Fischer, Isolde/ Wetzel, Ralf 2015: Die Macht der Improvisation. Über den gezielt ungeplanten Erfolg zweier Regisseure und betriebliches Veränderungsmanagement. In: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management Nr. 4/ 2015. Düsseldorf: Handelsblatt Fachmedien GmbH: 66-71
Fischer/ Wetzel wollen deutlich machen, dass sich „hinter Improvisation ein Handwerk und eine Kunstform [versteckt], die mit einer fundamentalen Offenheit gegenüber dem Überraschenden und dem Unerwarteten arbeitet, und substanziell auf dem aufbaut, was eine beliebige soziale Situation an Energie und Gestaltungsspielraum anbietet.“ (66)
Anhand der fünf Akronyme des Konzepts ‚PLAY‘, wie es Raymond Van Driel zusammengefasst hat, erläutern die Autoren das „einfach strukturierte[…] wie kraftvolle[…] Orientierungs- und Handlungsmodell, das vor allem als künstlerische Ausdrucksform, darüber hinaus jedoch als breit verwendetes Orientierungsschema etwa im Katastrophenmanagement, im statusbasierten Konfliktmanagement oder auch im Arbeitsschutz genutzt wird.“ (66)
Die fünf Akronyme des „PLAY!“:
„P. RESENCE Sei präsent, entwickle eine feste Kopplung zur gegenwärtigen Situation! […]
L.EAP into it –Gehe ein Risiko ein und lass‘ Dich auf die Situation vollständig ein! […]
A.DAPTIVENESS Sei offen anderen gegenüber und lass Dich von ihnen verändern! […]
Y.ES, AND…! – Akzeptiere was Dir angeboten wird und entwickle es ein kleines Stück weiter! […]
! IMPACT – Sei kühn, leidenschaftlich und engagiert!“ (66-68)
adaptieren einige grundlegende Elemente von Keith Johnstones Beschreibungen des Improvisations-Theaters.
Welche Rolle „die Improvisation im interaktiven Alltagsgeschäft der Filmproduktion“ spielen kann, beschreiben die Autoren am Beispiel einer Filmproduktion der Regisseure Stefan Hillebrand und Oliver Paulus. (67)
Ihre Erkenntnisse über den Nutzwert der Improvisation fassen die Autoren wie folgt zusammen: „Improvisation leistet zweierlei. Sie schärft erstens die Wahrnehmung von Potenzialen in einer ad-hoc-Situation und die Co-Kreationsfähigkeit von Mitarbeitern. Dadurch können Muster der Problem- und Lösungswahrnehmung aufgebrochen und gänzlich neu gesetzte Lösungsmöglichkeiten erreicht werden. Dies geschieht zweitens in vergleichsweise kurzer Zeit, da kognitive Blockaden vermieden und ein intuitives Entscheiden begünstigt wird. Das verschafft eine qualitativ und zeitlich deutlich erhöhte Anpassungsfähigkeit in einer Organisation.“ (68)
Die Autoren fragen, was geschehen würde, wenn Improvisation in der Veränderungsarbeit in Unternehmen ernst genommen würde. Sie stellen auf der Grundlage der fünf Akronyme vier Thesen zur Anwendbarkeit im betrieblichen Change-Management vor:
„1. ‚Mit Yes, and …!‘ ist eine kraftvolle Formel gefunden, die rasche und qualitativ hochwertige Antwort auf Volatilität und Intransparenz liefert. Man wird deutlich schneller und überwindet die Begrenzungen eingeschliffener Denkweisen.
2. In der Überformalisierung von Changeprozessen steckt im Kern eine Furcht vor der emergenten Energie der Situation. Das Potenzial der Improvisation liegt genau im Profitieren von dieser Energie. Der Unsicherheit muss man sich stellen.
3. Improvisation ist nichts, was man als neues Managementkonzept ‚einführen‘ und von Anderen schlicht fordern kann. Man muss es selber vormachen, am besten ohne großen Lärm. Einfach anfangen. Das ist Führung.
