Andrecht, Martina 2012: Partizipatives Unternehmenstheater. Theaterpädagogische Methoden in der Personalentwicklung. Saarbrücken: AV Akademikerverlag. 95 Seiten – Rezension
Andrecht will in ihrem Werk Formen partizipativen Unternehmenstheaters in der Personalentwicklung betrachten, also solche, „bei denen die Mitarbeiter selbst aktiv“ werden. (2) Im Mittelpunkt stehe dabei nicht die künstlerische Orientierung des Theaters und das szenische Ergebnis, sondern vielmehr eine Versuchsanordnung als Spiel von Wirklichkeit und als Reflektion von Verhalten. Im Fokus ihrer Recherche sieht sie dabei die Fragen: „Wie wirkt das Lernmedium Theater, wo liegen die Potenziale dieser Methode? Was ist das Besondere daran, und aus welchen Gründen sollte man Theatermethoden einsetzen? Welche Wirkungspotenziale hat partizipatives Unternehmenstheater und welche Bedingungen können diese beeinträchtigen?“ (3)
Die Autorin ruft zum kritischen Dialog zwischen Personalentwicklern und Theaterpädagogen auf, die sie als Zielgruppe ihrer Publikation sieht, um gegenseitige Voreingenommenheit abzubauen. Als Quellen ihrer Ausarbeitung gibt die Autoren an, sich informiert zu haben durch Literaturstudium, Analyse der Werbeauftritte der Anbieter, Gespräche mit Anbietern von partizipativem Unternehmenstheater und Teilnehmern sowie durch Seminarbeobachtungen.
In einem ersten Schritt versucht Andrecht eine Definition des Begriffs Unternehmenstheater auf der Grundlage von Websites der Anbieter und der schmalen Literaturbasis dazu, und sie stellt eine uneinheitliche Verwendung des Ausdrucks fest. In ähnlicher Weise erläutert sie den Begriff der Personalentwicklung. Sie gibt einen Überblick über Schreyöggs/ Dabitzs Vier-Punkte-Definition von Unternehmenstheater, die sie 1999 in ihrem gleichnamigen Werk publizierten. Diese besagt erstens, dass es eine Aufführung geben muss und dabei Zuschauer und Schauspieler getrennt sein müssen, zweitens müssen unternehmensspezifische Inhalte behandelt werden, drittens müssen alle Zuschauer Unternehmensangehörige sein und viertens muss das Theaterstück für einen genau definierten Auftrag des Unternehmens komponiert worden sein. Ziel dieser Intervention ist es, einen Unfreezing-Prozess in Gang zu setzen. Dies könne Theater mit seinen Methoden besonders gut, da es auf der emotionalen Ebene wirke und Vorbehalte gegen über Veränderungsprozessen auftauen können.
Der Begriffsdefinition Schreyöggs/ Dabitzs stellt Andrecht die von Funke/ Havermann-Feye gegenüber, die „Unternehmenstheater“ eher als Oberbegriff verwenden für von einem Unternehmen durchgeführte Maßnahmen, in denen Theaterelemente und -methoden eingesetzt werden. Da theatrale Interventionen auch in allen anderen verfassten menschlichen Gemeinschaften wie NGOs eingesetzt werden können, sollte man eigentlich den Begriff „Organisationstheater“ verwenden. Andrecht legt sich aber letztlich auf die Begriffe „professionell inszeniertes Unternehmenstheater“, so wie es Schreyögg definiert hat, fest und auf „partizipatives Unternehmenstheater“, bei dem die Mitarbeiter aktiv beteiligt sind, um bei Veränderungsprozessen Einfluss im Sinne einer klar beschriebenen Funktionalität und Zweckgebundenheit ausüben und mitbestimmen zu können.
Andrecht versucht im Folgenden die Vielfalt szenischer Interventionen aufzufächern. Sie unterscheidet dabei Funktions- und Wirkungsweise von Übungen, Inszenierungen nach einer Vorlage, themenorientierte Inszenierung, Forumtheater, Seminartheater, Zuschauerregie, themenorientierte Improvisation, ChangeTheater und Rollenspiel. Die Vielfalt der Varianten und Mischformen ermöglichen entsprechend vielfältige Einsatzmöglichkeiten, z.B. Teamentwicklung, Kommunikations- und Verhaltenstraining, Mediation, Supervision, Kick-off- Veranstaltungen für Veränderungsprozesse und so weiter.
Die Autorin stellt die These auf, dass partizipatives Unternehmenstheater genau diese Mitarbeiter-Kompetenzen trainieren könne, die aufgrund der ständigen Veränderungen der Einflussgrößen auf Unternehmen und den ständig sich verändernden Bedingungen, denen Unternehmen unterliegen, hilfreich wären. Überdies könne partizipatives Unternehmenstheater „einen Ausgleich zwischen den Interessen des Unternehmens und de[…]n Mitarbeitern her[…]stellen“. (15) Es sei allerdings schwierig, die Wirkung des Trainings zu messen bzw. zu überprüfen.
