Lange, Harald/ Sinning, Silke (Hg) 2014: Ästhetik und Leiblichkeit. Fachdidaktik und Themenkonstitution in ästhetisch-leiblichen Fächern und Lernbereichen. Hohengehren: Schneider Verlag. 210 Seiten – Rezension
Im Zentrum der Untersuchungen von AT steht die Frage nach dem Bildungsgehalt von Theaterarbeit als kulturelle Bildung. Insofern sind alle Lernkonzepte und didaktischen Überlegungen von Bedeutung, die dabei eine Rolle spielen können. Es liegt in der Natur der Sache, dabei auch über den Tellerrand der Atomisierung schulischer Bildung durch die sich gegenseitig abgrenzenden Fächer mit ihren isolierten Fachdidaktiken zu schauen.
Der vorliegende Band verspricht im Untertitel eine „Fachdidaktik und Themenkonstitution in ästhetisch-leiblichen Fächern und Lernbereichen“. Diese Ankündigung nährt die Hoffnung hier von Verantwortlichen für die Lehrerausbildung dieser Fächer differenziert und verbindlich Auskunft darüber zu erhalten, wie die in einer Didaktik formulierten grundlegenden Setzungen für Lernkonzepte für die besagten Fächer Musik, bildende Kunst, Tanz und Theater aussehen sollen und die ihr Ziel-Objekt, die Schüler, häufig nach eigenen Aussagen, in den Mittelpunkt ihres Bemühens stellen. Als Leser erwarte ich die Herausarbeitung des Gemeinsamen im Spezifischen der unterschiedlichen Fächer, die in Summe die Komplexität von Ästhetik und die Interdependenzen von Welt zum Thema machen.
Inhalt
Einleitung in den Forschungszusammenhang 7
Themenkonstitution
Themenkonstitution im Spiegel der Fachdidaktiken 7
Fragen zur Annäherung 8
Zu den Themen und deren Konstitution 9
Harald Lange & Sile Sinning
Themenkonstitution im Sport und Sportunterricht 11
Zum sportpädagogischen Zugang 11
Felder der Sportpädagogik 11
Ideen-, Bild- und Konzeptentwicklung als Aufgabe der Sportpädagogik 12
Themenkonstitution als sportdidaktisches Kernthema 14
Zum Zusammenhang zwischen Zielen, Inhalten und Methoden 16
Konsequenzen für das weitere Vorgehen 18
Themenkonstitution – Didaktische Deutungen zum Unterrichtsgegenstand 19
Konstitution sportunterrichtlicher Themen 20
Fachdidaktische Traditionslinien 21
Perspektiven konstruktiver Sportdidaktik 23
Was machen wir zum Thema des Sportunterrichts? 24
Beispiel: Zum Einfluss von Pisa auf das Problem der Themenkonstitution 25
Standardisierung als pädagogischer Richtungsgeber 26
Zwischenergebnis: Zwei methodische Optionen 27
Beispiel: Zur Vielfalt kindlich konstruierter Bewegungsthemen – Tim und Katja 28
Den Ball endlos bergauf schießen 28
Zum Problem der Analyse zugrunde liegender Themenkonstitutionen 29
Zum ordnungsstiftenden Beitrag der Sportmotorik 30
Mehrdimensionaler Zugriff auf die Themenkonstitution 32
Was soll für Tim, Katja und andere Schüler zum Thema gemacht werden? 33
Was sollen Sport- und Bewegungslehrer tun? 34
Nachdenken über ernst gemeinte Bildungsgelegenheiten 35
Literaturverzeichnis 37
Günther Rebel
Tanzpädagogik 43
Einleitung – Warum Tanz? 43
Forschungsergebnisse Ein kurzer Überblick über die Wieder/Neuentdeckung von Tanz als Ausdrucksmedium aus der Sicht von Kommunikation, Psychologie, Neurophysiologie, Tanzmedizin & Philosophie 44
Kommunikation 44
Psychologie/Neurophysiologie/Soziologie/Philosophie 45
Pädagogik 47
Soziologie 47
Tanzmedizin 48
