Sack, Mira 2011: spielend denken. Theaterpädagogische Zugänge zur Dramaturgie des Probens. Bielfeld: transcript. 368 Seiten – Rezension
Als wesentliche Voraussetzung für theaterpädagogische Arbeit nennt Sack „Neugier, Mut, Risikobereitschaft, Verausgabung der Fantasie“ und Entdeckungslust. (7) Dafür müssten entsprechende Freiräume geschaffen werden. Außerdem schreibt sie der Etablierung und Weiterentwicklung der Beziehungskultur einer Gruppe zum Ensemble und der Rolle des Theaterpädagogen eine herausragende Bedeutung zu. (9-10)
Motiv für die vorliegende Arbeit seien ihre Erfahrungen als Theaterpädagogin „in der eigenen Inszenierungspraxis wie in der Arbeit mit Schulklassen und der Begleitung von Proben im Rahmen der Ausbildung von zukünftigen Theaterpädagogen“ gewesen. (7) Mira Sack ist seit 2001 Dozentin und Professorin für das Praxisfeld Theaterpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste.
Inhalt
Vorwort | 7
I Problemhorizont | 9
- 1 Suchbewegungen | 13
- 2 Das Spiel der Probe | 16
- 3 Spielen lehren | 20
- 4 Darstellungslogik | 24
- 5 Spielend denken I | 30
II Didaktische Wegmarken | 33
- 1 Forschungstopoi | 34
- 1 Didaktik | 37
- 2 Bildung | 39
- 3 Subjektverständnis | 44
- 4 Lehr-Lern-Verständnis | 52
- 5 Zwischenstopp | 55
- 2 Passagen zur Fachdidaktik | 57
- 1 Passagen zur Kunstdidaktik | 60
- 2 Verbindungen von Poiesis und Praxis | 62
- 3 Lehr-Lern-Verständnis in der Kunstdidaktik | 65
- 4 Zwischenstopp | 68
- 3 Spielend denken II | 69
III Fachdidaktische Spielräume | 73
- 1 Bildungstheoretische Spielräume | 75
- 1 Vom Gleichgewicht der Kräfte | 76
- 2 Pendeln in Zwischenräumen | 77
- 3 Subjekt-, Sozial- und Kunstbezug | 82
- 4 Spiel als Basisstation | 83
- 5 Konstruktion von Gegenwelten | 85
- 6 Relation von Wirklichkeitskonstruktionen | 87
- 7 Zwischenstopp | 89
- 2 Handlungsspielräume | 92
- 1 Unterrichten | 93
- 2 Proben | 96
- 3 Situative und konzeptionelle Regie | 98
- 4 Intervention | 101
- 5 Interaktion | 104
- 6 Zwischenstopp | 109
3 Spielend denken III | 111
IV Kartierung der Spielfelder | 115
- 1 Das Spiel | 116
- 1 Ein Spiel von Phänomenen | 117
- 2 Transformationen des Subjekts im Spiel | 139
- 3 Lehr-lern-theoretische Schlussfolgerungen | 142
- 4 Zwischenstopp | 147
- 2 Spielsysteme künstlerischer Praxis | 149
- 1 Kunst als Sonderform des Spiels | 151
- 2 Ästhetisches Experiment | 157
- 3 Material der Kunst | 161
- 4 Zwischenstopp | 165
- 3 Theater ins Spiel bringen | 166
- 1 Zwischen Spiel und Nicht-Spiel | 171
- 2 Zwischen Spiel und Spiel | 182
- 3 Regie als Spiel | 192
- 4 Zusammenfassung | 195
- 4 Spielend denken IV | 197
V PraxisHaltungen | 201
- 1 Zwischen Nicht-Spiel und Spiel | 206
- 1 Kartografie I: George Tabori | 207
- 2 Kartografie II: Robert Wilson | 226
- 3 Kartografie III: Peter Brook | 242
- 2 Zwischen Spiel und Spiel | 262
- 1 Spiele um Sprache | 263
- 2 Spiele um Körper | 279
- 3 Spiele um Imagination | 296
- 3 Regie als Spiel | 309
- 1 Grenzgänger | 310
- 2 Solidaritäten | 314
- 3 Ensemblegeist | 320
- 4 Zwischenstopp | 327
- 4 Spielend denken V | 329
VI Schluss | 335
- 1 Zusammenfassung der Ergebnisse | 337
- 2 Konsequenzen | 345
Bibliografie | 349 Videografie | 364
Sack unternimmt in ihrer Arbeit „den Versuch, einen didaktischen Blick auf die Dramaturgie von Proben zu werfen in der Hoffnung, dass das Geschriebene dem Leser Anlass und Anregung gibt, weiterzudenken und neue Perspektiven auf das Spiel der Probe und die mit ihr verbundenen Denkbewegungen zu richten.“ (7)
Wie dürfen gespannt sein, ob die Reflektionen ihrer Praxiserfahrungen zu anregenden Praxisempfehlung für Theater-Pädagogen und Theater-Lehrkräfte für ihren Theater-Unterricht in Schulklassen führen.
Im „Problemhorizont“ sichtet Sack zunächst die herausragende Bedeutung des Theaterpädagogen, der bereits vorab „Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen“ (9) zu treffen habe, in die seine Vorstellungen von Theater, mit welchen Verfahrensweisen man interessante Ergebnisse erzeugen kann und wie eine Inszenierung entsteht und seine Ideen und Ideale von Bildungs- und Vermittlungsprozessen einfließen. Ihre erkenntnisleitende Frage lautet: „Wie kann nun aber dieses Zusammenspiel [eines Theaterensembles] näher beschrieben und eine Analyse zugänglich gemacht werden? Da in vorliegender Arbeit insbesondere die Funktion des Theaterpädagogen im Probenprozess aus didaktischer Perspektive ausgeleuchtet wird, können Beobachtungen aus kollektiven Probengemeinschaften wertvolle Hinweise geben.“ (194) „Als derjenige, der theatrale Praxis initiiert, anleitet und ihre Qualität verantwortet, steht der Theaterpädagoge vor der Herausforderung, ästhetische Bildungsprozesse anzuregen. Für das Gelingen dieser Aufgabe sind didaktisches Denken und die kritische Reflexion eigenen Handelns unabdingbar. Eine immer wieder neu zu leistende Selbstverständigung über Zielsetzungen und Vorgehensweise in der praktischen Arbeit bildet die Basis für bewusste Entscheidungen und erfordert die Distanznahme zu dem unmittelbaren Handeln in der konkreten Probe. In der didaktischen Reflexion müssen pädagogische und künstlerische Intentionen miteinander verhandelt und gesammelte Erfahrungen unter der Folie des damit Erreichten evaluiert werden. Finden diese Reflexionsflächen keinen Raum, verödet die Praxis in mechanischer Anwendung stereotyper Methoden oder in beliebigen Handlungschoreografien eines Theaterpädagogen und die Bildungsrelevanz von Probenprozessen wird zum Vabanquespiel.
Verortet man die Theaterpädagogik im Kontext ästhetischer Praxis, sind einige Überlegungen angebracht, die den Status und das Verständnis der Disziplin klären, deren Ziele und Vermittlungsanliegen transparent machen und ein schlüssiges Lehr-Lern-Verständnis situieren.“ (34)
Immer stehe der Theaterpädagoge für eine Kette von Interaktionsereignissen und die Qualität theaterpädagogischer Prozesse in der Verantwortung. Dies erfordere von ihm, „immer wieder neu die eigenen Haltungen zur Praxis und die konkreten Vorgänge innerhalb der praktischen Arbeit aufeinander ab[zu]stimmen und produktiv in Beziehung zueinander zu setzen, um im Hinblick auf die Spieler und auf das theatrale Geschehen konstruktiv handlungsfähig zu bleiben. Die Handlungslogik der theaterpädagogischen Praxis ist entsprechend begründet zwischen gedanklichen Entwürfen und konkreten Prozessen, zwischen Konzept und Spiel.“ (9) Der Theaterpädagoge ist „immer auch kraft seiner Person Reibungsfläche und Anlass für die produktive Begegnung im Medium Theater. Er bringt seine spezifische Praxismentalität und die eigenen Sichtweisen auf das theatrale und das soziale Geschehen handelnd in den Interaktionszusammenhang ein, bezieht sich auf sich und die anderen durch seine theaterpädagogische(n) Haltung(en). Als dominante Größe an der Schnittstelle zwischen Subjekt und Verfahrensweise sind die Zielvorstellungen des Theaterpädagogen für die theatrale Praxis und den darin situierten Bildungsprozess maßgebend an den »prinzipiellen und speziellen Möglichkeiten für die Transformation des theaterspielenden Subjekts« beteiligt (vgl. Pinkert 2005; 35).“ (9) Mit dieser Setzung geht Sack „über die bislang im wissenschaftlichen Kontext erörterten Dispositionen zu Bildungsprozessen in der Theaterpädagogik hinaus.“ (10) Sack betont dabei den „Anspruch, den Bildungsgehalt des Theaterspielens nicht allein vom Sachgegenstand Theater ableiten zu können, und hebt andererseits die Bedeutung von transsubjektiven Prozessen in Lehr-Lern-Situationen hervor, die für die Bildungsrelevanz des Theaterspielens entscheidend“ seien. (10) Damit stellt Sack die Haltungen zur Praxis im Verbund mit Optionen des Handelns und Vermittelns innerhalb dieser Praxis in den Fokus ihrer Untersuchung.