4. Man kann auch in hochkomplexen Zeiten noch Grassroot-Innovation ‚fast & furious‘ betreiben, mit einfachsten Mitteln und hoher Durchschlagskraft, wenn man sich auf ein paar wenige aber herausfordernde Grundprinzipien einlässt. Das gibt Hoffnung.“ (69)
In ihren Thesen spiegeln sich die von Johnstone sehr ausführlich beschriebenen Verhaltensweisen von Menschen. Die meisten Menschen haben bei Konfrontation mit Neuem, mit Anderem eine ablehnende Haltung kultiviert. Diese Blockierung absorbiert Energie, die nun nicht mehr zur Verfügung steht für gemeinsame, kreative und konstruktive Arbeit aus spontanem und agilen Agieren. Johnstone biete zahlreiche Übungen an, wie diese blockierende Haltung verlernt werden kann und statt dessen Menschen sich eine offene, wertschätzende Haltung antrainieren können, die sie aus problematischen Konfrontationen heraus in neue Situationen bringt, in denen sie gemeinsam spontan in Selbstverantwortung und gegenseitiger Wertschätzung Verhalten und Handlungen generieren, die sie beide konstruktiv, nicht de(kon)struierend, in die Richtung eines gemeinsamen Zieles führen können.
Fazit.
Als Leser einer Fachzeitschrift für Organisationsentwicklung hätte man sich gewünscht, einem in der Praxis durchgeführten Projekt der Organisationsentwicklung, eines Change- Prozesses in einem Unternehmen, statt eines filmischen Kunstprojektes, durch eine konkrete Beschreibung nachzuspüren, da die Übertragbarkeit doch einige grundlegende Fragen aufwirft.
Weiterführendes
- Becker, Annette 2013: Theaterorientierter Ansatz im Coaching. Perspektiven verändern, neue Wege beschreiten, Sinne öffnen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. 224 Seiten – Rezension
- Doppler, Klaus/ Lauterburg, Christoph 2019 (1. Auflage: 1994): Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. Frankfurt/New York: Campus Verlag. 586 Seiten – Rezension
- Funcke, Amelie/ Havermann-Feye, Maria 2015, 1. Auflage: 2004: Training mit Theater. Wie Sie Theaterelemente in Trainings und Unternehmensveranstaltungen erfolgreich einsetzen. Bonn: managerSeminare Verlag. 360 Seiten – Rezension
- Hawemann, Horst 2014: Leben üben. Improvisationen und Notate. Recherchen 108. Hg. von Christel Hoffmann. Berlin: Theater der Zeit. 229 Seiten – Rezension
- Hoppe, Hans Joachim/ Jünger, Jürgen/ Esche, Tilo 2017: Wie Unternehmen von Theater profitieren können. Führung spielend lernen. Wiesbaden: Springer Gabler Verlag. 44 Seiten – Rezension
- Johnstone, Keith 1995: Improvisation und Theater. Berlin: Alexander
- Kast, Bas 2015: Und plötzlich macht es Klick! Das Handwerk der Kreativität oder Wie gute Ideen in den Kopf kommen. Frankfurt/M: S. Fischer Verlag. 265 Seiten – Rezension
- List, Volker 2019 (1. Auflage 2018): Die Kunst Theater zu lehren. Didaktik für Theater und Darstellendes Spiel. Hüttenberg: Angewandte Theaterforschung
- List, Volker u.a. 2013: Interaktive Großgruppen. Lebendig lernen – Veränderung gestalten. Heidelberg: Springer Medizin Verlag
- List, Volker 2012: Kursbuch Impro-Theater. Leipzig: Klett Verlag
- Warstat, Matthias u.a. (Hg) 2015: Theater als Intervention. Politiken ästhetischer Praxis. Recherchen 121. Berlin: Theater der Zeit. 195 Seiten – Rezension
- Warstat, Matthias/ Evers, Florian/ Flade, Kristin/ Lempa, Fabian/ Seuberling, Lilian (Hg) 2017: Applied Theatre. Rahmen und Positionen. Berlin: Theater der Zeit. 307 Seiten – Rezension
- Zukunftsinstitut (Hg) 2017: Playful Business. Frankfurt/M. 111 Seiten – Rezension
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