Andrecht untersucht elf Websites von Anbietern von Unternehmenstheater und stellt deren „klangvolle“(16) und „schwammige“ (18) Versprechen zusammen, die den Eindruck vermittelten, „dass Theater jede Menge bewirken kann und eigentlich kein Problem, das auch nur entfernt mit ‚Emotionen‘ und ‚Kommunikation‘ zu tun hat, ungelöst lässt“. (16) Dabei sei keine Systematik der Wirkungsbereiche erkennbar. Jeder Anbieter formuliere seine eigenen Hypothesen und Aussagen darüber, wie sein Angebot wirke. Andrecht stellt die in den Angeboten vorgefundenen Wirkungsbereiche im Folgenden zusammen. Sie enthalten die Dimensionen der Verhaltensänderungen, insbesondere im Kernbereich des Beziehungs-und Kommunikationsverhaltens. So solle beispielsweise das Dialog-, Konflikt- und das Teamverhalten durch partizipatives Unternehmenstheater verbessert werden, da Theater einen Zugang zu den Emotionen ermögliche wie kaum ein anderes Medium. „Aber den Gesetzen eines erfolgreichen Marketings folgend werden die Unwägbarkeiten des partizipatives Unternehmenstheaters eher dezent bis gar nicht“ thematisiert. (20) Die gleichen Wirkungsversprechen partizipative Unternehmenstheaters ließen sich auch bei theaterpädagogischen Positionen nachweisen. Aber die gemachten ästhetischen Erfahrungen ließen sich nicht linear und direkt in erwünschte Kompetenzen umwandeln, da ästhetische Bildung sehr heterogene Wirkungen habe, die nicht plan-, kontrollier- und sanktionierbar seien.
Andrecht referiert in den folgenden Kapiteln ausführlich das Verständnis von ästhetischer Bildung des BuT, des BKJ, Hentschels, Boals, Johnstones, Morenos, erläutert auf der Basis von Standardwerken der Psychologie die Funktionszusammenhänge von Lernen und versucht diese auf theatrales Lernen zu übertragen. Nach diesen lernpsychologischen Betrachtungen stellt die Autorin ausgewählte Modelle der Psychologie (u.a. die Rollentheorie) und Schulz von Thuns Vier-Schnäbel- und-Vier-Ohren-Modell vor, welche die Relevanz der mit Theater zugänglichen Bereichen für den Lern-, Lebens- und Arbeitsalltag aufzeigen sollen. (35)
Im 4. Kapitel setzt sich die Autorin mit Hilfe von Literaturauswertung und mit Methoden aus der qualitativen Sozialforschung mit „Risiken und Nebenwirkungen“ des Einsatzes von partizipativem Unternehmenstheater auseinander und geht der Frage nach, „Was die potentiellen Wirkungen beeinträchtigen kann.“ (50) Als Datenbasis dienen ihr acht Interviews von Anbietern und Beteiligten und „Beobachtungseindrücke von drei Veranstaltungen“. (52) Ihre Schlussfolgerungen verweisen auf folgende grundlegende Indizien bzw. Probleme:
- Wirkung im Sinne von Lernen ist nur möglich, wenn die Teilnehmer Offenheit und eine Bereitschaft mitbringen. Frage: Haben diese Leute bereits die Haltung, die Unternehmenstheater vorgibt, initiieren zu wollen (vgl. die Schlussfolgerung von Domkowskys Studie!)? Haben Unternehmen, die offen sind für Unternehmenstheater nicht bereits die Haltung und eine Kultur, die Unternehmenstheater mit seinen Interventionen anstrebt? Meine Erfahrungen scheinen das zu bestätigen, da meine Angebote und Erfahrungen aus pitches mit Theatermethoden zu arbeiten entweder erst gar nicht akzeptiert wurden oder in Unternehmen bereits auf eine offenere Unternehmens-Kultur trafen, die keine oder kaum noch Widerstände auch gegen nicht ganz präzise bis zum Ende kalkulierbare Interventionen zuließen (Datenbasis: über 20 Jahre Einsatz theatraler Methoden in Organisationen bei Hunderten Veranstaltungen)?