Theaterpädagogisches Handeln scheint Sack auch deswegen untersuchenswert, weil es Disparitäten im theaterpädagogischen Selbstverständnis gebe. Gitta Martens beklage sogar ein mangelndes Fundament einer von gründlichen Reflexionen durchdrungenen Handlungskompetenz. Dies führe dazu, dass ihr theatrales und pädagogisches Vorgehen häufig unverbunden und unreflektiert bleibe (vgl. Martens 2008: 23).
Auch Hentschel und Pinkert verwiesen darauf, „dass das theaterpädagogische Feld als Anwendungsfeld spezifischer Praxen des Handelns und Reflektierens bislang wenig ausgebildet und etabliert“ sei und sich die Akteure schwer täten, ein spezifisch theaterpädagogisches Selbstverständnis auszubilden (vgl. Hentschel/ Pinkert 2008: 20).
Auch Kirchner sehe ein „Begründungsschlingern“ insbesondere in Unterrichtsreflexionen (vgl. Kirchner 2007: 102).
Sack konstatiert einen Anforderungsbedarf an eine theaterpädagogische Fachwissenschaft, die der Forschung im Didaktischen nachzugehen habe, insbesondere ein Bedarf an systematischer Praxisreflexion und differenzierter Evaluation von Lehr-Lern-Prozessen (vgl. Koch/ Vaßen 2008: 9; Pinkert/ Meyer 2006: 42ff; Liebau/ Klepacki/ Zirfas 2009 162).
Sack formuliert als übergeordnetes Ziel der vorgelegten Arbeit: „Die vorliegende Arbeit möchte einen Vorstoß in diese Richtung unternehmen, indem sie das Handeln des Theaterpädagogen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, es aus didaktischer Perspektive befragt und bewertet.“ (10) Dabei stünden die Interaktionsspielräume des Theaterpädagogen und sein künstlerisches und pädagogisches Handeln im Mittelpunkt. Es sollen Beziehungsstrukturen und Interferenzen zwischen dem Gegenstand Theaterpädagoge und dem „Konglomerat aus künstlerischen und pädagogischen, theatralen und transsubjektiven Prozessen forschend erkundet“ und sichtbar gemacht werden. (11)
Der didaktische Fokus verschiebe sich somit hin zu „Handlungsstrategien, mit deren Hilfe ein Theaterpädagoge Vermittlungsakte einleiten und in sie eingreifen kann. Gehandelt wird im Sinne der ästhetischen Bildung entlang der künstlerischen und pädagogischen Besonderheiten eines jeweils konkreten Kontexts mit dem Ziel, Theater- und Bildungsprozesse miteinander hervorzubringen. Die Verantwortung für das Gelingen trägt der Theaterpädagoge, der theatrale Wahrnehmungs- und Gestaltungsweisen zum Anlass für das Erzeugen ästhetischer Bildungsprozesse nimmt. Nicht das Theaterspielen an sich, so meine Behauptung, ist Garant für Prozesse ästhetischer Bildung, sondern erst im Verbund mit den jeweils konkreten Akten der Vermittlung bekommen ästhetische Bildungsprozesse ihr spezifisches Gewicht. In den PraxisHaltungen des Theaterpädagogen wird die theaterpädagogische Vermittlungsqualität sichergestellt.“ (11; vgl. dazu auch das Tutorial zum Buch „Die Kunst Theater zu lehren. Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel“ und den darin beschriebenen „Ästhetischen Doppelprozess“ des „Theater-Machens“ und des „Theater-Spielens“). Dabei werde im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung „ausschließlich eine theaterpädagogische Inszenierungspraxis in den Blick genommen, die sich auf schauspielanaloge Verfahrensweisen mit nichtprofessionellen Spielern konzentriert.“ (11; vgl. auch 44)
Diese Setzung gilt es im Weiteren kritisch im Blick zu behalten, da Sack die Blickrichtung und den Untersuchungsfokus hier einschränkt. Auch steht dies teilweise im Widerspruch zu anderen Aussagen von ihr, und wie sich zeigen wird, hält sie diese Setzung auch nicht ein (vgl. die 130 Seiten lange Analyse der Probenpraxen der Theaterprofis Tabori, Wilson und Brook, die ja bekanntlich mit professionellen Schauspielern arbeiteten bzw. arbeiten). Unberücksichtigt bleiben auch – so Sack – Verfahrensdiskussionen entlang spezifischer Methoden, die darauf abzielten, deren besonderen Bildungswert auszuloten. Dennoch sei eine „PraxisHaltung“ des Theaterpädagogen entscheidend, die zentral als Herausforderung definiere – dabei bezieht sie sich auf Pinkert (2008: 69) – in einer bestimmten Art und Weise einer konkreten Gruppe und den einzelnen Individuen unter bestimmten Bedingungen Erfahrungsräume zu ermöglichen und Formen dafür zu finden.
Was aber unterscheiden „Verfahren“ und „Methoden“, die Sack nicht berücksichtigen will, von der „Art und Weise“ „Erfahrungsräume zu ermöglichen und Formen dafür zu finden“?
Wir werden sehen, ob Sack diesen Widerspruch auflösen kann, zumal sie außerdem – wieder auf Pinkert verweisend – eine „experimentelle Haltung“ von Theaterpädagogen propagiert. Was aber ist das Experimentieren anderes als eine präzise beschreibbare Methode, eine mit klaren Kriterien benennbares Verfahren, bei dem Akteure nicht in beliebiger Weise ziellos herumirren, herumwerkeln und planlos chaotisch agieren?
Der Widerspruch wird offensichtlich, wenn Sack – sich auf Deleuze, zit. n. Maset 1995; 159 beziehend – ein Vermittlungsprofil für Theaterpädagogen fordert, das ein performatives Handlungsverständnis voraussetzt und als zielgerichtetes und methodische Handeln definiert, indem der Lehrer nicht sagt, der Schüler solle es nachmachen, wie er es ihm vormacht, sondern ihn auffordert, es mit ihm zusammen zu machen. Der Lehrer soll also von seinem Schüler keine Reproduktion verlangen, sondern Zeichen aussenden, die den Schüler anregen, diese „im Heterogenen zu entfalten.“ (Deleuze, zit.n. Maset 1995; 159). Der Schüler als Amateur solle also nicht einfach einen Profi kopieren, sondern durch „alternative Arbeitsweisen und -wege“ zum ästhetischen Gestalten angeregt werden. Damit erschlössen sich theaterpädagogische PraxisHaltungen entlang der „Schnittstellen von künstlerischen und pädagogischen Handlungsstrategien.“ (13) und der didaktische Fokus veschiebe sich zu „Handlungsstrategien, mit deren Hilfe ein Theaterpädagoge Vermittlungsakte einleiten und in sie eigreifen kann.“ (11) und nur in dem spezifischen Wert gewählter Arbeitsverfahren sei eine theaterpädagogische Qualität auszumachen. (13-14) Und nochmals, jetzt Müller (Müller 1972; V) zitierend: „Als zentrale Herausforderung für die vorliegende Untersuchung umreißt dieses Grundverständnis zugleich den inhaltlichen Kern der Theaterpädagogik, der sich in der »Art und Weise, wie Spiel und Theater gedacht, geprobt, gemacht und vermittelt wird.«“ (14) Arten und Weisen zu handeln und Strategien sind aber nichts Anderes als die Beschreibung von Vorgehensweisen und Methoden und das geschickte Bündeln bezogen auf ein längerfristiges Ziele.
Wo ist jetzt der Dissens? Wo die Forschungsfrage?