Tanzpädagogik – heute 49
Bestandsaufnahme und aktuelle Entwicklung im Bereich Tanzpädagogik 49
Tanzpädagogik – die Aus- und Weiterbildung 51
Beispiel 1: Beirat Tanz 51
Beispiel 2: Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e.V. 53
Lernkonzepte 56
Kommunikation in der Tanzpädagogik 57
Die Studierenden 60
Modulbeispiel: Freier Tanz 62
Didaktik 63
Das für die Tanzpädagogik veränderte „Berliner Modell“: 65
Literaturverzeichnis 67
Friedhelm Roth-Lange
Theater machen – Theatermachen? Themenkonstitution im Fach Darstellendes Spiel 69
Theater als Prüfungsfach – Zähmung des Widerspenstigen? 69
Grundmuster aus der Geschichte des Fachdiskurses 70
Aktuelle Legitimationsdiskurse 73
Widerspenstigkeit ästhetischer Erfahrungen 79
Theater ja, aber welches? Kernthemen des Faches 80
„Struwwelpeter-Szenen“ – Beispiel für ein szenisches Projekt 85
Vom Darstellenden Spiel zum Forschungstheater 89
Literaturverzeichnis 91
Werner Michl
Erziehung und Erlebnis – Erlebnispädagogik 97
Vorbemerkung 97
Erlebnispädagogik 97
Erleben und Erziehen. Kafka: Brief an den Vater. 99
Eine kleine Begriffsgeschichte 100
Spirale und Waage 102
Aktuelle Trends 104
Anwachsen der Kritik 104
Internet und Internationales 107
Rituale – im Niemandsland zwischen Ratio und Religion 107
In den Seilen hängen – niedere und hohe Seilgärten 108
Der Markt der Möglichkeiten wächst 111
Von der Bandbreite zum Detail 111
Back to the roots: Erlebnis als Therapie 111
Die Wiederentdeckung des Pädagogischen 112
Learning by Doing 112
Leitung, Führung, Verantwortung 113
Homo Ludens 113
Körper: Kult und Kultur 114
Kultur der Reflexion und des Transfers 114
Wirkt Pädagogik? 115
Thesen zur Erlebnispädagogik 116
Schlusswort 117
Literaturverzeichnis 118
Oliver M. Reuter
Themenkonstitution in der Kunstpädagogik 121
Entwicklungslinien in der Kunstpädagogik 121
Themenorientierung in der Fachdidaktik Kunst 126
Bedingungen kunstdidaktischer Themenkonstitution 129
Kernthemen im Kunstunterricht 133
Die improvisierte Choreografie als Beispiel zur Themenkonstitution 136
Ausblick 138
Literaturverzeichnis 141
Weitere relevante Literatur 142
Martina Krause- Benz
Zur Relevanz von musikbezogenen performativen Akten für die Konstitution von Inhalt des
Musikunterrichts 143
Einleitung 143
Inhalt(e) des Musikunterrichts 145
Umgangsweisen mit Musik als Inhaltkonstituenten? 146
Musikbezogene Handlungen als Inhaltskonstituenten? 148
Performative Akte als Konstituenten von sozialer Wirklichkeit 152
Kompetenz und Performanz 153
Aspekte des Performativen 154
Perspektiven für eine Musikpädagogik des Performativen 157
Konstitution von Inhalt im Musikunterricht durch performative Akte? 158
Fazit 159
Literaturverzeichnis 160
Mirka Dickel
Der Anspruch der Sache. Zur Figuration des Fragwürdigen im Dialog. 165
Umweg 167
Neuausrichtung 172
Wendung 174
Im Gespräch mit der Sache 176
Im Gespräch mit dem Gegenüber 178
Verantwortung 179
Forschung und Lehre 181
Schluss 182
Literaturverzeichnis 183
Olaf-Axel Burow
Glück als Unterrichtsgegenstand – Perspektiven der Positiven Pädagogik 187
Glück und Schule – ein Gegensatz? 188
Brauchen wir ein Schulfach Glück? 190
Kulturelle Bildung – ein Schlüssel zum Glück? 193
Schulfach Glück oder Glücksschule? 194
Entwicklung einer Wohlfühlkultur durch Wertschätzende Befragung 196