- Die Manipulationsmöglichkeit mit Theater ist ein Widerspruch in sich selbst. Wenn Theater Menschen nicht als soziale Wesen berührt, hinterlässt es keine Wirkung. Werden theatrale Ausdrucksformen zur Manipulation missbraucht, dann verkommen sie zu Marketing und Propaganda. Das spüren viele Menschen und sind nicht oder weniger berührt und bauen Widerstände auf (es sei denn, die Zielgruppe ist bereits voll auf Kurs). Vergleiche dazu die immer ausgefeilteren Techniken der Werbung mit theatralen Mitteln zur Manipulation der Menschen und die Entlarvung dieser intransparenten Einflussnahmen nach einer gewissen Zeit, die wiederum neue Manipulationstechniken, die noch stärker auf Emotionen setzen und noch unterschwelliger wirken, gebiert. Produkte werden heutzutage in Werbung überwiegend als Emotionen angepriesen, um das Wohlbefinden der Kunden zu steigern.
- Stellen sich Lernerfolge erst viel später ein?
- Sollte manches an intendierten Lernzielen nicht reflektiert werden, damit es erreicht werden kann? Oder muss es reflektiert werden? Welche Reflexionsformen sind am ehesten geeignet, den Lernerfolg zu sichern?
- Wie ist Lernerfolg durch theatrale Interventionen bzw. partizipatives Unternehmenstheater evaluierbar?
Als Fazit ihrer Auswertung bezüglich der möglichen Wirkungen von Theaterarbeit in Unternehmen zitiert die Autorin Schreyögg: „‘Man kann nie wissen, was die Menschen mit dem Impuls machen, der von dem Theaterstück ausgeht.‘“ (54) Zurück bleibt Hoffnung und Optimismus.
Auf der Grundlage der beschriebenen Erfahrungen von Funke/ Havermann-Feye referiert Andrecht den Aufbau einer Veranstaltung, die mit Theatermethoden arbeitet, aber im Grunde für alle Situationen gilt, in denen Menschen in Gruppen Neues lernen sollen, egal mit welchen Methoden und wie diese ‚gelabelt‘ sind. Es ist letztlich das kleine Einmaleins der Pädagogik und verweist auf die Erkenntnis der Hattie-Studie: Auf die Persönlichkeit des Trainers/ Lehrers kommt es an. Nicht auf eine bestimmte Methode.
Im Schlussabschnitt ihrer Darstellung geht Andrecht nochmals auf den Grunddissens gewerblicher Arbeit ein und diskutiert den Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital. Ist Unternehmenstheater nur Mittel zur Manipulation im Interesse des Unternehmens, sprich: Profitsteigerung, Wachstum, Selbsterhalt? Oder kann es Impulse setzen, für Menschen eine zufriedenstellende Erwerbstätigkeit bereitzustellen? Oder sind diese Interessen in einem gesunden Verhältnis darstellbar? Eine Diskussion so alt wie Erwerbstätigkeit und sicherlich nicht durch Unternehmenstheater lösbar. Leider ist der Anhang mit den Befragungsergebnissen, auf die Andrecht immer wieder dezidiert hinweist, nicht vorhanden.
Weiterführendes
- Domkowsky, Romi 2008: Erkundungen über langfristige Wirkungen des Theaterspielens. Eine qualitative Untersuchung. Auf Spurensuche. Saarbrücken, Berlin > https://opus4.kobv.de/opus4-udk/frontdoor/index/index/docId/25 [Letzter Zugriff: 03.01.2020]
- Doppler, Klaus/ Lauterburg, Christoph 2019 (1. Auflage: 1994): Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. Frankfurt/New York: Campus Verlag > Rezension
- Fischer, Isolde/ Wetzel, Ralf 2015: Die Macht der Improvisation. Über den gezielt ungeplanten Erfolg zweier Regisseure und betriebliches Veränderungsmanagement. In: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management Nr. 4/ 2015. Düsseldorf: Handelsblatt Fachmedien GmbH: 66-71 > Rezension
- Funcke, Amelie/ Havermann-Feye, Maria 2015 (1. Auflage: 2004): Training mit Theater. Wie Sie Theaterelemente in Trainings und Unternehmensveranstaltungen erfolgreich einsetzen. Bonn: managerSeminare Verlag > Rezension
- Gundlach, Axel 2013: Wirkungsvolle Live-Kommunikation. Liebe Deine Helden: Dramaturgie und Inszenierung erfolgreicher Events. Wiesbaden: Springer Gabler > Rezension
- Hoppe, Hans Joachim/ Jünger, Jürgen/ Esche, Tilo 2017: Wie Unternehmen von Theater profitieren können. Führung spielend lernen. Wiesbaden: Springer Gabler Verlag > Rezension
- Schreyögg, Georg/ Dabitz, Robert 1999: Unternehmenstheater – Formen, Erfahrungen, erfolgreicher Einsatz. Wiesbaden: Heidelberg
- Terhart, Ewald (Hg) 2014: Die Hattie-Studie in der Diskussion: Probleme sichtbar machen. Seelze: Kallmeyer/ Friedrich Verlag > Rezension
Schreiben Sie einen Kommentar