Sacks Beschreibung, wie eine theaterpädagogische Probenpraxis auszusehen und welche Verfahren und Methoden der Theaterpädagoge anzuwenden habe, lesen sich so, wobei Sack auf Seitz zitierend verweist: Der Theaterpädagoge „muss entsprechend Kontexte schaffen, »die eine Selbstbewegung in Gang setzen; sie muss Erlebnisse provozieren, in Suchbewegungen verwickeln, zu Erfahrungen anstacheln, die in der Begegnung mit dem Gegenüber, mit Fremdheit und Andersartigkeit zu Differenzierungsvermögen gelangen« (Seitz 1996; 62; Hervorhebung im Original). Welche Strategien der Theaterpädagoge sich für eine Probe zurechtlegt und wie die Realisierung aussieht, bildet den Kern seiner Vermittlungsleistungen. Er entwickelt anhand der Probenpraxis notwendig eine dramaturgische Handschrift, in der theatrale Praxis und experimentelles Handeln verschmelzen.“ (15) In der Auseinandersetzung mit den Methoden und „Verfahrensweisen ausgewählter Regisseure aus theaterpädagogischen Blickwinkeln“ (16) soll einen Beitrag generiert werden für theaterpädagogische Zugänge zur Dramaturgie des Probens. Der eigentliche Dissens liegt eher in den unterschiedlichen Verfahrenweisen und Methoden professioneller Regisseure gegenüber Pädagogen, die mit Amateuren Theater machen: „Dabei kommen dem Theaterpädagogen im Verbund von Planung und Probe einerseits Aufgaben zu, die sich aus dem künstlerischen Kontext Theater ergeben und am ehesten mit der Tätigkeit eines Regisseurs vergleichbar sind. Andererseits erwachsen aus der besonderen Disposition der Spieler Herausforderungen, die in gängigen Theaterformen und Probenkonventionen kaum Berücksichtigung finden. Anhand welcher Kriterien will man aber gültige theaterpädagogische Probenpraxis von jener der Regie unterscheiden?“ (16) Die Antwort: „Theaterpädagogische Zugänge zur Dramaturgie des Probens können nur in der grundsätzlichen Akzeptanz einkreisender Suchbewegungen tragfähige Strategien generieren.“ Und „Künstlerische Vorstellungen des Regisseurs sind im Probenprozess demnach zwingend mit pädagogischen Überlegungen verknüpft, die den schauspielerischen Arbeitsprozess beeinflussen und steuern.“ (17) „Der bewusste Einsatz von spielerischen Verfahrensweisen, strategischem Geschick und die gezielten Interventionen, die eine spannungsvolle Eigendynamik des Geschehens verursachen, scheinen für eine fruchtbare Probe entscheidend.“ (18) Dabei werde deutlich, wie sehr pädagogische und künstlerische Aufgaben sich in der Probenpraxis überlagerten und durchdrängen, teilweise ununterscheidbar würden. Der Theater-Pädagoge wie die Theater-Lehrkraft in der Schule haben es mit Amateuren zu tun, die nicht über professionelles Schauspielhandwerk verfügen. „Die Ausbildung von Darstellungsmitteln und die Suche nach Darstellungsregeln gehen in theaterpädagogischen Kontexten Hand in Hand; Eigenarten der Spieler werden aufgegriffen und in inhaltsadäquate Spielformen überführt; Erzählweisen werden gesucht, in welchen die Akteure ihre Erfahrungen und Imaginationen mit einer theatralen Idee verknüpfen und sichtbar machen können.“ (17)
Sack verwendet in ihrer Arbeit die Begriffe „Theaterpädagoge“, „Regisseur“ und „Spielleiter“ synonym, da sie nur „graduell voneinander abweichen und von Kontext zu Kontext variieren.“ (19) Die Theater-Lehrkraft, die Person, die vermutlich die größte Anzahl von Menschen an das Theatermachen heranführt, bleibt leider in ihrer Betrachtung außen vor, obwohl Theater bereits seit vielen Jahren an Schulen unterrichtet wird. Das ist sehr schade. Außerdem werden die Begriffe, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben und durchaus bereits recht präzise grundlegend Unterschiedliches bezeichnen, in einen Topf geworfen. Der Begriff „Theater-Pädagoge“ wird hauptsächlich für Menschen benutzt, die eine entsprechende Ausbildung haben (z.B. an einer Universität oder BuT-zertifiziert) und mit Amateuren zumeist Stücke oder Eigenproduktionen inszenieren. Der „Regisseur“ arbeitet im professionellen Theaterbetrieb und arbeitet mit professionell ausgebildeten Schauspielern. Der Begriff „Spielleiter“ ist der diffuseste von allen. Brecht hat ihn aus bekannten Gründen als Synonym für den Regisseur im professionellen Theater benutzt, und er findet gleichermaßen Verwendung in beliebigen und unterschiedlichsten Freizeitgruppen, vom Leiter einer religiösen Laienspielgruppe bis hin zum Spielleiter beim „Monopoly“. Der Begriff „Theater-Lehrkraft“ – wird für Menschen benutzt, die eine entsprechende Ausbildung haben (z.B. am Uni-Verbund Hannover-Hildesheim-Braunschweig oder eine Fakultas in der Lehrerweiterbildung erworben haben) und Schüler in Schulen Theaterunterricht nach vorgegebenen Lehrplänen erteilen. Leider von Sack nicht berücksichtigt. Diese sehr deutlich unterscheidbaren Berufsgruppen in einen Topf zu werfen und zu tun, als gäbe es hier große Ähnlichkeiten, kann nicht zur Klärung des Gemeinten beitragen. Das ist auch sehr schade. Wichtig wäre, genau diese Unterschiede herauszuarbeiten, um hilfreiche Überlegungen für die Kunst, Theater zu lehren, für die unterschiedlichen Kontexte abzuleiten. »Mach es so, wie du denkst« (Oida) als Zauberformel des Regisseurs an seinen Darsteller gerichtet, beschreibt eine manipulative Strategie, da der Regisseur seinem Darsteller doch nicht die Freiheit gibt, zu machen, was er denkt, sondern durch eine zuvor entsprechend manipulierte Bühnensituation den Darsteller zu einem bestimmten vom Regisseur erwarteten und erhofften Verhalten nötigt. Das ist weit entfernt von der Forderung nach „ergebnisoffener Arbeit.“ Außerdem bleibt das Spiel bei Amateuren im Dilettantischen verhaftet, da sie über keine und nur geringe Darstellungskompetenz verfügen. Als eine derartig gelingende Probe bezeichnet Sack deshalb die Voraussetzung des mit-spielenden Denkens und erklärt es zum „Handwerk und als die Kunst der Theatervermittlung.“ (19-20)
Im Gegensatz dazu insistiert Sack auf einer ergebnisoffenen Suche nach szenischen Lösungen in der künstlerischen Praxis in pädagogischen Kontexten. Dies sollen mit „einem erfahrungsoffenen, differenziellen Spielerlebnis“ kombiniert werden. (20)
Sack trägt im Folgenden die zahlreichen Positionen verschiedener Autoren zusammen, die sich mit dem Thema wissenschaftstheoretisch beschäftigt haben und sich zumeist nur durch eine sprachliche Variation voneinander unterscheiden und bezogen auf ihren Erkenntnisgewinn wenig bis keine Anregung für den angestrebten Diskurs erbringen. Die am weitestgehende Forderung endet zumeist in einem Wunsch, es müsste alles mal in der Praxis überprüft werden. Mit dieser Forderung steht Sack nicht allein. Sie steht seit vielen Jahren ohne Beachtung im Raum. „Vermittlungshandeln im kunstpädagogischen Kontext ist aber notwendig auf Transparenz angewiesen, um eine fachliche Selbstverständigung zu ermöglichen und didaktische Reflexionen handlungsrelevant werden zu lassen. Eine Lösung, die sowohl der künstlerischen Praxis als auch der pädagogischen Verständigung über dieselbe entgegenkommt, liegt in dem Verzicht von normativen Setzungen und verlangt stattdessen den Versuch, Auffälligkeiten der Praxis zu erkennen und Besonderheiten des Handelns zu exemplifizieren. Im Verbund mit einer fragenden Reflexion, die die Spielbewegung des Denkens offenlegt und Inseln der Verknüpfung von Praxiswissen und Wissenspraxis schafft, können sinnstiftende Bezüge hergestellt und das Nachdenken über mögliches Handeln, mögliche PraxisHaltungen transparent gemacht werden.“ (27)
Die Schwierigkeiten, auf die man dabei stößt, sind mir nur allzu gut bekannt (vgl. einige der ersten Forschungungsvorhaben dieser Art von Wenzel, Domkowsky und List und die Schwierigkeiten, mit denen diese zu kämpfen hatten).
So verweist Sack
… auf Seitz, die fordert: „Im Spiel der Probe muss der Theaterpädagoge »Erlebnisse provozieren, in Suchbewegungen verwickeln, zu Erfahrungen anstacheln, die in der Begegnung mit dem Gegenüber, mit Fremdheit und Andersartigkeit zu Differenzierungsvermögen veranlassen« (Seitz 1996; 62).“ (21)
… auf Scheuerl: „Die Werkzeuge des Theaterpädagogen in der Interaktion mit dem Darsteller beruhen im Wesentlichen auf unterschiedlichen Strategien, reizvolle Spielsituationen zu schaffen, und der Kompetenz, an den entscheidenden Stellen in die sich ereignenden Vorgänge verändernd eingreifen zu können. Hier offenbart sich der Kern des probendramaturgischen Handwerks, denn es »gehört zur Kunst des Arrangierens von Spielen, die Entgegensetzung der beteiligten Kräfte so zu regeln […], dass der Ausgang so lange wie möglich offenbleibt« (Scheuerl 1990; Band 1; 205).“ (21) Die Kunst des Theaterpädagogen bestünde nun darin, unvorhersehbare und überraschende theatrale Ereignisräume zu öffnen und so lange wie möglich in der Schwebe zu halten. Verfügt ein Theaterpädagoge über solide didaktisch-methodische Fertigkeiten der geschickten Hervorbringung und Verkettung von theatralen Spielen, kann er künstlerische und pädagogische Aspekte in der theaterpädagogischen Praxis für beide Seiten gewinnbringend vereinigen. Je gezielter und versierter er Spiele und Spielverläufe arrangieren, variieren und zu szenischen Vorgängen verdichten kann, desto ausgeprägter wird seine Kompetenz sein, den Spieler aus seinen Gewohnheiten herauszuholen und in neue Wahrnehmungsprozesse einzubinden. Richtig!