Schlüssel zum Schulglück: Wertschätzende Befragung und die „magischen“ 3×3 199
Verstehbarkeit, Bedeutsamkeit, Handhabbarkeit 200
Selbstbestimmung, Kompetenzerleben, Sinn/Zugehörigkeit. 201
Wertschätzung, Vision, Umsetzung 201
Literaturverzeichnis 204
Autoren 207
In der Einleitung formulieren die beiden Herausgeber und Autoren, die Professoren für Sportwissenschaft Lange und Sinning, die Setzung, dass „pädagogisch begründete Methodenentscheidungen den Gegenstand bzw. Inhalt des Unterrichts als solchen konstituieren.“ (8) Insofern soll der „pädagogische Horizont im Sinne des Primats der Didaktik gegenüber der Methodik untersucht“ werden. Demnach gelte „das Interesse der vorliegenden Analysen zuallererst der Frage nach dem ‚Wie’ gelingenden Unterrichts.“ Ziel sei es „auf dieser Grundlage konkrete Beratungsleistungen für die Inszenierung und Reflexion von Unterricht zu entwerfen.“ Dabei sehen Lange und Sinning „eine mögliche Klammer für die Ausrichtung und Reflexion sämtlicher Fachdidaktiken […] im kindlichen ‚Staunen’“. (8)
Die Herausgeber und Autoren schlussfolgern: „Wenn also Lehrer die Inhalte, Gegenstände und Sachen Ihres Faches für die Begegnung mit dem Lernenden bzw. für den Unterricht aufbereiten und die Darbietung dieser Sachen in Szene setzen, dann befinden wir uns inmitten des Prozesses der Themenkonstitution.“ (8-9) Die Autoren betonen, dass „neben der Stoffauswahl vor allem die Darbietung der Gegenstände (sprich: die Inszenierung) als Gratmesser für die Qualität und das Gelingen von Unterricht anzusehen ist.“ (10) „Die Frage, welcher Inhalt, wann, auf welche Weise und aus welchem Grund zum Thema des Unterrichts wird und deshalb Schüler wie Lehrer gleichermaßen betrifft, langweilt oder herausfordert, interessiert in allen Fachdidaktiken.“ (7) Darum habe man einen „Disziplinen- und Universitätsübergreifenden Forschungszusammenhang auf den Weg“ gebracht, dessen Ergebnisse in diesem vierten Band einer Reihe, die 36 Fachdidaktiken präsentiert, vorgelegt würden. (7-8)
Nahezu durchgängig fällt in den Beschreibungen der verschiedenen Didaktiken, außer in Roth-Langes Ausführungen zum Theater-Unterricht, die Verwendung der Metapher der „Inszenierung“ des Unterrichts und der Erstellung einer Unterrichts-„Dramaturgie“ auf, ohne dass der damit implizierte theatrale Bezug auch nur im Ansatz erläutert oder gar vertieft würde. Man hat als Leser den Eindruck, dass damit eine irgendwie geartete showmäßige und unterhaltende sowie beeindruckend faszinierende Art und Weise von Unterrichtsgestaltung und Themenpräsentation gemeint sei, mit der Lehrende die Hoffnung verbinden könnten, dass sie mit dieser Art von Aufbereitung des Unterrichts (show-didaktisch eben) deshalb die Aufmerksamkeit der Schüler erheischen und sie zum „Staunen“ bringen könnten. Wir werden sehen, inwieweit sich dieser Gedanke der Attraktivmachung der vermutlich häufig langweiligen oder für Schüler uninteressanten Inhalte und Stoffe zum geheimen „didaktischen“ Lehrplan entwickelt, der letztlich zeigt, dass die Wiederholung der Atomisierung der Welt in den Unterrichtsfächern und im Verständnis dieser Didaktiker sich durch Effekthascherei letztlich lernverhindernd, mindestens aber lernerschwerend auswirken könnte.
