Schaller, Raphael 2017: Einführung in die Theaterpädagogik an der Schule. Eine Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis. Saarbrücken: AV AkademikerVerlag. 125 Seiten – Rezension
Schaller war bereits von kleinauf vom Theaterspielen fasziniert und studiert zur Zeit Theaterpädagogik an der PH in Linz. In einem „Abstrakt“ vorweg beschreibt er seine Absicht. Er will besonderes Augenmerk „auf die Wirkungsbereiche theaterpädagogischer Prozesse und auf den schulischen Kontext“ legen und sich „mit dem Unterrichtsgegenstand Theater“ auseinandersetzen und dabei die „Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung, zur ästhetischen Bildung und zu Lernprozessen auf der gesellschaftlichen Ebene durch Theaterpädagogik“ erläutern.
Inhalt
Einleitung
1 Theoretischer Hintergrund 5
1.1 Begriffserläuterungen 8
1.1.1 Theater und Darstellendes Spiel 8
1.1.2 Pädagogik und Erziehung 16
1.1.3 Theaterpädagogik
1.2 Die Geschichte der Theaterpädagogik im deutschsprachigen Raum 31
1.2.1 Die Geschichte der Theaterpädagogik bis zum 20. Jahrhundert 31
1.2.2 Theaterpädagogik im 20. und 21. Jahrhundert 34
2 Theaterpädagogik an Schulen 39
2.1 Wirkungsbereiche der Theaterpädagogik 39
2.1.1 Persönlichkeitsentwicklung und soziales Lernen 40
2.1.2 Ästhetische Bildung 46
2.1.3 Politische Bildung 50
2.1.4 Der Theaterspielflow 54
2.2 Praxis und Methode 58
2.2.1 Theater als Unterrichtsgegenstand 59
2.2.2 Theaterpädagogische Handlungsmodelle im Überblick 68
3 Empirischer Teil 81
3.1 Methodenreflexion 81
3.2. Interviewauswertung 87
4 Resümee 97
5 Literaturverzeichnis 101
5.1 Bücher 101
5.2 Internetquellen 102
5.3 Abbildungen 102
6 Anhang 103
6.1 Interview-Leitfaden 103
6.2 Transkription des Interviews 104
Schaller will dem Leser „einen umfassenden Einblick in das relativ neu etablierte Feld der Theaterpädagogik geben“ und „dort in die Tiefe gehen, wo die theaterpädagogische Praxis in den Vordergrund gerückt werden kann. Das Ganze wird von Hintergrundwissen für ein umfassendes Verständnis des Feldes“ umrahmt. (2) Der Schwerpunkt der Beschreibung liege auf der theaterpädagogischen Arbeit in der Schule (5). Als „Forschungsfrage“ formuliert Schaller, ob theaterpädagogische Arbeit an Schulen Lernprozesse ermögliche oder nicht, und wenn ja, in welchen Bereichen. (6) Außerdem will Schaller der Frage nachgehen, inwiefern sich der „Einsatz künstlerischer und pädagogischer Intentionen im theaterpädagogischen Prozess“ miteinander vereinbaren lassen (7). Eine Mammutaufgabe.
Wir werden sehen, inwieweit Schaller seinen Anspruch einlösen kann, und ob er einen konstruktiven Beitrag zum Diskurs leistet.