… auf Czerny, Nickel, Köhler, Weintz, Hilliger, Wulf, Zirfas und zahlreiche andere Autoren (Schechner, Fischer-Lichte, Gumbrecht, Kurzenberger, Roselt, Kirby, Brauneck, Vaßen, Richard, Zabka, Pavis, Goffman, Wulf, Sabisch, Biehler, Lehmann, Seel, Schmitz-Emans, Lehnerer, Nelle, Scheuerl, Iser, Piagets, Seitz, Sonderegger, Pinkert, Hentschel, U., Wiese, Casale, Boudieu, Gebauer, Brougère, Wittgenstein, Lyotard, Wetzel, Hanke, Wekwerth, Matzke, Caillois, Nickel, Brecht, Forster, Liebau, Alkemeyer, Böhm, Adamowsky, Kant, Mead, Schiller, Huizinga, Weiler, Baatz, Müller W., Schwanitz, Barthes, Kristeva, Kotte, Samsonow, Douglas, Hesse, Otto und viele viele andere Autoren und deren Positionen. Diese werden zusammengetragen und in Kürze dargestellt und auf ihre Erkenntniswerte für das bearbeitete Thema befragt und untersucht und auch teilweise hart verkürzt kritisiert.
In den Ausführungen werden immer wieder Verfahrensweisen, Strategien, „Arten und Weisen des Handelns, Steuerung von Prozessen, Handlungsanregungen, methodisch-didaktisches Handwerkszeug usw. usf. bemüht um die Zusammenhänge von künstlerischer und pädagogischer Arbeit zu beschreiben, also durchgängig Techniken und Methoden zur Planung und Steuerung von Verhalten, aber auf sehr allgemeinem theoretischen Niveau. Es scheint bei Sack ein sehr reduzierte Begriff von Methodik vorzuliegen, der vermutlich eher ein stures Abarbeiten einer linearen Handlungsabfolge meint, Gebrauchsanweisungen für technische Geräte ähnlich. Ein derartig eingeschränkter Methodenbegriff ist in der Tat ungeeignet zur Beschreibung des Problemfeldes, Bedarf also auch keiner weiterer Kritik.
Die Frage stellt sich, warum generell eine als Methode bezeichnete Verfahrensweise derart radikal von Sack abgelehnt wird, während gleichzeitig auf bestimmten zielgerichteten Verfahrensweisen insistiert wird: „Wo lehr-lern-theoretische Implikationen der Vermittlung explizit gemacht werden, bleiben sie meist im Methodischen verhaftet und neigen dazu, pauschale Selbstverständlichkeiten als didaktische Begründungsfiguren anzubieten.“ (21) Den Beleg für diese Behauptung bleibt Sack allerdings schuldig. Auch fehlt der Bezug auf die grundlegende allgemeinbildende Aufgabe von theaterpädagogischer Arbeit in der Schule in Form des Theater-Unterrichts, insbesondere der Hinweis, dass hierbei der Erwerb grundlegender theatraler Kompetenzen im Fokus steht.
Es bleibt fraglich, ob der von Sack formulierte Forschungsansatz, aus der professionellen Regiekultur abgeleitete Verhaltensweisen, auf eine diffuse Sammel-Gruppe von Theaterpädagogen, Regisseuren und Spielleitern überhaupt einen Erkenntnisgewinn generieren könnte. Hier ihr ausführlicher Begründungszusammenhang: „Pluralisierung von Denk- und Handlungsansätzen, die Autonomieentwicklung der Theaterkunst und das Experiment als generatives Verfahren setzen die Behauptung von Allgemeinplätzen außer Kraft und verlangen dezidiert die Betrachtung von Einzelphänomenen. Im fünften Kapitel werden deshalb Probendokumente von George Tabori, Robert Wilson und Peter Brook für die Analyse von PraxisHaltungen herangezogen. Die in Laborsituationen entwickelte probendramaturgische Handschrift der drei Regisseure und ihr nachhaltiger Einfluss auf zeitgenössisches Theater und theaterpädagogische Überlegungen gewährleisten einerseits, dass bei ihnen das theatrale Spiel als Experiment betrieben wird. Andererseits sind bei Tabori, Wilson und Brook begleitende Praxistheorien Teil des zugänglichen Materials. In ihr kommt das einer Arbeitsmethode zugrunde liegende Gedankengebäude des Urhebers zum Ausdruck, sodass Praxistheorien bereits einen nachweisbaren didaktischen Ansatz enthalten. »An solchen Theorien«, befindet Ulrike Hentschel, »kann der fachlich-sachliche Zusammenhang mit einer Didaktik des Darstellenden Spiels/Theaters hergestellt werden. Die didaktische ›Sachanalyse‹ müsste dann vom Erfahrungs- und Sachbezug der Künstlertheorien her gedacht werden« (Hentschel 2001; o. S.). In der Verbindung von Probendokumenten und Praxistheorien können nicht nur Handlungen reflektiert, sondern grundsätzliche Haltungen gegenüber der Inszenierungspraxis und den Darstellern deutlich werden, sodass der künstlerische Schaffensprozess phänomenologisch und hermeneutisch zugänglich wird (Kapitel V).
Der Vorteil von so rekonstruierten Lehr-Lern-Kulturen könnte in dem Gewinn didaktischer Prinzipien liegen. Als diese würden sie gelten, sofern in ihren Grundsätzen ein Anspruch auf übersituative Geltung erkennbar ist und zugleich den jeweils unterschiedlichen Gegebenheiten konkreter Praxen genug Interpretationsspielraum gelassen wird, um didaktische Fantasie wirksam anzuregen (vgl. Heursen 1997; 25). Didaktische Prinzipien zielen darauf ab, über bestehende Vorstellungen zur Interaktion zwischen Theaterpädagogen und Spielern hinauszugehen, neue Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen und eigene Standpunkte zu reflektieren. Sie spiegeln grundlegende Strukturmomente des Unterrichts und gestatten eine offene Planung und situationsgebundene Entscheidungen (vgl. ebd.; 27f.). Eine systematisierte Vergleichsanalyse bietet die Chance, Handlungsorientierungen der Theaterpraxis in Reflexionsspielräume zu überführen. Praxistheorie und Theoriebildung greifen dabei ineinander, sie setzen Akzente für bildungswirksame Interaktionen, an denen sich didaktische Fantasie reiben kann. Eine Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse soll diesem Anspruch nachkommen und didaktische Prinzipien als Resonanzräume für theaterpädagogische PraxisHaltungen und die Dramaturgie des Probens beschreiben (Kapitel VI).“ (26-27)
Am Ende des Kapitels „Problemhorizont“ stell Sack die eigentlich zielführenden Fragen, auf deren Beantwortung wir nun noch neugieriger geworden sind: „Die Ungewissheit, wo das Spiel ebenso wie das Denken hinführt, Momente der Spannung und der Neugier, die den Theaterpädagogen fordern, auffordern zu handeln – oder eben nicht zu handeln, sondern auszuhalten, abzuwarten, zuzulassen –, führen immer in einen krisenhaften Zustand. Sein Titel: »Was tun?«, wahlweise auch »Wie weiter?«. Exemplarisch erlebt der Theaterpädagoge solche Momente der Krise innerhalb von Probensituationen, in denen ein Spielprozess sich nur schleppend entfaltet oder womöglich gar nicht erst in Gang kommt. Soll er nun schnell auf die Bühne springen und etwas Dynamik in den Raum bringen? Oder wäre es diesmal besser, den eingeschlagenen Weg abzubrechen und eine neue Spielidee vorzuschlagen? Manchmal kann es ja lohnend sein, sich in der Beobachterposition zu gedulden. Aber wann ist dieses ›Manchmal‹ – und was ist es jetzt? In der Regel verfolgen ihn weitere Fragen, übergeordnete Denk- und Spielnotwendigkeiten. Denn mit welchen Strategien lässt sich ein turbulentes Treiben, das Chaos auf der Bühne, steuern oder verdichten? Wo soll er ansetzen, um einem Dialog eine andere Färbung und Substanz zu geben? Wann gilt es, die Inhalte des Spiels zu vertiefen, wann, bereits gefundene Darstellungsmöglichkeiten zu präzisieren? Und wie bringt der Theaterpädagoge eine Gruppe von 20 Menschen dazu, sich miteinander auf eine individuelle Suche zu machen?
Von der Konzeption eines Workshops oder einer Inszenierung über die Planung und Durchführung der Proben bis hin zur letzten Aufführung, dem Kursabschluss oder dem gemeinsamen Try-out gehören solche Fragen als treibende Kraft zum professionellen Alltag der Theatervermittlung. So vorläufig Antworten und Lösungsansätze in der Praxis jeweils sein mögen, sie führen zu einer je eigenen Dynamik des Geschehens, die einflussreich ist für die Spieler und das Arbeitsergebnis. Der Einfluss des Theaterpädagogen setzt sich fort in der Suche nach geeigneten Improvisationsaufgaben, Erzählweisen und Darstellungsformen bis hin zu der dramaturgischen Konzeption einer Unterrichtsstunde oder einer abendfüllenden Inszenierung.Lösungen und Entscheidungen können mal mehr pädagogisch motiviert sein, mal stärker künstlerischen Notwendigkeiten folgen. Beide Aspekte müssen immer wieder in ein Wechselspiel gebracht werden, das sie aufeinander bezieht und miteinander verkreuzt. Knüpft der Theaterpädagoge daraus spielend und denkend ein tragfähiges, flexibles Netz, können krisenhafte Situationen zwar nicht verhindert, aber Krisenfestigkeit erworben werden.“ (31) Es muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass Sack angeblich „ausschließlich eine theaterpädagogische Inszenierungspraxis in den Blick“ nehmen will, „die sich auf schauspielanaloge Verfahrensweisen mit nichtprofessionellen Spielern konzentriert.“ (11) Unberücksichtigt bleiben – so Sack – Verfahrensdiskussionen entlang spezifischer Methoden, die darauf abzielten, deren besonderen Bildungswert auszuloten. Dennoch sei eine „PraxisHaltung“ des Theaterpädagogen entscheidend, die zentral als Herausforderung definiere – dabei bezieht sie sich auf Pinkert (2008: 69) – in einer bestimmten Art und Weise einer konkreten Gruppe und den einzelnen Individuen unter bestimmten Bedingungen Erfahrungsräume zu ermöglichen und Formen dafür zu finden.