Besonders verwirrend für den Leser in der Abfolge der unterschiedlichen Beiträge verschiedener Autoren ist die Heterogenität in der begrifflichen Fassung von Ästhetik, in der Beschränkung auf die eigenen Fachinhalte und die zumeist entsprechende Engführung der Gedanken. Einzig die Beiträge von Roth-Lange und Burow vermögen einen Blick über den Tellerrand der scheinbar hermetisch sich isolierenden Fachdidaktiken zu leisten.
Burow formuliert in seinem Artikel die generellen Grundlagen erfolgversprechenden Lernens, wie sie in zahlreichen Studien wissenschaftlich nachgewiesen wurden (vgl. dazu auch die Hattie-Studie, die der Lehrkraft die entscheidende Rolle im Lernprozess zuspricht und nicht bestimmte Inhalten und Vermittlungsmethoden). Diese spielen aber in den meisten Ausführungen der Fachdidaktiker nur eine geringe bzw. gar keine Rolle. Der Leser wird konfrontiert mit einer Ansammlung von unterschiedlichsten Lernkonzepten, Ästhetikverständnissen und fachlichen Begründungen unter der Prämisse, dass der Lernende, der Schüler, im Fokus stehe. Tatsächlich wird er aber zumeist nur als Zielobjekt für die jeweils eigene Fachdidaktik bzw. den eigenen scheuklappenbeäugten Fachinhalt ins Auge gefasst. Damit verstärkt sich insgesamt für den Betroffenen der Eindruck der Atomisierung der Welt. Aber gerade diese sollte schulische Bildung in den Mittelpunkt reflektierenden Bemühens stellen und nicht verstärken, insbesondere in den sog. ästhetischen Fächern mit ihrer Chancen zu kultureller Praxis und Grenzüberschreitungen im Denken und Handeln. Eine entsprechend sorgfältige Redaktion des Bandes, die die Autoren verpflichtet hätte, nicht nur über den Tellerrand ihrer eigenen Beschränktheit zu schauen, sondern konstruktiv daran zu arbeiten, wie jeder aus seiner Fachkompetenz, gemeinsam mit den anderen, sich als Teil eines großen komplexen Systems verstehend nach den besten Lösungen für schulisches Lernen sucht im Sinne einer Aufhebung dieser letztlich möglicherweise verdummenden und sich gegeneinander abschließenden und in Konkurrenz stehenden Fächer-Verständnisses (siehe dazu auch die begriffliche Klassifizierung von Inhalten in sog. Haupt- und Nebenfächer).
Insofern stellt sich der Klappentext mit dieser redaktionell kaum koordinierten Textsammlung lediglich als idealistischer Wunsch dar, bestenfalls gewinnt er in Einzelfacetten einiger Fachdidaktiken eine gewisse Bedeutung: „Dem Ästhetischen wird ein beachtlicher Bildungswert zugesprochen. Ästhetische Bildung meint zugleich auch Wahrnehmungserziehung. Sie wirkt sensibilisierend, ist geschmacksbildend und trägt zu einem umsichtigen Verhältnis des Einzelnen zu seiner Umwelt bei. Sie unterstützt den Prozess der kindlichen Welterfahrung und Weltaneignung in der leiblich-sinnlichen Dimension. Sie fördert das Ausbilden von Kreativität, Moral und Ich-Identität. Allesamt Fähigkeiten, die Kindern und Jugendlichen dabei helfen, sich in zunehmend komplexer werdenden Lebenswelten zu orientieren.“ (U4)
Übrigens gibt es das Konzept, welches die hier formulierten Ansprüche am besten umsetzt bzw. verwirklichen kann, schon lange. Es heißt fächerübergreifende Projektarbeit, scheint aber nicht in Blick der meisten Autoren zu geraten.