Gleich zu Beginn kommt es zu Irritation, wenn Schaller versucht, sich auf Hoppe beziehend, sein Verständnis von Theaterpädagogik deutlich zu machen, und in Bezug auf den Unterschied zwischen Darstellendem Spiel und Theater formuliert: „Das Darstellende Spiel unterscheidet sich demnach vom Theater durch die nicht vorhandene Notwendigkeit eines Publikums“ und „ein Ziel ist also, eine Rolle ästhetisch auszugestalten und damit Mitspielerinnen und Mitspielern sowie einem Publikum etwas zu sagen.“ (10) „Zusammenfassend ist das Darstellende Spiel demzufolge der Vorgang, unter Anwendung einer bestimmten Methode bewusst eine Rolle einzunehmen, die von der persönlichen Realität abweicht und in dieser Rolle ‚als-ob’-Handlungen entstehen lassen.“ (12)
Schaller rekurriert in seinen Ausführungen auf Kant und konstatiert aktuell eine hochgradige Uneinheitlichkeit im Verständnis von Pädagogik, die auf das Feld der Theaterpädagogik durchschlage. Dazu vergleicht er die „Theatertheorien“ von Konstantin Stanislawski und „Berthold“ Brecht und rezipiert weitestgehend die Ausführungen und Argumentationslinien von Hoppe.
Schaller stellt fest, dass „die wenigen quantitativen und qualitativen Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre [die Schaller allerdings nicht benennt], die […] positive Folgewirkungen von Theaterpädagogik wissenschaftlich schwer nachweisen können“ (28), um dann zu schlussfolgern: „Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Feld Theaterpädagogik zwar heute noch massive Unzulänglichkeiten bezüglich aussagekräftiger Forschungsergebnisse aufweist, theoretische Erklärungsansätze aber deutlich zeigen, wie sich im theatralen Prozess sowohl auf der Seite der Darstellenden als auch auf der Seite der Zuschauenden Lernvorgänge ergeben oder ergeben können. Den Erklärungsansätzen zufolge kann das Lernen in jeglicher Form des Zuschauens durch emotionale Hingabe oder kognitive Reflexion stattfinden.“ (28)
Auch irritieren die nach nur wenigen Bemerkungen zur Problematik verfasste Erkenntnis: „Unabhängig davon, welchen der erwähnten Erziehungsansätze man heranzieht, kann ein weitgehend gemeinsames Ziel der Erziehungstheorien zum selbstständigen kritischen Denken mit theaterpädagogischer Arbeit gefördert werden. Dass die Theaterpädagogik in jeglicher Form des (professionellen) Theaters einen wesentlichen Teil einnimmt, ging bereits klar hervor.“ (29)
Schaller mutmaßt, dass es sich bei „der theaterpädagogischen Arbeit um ein sehr neues Phänomen“ handeln müsse, da er „durch einen sehr geringen Forschungsstand“ (31) und „erhebliche […] Forschungslücken“ (47) gekennzeichnet sei. Anschließend fasst er Jahnkes und Streisands Beiträge zur Geschichte der Theaterpädagogik zusammen, deren Anfang aber bis mind. ins 15. Jahrhundert reichen.
Schaller fasst im Wesentlichen in seinem Beitrag lediglich die Inhalte einiger aktueller Beiträge zum Diskurs über das Wesen und die Funktion theaterpädagogischer Arbeit zusammen. Er greift einige grundlegende Fragen auf und stellt diese auch in ihrer Widersprüchlichkeit dar: Kunst als Kunst oder Kunst als Mittel zum Zweck der Persönlichkeitsbildung. Dabei werden durchaus wesentliche Positionen in der Diskussion beschrieben, aber keine neuen Erkenntnisse generiert. Eine zentrale Schlussfolgerung Schallers erscheint eher als Wunschformulierung, denn als haltbare und wissenschaftlich hinreichend belegte Aussage: „Erfüllt man als Spielleitung dann die soziale Aufgabe, indem man der Gruppe Anlass und Raum zu inhaltlichen, szenischen und persönlichen Diskussion gibt, kann man seitens der Teilnehmer/innen von optimalen Voraussetzung zur Persönlichkeitsentwicklung und sozialen Lernprozessen in theaterpädagogischen Projekten ausgehen.“ (46)
Schaller versucht einen Einblick in die Inhalte von Theaterunterricht zu geben, indem er eine Reihe von Übungen (nach Hoppe) beschreibt, die grundlegende Fertigkeiten trainieren, die ihm allerdings als Kompetenzen kaum abprüfbar erscheinen, wie sie in großer Komplexität in der EPA formuliert sind. Aber den „Beispielübungen kann zugeschrieben werden, dass sie eine sinnvolle Erarbeitung eines Stückes mit unerfahrenen Schülerinnen und Schülern erst ermöglichen.“ (80) Wie allerdings eine Unterrichtsstruktur aussehen soll, in der ein Theaterprojekt erarbeitet wird, entfaltet Schaller leider nicht. Er nimmt auch keinerlei Bezug auf die zahlreichen vorliegenden Publikationen, die sich damit befassen und spart in seinen Betrachtungen auch alle curricularen Grundlegungen aus, auf denen Theaterunterricht in Schulen fußt.