Methodisches Vorgehen definiert sich nicht durch die Anzahl von Prozessschritten, die angeregt oder vorgegeben werden und auch nicht durch die mehr oder weniger starke Engführung oder Offenheit der einzelnen Tätigkeiten und Handlungen, sondern allein dadurch, dass mehr oder weniger genau ein Ziel definiert wird, eine Absicht beschrieben oder auch nur ein Wunsch formuliert wird, etwas Bestimmtes zu erreichen. Methodisches ist allein daran zu erkennen, dass etwas Bestimmtes angestrebt wird, und zwar nicht planlos, komplett dem Zufall oder einer Beliebigkeit oder Anarchie überlassen, sondern strategisch/ taktisch mit definierten Techniken und Anwendungen nach einem mehr oder weniger ausformulierten Plan, der es erlaubt hinterher eine Prüfung durchzuführen, ob das Ziel mit den genutzten Mitteln auf diese oder jene Art und Weise erreicht wurde (Hypothesenüberprüfung/ Werkschauanalayse/ Evaluation/ Bewertung/ Rezension/ Benotung).
Erkenntnisgewinn stellt sich dabei als etwas Vorübergehendes ein und gilt nur so lange, bis nach gleichem methodischen Verfahren (Grundbedingungen eines Experiments) neue Erkenntnisse generiert werden und die alten damit für ungültig erklären (Prinzip von Verifikation und Falsifikation). Eine endgültige objektive Erkenntnis gibt es nicht (work-in-progress). Alles ist Progression, alles ist relativ; nicht nur in den Geistes- und Gesellschafts-, sondern auch in den Naturwissenschaften und der Mathematik. Durch die vorgegaugelte Logik im Kausalitätsprinzip haben es die sog. harten Wissenschaften leichter eine Objektivität zu behaupten. Gesellschaftswissenschaften können sich nicht auf ein Kausalitätsprinzip berufen. Ihnen bleibt nur das Plausibilitätsprinzip auf der Basis differenzierter Diskurse, um im Austausch von Praxiserfahrungen und theoretischen Reflexionen Schlussfolgerungen zu formulieren, die als Annahmen und Hypothesen in einen neuen methodisch etwas abgesicherteren Erkenntnisprozess einfließen. „Die Selbstverortung in einer solchen Kultur kann nur vorübergehend und stabil erlebt werden, sie bleibt ein permanenter Findungs- und Erfindungsprozess eines möglichen Selbst, das immer nur relativ erscheint.“ (42)
Mit geringem Erstaunen kann man auch zu Kenntnis nehmen, dass Sack eine stärkere Theorie-Praxis-Verknüpfung des Theatermachens fordert, in ihrer Bibliografie aber aktuelle Praxiswerke, die konkret versuchen, die Prozesse des Theatermachens beschreibend anzuregen, unterrepräsentiert bzw. gar nicht erwähnt sind. Eine eklatante Verkürzung eines Forschungsansatzes („… ist die Theaterpädagogik auf eine Gegenstandsbeschreibung angewiesen, die den Spieler ins Zentrum rückt.“ (35-36)), der den Kompetenzerwerb in kultureller Bildung durch das Theatermachen in folgender Weise in unzulässiger und die (wenigstens in Teilen) unterrichtliche Wirklichkeit ignorierender Weise denunziert, hat wenig Chancen auf Beachtung durch Menschen, die in diesen Feldern seit vielen Jahren tatsächlich methodisch forschend, methodisch experimentierend und fehlermachend unterwegs sind: „Geht man davon aus, dass methodische und instrumentelle Verkürzungen die künstlerischen Eigengesetzlichkeiten des Theaters untergraben, deutet alles darauf hin, dass theaterpädagogische Praxis zu arglos behaupteten Lernfunktionen in einem Widerspruch steht. Die Vereinnahmung der Theaterpädagogik für gezielten Kompetenzerwerb beinhalten eine eklatante Kurzsichtigkeit, denn ‚eine instrumentalisierende, Kunst heruntervermittelnde und pädagogisierende Sicht auf Theater beschneidet unweigerlich dessen Potential, entmündigt das Gegenüber und bringt die Disziplin in Verruf’ (dramaturgie Heft 2/2005; 3).“ (35)
Eine Beschreibung didaktischer Theorien, die lediglich Einstellungen und Überzeugungen befragt, lediglich nach Bedeutungen von Handlungsweisen der Praxis sucht und sich ausdrücklich nicht mit Unterrichtskonzepten und Lehrtechniken beschäftigen soll, sondern lediglich „Denkmodelle über die Praxis“ generieren soll (vgl. 38), verkommt zu Gedankenspielchen im Elfenbeinturm der Wissenschaft und ist für die konkrete Arbeit von Theater-Lehrkräften und -Pädagogen nur wenig relevant. Theorie, Wissenschaft und Forschung müssen versuchen, immer ihre Anbindung an die Praxis zu reflektieren und sicherzustellen; schließlich haben sie dort ihren Ursprung in einer Fragehaltung (Warum ist etwas so? Wie könnte es besser sein?) und gewinnen daraus letztlich ihre Rechtfertigung. Eine Missachtung dieses Faktes schneidet sie ab von einer lebendigen Interaktion von Handlung und Reflektion, die einzig sinnhafte Erkenntnis hervorbringen und Kultur befördern kann. Dennoch. Trotz aller Kritik bleibt Sacks Leistung in umfassender Weise anzuerkennen, die Positionen zusammengetragen zu haben, die ihr versprechen, eine fruchtbare Diskussion anzuregen und deren differenzierenden Leistungen untersucht zu haben, was den großen Teile des Bereichs betrifft, den sie auch anfangs untersuchen wollte, nämlich den Bereich des Theaterspielens in der Theaterpädagogik – nicht des Theater-Machens und Theater-Unterrichtens – die sich an professionellen Vorbildern des Theaters orientieren. Sack nutzt diesen theoretisch entwickelten Kategorienkatalog für die Analyse der Probenpraxis von George Tabori, Robert Wilson und Peter Brook. So spürt sie den „PraxisHaltungen“ nach, die die jeweilige Probenpraxis, die Art der Interventionen, der Vorstellungen sowie das Selbstbild der ausgewählten Regisseure prägen. Diese haben allerdings eine grundsätzliche Bedeutung: Theaterpädagogische PraxisHaltungen zeichnen sich durch die Kunst aus, mit Rahmen so zu spielen, dass reale und fiktive Wirklichkeiten in ein immer wieder neues Spannungsgefüge gebracht werden, Kontexte für das Spiel mit Realitäten, die außerhalb des Theaters liegen, genutzt werden können, um mit den Spielern in ein theatrales Experimentieren zu finden. (334)
„Die erste Bezugsgröße einer Didaktik, die Lehr- und Lernprozesse übergeordnet begründbar machen will, ist die Praxis. Von hier aus beginnt didaktisches Denken, hierhin führt es zurück.“ (57) Erfahrungspotenziale der Praxis müssen demnach integraler Bestandteil einer Didaktik des Theaters werden und dort verankert sein. Richtige und wichtige Fragen werden von Sack gestellt, beispielsweise: „Wie fordert der Theaterpädagoge zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Stoff heraus? Was tut er, wenn Blockaden das suchende Vorgehen verhindern? Wie bildet er aus einer Gruppe von 20 Spielern ein verschworenes Ensemble?“ (71) Die Antworten gehen in die richtige Richtung, bleiben aber sehr allgemein. Ein didaktisch-dramaturgisch tragfähiges Konzept für die Theaterpädagogik müsse „körperliche geistige Herausforderung zu initiieren suchen.“ (70) Es bedürfe kalkulierter dramaturgischer Arrangements die die „verschiedenen Bezugsebenen, die Inhalte eines Stoffs, den Habitus der Spieler, ihre körperlichen, sprachlichen und imaginativen Ausdrucksweisen in eine Schwebe bringt zwischen artifiziellen und vermeintlich natürlichen theatralen Vorgängen.“ (70) Aufgabe der Regie sei dabei, „mit dem Ensemble aus den ‚gelungenen’ Momenten [während einer Probenarbeit] der sozialen, körperlichen Praxis in die Praxis des Herstellens von Kunst zu kommen.“ (71) Dies beginne „in der Art der Aufgabenstellung, setzt sich im spezifischen Fokus auf die Erfahrungsprozesse der Spieler in der Erzeugung von theatralisch Ereignissen fort und durchzieht das Selbstverständnis, mit dem der Theaterpädagoge sein eigenes Handeln reflektiert und entwickelt.“ (71) Insofern seien beispielsweise die allerersten Präsentationen einzelner Arbeitsgruppenergebnisse vor dem Plenum der Gesamtgruppe nicht als vorläufig endgültig zu betrachten, in dem Sinne, dass nur noch Korrekturen vorgenommen werden sollen und können, sondern in dem Sinne, dass diese ersten ästhetischen Gestaltungsversuche Mithilfe des Feedbacks der Gesamtgruppe erweiterte und veränderte Aufgaben gefunden werden um das gefundene Material in noch nicht bekannter Weise zu gestalten. Dabei würden die Zuschauenden außerdem ihre Wahrnehmung schulen, „um in einem entsprechenden Spielversuch die gemachten Beobachtungen in eigenes Handeln zu integrieren.“ (71)