Die Herausgeber wären gut beraten, hätten sie Burow mit der Redaktion des Bandes beauftragt und ihn gebeten, Leitlinien bzw. erkenntnisleitende Fragen an die Autoren zu entwerfen, an denen sich diese zu orientieren hätten bzw. um sie anzuregen, fokussierter nach den fächerübergreifenden oder fächerverbindenden Elementen gelingenden Lernens in ihren Didaktiken zu forschen.
Stattdessen wird der Leser mit „Erkenntnisleistungen“ wie den folgenden konfrontiert:
„Ich verstehe unter ‚Performativität’ ein Paradigma, welches gleichsam den Horizont für Performanzen im Sinne konkreter performativer Akte bildet.“ (152) Die Eigenschaft eines Gegenstandes wird mit der gleichen Eigenschaft eines anderen Gegenstandes begründet. Tautologisch.
Oder: „Wie die ästhetische Erfahrung nur erwachsen kann aus einer ästhetischen Praxis, kann eine ästhetische Praxis dieser Qualität nur aus einer ästhetischen Wahrnehmung entstehen.“ (132) Ästhetische Qualität entsteht aus ästhetischer Qualität. Ebenfalls tautologisch.
Mal flapsig „übersetzt“: Die sinnliche Erfahrung mit einem roten Auto kann nur aus dem Fahren mit einem roten Auto hervorgehen, dessen ästhetische Qualität nur daraus entsteht, dass es als ein rotes Auto wahrgenommen wird. Verballhornung? Ja. Was bitte ist eine „Gradlinigkeit der Wahrnehmung“? (132) Da bleibt nur noch übrig zu wünschen, dass derartig vorgetragene Nullwert-Formulierungen „Anstoß zu weiteren Diskussionen geben“. (159) Als wissenschaftliches Forschungs-„Ergebnis“ sind solche an Selbstironie grenzende Aussagen indiskutabel. (8)
Neben der offensichtlich mangelhaften redaktionellen Koordinierungsarbeit und den Nullwert-Erkenntnissen fällt als besonders eklatant in diesem Werk das grobe Versagen des Lektorats auf, wofür immerhin zwei Personen die Verantwortung übernommen haben, Dominik Schirling und Julian Firlus, denen grotestk viele Rechtschreibfehler entgangen sind und denen es offensichtlich an grundlegenden Kenntnissen für diese Tätigkeit mangelt. Es sei als Beleg nur auf einige Mängel hingewiesen, die man nicht akribisch suchen muss, sondern dem Leser gehäuft ins Auge springen:
- sehr oft werden Leerzeichen vergessen, z.B. nach Kommas
- Blocksatz ohne Silbentrennung zieht teilweise die Wörter extrem in einer Zeile auseinander
- falscher Zeilenumbruch
- falscher Zeilenabstand
- wahllos beliebige „variationsreiche“ Gestaltung bibliografischer Angaben, z.B. mal mit und mal ohne Jahresangaben, fantasievolle Jahresangaben, z.B. „21983“, mal mit mal ohne Doppelpunkt nach der Nennung des Autors und und und …
Die Liste der Fehler ist schier endlos und die Häufigkeit könnte man schon als „dramatisch“ bezeichnen. Das ist nicht nur ärgerlich, das ist schlichtweg unzumutbar. Um nicht in haltlose Depression ob solcher Schlampigkeit und/ oder Inkomptenz zu verfallen, seien zum Schluss ein paar qualitativ herausragende Gedanken von Roth-Lange und Burow wiedergegeben, die eine konstruktive Richtung aufzeigen, in die sich didaktisches Denken sinnvollerweise bewegen könnte oder sollte. Zunächst stellt Roth-Lange zum wievielten Male richtigerweise klar, dass regulärer Theater-Unterricht und freiwillige unbenotete Theater-AGs relativ wenig miteinander zu tun haben, denn dieser Unterschied wird allenthalben von zahlreichen Autoren immer noch gnadenlos ignoriert und undifferenziert und pauschal alles in den Topf „Schultheater“ geworfen. Kein Wunder, dass dann auch keine genießbare Suppe entstehen kann.