Was bleibt von Schallers Anspruch, die Thematik „umfassend“ aufarbeiten zu wollen? Zu einer Aufarbeitung, deren Sinn, Zweck und vor allem Notwendigkeit in der Anspruchsformulierung Schallers nicht sichtbar wird, gehört mehr als eine inhaltliche Wiederholungen von Positionen einer sehr beschränkten Auswahl an aktuellen Publikationen, zumal grundlegende aktuelle Werke fehlen, die den Anspruch einer Darstellung dessen, was Theaterpädagogik ausmacht, erfüllen (wie z.B. von Höhn > Rezension und Hofmann > Rezension).
Auch im Anspruch der Aufarbeitung dessen, was Theaterpädagogik in der Schule bedeutet, bleibt Schaller weit hinter den zahlreichen aktuellen Publikationen zurück. Nur bruchstückhaft werden Details relativ wahllos aus wenigen Publikationen wiederholt. Die mehrfache falsche Schreibweise des Namens von Bertolt Brecht („Berthold“), auch in einem Zitat, muss irritieren. Hier und in der Einhaltung wissenschaftlicher Standards wäre mehr Sorgfalt einzufordern.
Ein einzelnes beliebiges Interview kann nicht allen Ernstes dazu herangezogen werden, „die vorangegangenen Literaturrecherchen zu Theaterpädagogik […] sowie zu den möglichen Wirkungsbereichen theaterpädagogischer Arbeit auf einer praxisnahen Ebene [zu] belegen [oder zu] widerlegen.“ (81) Gleichwohl sind die differenzierenden Aussagen der Theaterpädagogin sehr hilfreich den Problemkomplex, insbesondere den Scheinwiderspruch zwischen Kunst und Pädagogik, weiter zu durchdringen.
Der Beitrag kann, wie Schaller selbst formuliert, als „Literaturrecherche“ qualifiziert werden, allerdings als Recherche, die erst am Anfang steht. Folgen müsste ihr eine tatsächlich umfassende Darstellung der unterschiedlichen theaterpädagogischen Positionen sowie eine Darstellung der Entwicklung des Theaterunterrichts in Schulen in den letzten drei Jahrzehnten in den verschiedenen Bundesländern (evtl. auch eines beispielhaften Interviews einer ausgebildeten Theater-Lehrkraft), um seiner Studie die beanspruchte Tiefe zu geben.
Die letzte Aussage seiner Interviewpartnerin könnte auch ein Hinweis darauf sein, in welchem entscheidenden Teilbereich der Theaterpädagogik es sich lohnt, intensiver zu recherchieren und in die Tiefe zu gehen: „Ich glaube, dass Theaterpädagogik in der Zwischenzeit ein so großes Feld ist und woran dann letztlich gearbeitet wird und dann unterm Strich rauskommt, hängt sehr von dem ab, der es macht.“ Dies ist ein deutlicher Hinweis, den Schaller hätte aufgreifen sollen, und sich mit der Ausbildung von Theaterpädagogen und Theaterlehrkräften intensiver und vor allem umfassend zu beschäftigen. Hierzu gehörte selbstverständlich auch zu fragen, welche Didaktiken – oder ob überhaupt – den verschiedenen Ausbildungen zugrunde liegen. Vielleicht im nächsten Buch.
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