Sack fragt danach, „Wie der Theaterpädagoge die bildungstheoretischen Erkenntnisse umsetzen kann, wie er Darstellungs- und Inszenierungsprozesse geschickt einfädelt bzw. seine Praxis überhaupt in solchen Dimensionen der Auseinandersetzung reflektieren – und gegebenenfalls entwickeln und verändern – kann, bleibt ein ungesichertes, verunsicherndes Feld.“ (81) Allein diese Fragehaltung zeigt erneut die Schwierigkeiten eines wenig spielenden Denkansatzes, die annimmt, der Theaterpädagoge würde überhaupt so agieren. Tut er aber nicht. Er fragt nicht nach irgend einer Theorie und wie er sie umsetzen könne. Er fragt: Wie geht Praxis? Antworten kann ihm die Theorie aber nicht liefern. Die erhält er nur aus der Praxis und aus der Reflexion von Praxis. Dann erst kommt die Theorie ins Spiel, als Orientierungsangebote zur Reflektion der Praxis, bestenfalls. Auch wird durch einen Gegenüberstellung von „Unterricht“ und „Probe“ keine Synthese erreicht, sondern alte Lernmuster tradiert. (109-110)
Die entscheidenden Formulierung einer Didaktik des Theaters bleiben zu sehr in Abstraktionen und allgemeinen Aussagen, als dass sie Hilfen und Unterstützung für die Theater-Lehrkraft sein könnten: „Je situationsbezogener der Arbeitsstil angelegt ist – ein typisches theaterpädagogisches Modell –, desto stärker übernehmen didaktische Anleitungsverfahren eine konzeptionelle Funktion. Für die Gruppe und aus dem Ensemblegeschehen heraus Übungs- und Improvisationaufgaben zu entwickeln, die das Spielpotenzial der Teilnehmer freilegen und in neue Spielweisen überführen, ist hierbei eine wesentliche Komponente. Die Werkzeuge des Theaterpädagogen sind Interventionen und Interaktionen, mit denen er die Ereignisse in den Proben initiiert, korrigiert und reflektiert.“ (110) Diese Überführung in „neue Spielweisen“ funktioniert nicht aber nicht einfach so, sie setzt vielmehr einen Kompetenzzuwachs der Akteure an theatraler Gestaltungsfähigkeit voraus und mindestens den Erwerb von Grundkompetenzen im theateralen Handwerk. Wird diese Lücke nicht geschlossen, bleibt das Theaterunterrichten und theaterpädagogische Arbeit letztlich doch einem veralteten Modell des Regietheaters verhaftet. Ziel kann es nur sein, die Akteure zunehmend gestaltungsfähiger zu machen, sodass sie letztlich einen Zugewinn in der Kompetenz des Theater-Machens generieren können. „Eine didaktische Analyse hat folglich das Spiel um theatrale Ausdruckskraft zu fokussieren, anstatt formale Inhalte und Ziele schauspielmethodischer Konventionen zu bedienen. Der Erwerb von handwerklichen Mechanismen und Schauspiel analogen Differenzierungsrastern kann in einzelnen Situationen zwar Erkenntnis bildend für die Kunstform Theater sein und berechtigt Eingang in die theaterpädagogische Arbeit finden, das eigentliche Bildungspotenzial von Verkörperungsprozessen verbirgt sich aber ‚dazwischen’.“ (113)
Dieses Fazit kann in seiner Erkenntnisleistung nicht befriedigen, da es den Kompetenzerwerb des Theaterhandwerks zu gering schätzt, denn erst auf diesem Fundament kann eine angemessene ästhetische Qualität generiert werden.
Eine Herausforderung des Theaterpädagogen kann nicht nur bestehen „im Entdecken und Entwerfen von Arbeitswegen, die Menschen ins Spiel verführen, gleichgültig, aber nicht unabhängig davon, wie geübt und geschickt sie sich in dieser eigenen Verdopplung im Spiel zeigen.“ (Hervorhebungen durch V.L.) (115) Ein solcher Ansatz greift eindeutig zu kurz. Es wäre so, als wenn man die Grammatik, die Rechtschreibung und die Ausdrucks- und Stilbildung für die Qualität und Ästhetik der Sprache gering schätzen oder als sekundär erachten würde. Insofern ist eine Behauptung: „Im Spiel wird also nicht Handeln erlernt, es gibt keine sichtbaren Handlungskompetenzen zu erwerben, ebenso wenig können gezielte Handlungsveränderungen, die im Alltag erwartet werden, in ein Spiel delegiert werden.“ (125) nicht haltbar, denn genau dazu dient Spiel in seinen wesentlichen Ausprägungen als (kindliches) Rollenspiel: Sich gefahrlos Einüben in beobachtete Modelle und Muster unterschiedlichster und auch widersprüchlicher Kulturtechniken im weitesten Sinne. Die bewusste Steuerung und Einflussnahme auf Spiel und Spielverläufe zeigt lediglich einen stärkeren Einbruch des Realen in die Spielwelt und fügt ihr im zunehmenden Erwachsen- und Selbstständigwerden die Dimension des Politischen hinzu.
Spiel muss nicht zwangsläufig „immun“ gegenüber „präformierte(n) Lern- und Entwicklungszielen“ (125) bleiben – so Sack – und „auf ein bestimmtes Ziel hin manipulierende Spielaufgaben können“ sehr wohl „von außen eingestanzt werden, ohne das eigentliche Spielgeschehen zu zermürben“. Spiel bleibt nur dann autonom, wenn seine Autonomie theoretisch behauptet wird und man sich zwangsweise einem (wissenschaftlichen?) Definitionskriterium unterwirft. Allein eine kleine Analyse der Wortwahl zur Denunziation eines Einsatzes des Spiels in der kulturellen Bildung zeigt hier eine deutliche Vorurteilsbehaftetheit: „manipulieren“, „eingestanzt“, „zermürben“ beschwören ein Gefühl gewaltvollen Vorgehens von (Theater-)Lehrkräften und -Pädagogen gegenüber den spielenden Kindern. Kein einfühlsamer Pädagoge wird sein Schüler manipulieren, sondern mit offenen Karten spielen und seine Absichten transparent machen. Kein einfühlsamer Pädagoge wird in seine Schüler etwas einstanzen. Kein einfühlsamer Pädagoge wird das Spiel seiner Schüler zermürben, sondern durch kluges, konstruktives Feedback anregen, weiter mutig nach Lösungen für ästhetische Gestaltungsaufgaben auf der Basis zunehmenden Kompetenzerwerbs zu suchen. Aus der Annahme, es sei egal, ob man „Hamlet oder Schach“ spiele, denn es sei von untergeordneter Bedeutung für die „zentralen Wirkungsmechanismen“ (139) des Spiels, abzuleiten: „Das Spiel bleibt Praxis, die in keine theoretischen Matrixäquivalent nachgebildet werden kann. Alle Versuche, Aussagen über das Spiel, seinen Verlauf und Prozesse der Herstellung abseits des Spiels zu machen, sind im besten Falle vage Karten eines Territoriums ad infinitum.“(139) leugnet die präzise beobacht- und beschreibbare Praxis des Umgangs von Kindern im Spiel miteinander und der Folgen die das Spielen auf ihre Verhalten in der Nicht-Spielwelt hat. Sorgfältige Beobachtungen von Praxis führen dann nicht „in eine pädagogische, psychologische und philosophische Grauzone“ mit maximal „ungefähre(n) Vermutungen“ (139), „wo das Subjekt im Spiel zu transformatorischen Bildungsprozessen gelangt“, sondern offenbaren dem achtsamen Beobachter erstaunliche Wachstumsprozesse, die ihre Impulse unmittelbar aus geschickt angelegten Lernsetting erfuhren.
Sack stellt immer wieder grundlegend bedeutsame Fragen wie „Welche Handlungen im Spiel, welcher Manipulationen und Strategien sind wesentlich auf dem Weg zur Kunst?“ (150) und wie könne „theaterpädagogisches Handeln die Darsteller so ins Spiel verstricken, dass Probenprozesse günstige Bedingungen für ästhetische Erfahrungen und transformatorische Bildungsprozesse bereitstellen.“ (151) Dabei betont sie immer wieder, dass der Übergang von spielerischer zu künstlerische Praxis fließend sei und handlungstheoretisch nur zu verfolgen sei, indem Vorgehensweisen in Inszenierungsprozessen analysiert würden. Dies könne aber „letztlich nur anhand der Beobachtung und Beschreibung am konkreten Beispiel erfolgen.“ (150) Nur auf diese Weise seien „relevante Parameter für den künstlerischen Herstellungsprozess ausfindig zu machen.“ (150)
Sacks Aufmerksamkeit gilt „dem Versuch, Nahtstellen für eine Regiepraxis in den Vordergrund zu heben und Kategorien und Kriterien für eine Analyse von Probendokumenten zu generieren. Dabei sollen Prozesse das Produzierens von Theater handlungstheoretisch betrachtet und daraus Verantwortlichkeitsbereiche und Einflussfaktoren des Regisseurs [Hervorhebungen von V.L.] abgeleitet werden.“ (150) Alle Betrachtungen setzten aber die Anerkennung eines „künstlerischen Eigenwert[s] des Theater“ (151) voraus. Diese selbst auferlegte Beschränkung der Betrachtung des Theaters auf die zentrale Funktion eines Regisseurs (nicht einer Theater-Lehrkraft bzw. -Pädagogen) und der Eigenwertzuschreibung des Theaters (l’art pour l’art), verhindern einen präzisen Blick auf die tatsächlichen Vorgänge kultureller Bildung beim Theater-Machen.