Weiterhin wird in derselben ignoraten Manier immer weiter pauschal geträumt von der Veränderbarkeit des ebenso allenthalben verdummenden Schulsystems durch ein bisschen Theater-Unterricht bzw. ästhetische Arbeit in den so benamsten Fächern (vgl. Roth-Langes Kritik an Plath, 69). Das ist einfach politisch naiv und auch schon lange widerlegt. Kunst hat noch nie Gesellschaft verändert. Sie reflektiert lediglich, bestenfalls gibt sie ein paar Impulse, die die Mächtigen dieser Welt ebenso bestenfalls milde belächeln (vgl. dazu auch die beiden lesenswerten Sammel-Bände zum Thema „Applied Theatre“ von Warstat u.a. 2015 und Warstat u.a. 2017). Und ein Drittes und Grundlegendes macht Roth-Lange gleich zu Beginn seiner Ausführungen deutlich: „Theater lernt man also, indem man es in szenischer Projektarbeit selbst praktiziert.“ (70) und verweist auf die uralte Erkenntnis, das man das am besten erlernt, was man selbst und in eigener Regie und Verantwortung auch selbst tut, und zwar in Verfahren des Trial & Error und unter sachkundiger und verständnisvoller Betreuung. Damit wäre eigentlich schon alles Wichtige gesagt, auf das eine Didaktik aufzubauen hätte. Man könnte bestenfalls noch ergänzen, dass das Ganze noch als ganzheitliches Lernen und körperbetont in gemeinschaftsfördernder Art und Weise getan werden sollte.
In ähnicher Weise formuliert es Burow, wenn er auf die Grundprinzipien gelungener Lernprozesse verweist: „Verstehbarkeit, Bedeutsamkeit und Handhabbarkeit.“ (200) Oder auch als Dreischritt formuliert: „Wertschätzung/ Vision/ Umsetzung“ oder als Selbstbestimmung/ Kompetenzerleben/ Zugehörigkeit“. (199) Fachdidaktiken, die sich diesen Prinzipien verweigern, bzw. ihre Inhalte, Stoffe und Methoden diesen nicht unterwerfen, werden zwangsläufig keine nachhaltigen Lernprozesse in Gang setzen können.
Roth-Lange rekurriert auf eine 20 Jahre alte Aussage von Sting, der schon 1997 erkannte, dass Theater-Machen eine besondere Lernform impliziert, nämliche eine spezifisch künstlerische, die sich von allen Lernformen und demzufolge auch von allen anderen Fachdidaktken grundlegend unterscheidet. Eine ausführliche Beschreibung dieser ästhetischen Lernform, die nicht mit einer Kunstform zu verwechseln ist, denn „Schultheater“ ist keine neue Kunstgattung (vgl. Klepacki), ist nachzulesen in: List: Die Kunst Theater zu lehren.
Roth-Lange erinnert überdies an realitätsferne Annahmen für den Theater-Unterricht, in dem angeblich „Konkurrenzverhältnisse außer Kraft“ gesetzt würden (vgl. Wiese, Günter & Ruping 2006), und verweist auf die Vermutung, dass kulturell bildende Prozesse dem Theater-Machen immanent seien, dies aber empirisch kaum nachzuweisen ist (vgl. z.B. Domkowskys und Wenzels gescheiterte Versuche; siehe auch die Untersuchungen von Burow und Hattie (siehe Terhart 2014), die signifikant der Lehrkraft, dem Therapeuten, dem Coach, also einer spezifischen Persönlichkeitsausprägung den entscheidenden Einfluss für einen gelingenden Lernprozess zuschreiben).
