was man braucht und wie man es einsetzt. Alle reflektieren ständig ihr Tun in häufigen Feedback-Schleifen nach vorgegebenem Muster und stellen einen inspirierenden Praxis-Theorie-Bezug her, sodass Vorstellungen von der Vielfalt theatraler Formen und ihrer unterschiedlichen Wirkungen sichtbar und spürbar werden.
Theater entpuppt sich dabei in diesem ästhetischen Lernprozess als Kunstform mit hohem Irritationspotenzial und durch den ästhetischen Doppelprozess als Form, in der fachliches und soziales Lernen in organischer Weise ineinandergreifen. Das ist Theater-Unterricht vom Feinsten.
Überdies ist ihr Unterricht ein herrlicher Kontrapunkt zum abgehobenen pseudowissenschaftlichen Sprachgeschwurbel vieler Theater´wissenschaftler`, die an Universitäten tätig sind, Theater-Pädagogen und -Lehrkräfte ausbilden, und selbst häufig die geringste Ahnung von Theater-Unterricht, geschweige Primärerfahrungen haben, ja häufig nicht einmal seit vielen Jahren eingeführte Curricula kennen.
Seit Jahren hatte ich mir Anregungen von entsprechenden Fachzeitschriften erhofft. Einen unerfreulichen Höhepunkt bildet die aktuelle „Zeitschrift für Theaterpädagogik“, Heft 75, mit dem Thema „Didaktische Positionen“. Es sei aus der Vielzahl irrelevanter Beiträge und abstruser Positionen nur auf ein Sprengsel verwiesen. In seinem Beitrag „Leitbild Selbstständigkeit? Zur Kritik konstruktivistischer Didaktik im Fach Theater/ Darstellendes Spiel“ kritisiert Dr. phil. Johannes Kup (Vertretungsprofessor für Didaktik des Darstellendes Spiels am Institut für Performative Künste und Bildung an der HBK Braunschweig) meine angebliche Forderung nach einem „‘Selbstzwang[!] zur kontinuierlichen Reflektion, einen Selbstzwang[!], sich selbst zu beobachten und daraus zu lernen, sich zu verbessern und zu entwickeln.‘“ (23) Tatsächlich zitiert er aber mehrfach aus einem Aufsatz von Kerstin Rabenstein von 2007. Interessant ist, dass Kup die „Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel“ offensichtlich gar nicht kennt und auch nicht auf sie verweist, sondern auf einige meiner über drei Jahre alte Online-Aufsätze. Unsauberes wissenschaftliches Arbeiten oder schlichtweg Unredlichkeit? Das Lesen der Beiträge wird zunehmend unerquicklicher. Inspiration oder gar Diskursförderung (Vorwort) sehe ich leider kaum noch. Ich trage mich mit dem Gedanken, das Abo zu kündigen. –
Weg vom Unerfreulichen, hin zum Erfreulichen. Hier kann ich leider den Namen der qualifizierten Kollegin und der Schule nicht nennen, aber ich gebe telefonisch Auskunft (064 41 – 67 92 54 9). Die Kollegin weiß nichts von meinem Hinweis hier auf ihre vorbildliche Arbeit. Aber ich weiß, sie wird in ihrem Kollegenkreis nicht nur für ihre umfassende Fachkompetenz, sondern gleichermaßen für ihre Kollegialität und Hilfsbereitschaft geschätzt. Die Bitte, bei ihrem Unterricht einmal zuschauen zu dürfen, um von ihr zu lernen, wird sie vermutlich nicht abschlagen.
- Kup, Johannes 2019: Leitbild Selbstständigkeit? Zur Kritik konstruktivistischer Didaktik im Fach Theater/ Darstellendes Spiel. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Heft 75. Uckerland: Schibri Verlag: 22-25
- List, Volker 2019: Theater und Darstellendes Spiel in der Praxis Band 2. Start ins Theater-Machen. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung (darin: ausführliche Erläuterung des ästhetischen Doppelprozesses) > https://angewandte-theaterforschung.de/shop/theater-und-darstellendes-spiel-in-der-praxis-band-2/
- List, Volker 2018: Die Kunst Theater zu lehren – Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung. Tutorial > https://angewandte-theaterforschung.de/shop/die-kunst-theater-zu-lehren-didaktik-fuer-theater-und-darstellendes-spiel/
- List, Volker/ Pfeiffer, Malte 2018, 20091: Kursbuch Darstellendes Spiel. Stuttgart: Klett Verlag (überarbeitete Auflage). Tutorial > https://www.youtube.com/watch?v=G_WICjKLxIM
- List, Volker 2017: Potenzialentfaltung im Theater-Unterricht. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung > https://angewandte-theaterforschung.de/theaterunterricht-und-potenzialentfaltung
- List, Volker 2017: Theater und Darstellendes Spiel in der Praxis Band 1. Erzähltheater. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung > https://angewandte-theaterforschung.de/shop
- List, Volker 2017: Training-on-the-Job. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung > https://angewandte-theaterforschung.de/theater-lehrkraefte-coachen-durch-training-on-the-job
- List, Volker 2014: Baukasten theatraler Möglichkeiten Nr. 1 Rollen und Figuren. Stuttgart: Klett. Tutorial > https://www.youtube.com/watch?v=IJ8hJNpoAIc
- List, Volker 2014: Kursbuch Theater machen. Stuttgart: Klett Verlag
- List, Volker 2014: Was ist Theater-Unterricht? Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung > https://angewandte-theaterforschung.de/unterrichtsmaterial-fuer-darstellendes-spiel/
- Rabenstein, Kerstin 2007: Das Leitbild des selbstständigen Schülers – Machtpraktiken und Subjektivierungsweisen in der pädagogischen Reformsemantik. In: Rabenstein, Kerstin/ Reh, Sabine (Hg): Kooperatives und selbstständiges Arbeiten von Schüler. Wiesbaden (ohne Verlagsangabe): 39-60
Schreiben Sie einen Kommentar