Theater, wie auch alle anderen Künste, hat keinen Eigenwert, keinen Wert an sich, steht nicht außerhalb menschlicher Kultur. Im Gegenteil. Theater ist, wie auch alle anderen Künste, ein sehr bedeutsamer Teil kultureller Entwicklung und als Kommunikationsform allgegenwärtig. In den avantgardistischen Bestrebungen des Theaters, wie in allen anderen Künsten auch, zeigen sich in besonderer Weise seismographische Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen, und es werden in diesen existieren Freiräumen (mehr oder weniger frei) in experimenteller Weise kulturelle Visionen erarbeiten, die den Blick auf mögliche alternative Entwicklungen von menschlichen Gemeinschaften und damit ihrer Kultur freigeben können und zu Reflektion und kritischer Auseinandersetzung anregen. Es reicht nicht „Spielkontexte“ (168) zu organisieren. Zur grundlegenden Kompetenz von Theater-Lehrkraft und -Pädagoge gehört die Fähigkeit, Kontexte zu organisieren bzw. Lernsettings zu kreieren, in denen die Schüler mehr als die theatrale partikulare Darstellungskunst, das Schauspielen bzw. Performen, erlernen, sondern die Kunst erlernen, die Theaterkunst umfassend herzustellen. Dabei zeigt sich, dass Theater-Lehrkraft und -Pädagoge nicht als (Schauspiel-)Regisseure, die ein Ensemble führen, zu denken sind, sondern – will man unbedingt in der Begrifflichkeit bleiben – als Lernkontext-Regisseure mit dem Spezialgebiet „Theater-Machen“ zu denken sind, was das gesamte Projekt- und Prozess-Management, die Steuerung der sozialen und ästhetischen Interaktionen und Dynamiken der Gruppenmittglieder während des Produzierens von Theaterkunst einschließt. Sack stellt fest, „Der Regisseur/Theaterpädagoge hat Ideen, Assoziationen, Imagination und den ganzen Kontext eines Themas oder eines Ausgangspunkts als Bezugsfeld, er sucht nach Resonanzen im Material, die plötzlich und überraschend eintreten – oder auch ausbleiben können. Ohne diese Vorbereitung, ohne Prädisposition sind kein Motor, keine Frage, keine Suche möglich.“ (168) Eine solche eingeschränkte Sicht auf den Prozess des Theatermachens schließt die Mitwirkung der Schüler in Bezug auf die genannten grundlegend bedeutsamen (Lern-)Impulse „Ideen, Assoziationen, Imagination“ kategorisch-autoritär aus. In analoger Weise benutzt Sack den Begriff „Probe“ im Gegensatz bzw. in unklarer Abgrenzung zu dem Begriff „Unterricht“. Eine Theater-Probe und Theater-Unterricht unterscheiden sich in essentieller Weise wie Regisseur und Theater-Lehrkraft bzw. -Pädagoge mit weitreichenden Konsequenzen.
Sack zitiert Kurzenberger, der kritisiert, dass die kommunikative Praxis der Ensemblearbeit im Probenprozess und das dabei notwendige Zusammenspiel aller Beteiligten kaum diskutiert wird und verweist darauf, dass „insbesondere die theaterpädagogische Didaktik […] beginnen (muss), diesen Prozessen mehr Aufmerksamkeit zu widmen und Verfahrensweisen an die darin zur Geltung kommenden Interaktions- und Kommunikationsmechanismen […] knüpfen [muss], ohne in ihnen den Selbstzweck theatralen Handelns zu begründen.“ (193, Anmerkung 44)
Kurzenberger fasst den Probenprozess eines Regisseurs mit seinem Ensemble in das Bild eines Chorführers mit seinem Chor und bleibt mit dieser eingeschränkten Analogie aber im Duktus eines autoritären Regietheaters verhaftet (vgl. 194). Fokus in solchen Betrachtungen bleibt immer das Inszenieren oder die Erarbeitung eines Stückes, indem die Aufgabe eines mit Autorität ausgestatteten Führers darin besteht, verantwortlich ein künstlerisches Produkt zu generieren, das er der Öffentlichkeit vorstellen kann. Prozesse der Konstruktion von ästhetischen Lernfeldern zur Kompetenzerweiterung und -gewinnung im Bereich der ästhetischen Gestaltung bleiben in solchen verengten Betrachtung außen vor und können wenig beitragen zur Erstellung einer Didaktik für Theater. Erst ab Seite 197 kommt etwas Butter bei die Fische, allerdings mit erstaunlich undifferenzierten Impuls-Fragen (auf die Sack nicht immer Antworten gibt): „Aber wie viel Theatersport verträgt eine Schulklasse? Wohin sollen schauspielmethodische Überlegungen mit einer Gruppe von Senioren führen? Was lenkt in der Probe den theaterpädagogischen Handlungsimpuls?“ (197) Sack arbeitet in der Gegenüberstellung von professionellem Theater und theaterpädagogischen Kontexten heraus, welche Kompetenzen ein Theaterpädagoge im Gegensatz zu einem professionellen Regisseur mit ausgebildeten Schauspielern haben und wie er damit sein Ensemble lenken sollte. Da Sack immer wieder auch den schulischen Kontext einbezieht, ist davon auszugehen, dass sie selbstverständlich mit dem Begriff Theaterpädagoge auch Theater-Lehrkräfte meint. So stehe „die Suche nach darstellerischen Möglichkeiten und spielerzeugenden Prozessen im Vordergrund.“ Allerdings stehen dem Amateur nicht die Kompetenzen eines ausgebildeten Schauspielers zu Verfügung. „Der nicht professionelle Akteur strebt in irgendeiner Form nach dieser ‚anderen’ Ausdrucksform, muss sie aber erst entdecken. Im Vorgang des Erwerbens schauspielerischer Kompetenzen liegt der Anknüpfungspunkt für ästhetische Bildungsprozesse und für die Entwicklung theaterpädagogischer Probenpraxis und -dramaturgie.“ (198) Allerdings schränkt Sack im nächsten Absatz ein, dass „der Erwerb von handwerklichen Fertigkeiten und schauspielanalogen Differenzierungsraster (…) in einzelnen Situationen zwar erkenntnisbildend für die Kunstform Theater sein und berechtigt Eingang in die theaterpädagogische Arbeit finden (kann), das intendierte Potenzial für theaterpädagogische Denk- und Spielprozesse solcher Verkörperungspraxen verbirgt sich jedoch in einer ‚Inszenierung von Suchender Intensität’, die ‚nicht normatives Wissen bestätigt, sondern neues Verstehen öffnet’ (Otto 1998;16).“ (198-199) „Entlang solcher Schnittstellen in der Probensituation einen Spielraum für theatrale Praxis zu suchen entspräche einer theaterpädagogischen Didaktik mit bildungstheoretischen Anspruch. Den auf diesem Weg gefunden und erfundenen Denk- und Spielvorgängen Raum zu geben ist der Anlass für theatrale Ereignisse und ihr Ziel – von der ersten Begegnung mit einer Gruppe bis hin zur Einbettung der erzeugten Auseinandersetzung in eine Inszenierung.“ (199)
Ausgeblendet bleibt bei dieser Betrachtung, dass Amateure nur dilettantische Selbstdarstellungsangebote und platte Rollenklischees in ersten Improvisationen anbieten (können), und die Kunst des Theater-Lehrens einer Theater-Lehrkraft bzw. eines -Pädagogen genau darin besteht, Lernkontexte bereitzustellen, in denen die Amateure und Schüler genau die theatralen Kompetenzen erwerben können, die sie für eine ästhetische Gestaltung der behandelten Themen benötigen, um ein Minimum an ästhetischer Qualität herzustellen. Ein Verweis auf die Arbeitsweise professioneller Theatergruppen, die mit postdramatischen Spielweisen arbeiten, und ihre sogenannten Experten des Alltags, also Amateure und ausgewiesene Nichtexperten, in entsprechenden theatralen Bühnensettings „anrichten“ und in Bühnenkontexte „hineincoachen“, auf dass ihre „Originalität und Authentizität“ in besonderer Weise bühnenwirksam werde, verdeutlicht das Dilemma ästhetischer Interventionen mit Amateuren.