Inhaltliche und methodische Aspekte seien im Theater-Unterricht nicht zu trennen, so Roth-Lange, „das betrifft insbesondere die für den Theaterunterricht grundlegende Verschränkung von inhaltlichen und methodischen Aspekten und die Berücksichtigung der Tatsache, dass handwerkliches ‚Training’ und kreatives Gestalten im Theaterunterricht nicht zu trennen sind.“ (80) Performative Arbeitsweisen kämen „in besonderer Weise dem ergebnisoffenen Projektcharakter schulischer Theaterarbeit, einer nicht-hierarchischen Arbeitsteilung, den Ausdrucksmöglichkeiten nicht-professioneller Darsteller und der Arbeit in nicht-spezifischen Arbeitsräumen“ entgegen und seien die Mittel der Wahl. (84) Wenn es darum ginge, die spezifischen Fähigkeiten der Jugendlichen zu nutzen und mit den vorgefundenen räumlichen und technischen Voraussetzungen produktiv umzugehen, „dann sind diese Theaterformen, die auf die Herstellung eines szenischen Als-Ob durch eine psychologische Spielweise und eine aufwändige realistische Kulissen verzichten, für die Arbeit in der Schule besonders geeignet.“ (84)
In einem performative Arbeitsweisen favorisierenden Theater-Unterricht ist auch die „rezeptionsorientierte Arbeit, die Ausbildung der ‚Zuschaukunst’ integraler Bestandteil der gestaltenden Arbeit an einem szenischen Projekt. Sie findet von den ersten Improvisationsaufgaben an regelmäßig in der Besprechung von Zwischenergebnissen, der fachterminologisch adäquaten Beschreibung von Gestaltungsmitteln sowie bei der kritischen Reflexion von angestrebten und erzielten Wirkungen statt.“ (84-85)
Anhand der detaillierten Beschreibung eines selbst durchgeführten Unterrichtsprojektes belegt Roth-Lange die Qualität und den Nutzen seiner zuvor beschriebenen didaktischen Überlegungen und gibt damit ein Modell, wie didaktisches Denken zu konstruktiven Entwürfen und Planungen von Unterricht führen kann, der dann vermutlich bei den Lernenden auch die gewünschten Wirkungen hervorbringt.
So kann’s gehen!
Weiterführendes
- Burow, Olaf-Axel 2001: Nicht die Methode, sondern die Haltung der Moderato-rinnen ist entscheidend. Antwortmail auf Anfrage an die Austauschgruppe „Schneller Wandel“ vom 16.01.2001; vgl auch > http://www.olaf-axel-burow.de
- Burow, Olaf-Axel 2000: Ich bin gut – wir sind besser. Erfolgsmodelle kreativer Gruppen. Stuttgart: Klett-Cotta
- Domkowsky, Romi 2008: Erkundungen über langfristige Wirkungen des Theaterspielens. Eine qualitative Untersuchung. Auf Spurensuche. Saarbrücken, Berlin > https://opus4.kobv.de/opus4-udk/frontdoor/index/index/docId/25
- List, Volker 2018: Die Kunst Theater zu lehren – Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung
- Terhart, Ewald (Hg) 2014: Die Hattie-Studie in der Diskussion: Probleme sichtbar machen. Seelze: Kallmeyer/ Friedrich Verlag. 165 Seiten – Rezension
- Warstat, Matthias u.a. (Hg) 2015: Theater als Intervention. Politiken ästhetischer Praxis. Recherchen 121. Berlin: Theater der Zeit – Rezension
- Warstat, Matthias/ Evers, Florian/ Flade, Kristin/ Lempa, Fabian/ Seuberling, Lilian (Hg) 2017: Applied Theatre. Rahmen und Positionen. Berlin: Theater der Zeit. 307 Seiten – Rezension
- Wenzel, Karl-Heinz 2004: Schule als Raumbühne – Körperlichkeit im Medienzeitalter. Ein Modellversuch des Bremer Senators für Bildung und Wissenschaft in Verbindung mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Abschlussbericht. Bremen, Landesinstitut für Schule Bremen
- Wiese, Hans-Joachim/ Günther, Michaela/ Ruping, Bernd 2006: Theatrales Lernen als philosophische Praxis in Schule und Freizeit. Band 1 Lingener Beiträge zur Theaterpädagogik. Uckerland: Schibri Verlag. 305 Seiten – Rezension
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