Ausgeblendet bleiben auch die Möglichkeiten der „Anschlussfähigkeit an theaterpädagogische Kontexte“ aus dem „Nachvollzug und der Ausdeutung“ von Künstlertheorien. Stattdessen soll es gehen um „einen multiperspektivischen Blick auf Prozesse des Produzierens unter der besonderen Berücksichtigung von Interaktions- und Interventionsstrategien der Vermittlung.“ (204) Ausführliche Beschreibungen der Probenpraxen von Tabori, Wilson und Brook sollen „didaktische Fantasie für individuelle spielerische Experimente eröffnen und der theaterpädagogischen Selbstverständigung zuspielen.“ (263)
Es zeigt sich, dass es teilweise eine große Nähe gibt zu den Kontexten von Theater-Unterricht, wenn beispielsweise Tabori großen Wert drauf Beziehungsarbeit legt (vgl. 211-215), seine Akteure mit spielerischer Leichtigkeit zu ästhetischen Gestaltungsversuchen zu inspirieren. Größtenteils sind die Bestandteile der „Regisseurs- bzw. Künstler-Theorien“ aber völlig unbrauchbar zur Inspiration für die Arbeit mit Amateuren, wenn beispielsweise Brook nur wenig Rücksicht auf eine Beziehungskultur nimmt (vgl. 262) und nur mit virtuosen Schauspielprofis arbeitet und ihnen Entsprechendes abverlangt. (vgl. 260-261) Zu fragen ist, warum in großer Ausführlichkeit die bereits anderorts ausführlich beschriebenen Praxen professioneller Regie-Ikonen noch einmal beschrieben werden, die bestenfalls partikular eine „didaktische Fantasie“ in Gang setzen können und nur am Rand zu einer „theaterpädagogischen Selbstverständigung“ beitragen, weil sie so weit abseits der Kontexte von Theaterarbeit mit Amateuren, mit Kindern und Jugendlichen in der Schule liegen. Hier leistet beispielsweise Hawemann einen erheblich inspirierenderen und hilfreicheren Beitrag als Theaterprofi für Theater-Lehrkräfte und -Pädagogen. Zu fragen ist, warum nicht die Praxen von Theater-Lehrkräften und -Pädagogen in den Fokus der Betrachtung geholt werden, die bereits seit Jahrzehnten Erfahrungen gesammelt haben und sicherlich mehr „didaktische Fantasie“ in Gang setzen können und vermutlich zu einer „theaterpädagogischen Selbstverständigung“ erheblich mehr beitragen können als die Wiederholung von bereits Bekanntem und vielfach ausführlichst Dokumentiertem aus hochprofessionellem Theater-Kontext wie z.B. Hofmann.
Zweifellos ist es mühsamer ein neues Forschungsfeld zu erschließen als aus bereits vorliegenden ausführlichen Beschreibungen Zusammenfassungen zu erstellen und diese ein weiteres Mal kritisch zu reflektieren. Will man aber einen Erkenntniswert generieren, bleibt Wissenschaft nichts anderes übrig, als sich mit Fleiß, Ausdauer und Beharrlichkeit in diese unbequeme Feld der Praxis zu begeben und dieses zu erforschen. Ansonsten macht sich Wissenschaft überflüssig. Die Forschungsfrage sollte also lauten: Welche theaterunterrichtlichen und -pädagogische Praxen können „didaktische Fantasie“ in Gang setzen und zu einer „theaterpädagogischen Selbstverständigung“ beitragen?
Als Fazit formuliert Sack, dass der Theaterpädagoge eine gemeinsame experimentelle und ergebnisoffene Suche anregen soll, „die sowohl Führungsverantwortung als auch aktive Nichtinanspruchnahme der Führung“ (346) verlangt. „Wo Unsicherheiten in der Gruppe existenziell werden, darf die Suche nicht ziellos erscheinen, der Theaterpädagoge muss gerade dann eigenen Verunsicherungen produktiv begegnen und Wege ersinnen, die theatrale Darstellungsstrategien erkennbar und begreifbar machen.“ (346) „In der eigenen, spielend denkenden Adaption von Verfahrensweisen geht es darum, den potenziellen Wert einer Methode [Hervorhebung von V.L.] aufzuspüren, um sie für das jeweilige Vermittlungsinteresse bewusst zu machen und entsprechend reflektiert analoge oder abgewandelte experimentelle Spielanlagen in den Vordergrund zu stellen.“ (343) „Geschick und Gespür für das Maß, indem unterschiedliche Prozesse in Gang gesetzt werden, die ein Spielhaben der Kräfte bewirken und selbst- und wirklichkeitsüberschreitendes Potenzials generieren können, wird in der Reflexion von PraxisHaltungen ausgebildet. Sich so oft wie möglich zu widersprechen, immer wieder das Gegensätzliche und Unerwartete zu tun ist generelles Leitmotiv der Arbeit. Nicht vorhersehbar zu machen, was als Nächstes passieren wird, gegen seine Erwartungen zu agieren, entspricht dem Aufbau von Codes und ihrer permanenten Zerstörung. Thema und Variation sind, wie in der Musik, die elementaren künstlerischen Prinzipien. Im aufmerksamen Hin und Her zwischen Freiheit und Notwendigkeit, Führen und Folgen entdeckt und generiert sich bildungswirksam Theaterpraxis zwischen Theaterpädagoge und Spieler.“ (346-347) Die Verkürzung theatraler Gestaltung auf „Thema und Variation“ als DIE elementaren künstlerischen Prinzipien ignoriert die unendliche Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten durch die ästhetischen Mittel und ihre Anwendungen mit Hilfe von Techniken und Kompositionsmethoden. „Ausschlaggebend für theaterpädagogische PraxisHaltung ist das Vermögen, die unterschiedlichsten Anforderungen von Probenkonstellationen zu reflektieren und darauf praktisch zu antworten. Den Dialog in aller Klarheit und Deutlichkeit führen zu können impliziert, über ein Repertoires an Verfahrensweisen zu verfügen, die je nach Situation bewusst ausgewählt, angepasst und so verändert werden können, dass sie die Zusammenarbeit produktiv machen und experimentelle theatrale Praxen hervorbringen.“ (347) Der Theaterpädagoge muss demnach über ein umfangreiches Methodenrepertoire verfügen, das ihn in die Lage versetzt, durch virtuoses Kombinieren und Komponieren dieser Methoden seine Lerngruppe immer wieder in neue und sie inspirierende Lernsettings zu schicken.
Mira Sacks lesenswertes Buch besticht nicht durch überraschend neue Erkenntnisse, sondern durch die umfangreiche Zusammenstellung von theoretischen Positionen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie geht professionelles Theater und wo gibt es theoretisch (nicht praktisch) Schnittstellen zu theaterpädagogischer Arbeit außerhalb von Theater-Unterricht in Schulen? Sie verringert allerdings nicht die Lücke zwischen praktischer Handreichung und theoretischer Reflexion. Dazu bräuchte es tatsächliche Untersuchungen theaterpädagogischer Praxis und noch mehr Betrachtungen von Theater-Unterricht in Schulen, wobei in den „didaktischen Reflexion […] pädagogische und künstlerische Intentionen miteinander verhandelt und gesammelte Erfahrungen unter der Folie des damit Erreichten evaluiert werden“ sollten (34). Wie das geht, bleibt bei Sack allerdings offen und steht als Forschungsfrage im Raum (vgl. auch List 2015) .
Weiterführendes
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- Hentschel, Ulrike/ Pinkert Ute 2008: Was tue ich wann wie und warum? – Überlegungen zur Theaterpädagogikausbildung heute. In: Korrespondenzen. Zeitschrift für Theaterpädagogik. Heft 53. 2009. Uckerland: Schibri: 19-22
- Kirchner, Constanze 2007: Gestaltungsprozesse im Spiegel historischer und aktueller Konzepte. In: Büchler, A./ Jaberg, J./ Karrer, E. (Hg): Schule muss schön sein. Facetten des ästhetischen Bildungsauftrags. München: kopaed: 89-104
- Koch, Gerd/ Vaßen, Florian 2008: Vorwort. In: Wildt, B./ Hentschel, I./ Wildt, J. (Hg): Theater in der Lehre. Verfahren – Konzepte – Vorschläge. Zürich/ Berlin: LIT-Verlag: 9-10
- Liebau, Eckart/ Klepacki, Leopold/ Zirfas, Jörg 2009: Theatrale Bildung. Theaterpädagogische Grundlagen und kulturpädagogische Perspektiven für die Schule. Weinheim und München: Juventa
- List, Volker 2015: Kursbuch Theater machen – Erste Evaluation
- List, Volker 2018: Die Kunst Theater zu lehren. Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung
- Martens, Gitta 2008: Theaterpädagogik und ihr Verständnis von Pädagogik heute – Gesellschaftliche Entwicklungen und professionelle Perspektiven. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Heft 53/ 2008. Uckerland: Schibri: 23-26
- Pinkert, Ute 2008: Theaterspielen an der Hochschule – zwischen Alltagserfahrung und Theaterkunst: Ein Praxisbericht mit Fußnoten. In: Wildt, B./ Hentschel, I./ Wildt, J. (Hg): Theater in der Lehre. Verfahren – Konzepte – Vorschläge. Zürich/ Berlin: LIT-Verlag: 63-82
- Pinkert, Ute/ Meyer, Tania 2006: Transformatorische Praktiken in der Ästhetischen Bildung/ Theaterpädagogik. Skizze eines Forschungsvorhabens. In: Hentschel, U. u.a. (Hg): Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen. Heft 48. April 2006. Uckerland: Schibri: 42-48